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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Der Vierseenplatz bei Boppard. (Zu dem Bilde S. 680 u. 681.) Es ist ein merkwürdiges Spiel der Natur, welches unser Bild dem Leser vor Augen führt. Wenn man von dem lieblichen Rheinstädtchen Boppard durch den sogenannten „Bopparder Hamm“ hinaufsteigt auf die Höhe der das Thal umsäumenden Berge, so kommt man an eine Stelle, welche man den „Vierseenplatz“ getauft hat. Und in der That, viermal erscheint der Rhein dem Blicke, jedesmal für das Auge rings umschlossen von Fels und Hügel, jedesmal einem See nicht übel vergleichbar. Aber auch sonst gehört die Aussicht von diesem Punkte zu den schönsten an dem schönen deutschen Strome. Tief unten zieht der riesige Salondampfer seinen Weg, zur Rechten schauen wir über das Dörfchen Filzen weg hinüber nach dem stattlichen Boppard. Ganz hinten, am obersten „See“ liegt Kamp, noch weiter stromaufwärts die Burgen Sternberg und Liebenstein, die „feindlichen Brüder“. Zur Linken aber taucht der Kirchthurm von Osterspay empor, darüber auf bewaldeter Höhe Schloß Liebeneck. Eine echte Landschaft vom Mittelrhein! Rebenhügel und Felsstürze, Wald und Wiese, Strom und Au, freundliche Städtchen, saubere Dörfer, schlanke Kirchen und altersgraue Ruinen, alles vereinigt, als wäre es von der Natur eigens gruppiert zu der Menschen Augenweide! Und damit der Stempel der modernen Zeit nicht fehle, zieht die Eisenbahn ihre stählernen Linien mitten durch das idyllische Bild. Auch sie gehört ja heute mit zu den stehenden Eigenschaften einer Rheinlandschaft!

Berthold Auerbachs Schriften. Es sind jetzt etwas über zehn Jahre her, seit Berthold Auerbach zu Cannes in Südfrankreich sein langes vielbewegtes, schaffens- und erfolgreiches Leben beschloß und seit er in seinem bescheidenen württembergischen Heimathdorf Nordstetten begraben wurde, in jenem Boden und unter jenen Menschen, die durch seine „Schwarzwälder Dorfgeschichten“ weit über die Grenzen der deutschen Heimath hinaus bekannt geworden sind. Schaut man heute aus der Entfernung zurück auf die so außerordentlich reiche schriftstellerische Thätigkeit Auerbachs und fragt sich: was bestimmt heute noch das litterarische Bild dieses Mannes, was hebt heute noch seinen Namen empor aus der Masse der zeitgenössischen Erscheinungen, so werden wir uns ohne langes Besinnen die Antwort geben: die „Schwarzwälder Dorfgeschichten“. Wer einmal den Zauber eines „Barfüßele“, die erschütternde Tragik eines „Diethelm von Buchenberg“, die köstliche Laune von „Brosi und Moni“ auf sich hat wirken lassen, der wird des Eindrucks nimmer vergessen und stets mit Liebe zu diesen Meisterwerken der Erzählerkunst zurückkehren, die einst ein ganzes Geschlecht begeisterten und fast in alle europäischen Sprachen übersetzt wurden.

Aber die „Schwarzwälder Dorfgeschichten“ sind doch nur der eine Gipfel von Auerbachs Schaffen. Den zweiten bilden ebenso unstreitig seine großen Romane, von denen wiederum „Auf der Höhe“ wohl der hervorragendste sein dürfte. Weniger allgemeine Geltung haben sich die späteren Veröffentlichungen Auerbachs auf diesem Gebiet errungen, obwohl auch sie, wie z. B. „Das Landhaus am Rhein“, zu den bedeutenderen Erzeugnissen der deutschen Romanlitteratur gehören.

Man darf es nach dem Gesagten als durchaus sachgemäß bezeichnen, wenn aus der Fülle der Auerbachschen Werke die „Schwarzwälder Dorfgeschichten“, die Romane „Auf der Höhe“ und „Das Landhaus am Rhein“ herausgegriffen und in einer eigenen neuen Volksausgabe dem Publikum näher gebracht werden. Eine solche beginnt soeben im Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung Nachfolger zu erscheinen. Sie umschließt die Werke, die Auerbachs Ruhm begründeten und die ihn frisch erhalten werden auch für die späteren Geschlechter.

