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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Deutsches Frauenleben im Mittelalter.
Eine culturhistorische Studie von Fr. Helbig.

8. Im Frauengemach. – Weben und Sticken. – Küche, Garten und Keller.


Schrank und Truhe bildeten die beiden Hauptstücke des mittelalterlichen Hausmobiliars. Sie fehlten auch dem ärmsten Haushalte nicht und waren die Domäne der Hausfrau. In der Truhe barg sie ihren ureigenen Lieblingsschatz, das Linnen, im Schranke die Gewänder, während für die Aufbewahrung von Gold- und Silbergeräth, Werkzeugen und Waffen andere Kasten und Kisten dienten. In wohlhabenden Häusern gab es auch besondere Kleiderkammern, in denen die Kleider auf Stangen und Pflöcken hingen.

Von mittelalterlichen Schränken sind nur sehr wenige auf die Gegenwart gekommen. Ein umfangreiches Exemplar im Germanischen Museum zerfällt in vier Abtheilungen, jede mit einem derben Schlosse versehen; dazwischen liegen unverschlossene Schiebekästen. Die Kleider wurden nämlich in den Schränken nicht aufgehangen, sondern, zusammengefaltet und, mit Faden geschnürt, in dieselben gelegt. „Sie suchten aus den Kisten die herrlichen Kleider“ heißt es in den Nibelungen. Ebenso fällt uns an jener Stelle eine mächtige Truhe aus Buchenholz in’s Auge, an den Kanten mit Schnitzwerck in gothischem Stile versehen und auf gedrehten Füßen ruhend. Ein gewaltiges Schloß mit breitem Schloßbleche von durchbrochener Arbeit verschließt ihr aus mehreren Fächern mit verschiedener Holzeinlage bestehendes Innere. Diese Schränke und Truhen, in der Wand oder an derselben befestigt, waren meist in den Mägdekammern, dem Herde der weiblichen Arbeit, untergebracht.

Treten wir, angemeldet bei der Dame des Hauses in ein mittelalterliches Frauengemach, um dessen Ausstattung näher zu prüfen, so wird uns die Frau vom Hause zunächst einladen, auf einer divanartigen, mit Teppichen und Polstern bedeckten, am Fußende des Bettes befindlichen Bank Platz zu nehmen. Dieser Platz gehörte jedem Gast, dem die Sitte den Zutritt in dies Gemach, das zugleich Schlafgemach war, gestattete. („Parcival“ I, 4.) Die Bank war gleichzeitig Truhe und barg die Kleinodien der Frau, während eine zweite feststehende, aber mit beweglicher Lehne versehene Bank, ganz in der Nähe des Kamins, für die Hausfrau bestimmt war. Fast den größten Theil des Raumes beherrschte das Schlafbett, welches gleichsam ein Gemach für sich war und dessen Besteigung durch eine vor dasselbe geschobene Bank oder Truhe erleichtert wurde. Ein viereckiger Baldachin, mit Stangen und Ketten oben an der Decke befestigt, bildete den Himmel, von dem auf allen vier Seiten Vorhänge herabfielen: des Tages über aufgebunden, wurden dieselben erst für die Nacht herabgelassen. Eine kleine Ampel erleuchtete dann das trauliche Innere.

In der Zeit des gothischen Stils, der so gern mit Holz hantirte, um an ihm seine Ornamente anzubringen, wurde der Baldachin auf feingedrechselte, oft reich mit Elfenbein ausgelegte hölzerne Pfosten oder Säulen gestellt und auf drei Seiten mit Brettern verschlossen, sodaß nur die Aufgangsseite frei blieb. Ein wahres Prachtstück eines solchen Himmelbettes ist das im Germanischen Museum aufgestellte, einst der Nürnberger Patrizierfamilie Platner gehörige. Hier ruht der Baldachin frei auf vier Säulen, und nur die Hinterwand ist durch Teppiche geschlossen. Früher die Mitte des Zimmers einnehmend, wurde das Bett später mit der Kopfseite an die Wand gestellt, sodaß zwischen der Längenseite und der andern Wand des Zimmers ein schmaler gäßchenartiger Zwischenraum blieb, in dessen Hintergrund ein Lehnstuhl stand. Indem man diesem Raum vorn durch einen Vorhang abschloß, wurde ein heimliches, lauschiges Plätzchen – Ruelle, Gäßchen – gewonnen. Den Fußboden des Gemachs finden wir reich mit Teppichen belegt, wo sich nur immer Gelegenheit dazu bot, vor dem Kamine vor dem Bette, den Bänken und in der Ruelle. An der Wand bemerken wir ein etagenförmiges Kästchen, auf dem sich, ähnlich wie bei der Tressur, allerlei augenfälliger Zierrath und dem täglichen Gebrauche dienendes Geräthe befand.

