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Seite:Die Gartenlaube (1873) 039.JPG

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Werken entfernt, mit der vollen Aussicht auf die Waldberge gebaut hatte, und das, außen und innen mit einem wahrhaft fürstlichen Luxus ausgestattet, mit seinen Balcons, Terrassen und Blumenanlagen wie eine Oase voll Duft und Poesie inmitten dieser Stätte der Industrie lag.

Das in unmittelbarer Nähe der Schachte gelegene Häuschen des Schichtmeisters Hartmann verrieth schon durch sein Aussehen, daß sich der Eigenthümer desselben einer besonders bevorzugten Stellung erfreute, und so war es auch in der That. Hartmann hatte, noch als junger rüstiger Bergmann, ein Mädchen geheirathet, das im Dienste der verstorbenen Frau Berkow stand und sich der ganz besonderen Vorliebe ihrer Herrin erfreute. Die junge Frau blieb selbst nach ihrer Verheirathung noch mehr oder weniger in Beziehung zu der ehemaligen Herrschaft, und in Folge dessen wurde auch ihr Mann in jeder Weise begünstigt und bevorzugt, von Posten zu Posten geschoben und endlich sogar zum Schichtmeister befördert. Freilich hörten diese Beziehungen und Begünstigungen auf, als Frau Berkow starb; ihr Gatte war nicht der Mann, sich um ehemalige Angehörige seines Haushalts viel zu kümmern, und als Hartmann’s Gattin bald darauf gleichfalls mit Tode abging, war vollends nicht mehr die Rede davon. Indessen der Schichtmeister hegte von jener Zeit her noch immer eine große Anhänglichkeit an die Berkow’sche Familie, der er seine jetzige sorgenfreie Stellung verdankte, während er sonst wahrscheinlich, wie so viele seiner Cameraden, nie über die mühselige, kärglich lohnende Schachtarbeit hinausgekommen wäre. Er hatte bereits vor mehreren Jahren seine verwaiste Schwestertochter, Martha Ewers, in’s Haus genommen, die ihm die Hausfrau reichlich ersetzte; zur Erfüllung seines geheimen Wunsches aber, daß aus ihr und seinem Sohne einmal ein Paar werden möchte, hatte sich bisher noch wenig Aussicht geboten.

An diesem Sonntag-Morgen war das sonst so friedliche Häuschen der Schauplatz einer ziemlich erregten Scene, wie sie jetzt leider zwischen Vater und Sohn nicht mehr zu den Seltenheiten gehörten. Der Schichtmeister, in der Mitte der kleinen Stube stehend, sprach mit vollster Heftigkeit auf Ulrich ein, der, soeben aus der Wohnung des Directors zurückgekehrt, stumm und finster an der Thür lehnte, während Martha, die etwas seitwärts stand, mit unverhehlter Besorgniß die Streitenden beobachtete.

„Hat man je so etwas erlebt!“ eiferte der Schichtmeister. „Hast Du noch nicht genug Feinde unter den Herren drüben, daß Du sie Dir mit Gewalt auf den Hals hetzen mußt? Wird dem Patron da eine Summe angeboten, groß genug, um einen ganzen Hausstand damit anzufangen, und er setzt seinen Starrkopf auf und sagt ohne Weiteres Nein! Aber freilich, was kümmerst Du Dich auch um Hausstand oder dergleichen! wie denkst Du daran, eine Frau zu nehmen! Den Kopf in die Zeitungen stecken, wenn Du von der Arbeit kommst, noch die halbe Nacht über den Büchern sitzen und Dich mit all dem neumodischen Zeug vollpfropfen, von dem ein rechtschaffener Bergmann sein Lebtag nichts zu wissen braucht, bei den Cameraden den Herrn und Meister spielen, so daß man nächstens nicht mehr den Herrn Director, sondern den Herrn Ulrich Hartmann wird fragen müssen, was eigentlich auf den Werken geschehen soll – das ist so Dein Vergnügen. Und wenn man dann zufällig einmal daran erinnert wird, daß man vorläufig noch Untersteiger ist, dann redet man von ‚Bezahlung‘ und wirft der Herrschaft die ganze Geschichte vor die Füße. Ich sollte meinen, wenn irgend Jemand das Geld redlich verdient hätte, dann wärst Du es!“

Ulrich, der bisher schweigend zugehört hatte, stampfte bei den letzten Worten zornig mit dem Fuße.

„Ich will aber nun einmal nichts von der ganzen Sippschaft da oben! Ich habe ihnen gesagt, daß ich für meine sogenannte ‚Heldenthat‘, von der sie so viel Wesens machen, keine Bezahlung brauche und auch keine nehme, und damit ist’s gut!“

Der Alte wollte von Neuem auffahren und war im Begriff, eine noch derbere Strafpredigt zu halten, als auf einmal Martha dazwischen trat. „Laß ihn, Ohm,“ sagte sie kurz, „er hat Recht!“

Der Schichtmeister, gänzlich aus dem Concepte gebracht durch diese unerwartete Einrede, sah sie mit offenem Munde an. „So? Er hat Recht?“ wiederholte er ärgerlich. „Das konnte ich mir denken, daß Du wieder seine Partie nimmst!“

