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Seite:Die Gartenlaube (1883) 327.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)


Es war für uns ein glückliches Zusammentreffen, daß wir gerade an diesem Tage und in so früher Morgenstunde in Nkunga anlangten. Die nicht viel abseits von unserem Wege liegende Kitanda war noch nicht eröffnet, und wir beschlossen, die Verhältnisse nach Kräften auszunutzen, nicht nur um das volksthümliche Treiben zu beobachten, sondern auch möglichst viele freundschaftliche Beziehungen anzuknüpfen. Freilich war es nicht leicht, Zutritt zu dem Markte zu erlangen, da die Eingeborenen, zur Vermeidung von Unzuträglichkeiten, weit und breit als unverbrüchliches Gesetz aufgestellt hatten, daß Europäer und ihre bewaffneten Karawanen die Märkte nicht besuchen sollten. Wir aber beredeten den Häuptling, für uns zu wirken, gewannen die Weiber für unser Vorhaben und marschirten kurz entschlossen mit ihnen ab.

Wir bildeten einen buntgemischten Zug. Wohl an hundert schwer tragende Frauen, Mädchen und Kinder folgten wacker ausschreitend im Gänsemarsch dem schmalen, leicht abwärts führenden Pfade. Zwischen ihnen verstreut befanden sich meine Leute; wir beiden Europäer beschlossen die Karawane. Die Luft war noch frisch und erquickend, die grasigen Höhen glänzten im Strahle der Morgensonne, während die mit leichten Nebelschwaden erfüllten Schluchten noch im Schatten lagen. Plaudernd und scherzend ging es rüstig vorwärts. Zur Abwechselung improvisirte die eine oder andere der Frauen einen recitirenden Marktgesang, in welchen der Chor vollkräftig einfiel. Die eigenthümlichen, obwohl nicht immer harmonischen Klänge wirkten im Freien nicht übel und hallten weithin über Berg und Thal. Auch unsere Sansibari gaben etliche ihrer viel melodischeren Gesänge zum Besten. Von Nah und Fern, von den Höhen und aus den Tiefen kamen antwortende Stimmen und mancher herzhafte Jauchzer wurde doppelt und dreifach zurückgegeben.

Allenthalben sah man Menschen vereinzelt, zu mehreren sowie in Schaaren die vielgewundenen Pfade auf- und absteigen und dem vor uns liegenden Muyanga zustreben; singend, rufend und zeitweilig anhaltend, um nach uns herüberzuschauen. Mindele, Mindele (weiße Leute) verkündeten vielstimmige Rufe und pflanzten sich fort von Berg zu Berg.

Wo andere Pfade einmündeten, da warteten Gruppen von neugierigen Frauen und fügten sich dem lärmenden Zuge ein, der allmählich zu doppelter Länge anwuchs. Als wir in die letzte tiefe Schlucht kletterten, wurde uns auf halber Höhe Halt geboten. Unten in dem von üppigem Baumwuchs beschirmten Bächlein Miansi wusch und badete sich erst das weibliche Geschlecht, so lange hatten wir zu rasten. Kreischen, Gelächter und lustiges Geplätscher schallte herauf; Neckereien flogen hin und wieder, bis endlich der Weg freigegeben war.

Mühsam stiegen wir hinab, noch mühsamer wieder hoch hinauf. Oben von der Höhe schaute eine erregte, schreiende Menge auf uns nieder, unter welche sich die uns Voraneilenden mischten. Unsere Vorsicht, zur Beruhigung der Gemüther einen die Trompete blasenden Herold voraufzusenden, erwies sich als überflüssig: die längst von unserem Vorhaben unterrichteten Marktbesucher erhoben keinen Einwand. So legten wir denn wohlgemuth den Rest des Pfades zurück und gelangten auf den Berggipfel. Vor uns, zwischen Oelpalmen und Bananen versteckt, lag das Dörfchen Muyanga, dahinter ein Wäldchen von prächtig entwickelten Bäumen. Von jenseits desselben drang uns ein betäubender verwirrter Lärm entgegen, wie er entsteht, wenn Hunderte von Menschen mit Aufbietung aller Kräfte zugleich schreien und sprechen; manchmal schwoll derselbe zu unglaublicher Stärke an. Wir brauchten keinen Führer, um den Ort zu finden. Das Dorf und den Wald umgehend, betraten wir die Kitanda.

Auf einem sanft geneigten Abhang dehnte sich ein großer Platz mit tennengleich festgetretenem Boden; die obere Hälfte wurde von einzelnen Bäumen beschattet, die untere war dem vollen Sonnenbrande ausgesetzt. Auf letzterer hatten sich die Markbesucher versammelt, Hunderte von Frauen, Mädchen und Kindern standen dort, mit ihren Lasten noch auf den Köpfen, schwatzend bei einander oder ruhten auf dem Boden hockend nach dem beschwerlichen Marsche. Hunderte zogen noch fern und nah auf den schmalen Pfaden heran. Die Anwesenden wendeten sich uns zu, wie gebannt die weißen Männer anstaunend, von denen die meisten bisher ja nur gehört hatten. Für einen Augenblick war eine fast unheimliche Stille eingetreten, dann aber erhob sich der gewaltige Lärm um so stärker. Niemand zeigte Furcht, auch das Staunen verwandelte sich bald in musternde Neugier, und nicht lange, so übte sich schon der immer bereite Witz des Völkchens an den seltsamen Fremdlingen.

