Seite:Die Gartenlaube (1890) 781.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


für niemand sonst? Und neulich sprach er gar von Fortziehen, so ganz beiläufig nur, als wär’ es das selbstverständlichste Ding von der Welt … ich glaube, mein Herzschlag setzte aus vor Schreck! Ich bin ja hilflos, bin gelähmt, kann nicht fort von hier! Alles, alles könnte ich ertragen – nur die Trennung nicht! Wie grausam wäre das! Er müßte es doch bedenken, daß mir das Herz in Stücke gehen müßte – das Herz, an dem ich mein Goldkind hielt, als es seinen ersten Schrei that! Aber freilich, was fragt er nach mir!“ –

Um Theklas Lippen zuckte es bitter, und mit finstern Augen starrte sie in den rasch sich verdunkelnden Garten hinaus.

„Wissen möchte ich nur,“ dachte sie weiter, „ob er wohl unserem Vater gefiele, ob der mit Annies Wahl zufrieden wäre! Freilich, in den Weg hätte er ihr nichts gelegt, sie hätte volle Freiheit behalten! Aber ich denke immer, nach seinem Herzen wäre dieser Mann nicht gewesen. Oft starrt er so weltvergessen vor sich nieder, als sähe er etwas Schreckliches – und sieht er Annie, wenn er sich unbeobachtet glaubt, nicht zuweilen an, als wollte er ihr etwas sagen – etwas eingestehen – und fände nicht den Muth dazu? – Das aber mag Einbildung von mir sein, weil – weil – ich ihn nun einmal nicht mag! Ja, ja, das ist die Wahrheit, und die gesteh’ dir nur ganz ehrlich, meine Seele! So traurig es ist – für so geradezu unmöglich ich es früher gehalten hätte: ich mag den Verlobten meiner Annie nicht – durchaus nicht! … Und da fängt es nun in allem Ernst an zu regnen, und er bringt sie mir nicht herein, läßt sie draußen im Regen stehen! Sie standen doch eben noch dort – jetzt sind sie nicht mehr zu sehen; wo ist er mit ihr geblieben? Das ist doch unverantwortlich!“

Und Thekla ergriff den rechts neben ihr hängenden Klingelzug und läutete Sturm.

Agathe, die athemlos, mit schiefgerückter Haube, aus ihrem Stübchen herbeieilte, und Lamprecht mit seiner Schürze voll Grünzeug und der langen Schere erschienen gleichzeitig in dem Gartenzimmer.

„Lamprecht, wo in aller Welt bleibt das Brautpaar? Es regnet ja, was es kann!“ rief Thekla ihm zu.

„Ha, Fräulein Thea, das kommt noch ganz anders – es wird gleich platzregnen, und ’n Stück drei, vier Gewitter stehen parat am Himmel, ich hab’ sie gezählt, immer eins hinter’m andern! Ich werd’ man hier die Glasthür hübsch zumachen, sonst kriegen wir den ganzen Himmelssegen auf das Parkett – und den Rollstuhl schieben wir auch beiseite!“

„Aber Alter, nun red’ nicht!“ rief seine Frau ärgerlich. „Unser Vögelchen! So red’ doch ’mal! Das kann doch nicht im Guß draußen bleiben!“

„Ja, was das Vögelchen ist“ – Lamprecht schloß sorgsam die Thür und rollte Theklas Sessel vor das rechtsgelegene Fenster – „hab’ ich ihm nicht gesagt, daß es regnete, – und konnte es das nicht auch sehr gut fühlen, wenn es bloß gewollt hätte? Aber du liebe Zeit! Läßt sich Narzissen in die Haare stecken und sieht mich an, ganz abwesend und verschmachtet, und sagt ‚ja, ja‘ – und er sagt nichts – und sie retiriren sich beide in den Nußgang hinein. Die“ – hier that Lamprecht so, als sei er der erste Verkündiger einer Thatsache, auf die vor ihm noch nie ein Mensch gekommen war – „die sind verliebt – das sag’ ich! – Und da kommen sie gelaufen, was sie nur immer können!“

Er riß die Glasthür sperrangelweit auf und komplimentirte das Brautpaar mit sehr vorwurfsvollen Blicken herein.

