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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Am Vorabende des letzten Karnevalstages klopfte es hart an Romeos Thür. Felicita erhob die Augen langsam zu dem hastig Eintretenden. Es war Antonino. Mit verschränkten Armen hatte sich der junge Mann vor Romeo hingestellt.

„Du hier?“ sprach der Tischlermeister; „die Gendarmen stellen Dir nach …“

Ein scharfes, unheimlich klingendes Lachen unterbrach ihn.

„Kümmere Dich nicht um mich, Romeo. Um mich handelt es sich auch nicht. Ahnst Du nicht, weshalb ich vor Dich trete?“

Romeo schüttelte verneinend und fragend den Kopf. Felicita hatte sich langsam von ihrem Stuhle erhoben; ihr Auge ruhte düster funkelnd auf dem Jüngling.

Antonino trat näher auf Romeo hin.

„Alle Freunde, die ganze Stadt spricht nur von diesem Einen. Seit drei Tagen, Romeo, warte ich, daß Du mich rufest, daß Du mir sagest: ‚In unserer Ehre sind wir beide getroffen‘ – und daß ich von Dir erfahre, wer von uns beiden der Rächer unserer Ehre sein werde – der Vater – oder der Bräutigam.“

Der Bräutigam? – Das Wort war gefallen. – Felicita trat einen Schritt vor.

„Wessen Bräutigam willst Du sein?“ sprach sie mit stolz erhobenem Haupte; „mein Vater hat nur eine Tochter – und die ist nicht Antoninos Braut.“

Wie ein entfesselter Sturm tobte es über Antoninos Lippen.

„Bist Du meine Braut nicht – wessen Braut wärest Du denn? So sprich ihn doch aus, den Namen, der in Deinem Herzen schlummert, den ich aus Deinen Augen lese, – so habe den Muth, mir ins Gesicht zu sagen, daß Du jenen Schweizer liebst!“

Ihn liebst! – Der Gedanke, den sie so lang ein schmerzlichem Ringen niedergekämpft hatte, hier erstand er plötzlich vor ihrer Seele wieder. Ihre Liebe hatte sie dem Vater geopfert – und unter den höhnenden Worten dieses Mannes schlug sie in hellen Flammen wieder empor.

„Ja, ich liebe ihn!“ rief sie, dem Jüngling einen wilden Blick zuwerfend, „aber was geht das Dich an?“

„Was es mich angeht? Du fragst es? Sprich das Wort nicht zum zweiten Male aus! Du bist meine Braut! – Schüttle nicht den Kopf! Unsere Väter haben unsere Namen vereint, – und sollte ich Dich auch morgen als meiner nicht mehr würdig von mir stoßen …“

„Ich habe nichts gemein mit Dir. Geh!“

Wie eine wilde Katze, die sich zum Sprunge zusammenkrümmt, mit geballten Fäusten und zusammengebissenen Zähnen, stand Antonino vor dem in höchster Erregung ihm die Thür weisenden Mädchen. Pfeifend kam es zwischen seinen zusammengepreßten Lippen hervor:

„Du erfrechst Dich, mir zu gebieten? … Du, ehrlose Dirne, – mir, der ich hier zu befehlen habe!“

Aber mit wuchtiger Hand faßte Romeo den Arm des Wüthenden.

„Du wirst schweigen!“ rief er, indem er ihn mit gewaltiger Kraft zur Thür hinriß. „Wer ist Herr in diesem Hause? Wer hat Dir das Recht gegeben, hier, in meinem Hause, mich und meine Tochter zu beschimpfen? Seit wann erdreistet sich die Jugend, die Väter nicht mehr zu ehren? … Schweig!“ donnerte er dem Jüngling ins Wort, „schweig’ und höre! Niemand hat meiner Tochter Ehre angetastet. Niemand – als Du, Elender! – Jener Schweizer hat sie vom Tode errettet, – was willst Du mit ihm?“

„Vom Tode errettet!“ rief jetzt mit schrillem Lachen der Jüngling, indem er sich aus Romeos Faust losriß, – „ja! Und welchen Lohn die Gerettete dem Retter zahlte, das weiß man! – Dem Retter? – haha! Dem Geliebten der Gräfin von Cellamare! – Und wenn der Vater die Ehre seines Hauses nicht zu wahren versteht – meine Ehre werde ich schon rächen.“

Die Thür fiel hinter dem Rasenden ins Schloß.

Vor ihrem Vater stand das leichenblasse Mädchen.

„Was sprach Antonino? Der Geliebte der Gräfin von Cellamare? Was ist das? Eine Lüge nur kann es sein, denn mich allein liebt Eckart von Hattwyl.“

Romeo suchte sie zu beruhigen. Er erschrak vor der Gewalt, mit welcher ihre Liebe so plötzlich wieder hervorbrach. Eine Lüge war es, eine müßige Erfindung; – sanft schmeichelnd legte er die Hand auf ihr Haupt, indem er sagte:

„Warum beschäftigt sich Dein Herz noch mit jenen Bildern? Felicita! Laß die Vergangenheit in ihrem Grabe ruhen. Morgen schon wird jener Offizier dies Land verlassen haben …“

Bestürzt fuhr das Mädchen auf.

