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Seite:Die Gartenlaube (1877) 616.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

einzigen hülfeflehenden Blick aus diesem Auge könnte ich durch’s Feuer für sie gehen.“

„Seid Ihr zu Ende mit Eurer Träumerei?“ spottete Adelheid.

„O, noch Stunden lang könnte ich fortschwärmen.“

„Dann fahrt nur fort, Ritter! Es ist so unterhaltend, und“ – fügte sie achselzuckend hinzu – „ich darf es ja hören.“

„O Fräulein, auch sie weiß es längst. Ich habe es ihr selbst schon gesagt.“

Das war zu viel für die Selbstbeherrschung der Eifersüchtigen.

„Unglücklicher,“ fuhr sie, sich vergessend, auf, „das wagtet Ihr? Einen so gröblichen Verstoß ...“

„Gegen alle Hofsitte,“ fiel er gleichmüthig ein.

„Und sie ließ Euch auch nur ausreden?“

„Im Gegentheil, sie lächelte mich huldvoll an und bot mir als Lohn die Hand zum Kusse.“

„Unerhört! Die Herzogin von Burgund und Niederland, vielleicht schon verlobte Braut eines Königs oder Kaisers – –“

„Ließ sich mit Wohlgefallen von einem simplen jungen Edelmann huldigen. Seht, Fräulein,“ und plötzlich den ironischen Ton aufgebend und ihr tief in die Augen sehend, fuhr er mit einer Stimme, wie sie dieselbe noch nie von ihm vernommen, ernst, ja fast vorwurfsvoll fort: „Ihr kennt Eines nicht, oder stellet Euch, als ob Ihr es nicht kenntet: daß es Augenblicke im Leben giebt, vor denen jede Form wie Dunst dahinfliegt, Augenblicke der überwältigenden Empfindung. Ja, wie die Granden der Welt ihre Vorrechte haben, so haben es diese Granden der Zeit, und glaubt mir: ob ein Mächtiger noch so hoch steht, noch so abgeschlossen ist – wenn wir in solchen Momenten die Schranke um ihn durchbrechen, so verzeiht er es gern. Ein solcher Fall aber war auch der meinige.“

Mit offenem Erstaunen hatte Adelheid’s Auge an ihm gehangen. Wenn er aber glaubte, sie bekehrt zu haben, irrte er sich. Ihr Mißtrauen, und noch mehr, ihr Zorn darüber, wieder, wie sie glaubte, einem neuen Spiel der Täuschung bei ihm zu begegnen, bedurfte stärkerer Beweismittel.

„Augenblicke der überwältigenden Empfindung,“ spottete sie. „Wunderbare Augenblicke, die auch das Unverzeihlichste verzeihen lassen! Wenn Ihr also, von der Gewalt solchen Augenblickes hingerissen, der Fürstin eine Liebeserklärung macht, so glaubt Ihr ...“

„Daß Ihr es meisterlich versteht, Fräulein, das Erhabenste zum Alltäglichen zu verkehren. Nein, Fräulein, die Liebe, die ich meine, hat mit der Liebe, die Ihr meinet, nichts weiter gemein, als daß der Mann für beide vielleicht sein Leben läßt, aber für die Eurige um einen Preis, für die meinige um nichts.“

Aber auch diese stolzen Worte waren in den Wind gesprochen.

„Wahrlich,“ lachte sie, „ich könnte Euch bewundern, wenn der Gegenstand Eurer Liebe nicht zufällig auch den alltäglichen Vorzug hätte, sehr jung und sehr schön zu sein. 'O, auf einen einzigen Blick aus diesem wundervollen braunen Auge könnte ich durch's Feuer für sie gehen.' Natürlich, nur erhabenste Begeisterung!“

Hugo's Auge blitzte. Sein Mund verzog sich zu einem verächtlichen Lächeln. Dann aber, wie wenn der Humor in ihm die Ueberhand behalten, zuckte er vielsagend mit den Achseln und mit der selbstgefälligen Miene des glücklichen Galans, dem nur die Discretion verbietet, sich seiner Erfolge zu rühmen, warf er leichtfertig hin:

„Allerdings ... es ist wahr .. . das kommt hinzu. Das giebt die Würze. Und so war es auch. Ja, da Ihr den Kern der Sache nun doch einmal errathen habt, so muß ich Euch die Geschichte im Vertrauen erzählen. Seht, sie saß in ihrem Boudoir, ganz allein auf dem Divan ... O, ich sehe sie noch vor mir, das Köpfchen in die linke Hand gestützt, in schmerzliche Gedanken versunken, mit schmachtendem Auge. ... Ich trete ein, stehe wie gebannt von ihrem Anblick. Die Meldung, die ich zu machen hatte, stockt mir auf der Zunge: da wirft sie mir unter den langen Wimpern einen Blick zu, einen Blick, der mir in der Seele liest, einen Blick, der mir durch Mark und Bein dringt, und nur das eine Wort kommt über ihre Lippen: 'Ritter Hugo, ich weiß Alles.'“

Adelheid mußte sich umwenden; der Zorn drohte sie zu ersticken. Aber gewaltsam sich zum Lächeln zwingend, warf sie ihm von der Seite einen geringschätzig fragenden Blick zu.

