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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Richtmann noch erwidern konnte, hatte der Hanetzer den Steg überschritten und war im Dunkel des Abends verschwunden ...

Um die gleiche Zeit trat Sigenot mit dem Jungsennen aus der Thür des Fischerhauses, schritt mit ihm über die Hofreut hinunter und öffnete das Thor. „Jetzt geh’ halt, Bub’,“ sagte er und legte die Hände auf die Schultern des Burschen, „und thu’ Dich nicht fürchten. Einer geht mit Dir, bei dem die Hilf’ ist und die Stärk’! Einen weiten Weg mußt laufen, und tief wird der Schnee schon auf den Bergen liegen, bis Du heimkehrst. Aber denk’: an Deinen Füßen hängt unser aller Wohl und Weh! So geh’ halt und zeig’, daß Du der Bub’ bist, für den ich Dich gehalten hab’.“

„Wohl wohl, da wird nichts fehlen!“

„Und halt’ dem Herren, von dem Du Botschaft tragst, so feste Treu’, wie Du allzeit meinem Haus gehalten!“

„Fest wie Eisen! Da soll kommen, was mag!“

Sigenot faßte die Hand des Burschen und trat mit ihm vor das Kreuz. „Mein guter Herre, Du mein Gott! Thu’ mir den Buben hüten, gelt?“

Scheu zog der junge Senn’ das lederne Käpplein von seinem Flachshaar und hob die Augen zum Kreuz, dann schied er von seinem Herrn mit wortlosem Händedruck. Sigenot wollte in den Hag zurückkehren, da sah er die Schwester mit Ruedlieb von der Ache kommen. „Schau’ nur, nicht erwarten hat sie’s können! Lieb’ geht durch geschlossene Thor’ und springt über jeden Hag.“ Lächelnd ging er dem Paar entgegen und streckte die Hände. Doch der Anblick ihrer Gesichter und die Sprache ihrer Augen jagte ihm kalten Schreck in das Herz. Mit scheuer Frage faßte er den Arm der Schwester, aber die Stimme versagte ihr; auch Ruedlieb brachte keinen Laut über die Lippen, er hob nur die Faust und ließ sie fallen, als hielte seine Hand noch das Messer. Keuchend kam der Schönauer unter den Bäumen hervorgesprungen, drängte sie alle in den Hag, warf das Thor zu und legte den Balken ein.

Nun hörte Sigenot, was geschehen war. Der Atem stockte ihm doch als er den Richtmann jammern und klagen hörte, sagte er mit fester Stimme: Rait’ nicht wider Deinen Buben! Ich steh’ zu ihm, er hat’s gethan um meine Schwester. Wär’ ich an seiner Stell’ gewesen – mein Messer wär’ rot geworden wie das seinig’! Laß das Klagen, Richtmann! Alle Klag’ lauft hinter dem Unheil her, wir aber müssen den Vorsprung haben mit der Hilf’.“ Laut rief er: „Wicho!“

Der Knecht kam von der Scheune gelaufen. „Was giebt’s?“

„Wachsende Not! Führ’ die Kinder in Deine Kammer – die Mutter soll nichts erfahren, eh’ wir nicht wissen, was geschehen muß. Dann hol’ den Kohlmann aus der Stub’ und komm mit ihm zur Tenn’!“

Eine Weile später saßen die vier Männer in der Scheune, hinter geschlossenem Thor, durch dessen Fugen nur noch ein matter Dämmerschein des Abends flimmerte. Wicho hielt die Butterlampe auf dem Schoß und wahrte mit hohler Hand das kleine flackernde Licht, dessen rötliche Helle über die bleichen Gesichter zuckte. Der Richtmann erzählte mit schwankender Stimme, wie alles gekommen. Schweigend hörten sie ihn an; doch als der Schönauer von der Begegnung mit dem Hanetzer sprach, stotterte Wicho: „Das ist von allem noch das Leidigst’! Den kenn’ ich! Laßt ihm Herr Waze nur einen einzigen Käs von der Stener nach, so wird er das Maul nicht halten und verkauft uns alle!“

„Und den Kerl hab’ ich so gut verbinden müssen, daß er heut’ schon wieder lauft!“ schalt der Kohlmann. „Aber was jetzt? Morgen müssen sie den Knecht vermissen und die Hatz geht an. Wo wird sie ein End’ haben?“

„Wo mein Elend anfangt!“ klang die tonlose Stimme des Richtmanns. „Sie werden den Blutbann werfen auf mein Haus . . . wie soll ihm mein armer Bub’ entrinnen!“

Sigenot legte ihm die Hand auf die Schulter. „Sei gutes Muts! Ich führ’ ihn zu unserem Herrn hinaus in den Lokiwald . . .“

Der Richtmann schüttelte den Kopf. „Der Weg zur Klaus’ ist meinem Buben verlegt. Ich hab’ geschworen im Thing!“

Die Scheune hallte wieder von Eigels zornigem Gelächter. „Richtmann, Richtmann – merkst Du’s jetzt am eigenen Löffel, was Du für eine Supp’ hast kochen helfen auf dem Totenmann? Wären wir all’ vom Thingfeuer weg zur Klaus’ gezogen, wohin uns das Recht gerufen hat . . . die Wazemannsleut’ hätten ihre Köpf’ gar tief geduckt und ihre Fäng’ wohl eingezogen wie die Katz’ vor dem Igel ... und Dein Bub’ hätt’ heut’ das Messer nicht schwingen müssen für die Ehr’ seiner Liebgesellin. Richtmann! Richtmann! Ich sag’ Dir . . .“