Nach einer solchen Aufnahme konnten wir unbefangen am Rande des Wäldchens einen Lagerplatz wählen und das Zelt aufschlagen lassen. Unter einem Baume des oberen Platzes sitzend, vermochten wir das Treiben auf dem unteren mit Muße zu betrachten. Dort verkehrte man in altgewohnter Weise, als wären wir gar nicht vorhanden; die neu Hinzukommenden jedoch blieben immer wieder wie angewurzelt vor uns stehen oder näherten sich truppweise, um uns wie Schaustücke in Augenschein zu nehmen.

Es war höchst ergötzlich zu beobachten, welchen Eindruck wir auf die Leute machten, wie verschiedenartig unser plötzliches Erscheinen aufgefaßt wurde. Da war die ahnungsvolle Alte, die von ferne bedenkliche Blicke herüberwarf, dann kopfschüttelnd und murmelnd sich abwendete, mit dem dumpfen Gefühle, das habe sicherlich etwas zu bedeuten. Junge Weiber in Gruppen drängten sich dichter heran, darunter selbstbewußte und ernst aussehende; andere kichernd, sich gegenseitig anstoßend und nach uns weisend. Dreistere redeten uns sogar an und verlangten einzelne unserer Habseligkeiten zu betasten. Manche Kinder folgten zutraulich unserem Rufe und ließen sich in stummer Verwunderung eine Messingschelle in das Händchen legen, ein paar Glasperlen um den Hals hängen; andere wagten sich nicht zu uns und lugten, mit den Fingern im Munde, hinter ihren Müttern hervor. Viele der Kleinen aber erhoben ein Zetergeschrei, wenn sie von den willigen Angehörigen herbeigetragen werden sollten. Sie flüchteten sich vor dem weißen Manne, wie unsere Kinder sich vor dem schwarzen fürchten. Die jungen Mädchen befriedigten ihre Neugier ausnahmslos von Weitem, sich mit anmuthender Scheuheit zurückhaltend.

Hübsche Gesichter und Gestalten, welche sich unter den westlicher wohnenden Basundi häufig finden, konnten wir unter den Babuende nur selten entdecken. Das Weibervolk um uns bildete keine Ausnahme von der Regel. Trachten und Schmuck waren dagegen eigenartig und interessant. Die Kleidung beschränkte sich im besten Falle auf die mittlere Partie des Körpers, welche ein von der Hüfte bis zum Knie fallendes weißes oder buntes Stück Baumwollenzeug verhüllte.

Die Köpfe Vieler zeigten seltsame Frisuren. Theils war das Haar mittelst Oel und Kohle gewissermaßen zu locker liegenden Beeren und Würstchen vereint, theils war es ohne diese häßliche Beigabe in kurze, dünne Zöpfchen geflochten, die sich eng an den Kopf schmiegten. Bei Anordnung der letzteren hatten die Haarkünstler ihrer Phantasie freien Lauf gelassen, sie von oben nach unten, von vorn nach hinten und umgekehrt sowie in schräger Richtung reihenweis in die wunderlichsten Formen gezwungen. Manche Weiber hatten nicht nur ihr Haar, sondern auch die Gesichter mit Oel und Kohle schwarzglänzend eingerieben, andere wieder statt dessen eine leuchtend rothe Erde verwandt.

Geschmackvoller erwies sich der Schmuck. Hübsche fingerbreite Stirnbänder von weißen, rosafarbenen und blauen Zahlperlen standen manchen Gesichtern recht gut; auch um Hals und Oberarm getragene mehrfache Schnüre von größeren lasurblauen Bruchperlen wirkten sehr hübsch auf der warm dunkelbraunen Haut. Ein breites Band von Baumwollenstoff oder auch von bunten Perlen angefertigt, von dem öfters noch zahlreiche Perlenschnüre niederhingen, wurde vielfach unter den Armen um den sonst entblößten Oberkörper getragen. Darin steckte dann die unentbehrliche Pfeife, die bei Anderen im Hüftenkleide oder im Haare befestigt war. Mütter trugen ihre Säuglinge auf dem Rücken in das Hüftentuch eingebunden, wo nicht selten auch ein paar gackernde Hühner oder auch ein lustig krähender Hahn noch Platz fand.

Während des Beschauens und Beobachtens war die zehnte Stunde herangekommen. Der untere Platz war gefüllt, und der Markt hatte begonnen. Wir hatten uns genugsam betrachten lassen, hatten durch unser freundliches Entgegenkommen das Vertrauen der Marktgänger gewonnen und durften uns versichert halten, daß wir keine Störung verursachen würden. So mischten wir uns denn unbefangen in das Gewühl.

(Schluß folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_327.jpg&oldid=- (Version vom 16.5.2023)