Seite:Die Gartenlaube (1879) 192.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

dennoch: blieb das Boot unter dem Schutze der Landzunge, so mochte es schließlich in der Nähe seines Heimathsortes auf den Strand laufen. Doch bis dahin war es ein weiter Weg. Er erinnerte sich der Worte, welche Seiling am vorhergehenden Abend zu ihm gesprochen hatte; sie verbürgten am wenigsten, daß jener die Grenze des schweren Seeganges meiden werde.

Wie ein Alp wälzte es sich Bertus auf die Brust. Lange dauerte es, bevor er es über sich gewann, seinen Weg nach dem Schluchthause fortzusetzen. – –

Die Nacht verrann, und als der Tag graute, da saßen Kordel und Bertus noch immer Hand in Hand an dem Fenster, von welchem aus Seiling auf die See hinaus zu spähen pflegte. Die Lampe war längst ausgebrannt. In jedem Augenblick meinten sie, den Hülferuf eines Sterbenden zu vernehmen. Doch nichts unterbrach das dumpfe Heulen des Sturmes.

„Das ist mir ein Beweis Deiner Treue und Deines unbegrenzten Vertrauens, daß Du mir nichts verschweigst,“ hatte Kordel tief erschüttert zu Bertus gesagt, sobald dieser, in der Ueberzeugung, nur noch eines Todten zu gedenken, mit seinen Mittheilungen zu Ende gekommen.

„Kordel, ich konnt’s nicht allein tragen,“ entgegnete Bertus aus überströmendem Herzen; „mit dem Geheimniß auf der Seele hätte ich Dir nicht mehr gerade in die Augen sehen können. Und nach solcher Sühne, meinte ich, sei’s nicht so schwer, zu verzeihen – wenn das Vergessen auch unmöglich ist.“

„Wir sehen ihn nicht wieder,“ antwortete Kordel dumpf, „ich kenne ihn, er hat sein Leben lang zu schwer zu tragen gehabt, als daß er da draußen auch nur ein Augenlid zu seiner Rettung heben möchte. Wie leicht wurde es damals uns selber, mit dem Tode zu spielen, wie leicht befreundeten wir uns gestern noch mit dem Gedanken an ein gemeinsames Grab!“

Mit heimlichem Grausen zog Bertus die Geliebte in seine Arme; schweigend beobachteten Beide den anbrechenden Tag, der ihnen die See in wildem Aufruhr zeigte. Mit goldigen Rändern schmückte die Sonne die aus einander stäubenden Wolken, aber heftiger schnob der Wind über die tosende Wasserfläche. Dunkler erschienen die Wogen im Gegensatz zu dem lieblichen Himmelsblau, blendender die sie krönenden Schaumkämme.

Ein Fischer wurde in der Schluchtmündung sichtbar. Seine Hast galt Bertus als böse Vorbedeutung. Er rieth Kordel, das Haus nicht zu verlassen, dann eilte er Jenem entgegen und mit ihm nach dem Strande hinunter. Auf dem halben Wege nach dem Dorfe fanden sie die Bewohner desselben versammelt. Sie umstanden Seiling’s zerschelltes Boot. Weiter nach dem Strande hinauf lagen die Leichen von Seiling und Klaas. Man hatte sie nicht von einander trennen können; so fest hielten sie sich umklammert. Aus ihren erstarrten Zügen sprach tödtliche Feindschaft.

„Die arme, braune Kordel!“ ertönte bald hier, bald dort eine mitleidige Stimme.

„Ich hab’s dem Klaas auf der Stelle angesehen, daß er Arges mit dem Seiling im Sinne hatte,“ meinte ein alter Fischer; „er wollte ihn hinterrücks auf die Seite schaffen und ist selber mit hinab gerissen worden.“

Er wies auf die von Bord zu Bord gezogene Kette, an welche die Handhabe des Steuers angeschlossen war. Der Schlüssel des Vorhängeschlosses fehlte. War er den Ringenden entfallen oder absichtlich über Bord geworfen worden? Bertus ahnte den Zusammenhang. Aus der Lage des Wracks und der Richtung des Seeganges berechnete er, daß Seiling erst auf halbem Wege nach der Landzunge hinüber das Steuer befestigt haben konnte. In dem Kampfe, welcher darauf zwischen den beiden Todfeinden offenbar entbrannte, hatte Klaas zum Messer gegriffen, denn noch hielt die starre Faust die mit Perlmutterschalen versehene Waffe, in deren eine der Name Peter Seiling’s eingekratzt war. Seiling war unverwundet geblieben, dagegen zeigte die Segelleine mehrere Einschnitte, als wäre Jemand bei dem Versuche, sie gewaltsam zu lösen, gehindert worden. Wie lange der Kampf gedauert haben mochte, ließ sich ebenfalls annähernd berechnen. Es mußte ein furchtbares Ringen gewesen sein. –

