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Seite:Die Gartenlaube (1878) 406.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

mit ihnen fertig werden; ich fahre zwischen die ganze geistliche Gesellschaft, daß –“

„Um Gottes willen werden Sie nicht so heftig!“ bat das junge Mädchen mit einer wahren Herzensangst. „Die Aufregung kann Ihnen ja gefährlich, tödtlich werden. Werden Sie ruhiger! Ich beschwöre Sie.“

„Erst müssen wir im Klaren mit einander sein,“ erklärte Doctor Brunnow in seiner alten dictatorischen Weise, und nun drang er auf Agnes mit ebenso viel Behauptungen und Gründen ein, wie vorhin auf seinen Collegen, und bewies ihr so sonnenklar, sie sei seine Braut und müsse unter allen Umständen seine Frau werden, daß das arme Mädchen, ganz verwirrt und betäubt, schließlich anfing zu glauben, er habe Recht, und die Sache verhalte sich wirklich so. Es hätte auch einer energischeren Natur bedurft, um hier Widerstand zu leisten, wo der vermeintlich Sterbende, von dem man eben erst Abschied für das Leben genommen und mit dem man höchstens noch Beziehungen im Jenseits unterhalten wollte, urplötzlich mit einem höchst irdischen Heirathsantrage herausrückte und einen wahren Sturmlauf auf das Jawort unternahm, das man ihm versagen wollte. Agnes weinte zwar noch immer; sie blieb bei ihrem Nein und bei der Erklärung, daß sie in’s Kloster gehen wolle, als Max sich aber nicht im Mindesten daran kehrte, sondern sie in seine Arme zog und küßte, ließ sie sich das ganz geduldig gefallen, und Max selbst schien überhaupt gar keinen Zweifel mehr an seinem Siege zu hegen, denn er sagte halblaut mit einem tiefen Athemzuge: „Das wäre glücklich durchgesetzt. Gesegnet sei die Dummheit meines Herrn Collegen!“




Doctor Brunnow sollte leider bald genug die Erfahrung machen, daß diese gepriesene Eigenschaft des Herrn Collegen auch zu ernsteren Verwickelungen führen konnte. Der Tag verging vollkommen ruhig, und der Patient befand sich trotz aller vorhergegangenen Aufregung so vortrefflich, daß auch Agnes anfing, an die noch immer bezweifelte Thatsache seiner Rettung zu glauben.

Es war gegen Abend und draußen dunkelte es bereits, als das junge Mädchen mit einer Lampe, deren Licht sorgfältig gedämpft war, in das Zimmer trat und Max benachrichtigte, es sei soeben ein älterer Herr, ein gewisser Doctor Franz erschienen, der sich angelegentlich nach seinem Befinden erkundige und ihn zu sehen verlange. Er komme im Auftrage eines Collegen und wolle sich unter allen Umständen persönlich von dem Zustande des Doctor Brunnow überzeugen, dem er hier einige Worte sende. Max nahm die übersandte Karte, die nur wenige, mit Bleistift geschriebene Worte enthielt, und sagte gleichgültig:

„Doctor Franz? Ich glaube, mein verehrter College kann den unerhörten Fall von heute Morgen nach immer nicht begreifen und läßt ein förmliches Protokoll darüber aufnehmen. Ich werde den Herrn“ – er hielt plötzlich inne. In dem Moment, wo sein Auge auf die Handschrift fiel, zuckte er zusammen und der Ausdruck eines tödtlichen Schreckens prägte sich in seinen Zügen aus, während er die Karte krampfhaft in der Hand zusammendrückte. Agnes, die soeben den Schirm von der Lampe gehoben hatte, um das Lesen zu ermöglichen, und ihn jetzt wieder senkte, wurde aufmerksam.

„Was ist denn?“ fragte sie unbefangen. „Kennst Du diesen Doctor Franz?“ Man war nämlich trotz aller Klosterideen doch im Laufe des Tages glücklich bei dem Du angelangt.

„Ja! Ich kenne ihn von früher her,“ erklärte Max, sich gewaltsam fassend, aber es gelang ihm nicht, seiner Stimme die gewohnte Festigkeit zu geben. „Ich will ihn jedenfalls sprechen, augenblicklich, aber – noch eine Bitte, Agnes! Laß uns allein, so lange er bei mir ist, und sorge dafür, daß wir nicht gestört werden!“

Agnes sah etwas betreten aus. Max hatte sie während des ganzen Tages kaum eine Minute von seiner Seite lassen wollen und jetzt sandte er sie fort. Zum Glück war das Licht im Zimmer zu gedämpft, als daß sie die mühsam verhaltene Aufregung des jungen Mannes hätte wahrnehmen können; sie beruhigte sich daher bei dem Gedanken, daß es sich hier jedenfalls um eine ärztliche Besprechung handele, und ging hinaus, um dem Ankömmlinge mitzutheilen, daß er erwartet werde.

Gleich darauf trat der Fremde ein, eine hagere, etwas gebeugte Gestalt mit grauem Haare. Er schloß rasch die Thür hinter sich und eilte dann mit einer fast stürmischen Bewegung auf den Kranken zu, der sich aufgerichtet hatte und ihm beide Hände entgegenstreckte.

