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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


weißer Marmorsäule die Namen derer verzeichnet, die in diesem Dienste ihr Leben verloren. Es ist eine lange, lange Liste.

Mir that es wohl, auch hier einen Deutschen zu finden, der sich im fremden Lande eine ehrenvolle Stellung erobert hatte. Herr Janisch, der jetzige Gouverneur der Insel, ist der Nachfolger des bekannten Sir Hudson Lowe und ein geborner Hamburger. Es war interessant zu hören, wie der Sohn des Mannes, der den Onkel in strengster Haft gehalten, unserem freudig überraschten Landsmann die Kunde von dem Falle des Neffen und der Einigung Deutschlands gebracht hatte. Während man auf dem einsamen Felsen im Meer Europa im tiefsten Frieden glaubte, war ein Kaiserthron gestürzt, ein anderer neu aufgebaut worden. Das Geklirr der Waffen war bis in diesen stillen Winkel der Erde nicht gedrungen.

Wie öde und unfruchtbar nun auch beim ersten Anblick St. Helena erscheint, so grün und lieblich sind Thäler und Matten auf der Höhe. Seewinde führen Frische und Feuchtigkeit zu, und während glühende Hitze den Aufenthalt drunten in der Stadt unerträglich macht, erquickt auf dem hochgelegenen Plateau die ozonreiche Luft Menschen und Thiere. Von Jamestown führt in steiler Linie eine in den Felsen gehauene Treppe von mehr als siebenhundert Stufen zur Citadelle, die von dem über tausend Fuß hohen Felsen Stadt und Rhede beherrscht. Wer aber der Anstrengung, sie zu besteigen, sich nicht gewachsen fühlt, der mag bequemer auf dem in Schlangenwindungen am steilen Bergabhange ansteigenden Fahrwege zur Höhe gelangen. Oben angekommen, sehen wir uns durch einen herrlichen Blick über den Ocean belohnt. Die Oberfläche der Insel bildet hier eine wellenförmige Ebene, die wir, sobald wir der See den Rücken wenden mit dichtem Baum- und Graswuchs bedeckt finden. Reichliche Regengüsse und treibender Sonnenschein hatten ringsum Höhen und Tiefen mit duftigem Grün bedeckt. Strauch und Baum prangten im schönsten Blätterschmuck.

Wie ich dahinritt unter der schattigen Eichenallee, die zum Sitze des Gouverneurs führt, schien mir ein Aufenthalt auf dieser Insel recht erträglich. Durch grüne Wiesen, an sprudelnden Quellen vorbei, hart am Rande des Abgrundes, in den sich schäumend der Felsbach stürzt – wie ein Silberband auf grünem Teppiche hängt er an der Bergesseite – über zerbröckelnde Lavatrümmer, durch die Schatten blühender Bäume geht es, bis durch’s Laub der blaue Meeresspiegel blinkt. Wir sind nach kurzem Ritte auf der anderen Seite der Insel angelangt. St. Helena ist nur etwa zwei Meilen lang und ein und eine viertel Meile breit. Zu Füßen liegt der kaum noch erkennbare Krater des längst verloschenen Vulcans, aus welchem ehedem die Feuersäule über das noch unerforschte Meer leuchtete. Aus den Ruinen einer schreckenvollen Vergangenheit ist die liebliche Gegenwart entsprossen. Friedlich weideten auf dem verschütteten Schlote buntgefleckte Rinder und weißwollige Schafe; schimmernde Villen lugten aus fruchtbeladenen Bäumen zu uns herauf. Wir blicken hinunter auf das herrliche Panorama zu unseren Füßen. Hinter uns die grünen Halden, zur Rechten der alte Krater, links, tief unten, der schmale Streifen von Häusern, den sie die Stadt nennen, und vor uns, auf kahler Fläche, das Ziel unserer Reise – Longwood, das Haus, in dem der erste Napoleon gelebt und in dem er gestorben. Ein Gürtel von Föhren grenzt den schönen fruchtbaren Theil des Eilandes von der felsigen Fläche ab, welche die Vorsicht des argwöhnischen Lowe als sichersten Wohnsitz für den gefährlichen Gefangenen erwählte. Wie der Sturm über diese nackte Ebene dahinbraust, kann man an den Bäumen wahrnehmen, deren Zweige von den gebeugten Stämmen sich sämmtlich landeinwärts neigen.

