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Seite:Die Gartenlaube (1883) 612.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Nicht an sie dachte er, sondern an sein Gehöft, an seine Besitzung, seinen Stolz. Angstvoll wandte er den Blick zurück zu seinem Hause.

„Es steht noch!“ rief er und schien zurückkehren zu wollen.

„Vater, komm – komm!“ rief Moidl; sie erfaßte seinen Arm und zog ihn mit sich.

Und er folgte. Es war, als ob er keinen Willen mehr habe, als ob seine Kraft und sein Muth ausgelöscht seien.

Der Weg, auf dem sie niederstiegen, war durch den Regen in einen Gießbach verwandelt. Sie achteten nicht darauf, zu gewaltig zitterte die Gefahr, der sie mit Noth entgangen waren, in ihnen nach.

So langten sie im Dorfe an und traten in das Haus des ihnen befreundeten Sägemüllers.

Der Oberburgstein stand noch, das Gebäude schimmerte durch den Regen, der etwas nachgelassen hatte, hindurch.

Der Oberburgsteiner brach kraftlos auf einem Schemel zusammen.

Im Dorfe hatte man den Bergsturz unterhalb des Oberburgsteins, der den neuen Acker mit fortgerissen, wohl wahrgenommen, aber Alle waren durch die Gefahr, die ihnen der hochgeschwollene Fluß bereitete, so bestürzt und in Sorge, daß sie an Andere wenig dachten.

Dem Sägemüller war durch das Hochwasser bereits viel Holz fortgerissen, und er suchte mit seinem Sohne und von einigen Nachbarn unterstützt zu retten, was noch zu retten war. Andere suchten durch Dämme ihre Häuser zu schützen.

Da fiel der Fluß ganz plötzlich, sein Wasser schien mit einem Male versiecht zu sein.

Manche athmeten erleichtert auf, Andere waren um so besorgter, denn die Erscheinung war eine auffallende und hatte etwas Unheimliches und Geheimnißvolles. Die Ursache blieb nicht lange unbekannt. Es kam die Kunde, daß weiter hinauf im Thale ein mächtiger Bergsturz stattgefunden habe, der das enge Thal hoch mit Schutt und Steinen angefüllt. Dahinter staute sich das Wasser des Flusses.

(Schluß folgt.)




Vom alten Richter.

Von Ferdinand Avenarius.

Am 28. September dieses Jahres feiert Ludwig Richter, der Volksschilderer mit dem Bleistift, seinen achtzigsten Geburtstag.

Ich kann mir’s nicht denken, daß irgend Einer, zu dem Richter’s Kunst jemals vernehmlich gesprochen, den Tag ohne Antheil vorüberziehen läßt. Man wird ihm Liebe und Ehre in reichem Maße erweisen – vielleicht sogar mehr, als es dem alten Herrn in seiner bescheidenen Schlichtheit lieb ist. Wir aber, denen es nicht vergönnt ist, ihn an seinem Ehrentage von Angesicht zu Angesicht zu sehen, wollen uns dadurch die Geburtstagsfreude nicht verderben lassen – wir wollen, wenn auch nicht mit seiner Person, doch mit dem Geist des Meisters ein wenig verkehren, mit seinem Geist, wie er uns aus seiner Kunst warm gleich dem Schlag seines Herzens entgegengrüßt.

Freilich: nicht der Keim allein macht den Baum – Regen und Sonnenschein und der Boden, in dem das Pflänzchen wurzelt, haben auch dabei zu thun, wenn sich’s zu Blatt und Blüthe gerade so und nicht anders gestaltet. Auch manches Blättlein der Richter’schen Kunst werden wir erst recht verstehen, beachten wir ein wenig, wo und wie es sich nährte, und welches die Sonne war, die ihm leuchtete. Und darum wollen wir uns zunächst an dies und das aus dem Lebensgange unseres Künstlers erinnern.

Am 28. September 1803 ward Adrian Ludwig Richter zu Dresden geboren.

So fallen die Jahre der ersten geistigen Regungen des Knaben in jene Zeit, in der die bildende Kunst fast überall im deutschen Vaterlande schier trostlos darniederlag. Selbst jenes Streben nach der Antike, das die altgewordene Rococokunst in höhere Sphären emporheben sollte, war wieder ermattet: im Grunde hatte sich wohl selbst ihr Ikarus, der gefeierte Raphael Mengs, nicht mit dem angeborenen Fittich des Genius zu seinem Fluge emporgehoben, sondern mit dem gutgemachten Wachsflügel, den auch die ehrlichste Arbeit im Schweiße des Angesichts eben doch nur äußerlich ankleben konnte. Nun kroch die Kunst wieder am Boden umher, besann sich da und dort auf bessere Zeiten und reckte sich ein wenig aufwärts, ward aber bald wieder schläfrig, und fand’s am Ende bequemer, auf der Erde zu bleiben und sich redlich zu nähren.

