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Seite:Die Gartenlaube (1880) 548.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


ich schnitt durch eine energisch verneinende Kopfbewegung das Wort ab.

„Ich muß nothwendig morgen Abend zurück in die Residenz.“

„O ihr Götter, anders war's in eurem Rath da oben bestimmt. Welch eine Nacht lag zwischen dem Heute und Morgen!




2.

In meinem düstern gothischen Zimmer wob sich aus Mondschein und Kerzenlicht eine seltsam spukhafte Beleuchtung. Eben schlug es im Thurm über mir elf. Ich hatte meinen Abendanzug abgelegt und in den Reisesack gepreßt, als es außen wie von schleppenden Frauengewändern an meiner Thür ein paar Mal vorbeirauschte. Man hatte mir gesagt, daß diese Etage ganz unbewohnt, lediglich den Prunk- und Gasträumen gewidmet sei. Das Geräusch mußte mich also befremden – nun ließ es sich sogar hinter den Gobelins vernehmen, welche die Wände des Zimmers schmückten – aber nein, meine erregte Phantasie spielte mir sicherlich einen Streich. „Vielleicht beginnen die traditionellen Gespenster alter Schlösser ihr Wesen hier etwas früher, als es sonst Mode ist,“ sagte ich in scherzendem Selbstgespräch, gleichsam zu meiner Beruhigung. Aber doch! Es rauscht schon wieder hinter den Gobelins. Ich brenne mir eine Cigarre an, nehme den vielarmigen Kandelaber vom Tisch und leuchte an den etwas verblaßten, aber künstlerisch gearbeiteten Bildern hin. Immer dasselbe Gesicht mit den zarten Rubens'schen Fleischtönen, der goldigen Haarpracht und den strahlenden Blau-Augen, immer dieselbe nordische Schönheit und Kraft, hier als Freia, dort als Brunhild, auf dem dritten Bilde als Isolde, auf dem vierten als Schildjungfrau – eine etwas bunte Gesellschaft freilich, aber überall dieselbe kraftstrotzende Gliederpracht, derselbe vornehmstolze, freie Ausdruck der Züge, überall eine eigenthümliche Aehnlichkeit mit – Ingeborg.

Was ist das?! Ich habe gute Nerven und nicht die geringste Anlage zu abergläubischem Grauen, aber beinahe wäre mir vor Schreck doch der Armleuchter aus der Hand gefallen, als sich jetzt plötzlich leise knarrend die umpanzerte Schildjungfrau aus einander thut und aus dem klaffenden Spalt eine ganz weiße Gestalt hervortritt.

„Wie Du mich erschreckt hast, Ina! Frau Baronin was soll das?“ Die Tapetenthür schnappte mit leichtem Knacken in die Feder zurück; die Schildjungfrau hielt ihren Schild wieder fest in der Hand; der Helm saß, wie vorher, auf den vereinigten Hälften des schönen ernsten Kopfes, und die Baronin Maltiz trat mit einem kindlichen Lächeln auf den rosigen Lippen, als freue sie sich eines gelungenen Scherzes, weiter vor in das Gemach und bedeutete mich, den Armleuchter auf den Tischteppich zu setzen.

Ich gehorchte stumm vor Ueberraschung und blieb dann abwartend vor der jungen Frau stehen, die sich in einem der weitbauchigen Armstühle niedergelassen hatte. Sie kicherte leise in sich hinein, wie sie das schon als Mädchen zu thun pflegte, wenn sie mir irgend einen Streich gespielt; dabei drehte sie, erröthend und die Augen niedergeschlagen, an den Quasten der dicken Seidenschnur, die ihr weißes, spitzendurchbrochenes Negligé zusammenhielt. Wenn Ina je in ihrem Leben verführerisch ausgesehen hatte – in diesem Augenblicke war sie geradezu unwiderstehlich. Aber der Zauber war schnell gebrochen: über dem gaukelnden Falter hier vor mir schwebte ja der stolze Aar, über Ina's Kinderkopfe das sonnige Haupt der nordischen Göttin, sieghaft in Klarheit, Reinheit und Wahrheit – das Ebenbild Ingeborg's.

Ina schlug die mandelförmigen Augen unter dunkler Wimper mit einem Ausdrucke auf, der mich früher zu ihren Füßen geworfen hätte. Sie schien auch einigermaßen erstaunt, daß nichts dem Aehnliches geschah, daß ich, den Rücken an den kunstvoll geschnitzten Kaminmantel gelehnt, ganz ruhig auf das hübsche Bild im altmodischen Sessel hier vor mir niedersah.

(Fortsetzung folgt.)




Skizzen aus Niederdeutschland.
Von Ferdinand Lindner.
4. Das Watt.


