Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1879) 230.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

und es wär’ bis auf den heutigen Tag Keinem eingefallen, von dem großem steinigen Grund nebenan, der den Gotters von alten Zeiten her gehört, eine Handbreit auch nur geschenkt zu nehmen, geschweige denn zu kaufen – es ist zu elender Boden; der alte Gotter hat ihn oft genug selber verwünscht; er hat’s so wenig gedacht, wie seine Nachbarsleute, die jahraus, jahrein daneben gepflügt und geackert haben, daß was Gescheidteres drunter stecken könnte. Da ist aber der fremde Ingenieur hierher versetzt worden, der hat gleich auf den ersten Blick gewußt, daß gerade unter dem Grunde ein großes Kohlenlager ist – die Kohlen lägen ja geradezu am Tage, hat er gesagt –“

„Ist auch so gewesen,“ fiel die Majorin vom Küchentische herüber ein. Sie entfaltete ein schneeweißes Tellertuch und rieb und wischte an der Bratenschüssel.

„Und weil er mit meinem gnädigen Herrn von früher her bekannt war,“ fuhr Adam fort, „so hat er ihm den Vorschlag gemacht, mit ihm in Compagnie den Grund zu kaufen und ein Kohlenbergwerk anzulegen. Mein Herr ist auch mit tausend Freuden drauf eingegangen, und sie haben Alles ganz im Geheimen abgemacht. Weil aber gerade zu der Zeit die Hochzeit in Coblenz sein sollte, so ist der Ankauf des Grundstücks bis nach der Reise an den Rhein verschoben worden. Es ist ihnen ja nicht im Traume eingefallen, daß ihnen ein Anderer zuvorkommen könnte – es hat ja keine Seele drum gewußt – so haben sie wenigstens gemeint – ja Prosit! – wie sie nachher zum alten Gotter gekommen sind, da hat der geflucht und gewettert: er hätte sich überrumpeln lassen; er hätte dem Herrn Rath Wolfram seinen Grund um ein Spottgeld verkauft – und nun seien ja Kohlen die schwere Menge drunter, und der Herr Rath habe schon bei der Behörde auf das Grundstück Muthung eingelegt – ist das nicht die reine Zauberei, Herr Lucian?“

„Ein merkwürdiges Zusammentreffen auf alle Fälle!“ rief der junge Mann überrascht.

„Das sage ich auch; es ist eben Glück dabei gewesen, und der Onkel kann nicht dafür, wenn es andere Schlafmützen verpassen,“ setzte seine Mutter hinzu. „Uebrigens lügt der alte Gotter, wenn er von Ueberrumpeln und von einem Spottgeld spricht; er hat sich zu Anfang in’s Fäustchen gelacht, weil er seinen sauren Wiesengrund so vorteilhaft losgeworden ist.“

Das klang so kühl und nüchtern, so fertig und abgeschlossen im Urtheil. Dabei war diese Frau doch, trotz ihres schlicht bürgerlichen Gebahrens, eine vornehme Erscheinung. Sie war noch schlank und hatte über dem schönen Gesicht nußbraunes Haar, so voll und kräftig wie das eines jungen Mädchens, und die ehemalige Officiersfrau vergaß bei allem Bienenfleiß ihre Stellung nicht; sie war sorgfältig frisirt und sehr gut gekleidet, wenn auch der schöne Fuß im festen Lederstiefel steckte und eine breite, blauleinene Küchenschürze augenblicklich das elegant sitzende Kleid umhüllte.

„Da iß, Kind!“ sagte sie und reichte dem kleinen Mädchen des Dieners ein Stück Kuchen aus dem Fliegenschranke. Die Kleine wandte mit finsteren Augen den Kopf weg und wehrte die Gabe ab.

„Die nimmt nichts, Frau Majorin,“ sagte ihr Vater weich. „Sie hat heute noch keinen Bissen gegessen; sie kann’s nicht sehen, wenn die Leute nicht gut mit mir sind, und heute hat ja das Quälen und Zanken den ganzen Tag nicht aufgehört. … Herr Lucian, ich hab’ viel ertragen in der letzten Zeit. Der gnädige Herr bleibt dabei, die Sache sei nicht mit rechten Dingen zugegangen; er habe irgend einen ‚falschen Christen’ in seinem Hause, der gehorcht und geklatscht hätte, und weil ich, wie die Herren beisammen saßen, ein paar Mal mit Wein ab- und zugegangen bin, da fällt nun auf mich armen Kerl der Verdacht. Das ewige Sticheln hab’ ich geduldig verbissen, ich wollte ja mein Brod nicht verlieren, Hannchens wegen“ – er strich mit der Linken zärtlich über die dicken Haarflechten des Kindes – „aber seit gestern, wo die Leute von nichts Anderem sprechen, als von dem großen Glück, das der Herr Rath mit seinem Unternehmen hat – es sollen ja Kohlen sein, so gut wie die besten englischen – da kennt sich der gnädige Herr nicht mehr vor Wuth und Aerger. Ich wollte nun den Herrn Rath noch einmal ganz gehorsamst bitten, daß er’s meinem Herrn begreiflich macht –“