Die Musikanten. (Zu dem Bilde S. 685.) Mitten im fröhlichsten Familienfest war man, unbekümmert um die große Welt, die jenseit der Alpen, in Deutschland, in grimmigem Religionskrieg zusammengestoßen war. Man hatte die Mahlzeit beendigt, und die heiterste Laune italienischen Wesens brach sich zwanglos Bahn. Die Frauen lachten über die Scherze der Männer, über ihre Schmeicheleien; die Männer kredenzten den perlenden Wein und stimmten auch wohl eine beliebte Arie zum Chorgesang an. Da stellten sich eben recht ein paar wandernde Musikanten auf der Straße vor dem Balkon auf und ließen ihre Lirum-Larumweisen ertönen. Sie waren ja nicht schön, diese Weisen; mit dem italienischen Dudelsack, mit der Drehleier und der einfachen Holzklarinette läßt sich kein Ohrenschmaus bereiten. Aber die Musik, auch in dieser einfachsten Art, übt doch einen gewissen Zauber aus auf die Gesellschaft im Hause. Sie hebt die Stimmung; die Frauen trinken lustig den armen Gesellen zu; das Kindchen setzt sich draußen auf die Steintreppe und betrachtet sich mit ernster Aufmerksamkeit die drei aufspielenden Männer. Ueber diese kommt denn auch etwas wie Künstlerstolz, daß sie so fröhlichen Anklang finden, und zugleich beschleicht ihr durstiges Gemüth die Ahnung eines reichen Geschenks und der stille Vorsatz, sich mit demselben einen lustigen Abend zu machen als echte freie Musikanten. S.     

Ein Jubiläum im Riesengebirge. Das schöne schlesische Gebirge, das Reich Rübezahls, hat kaum einen Anlaß, Jubiläen zu feiern; denn der alte Berggeist, der dort seit vielen tausend Jahren herrscht, kümmert sich nicht um die Zeitrechnung der Menschen. Und doch ist am 2. August hier ein fünfzigjähriges Jubiläum begangen worden: es galt einem kleinen Juwel des Gebirges, der Kirche Wang bei Brückenberg. Diese kleine norwegische Kirche hatte König Friedrich Wilhelm IV. aus warmem Kunstinteresse erworben; er bat seine mütterliche Freundin, die Gräfin Reden in Buchwald, sie möchte ihm die rechte Stelle angeben, wo er die Kirche aufbauen könne, und diese erwiderte, sie müsse im Angesicht von Erdmannsdorf, dem neuerbauten Schlosse des Königs, stehen, zum Gottesdienst für die Gebirgsdörfer oder Gebirgsbauden in der Nähe. Der König fand den Gedanken entzückend und auch den von der Gräfin bezeichneten Platz in der Nähe der Brotbaude angemessen, einen Punkt, der auch von dem Altan in Erdmannsdorf gesehen werden konnte. So wurde dort am 2. August 1842 das norwegische Kirchlein hingebaut, welches zu den eigenartigen Zierden des Gebirges gehört. Der Riesengebirgsverein ließ das Erinnerungsjahr nicht vorüberziehen, ohne die zahlreichen Freunde des Gebirges zu einem Gedenkfest einzuladen. Und man freute sich nicht nur des schöngeschmückten Kirchleins, man bewunderte nicht nur die kunstvollen Schnitzereien der Portale, die vor tausend Jahren von einem halbbarbarischen Volke gearbeitet worden waren – noch mehr zog die Blicke das Denkmal der Gräfin Reden auf sich, das Friedrich Wilhelm IV. seiner unvergeßlichen Freundin hatte errichten lassen, ein zierlicher marmorner Hallenbau, als Brunnenhäuschen gedacht; die hintere Wand, aus der die Quelle springt, ist in den Felsen eingefügt. Im Bogen an dieser Wand befindet sich ein auf Goldgrund gemalter Christuskopf, darunter das in karrarischem Marmor ausgeführte Reliefbild der Gräfin Reden mit einer vom König selbst verfaßten Inschrift, in welcher sich die ganze schwunghafte und fromme Denkweise des Monarchen spiegelt. Dies Denkmal erglänzte im herrlichsten Pflanzenschmuck. Der Jubiläumszug wandte sich dann den Bergen zu, wo es galt, eine festliche Taufe zu vollziehen. Der Hohestein, eine zerklüftete Felsgruppe aus Granit, ein Zwillingsfelsen, etwa 10 Meter hoch, sollte in pietätvoller Erinnerung an König Friedrich Wilhelm IV. von jetzt ab den Namen „Hohenzollernstein“ tragen. Die Gedächtnißtafel auf seiner der Kirche Wang zugekehrten Ostseite wurde nach einer Rede des Predigers der Kirche Wang enthüllt. Die gußeiserne Tafel trägt in erhabenen goldenen Lettern die Inschrift, welche den neuen Namen dem Wanderer verkündigt. †      