Ein Theil davon liegt in kleinen Köfferchen aus gepreßtem Leder, in zierlichen Kisten aus gepreßtem Holze, in Schachteln aus Pappe und Holz, die mit Ornamenten aus Teigmasse belegt, bemalt und vergoldet, in ledernen Futteralen, die mit Arabesken und Thiergestalten bedeckt sind. Eins der Kästchen trägt die Gestalt eines Hauses (Germanisches Museum); und alles das zeigt einen gewissen künstlerischen Schnitt. Unter den einzelnen Gegenständen bemerken wir kleine Metallspiegel, welche den Dienst des fehlenden Wandspiegels vertreten, Rosenkränze, Amulette und einen kugelförmigen Reliquienbehälter aus Bronze oder mit Elfenbeineinlage. Auch einige Figuren aus Bronze oder Elfenbein fehlen nicht, und eine davon stellt den Schutzheiligen der Familie vor. Es ist ein altes Stück, das Elfenbein schon etwas vergilbt. Die fromme deutsche Hausfrau ahnt nicht, daß dieselbe Figur einst das Boudoir einer römischen Dame der Kaiserzeit schmückte und daß sie damals einen römischen Proconsul vorstellte. Zur Zeit der Völkerwanderung wanderte sie mit über die Alpen, erhielt von einem geschäftsklugen deutschen Meister eine Tonsur angeschnitzt und war nun als heiliger Eustachius ein courfähiger Handelsartikel geworden. Ein zierliches Kästchen aus wohlriechendem Sandelholz enthielt die Toilettengeheimnisse der Frau, zu welchen neben Büchslein mit wohlriechenden Salben und duftenden Essenzen auch die Schminke zählte. Leider wies die deutsche Frau bei all ihrem sonstigen ungeschminkten Wesen auch dieses zweideutige Geschenk des Orients nicht zurück, wenn es ihr auch die Damen des Wälschlands dabei zuvorthaten. Seit dem zwölften Jahrhundert war es, schreibt ein Geschichtsforscher, wie die Pest über die gebildeten Länder gekommen. Aber auch schon im Nibelungenliede ist von „gefälschter Frauenfarbe“ die Rede. Quecksilber, Weizenmehl, mancherlei Roth und altes Fett galten als Bestandteile der Schminke, und die Dichter des Mittelalters eiferten vergeblich wider ihren Gebrauch. „Pfi,“ sagt Bruder Berthold, „wie stehst Du da vor meinen Augen, Malerin! Willst Du Dich besser malen, als der allmächtige Gott Dich hat geschaffen?“

Auch den kleinen Bücherschatz der Frau können wir hier mustern. Da ist zunächst ihr täglich gebrauchtes abgegriffenes Gebetbuch in zierlichem Taschenformat, geschrieben auf Pergament, das durch Bimsstein fein geglättet worden, oder auf Papier, das seit dem vierzehnten Jahrhundert mehr in Gebrauch gekommen war, und mit bunten Bildern und Initialen versehen. Auch ein Evangelienbuch von etwas größerem Umfange liegt daneben, in welchem die Miniaturmalerei noch mehr als bei jenem Verwerthung gefunden hatte. Dann entdecken wir eine Pergamenttafel mit deutschen Versen, welche dem Gedächtnisse die Heiligenfeste einprägen sollen, wie sie in die verschiedenen Monate und Tage des Jahres fallen. Diese versificirten Heiligenkalender können wir als Vorläufer der profanen Kalender betrachten, die bereits im dreizehnten Jahrhundert auftauchen und neben den Jahresläuften schon früh allerlei Klugheits- und Nützlichkeitsregeln aufstellen. Auch ein geschriebenes „Lied auf die Jungfrau Maria“ findet sich vor neben einer poetischen Bearbeitung der Legende von der heiligen Dorothea. In einem besonderen Schreine liegt, versteckt, ein großer Folioband – gegen zweihundert Blätter mit colorirten Federzeichnungen, eine Handschrift des trojanischen Krieges von Conrad von Würzburg, der Dame des Hauses von einem fleißigen schriftkundigen Mönche geschenkt. Eine besondere Pracht entfalten die Einbände dieser Bücher, welche zu jener Zeit durch ihre Kostspieligkeit und Seltenheit einen weit größeren Werth vertraten, als in der späteren Zeit des Letterndrucks. Wir finden da Deckel mit goldenen oder vergoldeten Platten, geschmückt mit Elfenbeinreliefs, Perlen und kostbaren Steinen. Mit dem Häufigerwerden der Bücher mindert sich auch der Werth der Einbände bis herab zu dem weißgelben Schweinslederband, der, wenn auch oft noch durch figürliche Darstellungen erhöht, in dem sechszehnten Jahrhundert in den Bibliotheken die Herrschaft behauptete.

Wenn wir, um früher Berührtes zu ergänzen, noch einen flüchtigen Blick in die Schmuckbehälter der Frauen werfen, so fallen uns hier namentlich Haarnadeln von besonderer Größe in die Augen, Gürtel von schwerem Seidenstoff mit emaillirter Schnalle, Schlüsselhaken, Ringe von allen Formen und Größen, Medaillen aus Zinn und Blei, wie aus Silber und Gold; die letzteren wurden an goldenen Ketten befestigt über die Brust gehangen. Auch ein Diptychon findet sich unter den Schätzen; eine profane Nachahmung der Altarschreine, zeigt es auf zwei zum Zusammenklappen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_102.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)