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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

hat er sich herabgelassen, nachzugeben und mir die erforderlichen Summen für Schmuck und Toilette zu bewilligen. Es ist mein erster großer Ball, meine Freundin, weißt Du, was das bedeutet: die erste Schlacht eines Generals – ich werde übermorgen in der Zeitung stehen, es kann nicht fehlen, ich werde Aufsehen erregen. Herr Bohlke, der Schneider, der mir die Toilette geliefert hat, ist ein Genie, das Kled ist ein aus Spitzen und Duft gewobener Traum – Bohlke, den ich Dir aufs Angelegentlichste für solche Zwecke empfehle, hat damit ein Kunstwerk geschaffen, welches unmöglich übertroffen werden kann. Ich trete mit voller Sicherheit auf – ich habe noch nie einen Subskriptionsball gesehen – alle unsere Bekannten sind da – o, es ist zu schön: man setzt sich schon um sechs Uhr in den Wagen, denn die Auffahrt dauert stundenlang, und während der ganzen Zeit läßt man sich von den Spaziergängern, die neugierig in die Wagen blicken, bewundern – das würde mir schon genügen, Dir doch auch? – Wenn Du abkommen kannst, und wenn Du Deine Freundin im vollen Glanze ihrer subskriptionsballmäßigen Schönheit bewundern willst, so müßtest Du spätestens ein halb sechs Uhr bei mir sein. Ich schließe, die letzte Anprobe harrt meiner, eine selige Vorempfindung.
Tausend Küsse 
Aurelie. 

Soeben wird ein wunderbarer Fächer aus weißem goldgestickten Atlas mit Federnfranzen – so wie der von Erna, nur viel schöner, abgegeben ich vermuthe eine Galanterie meines Schwagers – er ist zu nett!


II.0 „Leid.“

Werther Freund! Ihr Neffe, unser fideler Bauführer in spe, hat mich soeben verlassen; auf seinem Gemüth lastet der schwere Druck einer reuevollen, selbstbeschaulichen Aschermittwochs-Stimmung. Nach seiner Darlegung belaufen sich die Schulden, zu denen er durch die außergewöhnlichen Ausgaben, die mit dem Karnevalsvergnügen verknüpft waren, gedrängt wurde, auf 300 Mark 50 Pfennig; unter den Kreditoren Ihres Neffen fungiren:

1) Dessen Wirthin, die mit entgegenkommender, wenn auch nicht zu billigender Bereitwilligkeit den Erlag der Miethe pro Februar im Betrag von 45 Mark postnumerando in Vorschlag brachte.

2) Die Hoflieferanten Müller’s Söhne mit 22 Mark für gelieferte Ballhandschuhe und dito Kravatten, laut beiliegender Nota.

3) Der Schuhmacher Lehmann mit 38 Mark für 2 Paar Lackstiefletten – Rechnung noch ausständig.

4) Die Buchhandlung E. T. Schulze mit 5 Mark für die Litteraturwerke: „Die Kunst, den Kontretanz zu kommandiren“ – 2) „Der angenehme Gesellschafter“ – 3) „Knallerbsen, oder du sollst und mußt lachen“.

5) Das Maskenverleihinstitut Jacob Lehmann mit 32 Mark für ein entliehenes Mönchsgewand und einen spanischen Grande; da letzterer in mangelhaftem Zustande zurückgeliefert wurde, ist eine Zusatzrechnung im Betrage von 6 Mark erfolgt.

6) Der Hutmacher Mayer mit 22 Mark 50 Pfennig für einen Klaquehut und diverse Reparaturen.

7) Endlich meine Wenigkeit mit 130 Mark bar Darlehn, zu denen ich mich in Folge Ihrer seinerzeitigen Weisung, ihm in dringenden Fällen finanziell auszuhelfen, verpflichtet sah.

Ich kann nicht umhin, nach diesen Mittheilungen der Ueberzeugung Ausdruck zu verleihen, daß in dem Gemüth ihres Neffen seit dem 10. März eine erfreuliche Wandlung sich vollzogen hat, daß er mit einem Eifer, der keiner besseren Sache würdig wäre, seinen Berufsstudien obliegt, und daß ich Ihnen unmaßgeblicher Weise nahelegen möchte, die reuige Stimmung, zu der er sich eben sammelt, nicht durch harte Vorwürfe steigern zu wollen. Ich bin überzeugt, daß ihn sein moralisches Bewußtsein im Laufe der angebrochenen Fastenzeit von selbst auf den rechten Weg leiten wird.
Ihr alter Kollege N. N. 

