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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Bruder Alex“. Ueber diese beiden Breslauer Volksfiguren erzählt man verschiedene Anekdoten. Die Fetzenpopel, Fräulein Johannel oder Fröla Johanndel genannt, soll eine alte Jungfer adliger Abkunft gewesen sein, die wohl in Folge einer Geistesschwäche stets in der sonderbaren Tracht erschien. Ihre Beerdigung fand unter einer außerordentlichen Betheiligung statt. Schon zu ihren Lebzeiten wurde ihr Bildniß durch Holzfiguren verewigt, ja sogar auf Pfefferkuchen aufgedrückt.

Die meisten der Wahrzeichen dienen dem Humor, der in diesen Räumen naturgemäß vorherrscht. So z. B. die hölzerne Hand mit Messer und Gabel, die als Klingelzug benutzt wurde und eine Anspielung aufs „Aufschneiden“ bildet. Ferner eine Wanduhr mit dem Fuchsschwanz, ein Vexirstück, wie solche bei unseren Vorfahren sehr beliebt waren. Versucht man diese Uhr aufzuziehen, so springt hinter dem Zifferblatt ein Fuchsschwanz hervor und schlägt den Aufziehenden ins Gesicht. Gleichzeitig wird eine Klingel in Bewegung gesetzt, welche einen dienstbaren Geist herbeilockt, der ein Tellerchen mit folgenden Versen präsentirt:

„Nun schellt das Glöcklein wie bewußt,
Wie vor, in unserm Keller.
Ein jeder leget uns zur Lust
Hier etwas auf den Teller.

Königliches Breslauisches
     Stadt-Keller-Amt,
Renovirt Anno 1722“

Eulenspiegel’s Denkspruch:

„Wer Weiss
Ob's War Ist“

befindet sich ebenfalls auf einer der Tafeln. Darüber hängt ein Bild, eine Vollkugel darauf, welche ein Reiter gar hoffärtig mit dem Degen durchrennen will, während auf der andern Seite ein auf seinen Stab sich stützender, gebückter Wanderer gar demüthig einherschreitet. Das Bild wird durch die Unterschrift wie folgt erklärt:

Unter dem Wanderer lesen wir:

„So wollt es mir nicht glücken,
Wollt ich durch, mußt ich mich bücken,“

und unter dem Reiter:

„So muß man durch die Welt.“

Diese Beispiele dürften genügen, um dem Leser darzuthun, daß im Schweidnitzer Keller ein Stücklein der Sittengeschichte unserer Vorfahren aufbewahrt wird, welche diesen Räumen einen besonderen Reiz verleiht. Kein Wunder also, daß der Keller über Mangel an Gästen niemals zu klagen braucht, daß nicht nur sein Hauptraum, der „Fürstenkeller“, sondern auch alle übrigen Gemächer, denen der Volkswitz besondere Namen beigelegt hat, oft mit Zechern vollgepfropft sind.

„Aber achl“ heißt es im Liede vom „Schweidnitzer Keller“ – „Welch Ueberwinden, – Im Gewühle – Hier ein Plätzchen noch zu finden! – ‚Bauernbucht‘ vollgepfropft, – ‚Schwindlersaal‘ vollgestopft, – Auch die ‚Musikerstube‘ voll, – Das ist toll!“

Typen und Wahrzeichen aus dem Schweidnitzer Keller zu Breslau.
Originalzeichnung von Fritz Bergen.

Immer ging es hier freilich nicht so lebhaft zu. Der Keller hatte auch die Zeit eines bedenklichen Verfalls, bis ihn am 18. Juli 1821 der neue Pächter August Friebe restauriren ließ und dank seiner redlichen Umsicht, wie es im Volksmunde hieß, „zu einer Goldgrube“ gestaltete. Im Jahre 1835 hatte er den Keller auf fünfzig Jahr für einen jährlichen Zins von 400 Thalern gepachtet.