Freilich, auch das war schon schwer genug. Die schwere Noth, die in Gestalt von Napoleon’s Heeren über Deutschlands Gaue gezogen war, hatte im Volke – von den materiellen Kräften ganz zu schweigen – Lust und Liebe zur Pflege der Kunst niedergedrückt. Dort aber, wo ihr der heimische Boden in der Volksliebe fehlt, wo sie wie eine exotische Blume nur hier und da von einem Liebhaber im Topfe gezogen wird, wird die Kunst statt einer kraftvollen Pflanze ein bekünsteltes Ziergewächs. Nur die Kleinkunst, die mit der Literatur den Weg gemeinsam finden konnte, gedieh gesund.

Dazu kam das Elend der damaligen Akademien, die als eine Art von Kunstbureaukratie von allen Ueberbleibseln der guten alten Zeit vielleicht den dicksten Zopf im Nacken hatten. Da wurde Alles fein dressirt, in spanische Stiefel eingeschnürt – manch leuchtender Name strahlt am Kunsthimmel, der wegen Eigenwilligkeit seines Trägers in jener Zeit aus den Akademikerlisten gestrichen wurde; wer aber kennt heute die „guten Schüler“ von dazumal?

Und in der That war’s vielleicht kein Unglück, daß unser junger Adrian Ludwig nicht viel in die Akademiesäle kam. Sein Vater, der Kupferstecher Karl August Richter, hatte unter der Ungunst der Zeit so schwer gelitten, daß er und sein Sohn zu jeder Arbeit greifen mußten, die sich eben bot. Der Schweizer Adrian Zingg, auch unseres Adrian Ludwig Pathe, dessen manieristische Land- und Seestücke damals dem Modegeschmack entsprachen, lebte als Professor der Kupferstecherei in Dresden und hatte, um der großen Nachfrage nach seinen Blättern zu genügen, schließlich eine ordentliche Kupferstichfabrik angelegt, als deren Director er unter jedes Blatt frisch ein „feci“ schrieb, auch wenn es ein Anderer gemacht hatte. Die meisten Blätter jener spätern Zeit stammen von Richter’s Vater. Der Sohn half ihm dabei, der dunkle Drang des guten Menschen aber scheint den Letzteren schon früh auf andern Weg aus all dem Modewerk hinausgewiesen zu haben: Chodowiecki’s Radirungen fesselten ihn – der hatte die Welt des täglichen Lebens vielleicht mit nüchternen Philisteraugen, aber doch ohne akademische Brille gesehen.

Der Vater hatte den heranwachsenden Knaben im Landschaftszeichnen unterrichtet, allmählich kam andere Schulung hinzu. Ein alter Professor sollte unserem Ludwig das Oelmalen beibringen – der griff die Sache so an, wie es ihm „gewissenhaft“ erschien. Da wurden Bilder in Sepia und wieder Bilder copirt – „ach wenn ich doch erst an einen Claude Lorrain dürfte!“ seufzte der Schüler; „da müssen wir erst noch einige Dutzend anderer Bilder vornehmen,“ entgegnete sein Meister. Ebenso „gründlich“ ging es mit der Anatomie: alle Knochen wurden in natürlicher Größe mit Stift und Kreide abgemalt und auf’s Sorgfältigste schraffirt; und als der Mensch zu Ende war, kam das Pferd daran, bei dem denn unser armer Richter oft keine Ahnung davon hatte, wo die betreffenden Knochen im Thiere eigentlich saßen – denn zum Zeichnen des Ganzen kam es nicht! Der Unterricht im eigentlichen Malen bestand darin, daß all die festgenagelten Regeln der Zeit unserem Schüler vor den Kopf genagelt werden sollten, daß er z. B. lernte, wie man über zusammengefaltetem Papier den „Baumschlag“ tupfe, wie man mit dem Fischpinsel so herumfahren müsse, daß es wie Blätter, so, daß es wie Gras aussah etc. Daran, frisch die Natur anzusehen und dann zu probiren, bis man es „heraus hatte“, dachte auch wirklich Keiner. Unser Richter selbst erzählt, er sei einmal mit seinem Vater an einem Mühlbach gegangen, da habe das Gras ihm gar so saftig in’s Auge gelacht. „Ach,“ habe er ausgerufen, „daß man das doch gar nie so machen kann!“

Gewiß, es war dem jungen Manne, dem es auch an anderen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_612.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)