„Das geht nicht, Adam; so viel sollten Sie sich selbst sagen,“ unterbrach ihn die Majorin kurz. „Mein Bruder wird sich schwerlich herbeilassen, den Leuten auch noch gütlich zuzusprechen, die ihn heimlich anfeinden, weil er ebenso gescheidt gewesen ist, wie sie; das schlagen Sie sich aus dem Sinn und sehen Sie zu, wie Sie sich selbst heraushelfen!“

Der Mann biß die Zähne zusammen; er kämpfte schwer mit seiner Erbitterung. „Hätt’ es freilich wissen sollen!“ sagte er achselzuckend mit einem tiefen Seufzer; „zwischen zwei großen Herren fällt so eine armselige Bedienten-Ehre allemal auf den Boden. Da bleibt einem armen Teufel wie mir ja wirklich nichts Anderes mehr übrig, als – in’s Wasser zu gehen,“ fuhr es ihm verzweiflungsvoll heraus.

„Ach nein, das thust Du nicht, Vater. Gelt, das thust Du nicht?“ schrie das kleine Mädchen auf.

„Reden Sie doch nicht so gotteslästerlich, Mann!“ schalt die Majorin streng und entrüstet. Felix aber nahm den Kopf des Kindes, das in ein unaufhaltsames Weinen ausbrach, sanft zwischen seine Hände. „Sei still, Herzchen,“ beruhigte er, „das thut Dein Vater nicht; dazu ist er viel zu brav. Ich will in den Schillingshof gehen und mit dem alten Herrn sprechen, wenn Sie es wünschen, Adam.“

„Ach nein, ich danke Ihnen, Herr Referendar,“ versetzte der Mann; „ich weiß, Sie meinen es gut mit mir, aber das macht Ihnen nur Ungelegenheiten und mir hilft es doch nichts.“ Er grüßte, schlang den Arm um sein kleines Mädchen und führte es nach der Hausthür. „Komm her, wir gehen zu Deiner Großmutter.“

„Ja, Vater,“ sagte das Kind, augenblicklich sein Schluchzen niederkämpfend; „aber Du bleibst auch dort, gelt? Du gehst nicht fort in der Nacht, Vater?“

„Nein, mein gutes Hannchen.“

Sie gingen durch den Hof, und der Puter lief wieder auf das Rothröckchen zu, aber die Kleine beachtete ihn nicht; ihre Füßchen suchten Schritt mit dem Vater zu halten, wobei sie weit vorgebogen ihm beweglich unter das Gesicht sah – sie traute seiner mechanisch gesprochenen Versicherung nicht. „Ich schlafe die ganze Nacht nicht – paß’ auf!“ drohte sie mit ihrem angstbebenden Stimmchen. „Ich sehe es, wenn Du fortgehst.“ Und als die Hofthür schon hinter ihnen zugefallen war, da hörte man noch über die Mauer her die unsäglich angstvolle, kindliche Drohung: „Ich schlafe nicht; ich lauf’ Dir nach, wenn Du fortgehst, Vater.“

(Fortsetzung folgt.)




Zur Frage der Leichenbestattung.
Ein Vermittelungsvorschlag von Carl Vogt.

Die Frage der Leichenbestattung ist im recht eigentlichsten Sinne des Wortes eine brennende geworden, seitdem in Gotha Brenner und Halle erbaut und am 10. December vorigen Jahres eingeweiht wurden. (Vergl. Professor Reclam’s Bericht in Nr. 3 von diesem Jahre.)

Der erste Schritt zum Besseren wäre somit gethan! Nichts desto weniger wird es noch lange dauern, bevor diese Reform, sei es auch nur für die größeren Städte, durchdringt, denn eine Neuerung findet um so größeren Widerstand, je ausschließlicher sie sich an den Verstand der großen Menge wendet, namentlich wenn sie zugleich deren wirkliche oder vermeinte Gefühle beleidigt und gegen eine von uralt eingewurzelter Gewohnheit bedingte Trägheit anzukämpfen hat.

„Der Widerstand einer Eisenplatte ist nichts,“ sagte mir einmal mein Lehrer Liebig, „ich kann ihn mit einer Kanonenkugel brechen, die durchschlägt, aber den baumwollenen Widerstand durchzuschlagen, das ist eine Kunst! Jener giebt nach – aber dieses passive Nachgeben ermattet und lähmt schließlich die Kugel,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_230.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)