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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

stehen. Hier war es, wo der alte Blücher einst am 26. August 1813 mit seinen Preußen und Russen die Franzosen in die vom Regen hoch angeschwollene Wüthende Neiße und Katzbach trieb.

Eine hübsche Sage aber erzählt, vor einigen Menschenaltern habe auf der Wiese eine noch weit gewaltigere Eiche gestanden, die „Sieben Kälber-Eiche“. Und zwar habe sie ihren Namen darum getragen, weil einst in Kriegszeiten eine Frau mit sieben Kälbern in dem hohlen Stamme Zuflucht gefunden habe.

Ein eigen Haus. (Mit Abbildungen.) Zu immer dichteren Massen drängt die Industrie die Menschen zusammen auf verhältnißmäßig engen Raum. In einem drei-, vier- oder fünfstöckigen Häuserkolosse mit ebenso hohen Neben- und Hintergebäuden ohne Luft und Licht wohnen oft so viel Menschen als in einem ganzen Dorfe. Und die mangelhaftesten und ungesundesten unter den Wohnungen in diesen Miethskasernen nehmen oft diejenigen ein, die schon den Tag in stauberfüllten Arbeitssälen zubringen oder in enger dunkler Amtsstube ihren kärglichen Lohn erwerben müssen, Fabrikarbeiter und untergeordnete Beamte.

Menschenfreundliche Großindustrielle haben bereits diese Wohnungsnoth für ihre Arbeiter zu milden, die Bau- und Wohlfahrtspolizei hat durch geeignete Vorschriften die schlimmsten Uebelstände abzustellen gesucht. Genossenschaften aus den Kreisen der Arbeiter oder der kleinen Beamten selbst haben sich gebildet, um durch vereinte

Haus für eine Familie.

Kraft zu ermöglichen, was dem einzelnen auszuführen nicht vergönnt war: die Beschaffung eines eigenen bescheidenen, Heims, einer ausreichenden gesunden Wohnung.

Man unterschätze nicht den Werth des eigenen Hauses! Er ist nicht bloß äußerlicher, gesundheitlicher und materieller Natur, er greift auch hinüber in das Gebiet des Sittlichen.

Wohl ist es bequemer, seine Ersparnisse in Sparkassen, zinstragenden Papieren oder Hypotheken anzulegen, wohl bedeutet das eigene Haus das Ausgeben eines Theils jener Vortheile, welche das Freizügigkeitsgesetz den Arbeiter sichern sollte, wohl kann der kleine Beamte eine Besserung seiner Stellung oft nur mit einem Wechsel des Wohnorts erkaufen.

Aber wie viel schöner, würdiger, erhebender ist es, in den eigenen Mauern zu wohnen! Wir wollen nicht reden von den Quälereien der Vermiether, von den Beschädigungen der Möbel durch fortgesetztes Umherziehen. Die ganze Freude am Dasein ist eine andere, reinere, wenn es im eigenen Grund und Boden eine feste Wurzel hat. Wie ganz anders fühlt sich der verwachsen mit dem Wohl und Wehe von Land und Staat, von Nachbarn und Mitbürgern, den nicht ein Hauch, ein Zufall, eine Laune hinwegführt und in irgend einem ändern Zufallswinkel zu ebenso unsicherem Verweilen niedersetzt! Wie ganz anders fühlt sich der zu Hause, der sich sagen darf: der Boden, der mich trägt, das Dach, das mich deckt, die Wände, die mich umgeben, sie sind mein, mein freies, wohlerworbenes Eigen! Welche stärkende, sittlichende Kraft strömt von solchen Gedanken aus! Wie viel herrlicher duften die Blumen vor dem eigenen Fenster!

Grundriß des Erdgeschosses.

Grundriß des Oberstockes.

Doch was soll’s mit den Lobpreisungen des eigenen Heims? Es kann nicht jeder Hausbesitzer sein! – So wird man uns entgegenhalten mit einem guten Schein von Recht. Und es ist wahr: alle werden das lockende Ziel nicht erreichen können. Aber mehr, viel mehr, als es heute noch der Fall ist. Bereits ist die Bewegung ans vielen Seiten im Gang, auch die „Gartenlaube“ hat schon wiederholt sich in den Dienst dieser wirklich guten Sache gestellt (vgl. beispielsweise Halbheft 18 des Jahrg. 1887), und sie begrüßt jeden weiteren Versuch, der in dieser Richtung gemacht wird, mit aufrichtiger Freude.