*  *  *

Liebe Kläre! Ich sitze mit einem Schnupfen, der meine Nase in einen durchaus nicht verehrungswürdigen Zustand verwandelt hat, zu Hause, und da Du in Folge Deines beim Tanzen „verknaxten“ Fußes nicht zu uns herüber kommen kannst, theile ich Dir auf diesem Wege mit, daß ich von diesem Karneval gerade genug habe und mit einer wahren Sehnsucht nach einer gründlichen Veränderung schmachte – ich möchte weit fort, hinaus in die weite Welt – fort von den Menschen! Wie sagt doch Heine in seinem „Buch der Lieder“, das ich Dir hiermit dankend zurückstelle, so schön:

„Jene Flammen sind erloschen,
Und mein Herz ist kalt und trübe“ ...

Der Stearinfleck auf dem Deckel muß schon bei Euch daraufgekommen sein, auch die Eselsohren bei den schönsten Gedichten rühren nicht von mir her. – Deine Anspielung auf den Arzt, die Dir neulich entfuhr, hat mir sehr weh gethan, und wenn Du mir einen Freundschaftsdienst erweisen willst, so erwähnst Du seiner nicht mehr, weder mündlich noch schriftlich. Ich weiß nicht, welches Interesse Papa an ihm nahm, kurz, er kultivirte seinen Umgang und er wäre beinahe in seinen Netzen hängen geblieben. Dieser saubere Herr Doktor hat meinem lieben Papa das Geständniß abzuschmeicheln gewußt, daß er zeitweise an der Leber leidet, und da er dafür Specialist zu sein vorgiebt, hat er Alles drangesetzt, um Papa in die Kur zu bekommen, denke Dir! Der Erbärmliche hatte es also nicht auf mein Herz, sondern auf Papas Leber abgesehen. Du kannst Dir die Empfindung vorstellen, welche diese Entdeckung in mir hervorrief, und der Ehrlose wagte es, mir etwas auf meinen kostbaren Autographenfächer zu schreiben, auf welchem sich schon der Rechnungsrath Miesebach und Dein Schwager Wilhelm verewigt haben. Es ist ein Glück, daß es lateinisch ist, ich wage es auch gar nicht, Jemanden zu fragen, was es heißt, es ist am Ende ein Recept. Ein solches Individuum (verzeih’ den häßlichen Ausdruck) ist zu Allem fähig.

Ich kann heute nicht mehr weiter schreiben, ich fürchte, die Erregung würde mich meinen Stolz vergessen lassen, und meine beleidigte Mädchenehre könnte sich hinreißen lassen, härter zu urtheilen, als er’s vielleicht verdient.
Deine unglückliche 
Eva. 

P. S.0 Mama läßt durch mich fragen, ob Ihr das gute Recept zu Bechamelle-Kartoffeln noch habt?

*  *  *

Liebe Anna! Es ist mir sehr peinlich, auf Deine erregten Zeilen in einem Tone antworten zu müssen, der Deiner Herausforderung angemessen, aber außerhalb der Art liegt, in der wir bisher verkehrt haben. Ich will unerwogen lassen, ob Deine Töchter, die im Laufe des Karnevals in unserem Hause manche Abende verbracht haben, die wir ihnen so angenehm wie möglich zu machen suchten – berechtigt waren, sich meiner bescheidenen Leopoldine und der schüchternen Agnes gegenüber in den Vordergrund zu drängen; die abfällige Art, wie Minchen die Toilette meiner beiden Mädchen beurtheilt hat, zeugt jedenfalls von einer nichts weniger als wohlwollenden Gesinnung für unser Haus. Ihre Aeußerungen, welche Euer Hausmädchen Marie meiner Köchin Anna hinterbracht hat, sind mindestens lieblos, und ich weise die Zumuthung, als hätten, wie sich Euer Mädchen ausdrückte, Leopoldine Roth und Agnes Weiß aufgelegt gehabt, mit mütterlicher Entschiedenheit zurück. Soweit sind wir noch nicht! – –

Was den Samovar betrifft, so genügt Dir vielleicht die mit seinem Ehrenworte bekräftigte Versicherung meines Mannes, daß derselbe schon beim ersten Aufsetzen merklich leckte und uns in eine Verlegenheit brachte, aus der uns nur die Entschlossenheit unseres Vetters Emil, der das Loch geschickt zu verstopfen wußte, befreien konnte. Ein Anderes ist es mit Eurer Hermesbüste, die durch das Verschulden des etwas kurzsichtigen Doktor Wenzel beim Tanzen leider umgestoßen wurde. Die Büste soll in tadellosem Zustande wieder in Euren Besitz gelangen, mein Alex kittet schon den ganzen Vormittag daran, und es wird dem fleißigen Knaben wohl gelingen, die Spuren des Unfalls möglichst zu verbergen.