Zu den stimmungsvollsten Gedichten Freiligrath's gehört die „Wüstencarawane“, die Einöde der Sahara, bis zum Morgengrauen von Schatten und Gespenstern belebt – das ist ein großartig gedachtes Landschaftsbild, und wenn wir hier daran anknüpfen, so geschieht es, weil die Scenerie, welche wir im Folgenden darzustellen gedenken, trotz aller localen Verschiedenheit eine auffallende Aehnlichkeit mit jener hat: hier wie dort eine trostlose Wüste mit ihren drohenden Gefahren, ihren Stürmen, ihrer Fata morgana, ihren Trümmern, den Zeuge verzweifelter Katastrophen. Während es sich bei der afrikanischen Wüste um eine glühende Landschaft am Aequator handelt, wollen wir von der feuchte Einöde einer durch Wolken und Nebel oft genug umschatteten nordischen Küste erzählen und zwar von keiner anderen, als unserer heimatlichen Nordseeküste.

Wenn man eine Specialkarte dieses Strandgebietes betrachtet, so kann man genau die Linie verfolgen, welche das Festland nach dem Meere zu abschließt, aber jenseits derselben, schon im Bereiche des Meeres, erblickt man noch eine Reihe unregelmäßiger, durch Punkte oder Farbe hervorgehobener, mit der Küste parallel laufender Flecken. Dies ist das Terrain, auf dem sich unsere Darstellung bewegen wird; hier, wo die Wissenschaft des bei weitem größten Theiles unserer binnenländischen Leser wohl aufhört, soll unsere Schilderung beginnen.

Zu der Zeit, als der Canal noch geschlossen, die Nordsee ein nur nach Norden offener Meerbusen war und die vom Westen kommenden Fluthwellen nur in schwächeren Ausläufern auf die Küste trafen, in dieser Zeit konnten die großen deutschen Flußsysteme mit aller Ruhe ihren aus dem Oberlande abgeführten Schutt an der Mündung abladen und damit eine mächtig ausgedehnte Marschbildung erzeugen. Als aber die bis dahin noch zusammenhängenden Gebiete des jetzigen Frankreich und England durchbrochen wurden und der Canal entstand, ergossen sich die Fluthwellen des Oceans in den weit hinaus mit Marschland und Schlamm erfüllten Meerbusen und begannen ihr Zerstörungswerk, theils unausgesetzt das Marschland benagend, theils in wilden Sturmfluthen weite Strecken fortreißend. Wir können die Reste desselben bis in die Mitte der Nordsee verfolgen, bis an jene von den Schiffern so sehr gefürchtete Strecke, wo bei Sturm eine höchst gefährliche und unregelmäßige See steht – die Doggerbank, welche sich bis zu 12 bis 13 Faden Tiefe unter dem Niveau der See erhebt, während das Terrain daneben auf 30 bis 40 Faden Tiefe abfällt. Von den an die Küsten sich anlehnenden Resten des Schwemmlandes wurde ein Theil in späterer historischer Zeit durch kühne seevertraute germanische Stämme urbar gemacht und zu üppigen Landschaften umgestaltet; der andere Theil umzieht in weitem Bogen, nach der See zu von einer Inselkette umgrenzt, als „Watt“ die Küsten von Holland und Jütland, unserer Nordseeküste den ihr eigenthümlichen, nichts weniger als einladenden, ja fast drohenden Charakter verleihend.

Das Watt zu schildern, erscheint so einfach und ist doch, soll es anschaulich und lebenswahr geschehen, überaus schwer; denn jeder Vergleich, jede Beziehung auf ähnliche oder verwandte Scenerie läßt uns im Stich; es ist nicht Land und nicht Meer, nicht Sumpf und nicht Sand, und doch ist es wiederum dies Alles zusammen, ein düsteres, feucht schimmerndes Gemenge, als tauche der Meeresgrund soeben zum ersten Male über dem Ocean empor. Man würde sich aber täuschen, wenn man glaubte, das Watt zeige uns immer nur dasselbe einförmige Gesicht – im Gegentheil: ganz wie das Meer ein Wiederspiegeln der ewig wechselnden Luftgebilde, ist auch das Watt ein Proteus, der uns in den mannigfaltigsten Gestalten erscheint. Wenn das schwere trübe Regengewölk des nordischen Himmels über das Watt zieht, dann gewährt es in seiner starren Ruhe einen Anblick, so traurig und unheimlich, so finster und drohend, wie das Verderben selbst; weit, weit draußen läuft eine weiße unregelmäßig bewegte Linie, der Schaumkranz der dort wogenden See; noch weiter hinaus zieht ein Dampfer, eine lange Rauchsäule hinter sich, am Horizonte hin, sodaß es fast aussieht, als glitte er über das Watt selbst. Nicht weniger gespenstisch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_548.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2021)