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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

No. 50.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Glockenstimmen.

Eine Bürgergeschichte aus dem 17. Jahrhundert.
Von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)

Johanne schüttelte trübe den Kopf. „Das hast Du längst in überreichem Maße gethan. Aber an mir ist es, darüber zu wachen, daß Du nicht fürder Opfer bringst. Habe ich Dir nicht gesagt, daß Zacharias heimkommt und nun Herr in der Papiermühle wird? Willst Du als halb überflüssiger Knecht von ihm gehudelt sein? Soll ich die Sünde auf mich laden, daß Du um unserer Jugendfreundschaft willen Deine besten Jahre verlierst?“

Hermann sah ein, sein Verleugnen war vergebens. In heißem Schmerz hob er die Hände zu ihr auf. „Wie gerne gebe ich sie hin für die Seligkeit, daß ich für Dich arbeiten darf!“

Ihr Herz krampfte sich zusammen. „Ach Gott!“ seufzte sie, „warum quälst Du mich und hast kein Einsehen, ich mag predigen, wie ich will?“

Dann faßte sie sich gewaltsam. Tief senkte sie die dunklen Wimpern, als vermöchte sie nicht den Eindruck ihrer Rede zu schauen, und sprach: „Lieb’ und Treu’ zwischen Mann und Weib kann nur da zum Heil gedeihen, wo ein christliches Ehebündniß sie zusammen schließt. Und solches ist bei uns unmöglich. Niemals würde meine liebwerthe Frau Mutter ihre Einwilligung dazu geben, niemals Zacharias und unser Vormund, der Rathsbrunnenmeister. Und – Gott helfe mir!“ – sie mußte noch einmal Athem holen, und ihre kleine Hand ballte sich fest zusammen, als sie mit einer Stimme sprach, die Hermann wie eine zersprungene Glocke klang: „Und auch ich vermöchte es nicht. Ich kann kein armes Weib, und Du kannst kein großer Bürger werden.“

Wie ein Donnerschlag fuhren ihm ihre Worte in die Seele. Einen Augenblick war es ihm, als müsse er lachen. Hatte er ihr beim Knistern des Nachtlämpchens nicht selbst erzählt, was es bedeutet, ein armes Weib zu sein? War ihr die rasch zum Ende führende Pest nicht erträglicher erschienen, als das langsam fressende Elend? Sie zog jetzo ihre nützliche Lehre aus den Erzählungen von seiner armen Mutter, die ihm aus dem Herzen geflossen waren. Sie blieb die echte Tochter ihres Vaters, eine Meisterin in der Kunst, das Leben klug zu führen.

Da faßte ihn Benjaminlein an seiner herabhängenden Hand. Wie Kinder oft hören und begreifen, was man unverständlich für sie hält, hatte auch der Kleine verstanden. „Komm, wir wollen die zwölf silbernen Apostel suchen. Drüben in der Kirche liegen sie vergraben, da, wo die steinerne Katze hinschaut. Wenn Benjamin sie findet, schenk er sie Dir, dann bist Du auch reich.“

Der Kleine sah ihn auffordernd an. Er hatte dieselben Augen wie Hannchen, voll leuchtender Lichtpünktchen auf dem hellbraunen Grunde, und so lieb und mild hatte sie ihn auch allezeit angesehen, wenn sie ihm Gutes erwies, da sie noch Kinder waren.

Vor der holden Erinnerung verging ihm das höhnische Lachen. Er strich Benjamin über das danke Köpfchen und sprach ernste wenn auch mit zitternder Stimme:

„Statt nach den silbernen Bildern der zwölf Boten zu suchen, denke lieber daran, daß sie, die das Christenthum in alle Welt trugen, arm waren wie ich, und daß ihr Meister sprach: ‚Eher geht ein Kameel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher in den Himmel kommt.‘ Dir aber, Hannchen, sage ich“ – und er richtete sich mannhaft zu seiner schlanken Höhe auf – „Dir sage ich, Du überhebst Dich mehr, als Dir zukommt. Redest Du doch, als seiest Du ein hochgebornes Fräulein aus der Neidecke, ob auch Dein Urgroßvater nichts anderes war als der meinige. Wir sind beide Bürgerskinder von Arnstadt, und es haftet an meinem Namen so wenig ein Makel, als an dem Euren. Warum soll es mir unmöglich sein, aus dem zerfallenen Sterbekleidhäuslein mich empor zu arbeiten? Gar manches arme Arnstädter Kind ist schon zu Ehren gekommen vor aller Welt. Aber glaube nicht, daß ich Dir Fürstellung thue, von Deiner Meinung abzulassen. Ich habe in dieser bitteren Stunde gelernt, daß es dem Manne nicht ziemt, das Weib alle Wege um ein Fünkchen Liebe anzubetteln. Und jede Mühe wäre auch bei Dir vergebens. Denn so lieblich Du anzuschauen bist, Dein Herz ist klein und verschrumpft geblieben, daß es nur gerade weit genug ist, um Stand und Geld hinein zu schließen. Aber für die Liebe, die wie der Hauch unseres Herrgottes durch die Welt zieht, hat es keinen Raum. Darum achte ich, es ist wie eine tönende Schelle an der wohl verschlossenen Thür des reichen Hauses, nicht wie eine schön klingende Kirchenglocke. Lebe so glücklich, wie eine große Bürgerstochter es vermag. Der arme Hiob schüttelt den Staub der hochmüthigen Stadt, allwo nur der Reichthum etwas gilt, von den Füßen. Fahre wohl!“

Er schritt rasch hinaus und achtete nicht auf ihre ihm nachgestreckten Hände, auf die mit gebrochener Stimme gestammelten Bitten. Als ihre zitternden Füße sie in das Haus hinüber getragen hatten, ging er schon am Weißebach entlang von dannen. Da that sie ihrer Sippe seinen Weggang kund. Frau Henningin athmete auf; aber die Kinder weinten. Trine fuhr wie ein wild

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_805.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2024)