Noch selbigen Tages siedelte Kordel nach der Landzunge zu ihrer alten Freundin hinüber, aber Bertus blieb zurück, um für die Beerdigung Seiling’s Sorge zu tragen und Kordel’s Verhältnisse zu ordnen. Das bald darauf öffentlich kundgegebene Eheversprechen zwischen den jungen Leuten überraschte kaum noch Jemand. Befremdlich erschien dagegen, daß das Haus in der Schlucht zum Verkauf ausgeboten wurde und in fremde Hände überging. Lange nachdem Kordel mit Bertus vor den Altar getreten war, um von dort aus ihre Einzug in eine neu begründete Häuslichkeit zu halten, gedachte man des todten Seiling noch immer mit großer Achtung. Hatte er auch nichts Schriftliches darüber hinterlassen so betrachtete Kordel es doch als eine heilige Pflicht, die ihr mündlich ertheilten Aufträge – wie sie standhaft behauptete – gewissenhaft zu erfüllen. Fünftausend Thaler und etwas darüber ließ sie in Seiling’s Namen als Stiftung für die Hinterbliebenen der bei Rettung Schiffbrüchiger verunglückten Fischer gerichtlich eintragen.

„Laß Dich das Geld nicht gereuen!“ sprach sie zu Bertus, „mich würde es nicht ruhig schlafen lassen, hätte ich’s im Schrein behalten.“

„Wollten wir nicht mit leeren Händen anfangen?“ fragte Bertus heiter zurück; „und sendetest Du die siebentausend den fünftausend nach, so wärst Du nicht minder meine eigene braune Kordel.“




Der Dichter des „Heinrich von Schwerin“ und des „Teuerdank“.
Ein Lebensbild von Friedrich Hofmann.


Mit dem Genius, wenn er von der Erde scheidet, geht eine Fülle des Unerschaffenen zu Grunde, das zum Lichte drängt und die letzten Stunden jedes Hochbegabten erschwert, dem nicht ein bewußtloses Hinabschlummern den Abschied von den eigenen Geisteskindern erleichtert. Wer denkt nicht an Anastasius Grün’s erschütternde Klage vor dem sicheren Tode: „O Gott, ich darf ja noch nicht sterben!“

In ähnlicher, doch durch milden Hauch der Auflösung mit der Härte des Schicksals versöhnender Weise, ging der Dichter und Mann von hinnen, dessen Lebensbild wir heute aufstellen.

Gustav von Meyern-Hohenberg ist den Freunden der „Gartenlaube“ so wenig wie dem große Publicum, namentlich der Bühnen, ein Fremder. Unsere Leser lernten ihn zuerst als einen freisinnigen und vaterlandsbegeisterten Lyriker kennen, bis Ernst Keil ihnen denselben auch als Erzähler vorführte. Diese engere Verbindung beider Männer ist eine vom Beginn bis zur gewaltsamen Trennung derselben so seltsame, daß wir sie nicht stillschweigend übergehen dürfen. Ernst Keil befand sich im Juni 1877 in Karlsbad, als ich, in Teplitz der Cur pflegend, ein umfangreiches Manuscript aus Constanz von Gustav von Meyern empfing, mit dem ich seit einem Menschenalter in freundlichem brieflichem und persönlichem Verkehr gestanden. Es war: „Teuerdank’s Brautfahrt“. Das Werk packte mich mit ganz besonderer Kraft, sodaß ich es für meine Pflicht hielt, Ernst Keil darüber zu berichten und ihm, auf seinen Wunsch, das Manuscript nach Karlsbad zu senden. Wenige Tage darnach erhielt ich von ihm eine Postkarte folgenden Inhalts:

„Soeben habe ich die Lectüre des ‚Teuerdank’ beendet, auf einen Ritt, ohne aufzusehen oder aufzustehen. Keine Lectüre für Damen, aber – wenn auch vielfach an Hauff’s ‚Lichtenstein’ erinnernd – ein mächtiges Stück Poesie, dem der ganze Reiz mittelalterlicher Romantik anhängt. Ich habe lange nichts gelesen, was mich so sehr und anhaltend gefesselt hätte, wie diese Brautfahrt, von der man nicht weiß, ob man mehr die erquickende Frische oder das tiefe Studium des Autors bewundern soll. Es versteht sich von selbst, daß die ‚Gartenlaube’ den Roman bringen wird. Habe Sie besten Dank für Uebersendung des Manuscripts! – Mit Gruß Ihr E. K.“

Die Erzählung ist in der „Gartenlaube“ von 1877 erschienen und nach Verabredung dann, und zwar ohne die für die „Gartenlaube“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_192.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)