Ein seltener Hausgenosse. In der That – ein seltener Hausgenosse war es, den sich zwei Knaben im Alter von zwölf und acht Jahren an dem durch seine Pfahlbautensunde berühmten Dorfriede von Niederweil im Kanton Thurgau einfingen. Sie waren an einem Frühlingstag mit Fischen beschäftigt, als sie plötzlich einen Fischreiher in so geringer Entfernung erblickten, daß es ihnen, denen die Scheu dieser Vogelart wohl bekannt war, sofort auffallen mußte. Bei näherer Beobachtung sahen sie den einen Flügel des Thieres herabhängen, und nun machten sie Jagd auf dasselbe. Die flinken Buben hatten den Reiher bald eingeholt, in dem Augenblick aber, wo sie ihn ergreifen wollten, sprang er in das tiefe Wasser hinein, sich gegen das nahe Schilfrohr hinarbeitend. Ohne sich im entflammten Jagdeifer Zeit zum Entkleiden zu nehmen, stürzte der ältere Bruder nach. Da er schwimmen und sich zugleich gegen die Schnabelhiebe des Vogels schützen mußte, so gelang es ihm nur mit großer Mühe und nachdem er eine tüchtige Hiebwunde an der Stirn davongetragen hatte, seiner Beute habhaft zu werden. Triumphierend brachten die Jungen das wüthende Thier nach Hause. Der Vater, ein erfahrener Jäger, war leider nicht daheim, und so wurde die genauere Untersuchung des Gefangenen durch die Knaben selbst vorgenommen. Es ergab sich, daß am linken Flügel das Schwungbein gebrochen war und daß infolgedessen ein Knochen ziemlich weit vorstand; der Flügel hing herab und hinderte den Vogel im Gehen. Die beiden Buben fanden eine Operation nothwendig, entfernten das vorstehende Stück des Knochens und bestrichen die Wunde mit Baumöl; die beiden Flügelenden banden sie oberhalb des Schwanzes zusammen, damit der Vogel im Gehen nicht mehr gehemmt wurde. Nachdem auf diese Weise dem Reiher zugleich eine Flucht unmöglich gemacht war, ließ man ihn laufen. Er wählte sich als Zufluchtsort den unter der steinernen Haustreppe angebrachten Hundestall, und diesen Platz behauptete er in der Folge, so lange er lebte. Der starke Jagdhund hatte nur einmal den Versuch gewagt, dem Eindringling gegenüber seine älteren Rechte geltend zu machen, war aber durch einen einzigen Schnabelhieb zum Verzicht anf alle Ansprüche bewogen worden.

Auf ihre Bitten ward den beiden Knaben gestattet, den seltenen Gast, der nie einen Fluchtversuch machte, so lange als möglich behalten zu dürfen, und eifrig fingen sie Fische und Frösche, die sie in einem Zuber mit Wasser dem Vogel zu Gesicht brachten. Mit nie fehlender Sicherheit holte sich dieser seinen Fraß aus dem Wasser. Hüpfte einmal ein flüchtiger Frosch auf die staubige Straße, so wurde er sofort ergriffen, erst noch im Wasser abgespült und dann dem anderen im Kropf des Reihers noch zappelnden Kameraden nachgesandt. Der Appetit des Thieres war so groß, daß es die Knaben viel Mühe und Zeit kostete, das nöthige Futter aufzutreiben, und so schickte sie der Vater eines Tages mit ihrem gefräßigen Kostgänger ins nahe Ried, damit sich dieser seine Nahrung selber suche. Wer nachmittags, wohl der großen Hitze wegen, freiwillig zu seinem Stall zurückkehrte, das war der Reiher, und von da an trat er täglich zweimal seinen Spaziergang in sein Revier an. Er wandelte dabei auf der vielbefahrenen und vielbegangenen Landstraße eine Strecke weit hin und hatte offenbar jede Furcht verloren.

Der Wohnung seiner Beschützer gegenüber lag das Schulhaus, vor dem sich häufig die ganze Schar der Schüler tummelte. Das hielt jedoch den stolz dahinschreitenden Vogel nicht ab, mitten durch die Kinder hindurch seinen gewohnten Weg zu gehen; nie that er einem von ihnen etwas zuleide, und alle wetteiferten, ihrem Liebling von seinen Leckerbissen zu bringen. So wurde der völlig zahm gewordene Reiher eine „berühmte Persönlichkeit“ in Stadt und Land, um so mehr, da er seine Pfleger oft bis zu den nächstgelegenen Dorfschaften begleitete.

Im Spätherbst blieb er eines Abends aus, und als man am nächsten Morgen nach dem Vermißten forschte, wurden nur noch seine Ueberreste gefunden: ein Fuchs mußte ihn unversehens überfallen und überwältigt haben. Die Trauer um den merkwürdigen Gesellen war unter dem jungen Volke allgemein, und manche Thräne ward ihm nachgeweint. S. R.     

Butter und Margarine. Aus Anlaß eines Gerichtsfalles gab der Berliner Gerichtschemiker Dr. Bischoff kürzlich ein höchst einfaches Mittel an, wie sich der Laie Klarheit darüber verschaffen kann, ob er reine Naturbutter oder solche, die mit Margarine verfälscht ist, vor sich habe, und wir möchten nicht unterlassen, unsere Leser damit bekannt zu machen. Bringt man nämlich ein Stück reiner Naturbutter in einem Glase zum Schmelzen, so bildet sich ein Bodensatz von Wasser und Salz, während die darüber liegende Schicht flüssiger Butter klar und durchsichtig ist. Nicht so bei der Margarine; schmelzt man diese in einem Glase, so zeigt sich an Stelle der durchsichtigen eine undurchsichtige milchige Butterschicht. Ein Gemisch von Natur- und Kunstbutter wird demnach, je nach

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