Ein solcher ist neuerdings wieder in die Oeffentlichkeit getreten. Der Baumeister Georg Aster hat eine Gruppe von „Entwürfen zum Bau billiger Häuser für Arbeiter und kleine Familien“ zusammengestellt und herausgegeben (Gera, Verlag von Karl Bauch); beginnend bei der einfachsten Gestalt – das Häuschen, welches unsere Abbildung darstellt, kostet mit seinen 40 m² Baufläche nach Afters Voranschlag 2000 Mark, ausschließlich Bauplatz und Garten – führt es die verschiedenen Formen vor, in welchen billige dabei aber gesunde und wohnliche Häuschen für eine oder auch zwei oder vier Familien hergestellt werden können.

Wie wir sehen, enthält schon die einfachste Anlage alles, was bei bescheidenen Ansprüchen gefordert werden kann, eine große Wohnstube von 15 m² in Flächenraum und eine Küche im Erdgeschoß, einen Vorrathsraum unter der Treppe, zwei Kammern und einen Vorraum im Oberstock. Besonderen Werth legt Aster auf die Anlage der Feuerung. Gesundheitsrücksichten verlangen die Trennung von Küche und Wohnstube; andererseits aber kann man einer schmalen Haushaltungskasse auch nicht zumuthen, daß sie im Winter für zwei Feuerungen auskomme, für die Heizung der Wohnstube und das Kochfeuer in der Küche: deshalb ist die Feuerung so angebracht, daß das Herdfeuer zugleich die Wohnstube heizt. Damit aber dann im Sommer die natürliche Hitze der letzteren nicht noch durch das Herdfeuer gesteigert werde, ist eine Einrichtung vorgesehen, welche es ermöglicht, den Hitzestrom der Küche vollständig von der Stube abzuschließen.

Möge das verdienstliche Werkchen, das bereits die dritte Auslage erlebt hat, vielen, denen an der Beschaffung eines eigenen bescheidenen Heims gelegen ist, ein sicherer Führer sein, möge es mithelfen, der sogenannten Wohnungsnoth der ärmeren Klassen zu steuern, die Liebe zum eigenen Herd, die Freude an den häuslichen Genüssen und dem stillen Glück der Familie zu erhöhen!

In der Brautzeit. (Zu dem Bilde S. 552 und 553.) Wie viel Glück in dem kleinen Raum eines Zimmers! Wie viel ist gegenwärtig und wie viel winkt in nächster und in fernerer Zukunft! In selige Gedanken versunken näht die Braut an ihrer Aussteuer, neben ihr über den Stuhl gebreitet prangt schon das beinahe vollendete Hochzeitskleid; in Schrank und Koffer aber ruhen reiche Schätze an allerlei Linnenzeug, darüber sie einst als waltende Hausfrau gebieten soll im eigenen Heim. Über den rosigen Bildern ihrer Phantasie, über dem emsigen Wert ihrer kunstfertigen Finger und über dem Klappern der Nähmaschine, an der die alte Vera, des Hauses unentbehrlichstes Rüstzeug, der herangeblühten Tochter die Brautausstattung näht, wie sie einst vor Jahren dem Kinde sein erstes Kleidchen gefertigt hatte – über all dem hat das liebliche Mädchen den leisen Schritt überhört, der hinter ihr über den Teppich gleitet.

Ihre Gedanken, die den Geliebten fern in der Residenz als Arzt von einem Krankenbette zum andern eilend, überall Trost und Hilfe spendend wähnen, sie sind noch von keiner Ahnung durchzuckt, daß er ihr so nahe sei, daß nur eine Sekunde sie noch von dem seligen Augenblicke trennt, wo sie von zwei kräftigen Armen sich fest umschlungen und Wangen und Mund von ungezählten Küssen bedeckt fühlen wird. Auch die Mutter, die dem jüngeren Schwesterchen Anleitung in den Künsten der Nähnadel giebt, damit es auch fein Theil zum großen Aussteuerwerke beitragen könne, hat noch nichts von dem unerwarteten Ankömmling bemerkt; wohl aber die alte Vera und der Bruder, dessen Aufmerksamkeit nicht so streng bei seinem Schulbuche war, daß er den Schwager in spe nicht sofort unter der Thür entdeckt hätte. Kaum zähmt er den lachlustigen Mund, und die Gefahr ist groß, daß er noch im letzten Augenblick durch ein vorzeitiges Kichern den Ueberfall vereitle – was übrigens dem Glücke dieser anmuthigen Familiengruppe auch keinen Eintrag thun würde.