Nach dem am 11. Mai 1861 erfolgten Tode Friebe’s ging der Keller auf seinen Sohn, den späteren Stadtrath Adolf Friebe, über, der aber ebenfalls noch vor Ablauf der Pacht (1881) starb. Adolf Friebe’s Schwester, welche mit dem Kaufmann August Agath verheirathet ist, trat mit dem Erbe der großartigen Friebe’schen Etablissements, Bierbrauerei etc. nunmehr auch in die Fortsetzung der Pacht des Schweidnitzer Kellers ein. Im Jahre 1884 richteten die Friebe’schen Erben, weil mit Ende December 1885 die Pacht ablief, an den Magistrat ein Gesuch um Uebernahme der Pacht auf eine fernere Periode von 18 Jahren und boten freiwillig eine Summe von 45000 Mark für das Jahr, falls kein öffentlicher Bietungstermin ausgeschrieben würde. Mit einer unbedeutenden Stimmenmehrheit lehnte die Stadtverordneten-Versammlung diesen Antrag ab. In Folge dessen wurde der Verpachtstermin auf den 15. September 1884 ausgeschrieben, auf welchem die Firma A. Friebe das Meistgebot von 43300 Mark für das Jahr abgab und den Zuschlag auf weitere 18 Jahre erhielt.

Selbst in der neuen modernen Aera unter Friebe’s Leitung hatte der Schweidnitzer Keller mehrere originelle Typen unter seinen Gästen aufzuweisen. Die harmlosen Menschen, deren einige unser Zeichner in sein Gruppenbild aufgenommen hat, erwecken für weitere Kreise nur geringes Interesse. Den alten Besuchern des Kellers dürfte jedoch eine kurze Erwähnung derselben nicht unwillkommen sein.

Ein ständiger Gast war hier vor Jahren Dr. Nagel, geraume Zeit hindurch eines der populärsten Breslauer Originale. Er war Mediciner, hatte den Russischen Feldzug mitgemacht und besaß seit 1815 eine ausgedehnte ärztliche Praxis. Eine Aquarellskizze von Arigoni aus dem Jahre 1819 zeigt uns Nagel in Frack, Stulpenstiefeln und Cylinderhut mit Kokarde. In der einen Hand trägt er einen Hering, in der anderen einen Krug. Er machte nämlich seine Einkäufe selbst. Häufig begegnete man ihm, mit allerhand Waaren in den Händen und einem Talglicht in dem Knopfloch. In seiner Behausung konnte man ihn auf einer Fußbank sitzend, umgeben von Ziegen, Katzen und Meerschweinchen, „studiren“ sehen. Der Bedauernswerthe beschloß seine Tage im Irrenhause.

Das „Ellenmalchen“ war der Spitzname einer Verkäuferin, welche als Kind von 11 Jahren mit Schwefelfäden hausiren gehen mußte und im Jahre 1874, nachdem sie mit der Zeit ihren Handelskram bedeutend erweitert hatte, das fünfzigjährige Jubiläum ihrer Geschäftsthätigkeit im Schweidnitzer Keller feierte. Einundsechzig Jahre setzte sie in diesen Räumen ihren Handel fort, bis sie in hohem Alter starb. Seit Einführung der neuen Maß- und Gewichtsordnung wurde ihr auch der Name „Metermalchen“ beigelegt. Sie war, wie viele Stammgäste behaupteten, der lebende Beweis für die „gesunde Luft“ des Schweidnitzer Kellers.

Daß Breslaus Musensöhne in dem Keller niemals fehlen, braucht kaum erwähnt zu werden. In ihrem Kreise pflegte auch hin und wieder, mit Jubel begrüßt, der liebenswürdige schlesische Dichter Karl von Holtei zu erscheinen. Er sang und zechte dann, ein Fröhlicher unter Fröhlichen, und es kam ihm nicht darauf an, durch den alten Kellner Wolff mehrere Lagen Bier auffahren zu lassen.

So wechselte und wechseln mit den Geschlechtern auch die Gäste in den Räumen unter dem alten Rathhause zu Breslau. Aber trotz aller Umwandlungen der Neuzeit, trotz der veränderten Sitten blieb der Schweidnitzer Keller bis auf unsere Zeit ein Brennpunkt schlesischer Geselligkeit und unverwüstlicher Gemüthlichkeit, und wird es sicher noch lange Zeit bleiben. Emil König.     


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_284.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2024)