„Morgen? Was sagst Du, Vater?“

„Ich habe mein Versprechen nicht vergessen und morgen löse ich’s. Auf dem Kriegsschiff, das morgen diesen Hafen anläuft, wird er nach Neapel fahren, – und bis nach Neapel reicht Antoninos Rache nicht.“

Sie schaute ihn sprachlos, leichenblaß an.

Fort? Nach Neapel? Auf Nimmerwiedersehen? – Nein, nein! es war nicht möglich! – Und zum ewigen Abschied? Hatte sie dies ihrem Vater gelobt? – Nein, nein! – Sie hatte versprochen, was sie nicht halten konnte, was mächtiger war als ihr Wille, – mächtiger als die Liebe zum Vater! – Welche Wandlung war in ihr vorgegangen! Seit hier in diesem Hause es einer gewagt hatte, ihr zu gebieten, ihr zu drohen, – und seit der Name jener andern Frau an ihr Ohr geschlagen hatte, da war es, als ob es Tag geworden wäre in ihrem Herzen. Ihrer Liebe wollte jener gebieten? Mit welchem Recht? – Freiwillig konnte sie entsagen, für ihren Vater hatte sie’s gewollt; aber gezwungen? – Eine Empörung bemächtigte sich ihrer Seele, und verflogen war ihre Ergebung! Wer konnte noch von Entsagen sprechen, heute, wo man den, den sie liebte, beschuldigte, der Geliebte einer andern zu sein? – Ja, sie liebte ihn, sie mußte ihn wiedersehen! Sie mußte ihm zurufen: „Liebst Du mich, oder liebst Du eine andere?“ – und, wenn es eine Lüge war –

Sie sank auf ihren Stuhl zurück.

Sie mußte es wissen. Sie mußte es aus seinem Munde hören, daß jenes Wort eine Lüge sei, – daß sie allein seine Liebe besitze!

Gedankenlos hörte sie die Stimme ihres Vaters, der tröstende, lindernde Worte zu ihr sprach – den Sinn der Worte verstand sie nicht mehr. Denn getröstet wollte sie nicht mehr sein; nur aus seinem Munde konnte Trost sich in ihr Herz ergießen.

Aus seinem Munde? – Lag nicht das Häuschen, wo Nina bei den Verwandten weilte, am Strande, der Spitze der Landzunge gegenüber, auf welcher sich die Citadelle erhob? Waren die Schiffer dort nicht ihre Freunde? Würde Nina selber nicht eine Botschaft bis in die Citadelle tragen? Und würde der Vater ihr nicht erlauben, die treue Dienerin dort im Fischerhäuschen zu besuchen? Und wenn die Nacht sich dann aufs Meer herniedersenkte – wer würde das Boot bemerken, das an der kleinen steinernen Treppe landen würde? Wer würde durch die Dunkelheit bemerken, daß einer jene Stufen herauf käme zu ihr, der Harrenden? – mit dämonischer Gewalt fuhren diese Gedanken durch ihr Herz.


18.

Der letzte Karnevalsabend war angebrochen. Als Robert von Büren bei dem Hauptmann von Hattwyl eintrat, fand er seinen Freund in schwere Gedanken versunken. In der Hand hielt Eckart den Brief der Gräfin. Er reichte ihn, ohne ein Wort zu sagen, dem Major hin.

„Was hast Du beschlossen?“ fragte dieser, nachdem er das Schreiben durchgelesen.

„Was soll ich bei jenem Feste?“ antwortete Eckart. „Mein Herz ist in Trauer gehüllt; das Liebste, was ich hatte, habe ich verloren. Wer eine Todte beweint, der paßt nicht in den Faschingsjubel. Der Unglückliche gehört in die Einsamkeit. Entschuldige mich bei der Gräfin; sage ihr, daß ich ihr danke – von Neapel aus werde ich schreiben. Jetzt könnt’ ich’s nicht!“

Schweigend drückte ihm der Freund die Hand.

Die Nacht senkte sich auf die Stadt herab. Drüben über dem Meeresarm erleuchteten sich die hohen Fenster des Palazzos von Cellamare. Die Boote, welche die Offiziere hinüber tragen sollten, standen bereit. Bewaffnete Mannschaften begleiteten die zum Feste Geladenen.

Es schien mehr eine kriegerische Expedition als eine lustige Ballfahrt zu sein. Eckart schaute seinen Kameraden von der Mauerzinne nach. Sein Blick schwebte von den in den Dunkelheit entschwindenden Booten zu den fernen, in der Nacht schlummernden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 711. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_711.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)