„Papa! Um Gotteswillen, wo kommst Du her? Wie konntest Du ein solches Wagniß unternehmen!“

Doctor Rudolph Brunnow legte statt aller Antwort den Arm um die Schulter seines Sohnes und musterte mit angstvollem Forschen dessen Züge.

„Es geht Dir wieder besser? Ich hörte es schon draußen – Gott sei Dank!“

„Aber woher weißt Du denn von meiner Verwundung?“ fiel Max ein. „Du solltest ja überhaupt nichts davon erfahren, bis Alles glücklich vorüber war. Ich wollte Dich nicht nutzlos ängstigen.“

„Ich erhielt gestern ein Telegramm Deines Arztes. Er theilte mir mit, Du seiest schwer verwundet, Dein Zustand höchst bedenklich; ich müsse mich auf das Schlimmste gefaßt machen – eine Stunde darauf war ich unterwegs und bin mit dem nächsten Courierzuge hierher geeilt.“

„Dieser verwünschte College!“ fuhr Max wüthend auf. „Ist es nicht genug, daß er mich und meine ganze Umgebung mit diesem Unsinn gequält hat, muß er auch Dich noch damit hierherjagen? Hätte ich nur heute Morgen eine Ahnung davon gehabt, ich hätte ihn noch ganz anders in’s Gebet genommen.“

Doctor Brunnow sah seinen Sohn mit sprachlosem Erstaunen an, dann aber athmete er tief und freudig auf.

„Nun, wenn Du noch so losbrechen kannst, dann wird es hoffentlich nicht allzu schlimm stehen. Ich fürchtete, Dich ganz anders zu finden. Ist denn die Gefahr so schnell beseitigt worden?“

„Es ist ja gar keine Gefahr dagewesen. Ein etwas heftiges Wundfieber, einige Schwäche in Folge des Blutverlustes – das war das Ganze. Jetzt aber sage mir, Papa –“

„Später! Erst will ich Deine Wunde untersuchen,“ unterbrach ihn der Vater, noch immer in sichtbarer Aufregung. „Ich bin nicht eher ruhig, bis ich mich selbst überzeugt habe.“

Er löste den Verband und begann die Wunde zu besichtigen. Während der Untersuchung hellte sich seine Stirn immer mehr auf, und endlich schüttelte er leise den Kopf.

„Du hast Recht. Die Wunde ist ziemlich tief und mag im Anfange einige bedenkliche Erscheinungen gezeigt haben; lebensgefährlich ist sie nicht. Ich begreife Deinen Arzt nicht.“

„Gnade Gott den Patienten, die dem in die Hände fallen!“ sagte Max nachdrücklich. „Aber ich begreife nicht, wie Du Dich trotz dieses unglückseligen Telegramms zum Kommen entschließen konntest. Du weißt ja doch, daß Du hier geächtet bist, daß die damalige Verurtheilung noch in voller Kraft besteht. Sobald man Dich erkennt, wirst Du verhaftet und wieder auf die Festung gebracht.“

„So beruhige Dich doch nur!“ beschwichtigte Brunnow. „Es ist durchaus keine Entdeckung zu fürchten; ich habe die nöthigen Vorsichtsmaßregeln getroffen. Ich bin als Doctor Franz in einem Gasthofe der Vorstadt abgestiegen und bin überdies ganz fremd hier in der Stadt. Es kennt mich Niemand persönlich, ausgenommen –“ sein Antlitz verfinsterte sich, „ausgenommen der Gouverneur, und mit dem werde ich schwerlich zusammentreffen. Wir haben alle Ursache uns zu meiden.“

„Gleichviel! Mit jeder Stunde, die Du hier zubringst, setzest Du Deine Freiheit, Deine ganze Existenz auf das Spiel. Hast Du denn gar nicht daran gedacht, als Du diese Reise wagtest?“

„Nein!“ entgegnete Brunnow, dessen Stimme in tiefer, innerer Bewegung bebte. „Ich hörte, daß mein einziger Sohn dem Tode nahe sei, und sagte mir als Arzt, daß ich vielleicht noch eine Möglichkeit finden würde, ihn zu retten – da hatte ich keine Zeit an meine eigene Sicherheit zu denken.“

Max schloß die Hand des Vaters fest in die seinige, und in seinen Augen schimmerte es feucht, als er antwortete:

„Ich glaubte nicht, daß ich Dir so viel gelte. Verzeih, Papa! Aber ich zweifelte bisweilen an Deiner Liebe zu mir und habe es nicht um Dich verdient, daß Du Dich so aufopferst. Ich habe Dir Sorge und Aerger genug gemacht mit meinem Starrkopfe, der sich der väterlichen Autorität längst nicht mehr beugen wollte.“

Der Vater machte eine abwehrende Bewegung. „Laß das ruhen, Max! Wir wollen vergessen, was bisher zwischen uns lag.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_406.jpg&oldid=- (Version vom 5.8.2016)