Mein Mann ersucht Dich ferner, die Nota für die in Folge meiner Bitte von Deinem Gatten besorgten Cigarren uns sogleich zukommen zu lassen; vielleicht hat der betreffende Händler aber für das Kistchen, das bis auf drei nur oben ein wenig angebrannte Zigarren ganz unberührt ist, Verwendung. in diesem Falle wird ein Wort von Dir genügen, um Euch wieder in den Besitz des Kistchens zu bringen.

Es thut mir weh, daß der Reigen unserer sonst gelungenen diesjährigen Karnevalsveranstaltungen mit einem Mißton geschlossen hat, für den Du mich und die Meinen bei ruhiger Beurtheilung aber unmöglich verantwortlich machen kannst.
Mit Gruß Deine Freundin 
Pauline Karg. 

*  *  *

Werthe Freundin! 0 Seit ich nothgedrungenermaßen in Folge meiner freiwilligen Verzichtleistung meinen Jour fixe aufgegeben habe, und seit mit dem Erlöschen des Faschings auch die gesellschaftlichen Vergnügungen ein Ende genommen haben, lebe ich ein ziemlich trübseliges, von Grillen und Reuegedanken verfolgtes Leben. Es ist wahr, der Subskriptionsball, die Erfüllung eines Wunschtraumes, der mich seit meinen Backfischjahren von Karneval zu Karneval verfolgt hat, steht in dem Buche meiner Lebenserinnerungen mit flammenden Zügen eingetragen, aber – es ruht wohl auf dem Grunde jedes Freudenbechers ein trüber Bodensatz?

Ich möchte Dich zunächst vor dem Schneider Bohlke warnen, der seine Sache versteht, aber Rechnungen zu machen weiß, die einfach unverschämt sind; – ich wage es gar nicht, es Jemandem zu sagen, was er mir für das Kleid angerechnet hat. Dafür kann ich eine ganze Familie anziehen! Karl darf die Wahrheit nicht erfahren, er ist ohnehin nicht gut auf den Subskriptionsball zu sprechen, da er sich im Wagen während der anderthalbstündigen Auffahrt einen fürchterlichen Schnupfen geholt hat, der fast dauerhafter ist als meine poetischen Erinnerungen an diesen Abend.

Am meisten bedrückt mich meine finanzielle Lage, die ich durch gewisse, wie ich mir einrede, harmlose Kniffe unablässig zu bessern bestrebt bin, denn wenn ich mich auch darein finde, meinen Jour fixe aufzugeben, so ist doch der Gedanke, daß wir, anstatt nach dem schönen und so theuren Gastein, nach dem billigeren K. reisen sollen, schrecklich. Ich spare hauptsächlich beim Essen; Du bist doch auch praktisch, weißt Du keine billig herzustellenden Gerichte, die nach etwas aussehen? Da ich die Cigarren aus der Wirthschaftskasse zu bestreiten habe, bin ich auf den Einfall gekommen, täglich, ohne daß Karl etwas davon merkt, ein paar Cigarren aus seiner Kiste herauszueskamotiren; wenn ich hundert habe, lege ich sie in ein altes Kistchen und schreibe sie ihm auf die Rechnung. Man hilft sich eben, wie man kann.

Die Sache mit dem Fächer, dessen Herkunft ich nicht errieth, hat sich auch aufgeklärt – leider habe ich mich geirrt, wenn ich meinem Schwager eine solche Galanterie zumuthete – der schöne Fächer ist „falsch abgegeben worden“, er gehört der Frau Professor, die drei Treppen wohnt. Da ich ihn als mir gehörig angesehen, habe ich das Vergnügen, ihn zu bezahlen. Natürlich mußte sie sich meinen Fächer in dem theuersten Laden kaufen. Erwähne Karl gegenüber nichts davon, er kennt den Zusammenhang nicht, ich habe seit diesem Karneval nichts als Geheimnisse vor ihm, aber ich will die Fastenzeit benutzen, Buße zu thun. Mit der körperlichen Kasteiung haben wir angefangen. Weißt Du, daß mein Taillenumfang seither um drei Centimeter abgenommen hat?

Adieu, ich muß nach der Küche, ich habe ein neues billigeres Mädchen, das vom Kochen nichts versteht, das heißt noch weniger als Deine in Arbeit und Entbehrungen die Ruhe des Gewissens suchende Aurelie. 


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