„Ulrich kann es nicht vertragen, daß sie die Sache so ohne Weiteres durch den Director abthun lassen,“ fuhr das Mädchen bestimmt fort, „und es schickt sich auch nicht. Hätte Herr Berkow selbst mit ihm gesprochen und ihm ein Wort von Dank oder so etwas gesagt – aber freilich, der kümmert sich ja um nichts in der Welt! Er sieht immer aus, als ob er eben erst aus dem Schlafe käme, und als ob es ihm die schrecklichste Mühe machte, Jemand auch nur anzusehen, und wenn er wirklich einmal nicht schläft, dann liegt er den ganzen Tag auf seinem Sopha und schaut sich die Decke an –“

„Laß mir den jungen Herrn in Ruhe!“ unterbrach sie der Schichtmeister heftig. „Den hat sein Vater auf dem Gewissen! Von Kindheit an hat er ihm ja allen Willen gethan und sich alle Unarten gefallen lassen, hat ihm täglich vorerzählt, wie reich er einmal werden würde, und Hofmeister und Bedienten fortgejagt, wenn sie dem Jungen nicht pariren wollten. Später, als er größer wurde, da durfte er ja nur noch mit Grafen und Baronen umgehen; das Geld wurde ihm haufenweise zugesteckt, und je toller er es trieb, desto mehr freute sich der Vater. Da soll das bischen Herzensgüte nicht darauf gehen bei solch einem jungen Menschen! denn gut war der Arthur, das laß ich mir nicht nehmen, der ich ihn so oft habe auf den Knieen reiten lassen, und ein Herz hat er auch gehabt. Ich weiß noch, als er damals nach dem Tode der Mutter in die Stadt sollte, wie er mir da um den Hals fiel und seine bittersten Thränen weinte, und nicht fortzubringen war, trotzdem Herr Berkow bat und streichelte und versprach, was es nur in der Welt gab; ich mußte ihn selbst in den Wagen tragen. Freilich, als er erst in der Stadt war bei den Bonnen und Hofmeistern, da war’s aus, das nächste Mal gab er mir nur noch die Hand, dann ist er immer vornehmer, immer kühler geworden, und jetzt –“ es zuckte ein beinahe schmerzlicher Ausdruck über die Züge des Alten, aber er schüttelte rasch die Weichheit ab. „Nun, mir kann’s am Ende gleich sein, aber ich mag es nicht leiden, wenn Ihr bei jeder Gelegenheit so über ihn herfahrt, zumal der Ulrich, der einen förmlichen Haß auf ihn hat. Wenn man dem Eisenkopf auch so viel Willen gelassen und noch ein paar Hunderttausend dazu gegeben hätte, dann möchte ich wohl wissen, was aus ihm geworden wäre! Was Gutes sicher nicht!“

„Vielleicht was schlimmeres, Vater!“ sagte Ulrich herb, „aber solch ein Weichling gewiß nicht, darauf kannst Du Dich verlassen!“

Dem Gespräche, das schon wieder eine bedenkliche Wendung zu nehmen drohte, wurde jetzt zum Glück ein Ende gemacht. Es klopfte draußen an der Thür, gleich darauf trat ein Diener in der reichen, etwas überladenen Livrée des Berkow’schen Hauses ein und bot dem Schichtmeister einen Guten Tag.

„Die gnädige Frau schickt mich her; ich soll Ihren Ulrich – Ah, da sind Sie ja, Hartmann! Die gnädige Frau wünscht Sie zu sprechen, ich soll Sie auf heut Abend punkt sieben Uhr hinüber bestellen.“

„Mich?“

„Den Ulrich?“

Die beiden Ausrufe kamen mit gleicher Verwunderung von den Lippen des Schichtmeisters und seines Sohnes, während Martha ebenfalls erstaunt den Diener ansah, der gleichmüthig fortfuhr:

„Sie müssen doch irgend etwas mit dem Director vorgehabt haben, Hartmann! Er war heut schon in aller Frühe bei der gnädigen Frau, die sich sonst nie um die Geschäftssachen der Herren kümmert, und gleich darauf wurde ich Hals über Kopf zu Ihnen geschickt, obgleich wir wahrhaftig heut genug drüben zu thun haben. Die sämmtlichen Herren Beamten sind zu Tische geladen und aus der Stadt kommen auch, ich weiß nicht was alles für Respectspersonen – aber ich habe keinen Augenblick Zeit. Seien Sie ja pünktlich! Um sieben Uhr nach dem Diner!“

Der Mann schien es wirklich eilig zu haben; er nickte den Anwesenden noch einen kurzen Gruß zu und ging.

„Da haben wir’s!“ brach der Schichtmeister los. „Jetzt wissen sie schon drüben bei der Herrschaft von Deinem unsinnigen Abschlag. Nun sieh Du zu, wie Du mit ihnen fertig wirst.“

„Wirst Du gehen, Ulrich?“ fragte Martha, die bisher stillgeschwiegen, plötzlich rasch und mit gespanntem Ausdruck.

„Was fällt Dir denn ein, Mädchen?“ schalt der Oheim. „Meinst Du etwa, er könnte wieder Nein sagen, wenn die gnädige

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_039.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)