Sigenot unterbrach den Kohlmann: „Laß gut sein, Eigel, mach’ ihm das Herz nicht schwerer noch!“

Der Schönauer strich mit der zitternden Hand über die Stirn. „Ich hab’ gethan, wie ich thun hab’ müssen aus Lieb’ zu meinem Buben. Ein jeder kennt nur die Stund’, in der man schnauft . . . keiner mißt den Tag aus, den die schwarze Mutter Nacht im Schoß tragt. Thu’ das Gute, thu’ das Schlechte, geh’ zur Rechten, geh’ zur Linken . . . keiner weiß, wo der Weg ihn hinführt . . . alles kommt, wie’s mag!“ Stöhnend schlug er die Hände vor das bleiche Gesicht. „Gobl, Gobl! Ich fürcht’, ich muß noch sitzen unter Deinem Apfelbaum!“

„Ich denk’ wohl anders,“ sagte der Fischer und zog ihm die Hände nieder, „aber ich will nicht raiten wider Deine Angst. Wir wollen denken auf Hilf’. Dein Bub’ muß fort, und Du mit ihm!“

„Fort? Mein Haus verlassen? Wer hütet meines Buben Haus, wenn sie kommen?“

„Laß Dein Haus fahren, halt’ Deinen Buben fest!“

Der Richtmann griff mit den Händen ins Leere und nickte vor sich hin. „Fort! Wohin aber? Ueberall wird er ihn finden!“

„So birg’ ihn, wo er ihn am letzten sucht – auf Wazemanns Bannberg! Droben wird Schnee fallen in der heutigen Nacht . . . da hat’s mit dem Gejaid ein End’, und es steigt sobald wohl keiner hinauf. In der verlassenen Albhütt’ hinter dem Eismann habt Ihr ein gutes Weilen. Holz zum Feuer steht nicht weit, und Zehrung laß ich Euch tragen in jeder vierten Nacht. Hätt’ ich die Mutter nicht ... ich selber ging’ mit Euch.“

Die Männer hatten den Kopf geschüttelt zu diesem Rat; nach allem Reden aber fanden sie, daß es der beste war. „Jetzt harret eine Weil’,“ sagte Sigenot, „bis ich mit meiner armen Mutter geredet hab’. Denn ich mein’ schier, das Rötli wird den Buben allein nicht ziehen lassen. Feste Lieb’ hat feste Ketten!“ Er drückte die Fäuste auf seine Brust, als spräche ihm das eigene Herz zu laut, und verließ die Scheune.

Graue Nacht lag über dem Hag, und ein kalter Wind kam von den Bergen niedergezogen. Während Sigenot dem Haus entgegenschritt, blickte er der Richtung zu, die der junge Senn’ genommen. „Lauf’, Bub’, lauf’!“ –

Finster ragte in der Ferne der Untersberg, und wie ein schwarzer See lag ihm der Lokiwald zu Füßen. Aus der offenen Thür der Klause strahlte der Herdschein über die Lichtung. Bruder Wampo schaffte beim Feuer, neben welchem die über Stangen gespreizte Wolfshaut zum Trocknen aufgestellt war. Schweiker saß in einem Winkel, mit hängendem Kopf, die Hände im Schoß. Als er bei seiner Rückkehr Eberwein in der Klause gefunden, war er vor ihm niedergefallen, mit Zähren in den Augen, und hatte den Saum seines Gewandes geküßt. „Herr, Herr! Ich hab’ Dich schlecht gesucht!“ Dann war kein Wort mehr über Schweikers Lippen gekommen. Auch Pater Waldrams Heimkehr rüttelte ihn nicht auf aus seinem dnmpfen Brüten. Bruder Wampo aber brach in hellen Jammer aus bei Waldrams Anblick: kaum trugen ihn die Füße noch; sein Gesicht und seine Hände bluteten, und in Fetzen hing das Gewand von ihm nieder. Eberwein kam aus seiner Zelle, in welcher er den Knaben auf dem eigenen Lager gebettet hatte, und eilte erschrocken auf Waldram zu. Der Mönch aber streckte den dürren Stecken vor und rief mit halb erloschener Stimme: „Du lebst noch? Weiche von mir, Meineidiger, der Du dem Himmel die Treue brachst!“ Eine brennende Röte flog über Eberweins Gesicht, und während Waldram an ihm vorüber in das Kirchlein wankte, stand er und blickte mit irrenden Augen ins Leere. Aus seiner Versunkenheit weckte ihn Bruder Wampos Stimme; als er dem Rufe folgte, fand er Waldram bewußtlos zu Füßen des Kreuzes hingestreckt. Sie trugen ihn zu seinem Lager, und mit zitternden Händen wusch ihm Eberwein das Blut vom Antlitz; dann mußte er für Huze sorgen, der seit Waldrams Heimkehr mit halbgelöstem Verbande lag.

So war die Nacht gekommen. Aus Waldrams Zelle klangen von Zeit zu Zeit die lallenden Worte, mit denen der unruhig Schlummernde in Traum und Fieber redete. Eine Kienfackel erleuchtete die Zelle Eberweins; Huze lag, die gefalteten Hände unter der Wange, und blickte lächelnd, mit glänzenden Augen auf den Mönch, der bei der Fackel auf niederem Holzpflock saß, das Schreibrohr in der Hand, ein Pergamentblatt auf dem Schoß.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_376.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2020)