„Nun? ... Ihr fahrt nicht fort? ... Es wird ja immer verführerischer. Und Ihr erzählt es so ... so indiscret getreu, daß es Euch wohl ein besonderes Vergnügen sein muß. Welche wichtige Meldung stockte Euch denn auf der Zunge? Daß das Frühstück servirt sei?“

„So Wichtiges nicht, Fräulein! Nur, daß man ... auch ihre letzten Freunde ... geköpft habe.“

(Fortsetzung folgt.)




Die Mormonen-Bibel.
Von Moritz Busch.

Soeben geht die Kunde von dem Tode Brigham Young’s, des Mormonenpropheten, ein. Er schied zur rechten Zeit aus dem Leben; denn, als Mörder angeklagt, entging er durch den Tod der öffentlichen Schande, als solcher verurtheilt zu werden. Aber wie er einerseits rechtzeitig gestorben, um dieser Schmach nicht preisgegeben zu werden, so starb er andererseits vorzeitig – nur um einen Moment zu früh – denn er endete auf der Schwelle eines in den Augen der civilisirten Welt zwar unwürdigen Festes, aber doch eines Festes, deren glänzender Mittel- und Brennpunkt er geworden wäre.

Am 22. September feiert nämlich das Mormonenthum, der ärgste religiöse Schwindel der gesammten neueren Geschichte, die bitterste Beschämung der Ansicht, welche das neunzehnte Jahrhundert ohne starke Einschränkung für ein gebildetes und aufgeklärtes hält, der schneidendste Hohn auf die vielgerühmten Vorzüge des „freien“ Amerika und nicht minder des „erleuchteten“ England, sein fünfzigjähriges Stiftungsfest. Es war am 22. September 1827, als der Legende der Mormonen-Secte nach ihr Prophet Joseph Smith, von einem Engel geleitet, einem Berge im Staate New-York die „goldene Bibel“ oder, wie das Machwerk jetzt heißt, „das Buch Mormon’s“, entnahm. Er begründete darauf eine kleine Gemeinde, die trotz des ungeheueren Blödsinns der Lehre, welche ihr als Offenbarung vorgetragen wurde, trotz der unerhörten Tyrannei, trotz des gen Himmel schreienden Egoismus und der wüsten Unsittlichkeit ihrer Führer, ja trotz der unablässigen Verfolgung, die sie auszurotten bemüht war, gewachsen und gediehen ist, sodaß sie jetzt in allen Ländern, die englisch reden, zahlreiche Mitglieder zählt und in Utah, ihrem gelobten Lande am großen Salzsee, einen Staat im Staate bildet, der mindestens hunderttausend Einwohner zählt.

Ich nehme an, daß den Lesern der Glaube und die Geschichte der Mormonen, oder wie sie selbst sich nennen, der „Heiligen vom jüngsten Tage“, in den Hauptzügen bekannt sind. Ein Obergott mit Fleisch und Bein wie ein Mensch, der auf dem Sterne Kolob in der Mitte des Weltalls wohnt, Untergötter, die einst Menschen der Erde waren und jetzt die von ihrer Nachkommenschaft bevölkerten Himmelskörper beherrschen, Jesus unter den Rothhäuten Amerikas wiedergekommen und dort zum zweiten Male gen Himmel gefahren, neben ihm Joseph Smith, der neueste Prophet, ein Jenseits, das in allen Stücken dem Diesseits gleicht, wo man ißt und trinkt, freit und sich freien läßt – das wäre Einiges aus ihrem Katechismus. Die Polygamie ist ihnen ein Mittel, nach dem Tode ein Gott zu werden; mit dem Auftreten des Propheten ist nach ihrer Lehre die Wiederausgießung des heiligen Geistes über die gottentfremdete Welt, soweit sie das neue Evangelium angenommen, erfolgt, woraus sich den Gläubigen die Wiederkehr der altchristlichen Charismata, der wunderbaren Heilungen und Teufelaustreibungen, des Redens in Zungen, der Visionen und Weissagungen ergiebt. Ein Hauptsatz ihres Glaubens ist endlich die Nähe des tausendjährigen Reiches, in dem alle „Heiden“, das heißt alle Nichtmormonen, sich zu Smith’s und Brigham Young’s Lehre bekehren oder der Ausrottung verfallen werden.

Ihre Verfassung und noch mehr deren Handhabung prägt die absolute Priesterherrschaft aus. Ihre Geschichte liest sich mit ihren zahllosen Beispielen von albernster Leichtgläubigkeit, von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_616.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)