Longwood wurde erst an zweiter Stelle zum Wohnsitz Napoleon’s bestimmt. Man quartierte ihn zuerst in einem reizend gelegenen Landhause, dicht bei dem schäumenden Wasserfalle ein, bis das alte Haus auf der Höhe zu seiner Aufnahme hergestellt worden war. Es ist ein niedriges, unscheinbares Gebäude. Wie das Aeußere wenig Anziehendes hat, so ist auch das Innere gemein und kleinlich. Die leeren Zimmer sind mit vielen Kosten genau ebenso gemalt und tapeziert worden, wie sie es zur Zeit waren, wo sie den Gefangenen einschlossen. Nach alten, fast verwitterten Fetzen, wie sie vernachlässigt an den Wänden hingen wurden die Tapeten in den Fabriken des kaiserlichen Neffen hergestell. Karten mit französischen und englischen Aufschriften geben die Zwecke an, zu denen die Räume dienten. Aber alles erscheint ärmlich und unwürdig. Im früheren Empfangssalon steht auf schwarzem Sockel eine wohlgelungene Büste des Kaisers von einem eisernen Gitter eingeschlossen. Nicht weit von dem alten Hause erhebt sich Neu-Longwood, gebaut, um den Klagen des Verbannten zu begegnen, doch nie von ihm bewohnt. Eine weit bessere Structur und, seit Longwood von England an Frankreich abgetreten, die Residenz eines französischen Genieofficiers, als Conservators der Reliquien. Ehe diese Besitzergreifung seitens Frankreichs vor sich ging, war das Haus, in dem der Kaiser gelebt und gestorben, von einem englischen Pächter bewohnt, der die „Profanation“ so weit trieb, die geheiligten Räume zum Theil in Ställe für sein Vieh zu verwandeln. Trotzdem aber erhob er einen kleinen Zoll von den schaulustigen Reisenden, die den historisch so berühmten Platz zu besichtigen kamen. Wie ich durch die verlassenen Zimmer hinauswandle in’s Freie und auf die ferne See hinausschaue, male ich mir das Bild des Franzosenkaisers, wie er wohl hier oft stand und

Arm über Arm gebogen,
Blickt’ in den Kampf der Wetter und der Wogen,
Die Gitter seines Kerkers.

Napoleon entfernte sich nie weit von Longwood. Die lästige, verletzende Ueberwachung nahm ihm jede Lust dazu. Er hat die kleine Insel nie kennen gelernt. Am liebsten besuchte er die Familie des General Bertrand, der unfern in einem anspruchslosen Häuschen wohnte und wohl sein treuester Freund in der Verbannung war. In den ersten Wochen nach seiner Ankunft scheint er noch die Elasticität des Geistes besessen zu haben, die ihn später verließ. Damals wohnte er in der Villa am Wasserfall. Mrs. Abell, die Tochter des Besitzers, damals ein frisches lebenslustiges Mädchen von vierzehn Sommern, erzählt uns in ihren Memoiren manchen interessanten Zug aus dem Leben ihres hohen Gastes. Wie sie seine Finger mit geschmolzenem Siegellack verbrannt, wie sie den Kammerherrn Las Cases, einen alten ceremoniösen Herrn, den Berg hinuntergestoßen, dem aufsteigenden Kaiser entgegen, sodaß eine heftige Collision die Folge war, wie sich Napoleon rächte, indem er ihr erstes neues Ballkleid gerade am Balltage versteckte, wird uns in naiver Frische geschildert. Einmal wurden Napoleon und seine jugendlichen Begleiter von einer etwas zu übermüthigen Kuh bedroht, und General Gourgaud fügte zu den übrigen Heldenthaten, deren er sich gern rühmte, auch die hinzu, mit gezogenem Schwerte die kleine Gesellschaft zu schützen.

Wie die Jahre der Gefangenschaft über Napoleon hinzogen, versank er mehr und mehr in düsteres Grübeln, wenn er sich nicht in leidenschaftlicher Weise in Declamationen erging über die Fehler seiner Marschälle, den Verrath falscher Freunde, die unwürdige Behandlung seitens seiner Kerkermeister. Vornehmlich verwundete es ihn tief, daß man ihm den Kaisertitel verweigerte. „Ich bin der Kaiser Napoleon,“ sagte er zu dem Gouverneur Hudson Lowe, „und wenn England und Europa nicht mehr sind, wenn Lord Bathurst’s Name längst vergessen ist, werde ich noch immer Kaiser heißen.“ Stundenlang dictirte er oft an seinen Memoiren. Wie unwürdig falsch die in ihnen enthaltenen Angaben sind, wie lahm die Vertheidigung seiner schmählichsten Rechtsverletzungen, ist denen bekannt, welche diese Actenstücke gelesen. Eines seiner schwärzesten Verbrechen, den Mord des Herzogs von Enghien, suchte er wiederholt zu vertheidigen oder die Schuld auf Andere zu schieben. Es gelang ihm der Versuch selbst nicht den wenigen treuen Anhängern gegenüber, die das Brod der Verbannung mit ihm aßen. Die letzten Jahre seines Lebens geben uns ein häßliches, verzerrtes Bild des einst so großen Mannes. Die Sonne Napoleon’s war untergegangen, in Blut untergegangen. Sein Leben zeigt hinfort nur Schatten; alle die Schwächen seines Charakters kamen zur unerfreulichen Geltung. Auf St. Helena war der große Mann „ein Gebinde Kleinigkeiten nur“. In fortwährenden unerquicklichen Zänkereien mit seinen Wächtern, selbst gegen seine treuesten Diener oft herb und verletzend, im Umgang launisch und schroff, verbrachte er das Ende seines Lebens. Oft saß er stundenlang auf dem kahlen Berggipfel, die Augen auf den weiten Ocean geheftet; noch öfters weilte er unten im Thale bei der sprudelnden Quelle, an der man später sein Grab grub. Das war sein Lieblingsplatz.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_636.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)