Die elektrische Straßenbahn in Bremen. (Mit Abbildung S. 565.) Im Geburtslande der elektrischen Bahnen, im deutschen Vaterlande,[1] scheint man nunmehr der Anlage derartiger Bahnen ernstlich näher treten zu wollen. Aus Dresden, Halle, Berlin und verschiedenen anderen Orten wird gemeldet, daß der Ersatz der Pferde beim Straßenbahnbetriebe durch elektrische Motoren geplant sei und daß die Vorarbeiten dazu eingeleitet seien. Etwas langsam und bedächtig darf’s schon gehen, das ist bei uns so Brauch! Die unternehmenden Amerikaner haben die Erfindung längst praktisch verwerthet, und von den in den Vereinigten Staaten bestehenden Straßenbahnen ist bereits mehr als ein Drittel für elektrischen Betrieb eingerichtet, so daß zur Zeit auf der stattlichen Länge von 1560 Kilometern (gleich der Entfernung Berlin-Moskau) über 1200 elektrische Motorwagen verkehren. In der Stadt Boston allein, wo die Straßenbahnen jährlich 110 Millionen Fahrgäste befördern, wird das ganze 480 Kilometer lange Straßenbahnnetz für den elektrischen Betrieb eingerichtet und am 1. Juli d. J. verkehrten bereits über 200 elektrische Wagen auf demselben.

Es ist nun naheliegend, daß die vielfachen Erfahrungen, welche man in Amerika mit dem elektrischen Bahnbetriebe gemacht hat, bei unsern Neuanlagen verwerthet werden. So hat denn auch die Bremer Pferdebahngesellschaft bei der zur Erleichterung des Verkehres mit der „Nordwestdeutschen Gewerbe- und Industrieausstellung“ dienenden elektrischen Bahn das System der amerikanischen Firma Thomson-Houston gewählt. Das Wesen der elektrischen Bahnen wird ja unsern Lesern wohl bekannt sein. Es besteht darin, daß an einer Centralstelle mittels irgend einer Kraftquelle, sei es Dampfkraft oder Wasserkraft, ein Stromerzeuger, auch „Elektromotor“ oder „Dynamo“ genannt, in Bewegung gesetzt wird, welcher die mechanische Kraft in elektrische Kraft umwandelt. Letztere läßt sich nun mit Leichtigkeit durch einen Leitungsdraht weiter leiten. Mit dem Leitungsdraht in Verbindung steht eine Reihe ganz ähnlicher, aber kleiner Elektromotoren, welche die umgekehrte Ausgabe haben, den elektrischen Strom wieder in mechanische Kraft zu verwandeln, die dann auf die Achse des Wagens wirkt und diese in Umdrehung versetzt.

Die Maschinenstation der Bremer Anlage befindet sich auf dem Ausstellungsplatze; sie enthält eine vollständige Dampfmaschinenanlage für 150 Pferdekräfte, mit welcher der Stromerzeuger betrieben wird. Demnächst soll ein zweiter Stromerzeuger von derselben Leistungsfähigkeit zur Aufstellung kommen.

Der vom Stromerzeuger gelieferte Strom wird mittels eines Kupferdrahtes von reichlich 8 Millimetern Durchmesser über die Bahn geleitet. Wie unsere Abbildung zeigt, sind zu beiden Seiten der Bahn eiserne Pfosten ausgestellt, welche durch quer zur Bahnrichtung sich erstreckende Stahldrähte verbunden sind. Die Querdrähte dienen nur als Träger für den kupfernen Leitungsdraht, welcher mittels einer die Elektricität nicht leitenden Verbindung an denselben aufgehängt wird. Auf der Decke des Wagens ist eine Vorrichtung angebracht, welche den elektrischen Strom zu


  1. Die erste leistungsfähige electrische Bahn wurde 1879 auf der Gewerbeausstellung zu Berlin von Siemens und Halske vorgeführt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_578.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)