Annie lachte ausgelassen wie ein Kind und schüttelte das Köpfchen, daß die hellen Tropfen aus ihrem Haar umhersprühten, und rüttelte ihr Kleid zurecht, warf Thekla den feuchten Fliederzweig in den Schoß und nestelte ihren Rosenstrauß, der sich von ihrer Brust losgelöst hatte, von neuem fest. Delmont stand daneben und fühlte besorgt ihre Hände und Kleider an und sah mit zürnenden Augen auf die alte Agathe, die ihrem Bedauern sehr wortreich Ausdruck lieh und sich, als ehemalige Bonne, auch für berechtigt hielt, die Kleine wegen ihrer „Unvernunft“ ein wenig auszuschelten. Annie streichelte ihr die runzlige Wange und wollte ihr zur Versöhnung das Bildchen zeigen, welches ihr Bräutigam soeben im Garten von ihr gemacht hatte; aber Delmont sagte frostig: „Wozu? Solche Bildchen sind nur für Dich bestimmt, das weißt Du ja!“ und gekränkt verstummte die redselige Alte, faßte Lamprecht beim Arm und sagte halblaut: „Komm’ – wir sind hier zuviel. Die Zeit ist gewesen, wo wir hier mitreden durften und der selige Herr mich seine alte Freundin nannte!“ –

(Fortsetzung folgt.)



Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Großes Reinmachen.

Humoreske von Hans Arnold.

Ein Freund von mir, der sich – ob mit oder ohne Grund, bleibe dahingestellt! – für einen Pechvogel erster Güte zu halten geneigt ist, erzählte mir einmal, er arbeite im Hinblick auf eben dieses Pech ein neues philosophisches System aus, „die Philosophie des Selbstverständlichen“ mit dem Motto „natürlich!“

An Beispielen zu dieser Philosophie fehlt es nun freilich nicht, und jeder wird schon Zeiten – im besten Fall Tage gehabt haben, wo ihm alles quer ging, und wo von dem erfreulichen Augenblick an, als die gefüllte Kaffeetasse beim ersten Frühstück zutraulich in den Schoß ihres Besitzers hüpfte, bis zu dem nicht minder angenehmen Augenblick, wo derselbe Besitzer abends beim Schlafengehen mit dem Bett einbrach, er den ganzen Tag über geneigt war, alles Widerwärtige für selbstverständlich zu erachten und bei jedem neuen Mißgeschick höhnisch zu sagen: „natürlich!“

Ein solcher Tag pflegt mit Vorliebe dann anzubrechen, wenn große, wirthschaftliche Veranstaltungen und außergewöhnliche Vorkommnisse es gerade besonders wünschenswerth machen, daß sich alles glatt abwickelt.

Nie kocht die Köchin schlechter, als wenn der verwöhnte Freund des Hausherrn den bekannten „Löffel Suppe“ mitißt – nie sind die Kinder ungezogener, als wenn sich die einflußreiche Pathe einstellt, und nie ist mangelhafter Staub gewischt, als wenn die Anverwandte mit dem Falkenblick für derartige kleine Ungehörigkeiten ihr Haupt zur Thür hereinsteckt – natürlich!

Ein solcher fataler Tag drohte allem Anschein nach dem Hause des pensionirten Oberstlieutenants Solten anzubrechen. Das „große Reinmachen“, schon bei normalem Verlauf ein abgesagter Feind des häuslichen Friedens, war auf diesen Freitag angesetzt, der schon als „Freitag an sich“ in abergläubischen Gemüthern ein unangenehmes Vorgefühl erregte.

Der Hausherr hatte von dem Augenblick an, als seine Augen sich dem Licht des Tages öffneten, bereits jene Laune an den Tag gelegt, deren Wirkung auf die Umgebung sich am besten durch die Worte kennzeichnen läßt:

„Und des Donners Wolken hangen schwer herab auf Ilion.“

Ein Mann, der nichts mehr zu thun hat, ist ja leicht geneigt, sich Beschäftigung zu suchen, und wenn er einmal gar nichts anderes zu besorgen vorfindet, so wettert er eben auf Frau und Kinder – nur der gesunden Bewegung halber!

Mehrere Tage war der Gebieter des Hauses sehr nutzbringend untergebracht gewesen, und alle hatten die Wiege der kleinsten Tochter des Hauses gesegnet, da man diesem Möbel den erwähnten angenehmen Umstand verdankte. Diese Wiege erfreute sich nämlich eines hohen Gitters aus Eisenstäben, die soweit auseinander standen, daß ein mäßig beleibtes Kind beständig von der Sucht ergriffen werden mußte, zwischen diesen Stäben durchzukriechen;

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 781. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_781.jpg&oldid=- (Version vom 24.9.2022)