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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

zwei Augen voll süßer Gewalt und gab sich ganz dem seligen Wiegen von Musik und Empfindung hin. Sie war eine gute, leichtschwebende Tänzerin, man bewunderte laut das schöne Paar, und Pereda fühlte auch bald den leichten Rausch, der ihn bei solchen Gelegenheiten anzuwandeln pflegte. Er sagte ihr, als der Tanz aufhörte und sie an seinem Arme im Saale umherging, eine Menge von Schmeicheleien, die Toni wie ein einziges großes Liebesgeständnis vorkamen. Dann verschwand er wohl auch wieder für eine Zeit lang, aber die anderen, die zahlreich genug herbeikamen, um einen Tanz mit der reizenden „Phantasie“ zu machen, sie sparten auch nicht mit stark kolorierten Huldigungen, so daß sich Toni bald wie eine kleine Königin vorkam. Es war wie ein stundenlanges Fliegen in lauter Wonne, in einer neuen Existenz, himmelweit entfernt von der gewohnten Kleinbürgerlichkeit; sie fühlte sich plötzlich ganz einfach dazu gehörig zu all den vornehmen, feinen Leuten, die sie alle mit solcher Auszeichnung behandelten, wenn sie wieder und wieder am Arm des Stolzen und Gefeierten in eine Quadrille oder während der Pausen in einen Kreis von Plaudernden eintrat. Er wollte sie zeigen, das fühlte sie ganz sicher, und erstaunte sich selbst, wie schnell sie es fertig brachte, ohne Verlegenheitserröten den Platz an seiner Seite auszufüllen, die Scherzreden der Herren munter zu beantworten, den Blicken der Damen unbefangen stand zu halten, mochten dieselben sich bewundernd oder kritisch aus sie richten.

Nur ein Augenpaar fiel ihr gelegentlich sonderbar auf: wäre sie nicht überzeugt gewesen, die blasse, elegante Trägerin eines grüngoldenen Pfauenkleides nie gesehen zu haben, so hätte sie denken müssen, dieselbe schleiche ihr absichtlich nach, um sie zu beobachten. So oft funkelten plötzlich die schwarzen Augen für einen Augenblick in ihrer Nähe auf und starrten sie mit einem unverhohlenen Ausdruck von Geringschätzung oder Haß an. Pereda, welchen Toni fragte, konnte sich nicht denken, wer die Dame sei. Er geleitete Toni zu ihrer Schwester unter die Säulen hinüber und verschwand dann für eine Zeit lang, bis die letzte Quadrille kam, die sie wieder zusammenführte. Und – da stand ihnen plötzlich dieselbe schöne Pfauendame am Arm eines vornehm aussehenden Maltesers gegenüber. Den Namen verstand Toni bei der Vorstellung nicht, sie sah aber sehr genau, daß jene während der Unterhaltung mit ihrem Kavalier immer wieder über den Fächerrand weg sie selbst und Pereda fixierte. Deshalb machte es ihr eine große Freude, als dieser zum Schlusse das Wiederfinden bei der grande chaîne angesichts der anderen mit einem raschen Kuß auf ihre Hand feierte, und voll glückseligen Uebermuts flog sie mit ihm in dem feurigen Galopp davon. –

Endlich aber war es drei Uhr morgens geworden und ein allgemeines großes Aufbrechen begann.

Toni, welche den letzten Walzer mit einem fremden jungen Bulgaren getanzt hatte, wurde sich plötzlich bewußt, Schwester und Schwager schon eine ziemliche Zeit nicht mehr gesehen zu haben, und trachtete durch das Menschengewühl hindurch an das obere Saalende zu kommen, um vom Podium herunter die Möglichkeit besserer Umschau zu gewinnen. Aber das Gedränge war sehr stark, sie kam nur mühsam vorwärts und spähte umsonst rechts und links nach einem bekannten Gesichte aus. Plötzlich – welch ein Glück! – da ragte ja ganz nahe vor ihr Peredas Federbarett über die Köpfe hinaus. Sie drängte sich durch die Nächststehenden, bekam ihn aber nur von rückwärts zu sehen, denn auch er schien irgend jemand eilig nachzustreben. Einerlei – er mußte ihr helfen! Sie hielt sich dicht auf seinen Fersen und rührte, sobald es ihr möglich war, an seinen Ellbogen. Er wandte sich schnell und sah sie mit einer gewissen Ueberraschung an.

„Ach, Herr Pereda,“ beeilte sie sich zu sagen, „würden Sie mir wohl helfen, meine Schwester zu suchen? Ich habe sie ganz verloren, vermutlich sucht sie mich auch schon, aber es ist ein so furchtbares Gedränge im Saal, ich komme allein nicht da hinüber.“

Einen ganz kurzen Augenblick fand sie seinen Gesichtsausdruck sonderbar, aber schon bot er ihr den Arm und sagte voll hastiger Beflissenheit mit dem gewohnten weichen Ton der Stimme:

„Gewiß, gewiß! Sie dürfen hier nicht allein bleiben. Schnell, dort hinüber – so, nun sind wir aus dem Schlimmsten heraus.“

Er fragte links und rechts bei Bekannten, die aber alle Volkhards nicht gesehen hatten, tröstete die an seinem Arm gar nicht trostlose Toni damit, daß hier niemand verloren gehen könne, und machte ihr bald den Vorschlag, sie in eines der Garderobezimmer zu geleiten, wo sie ruhig warten solle, bis er, schnell überall umhersuchend, Volkhard und seine Frau gefunden habe.

Das schien auch ihr das Beste, sie traten also in eines der großen Vorzimmer, Toni nahm auf der roten Polsterbank Platz, während Pereda sich durch die aus dem Saal herausströmende Menge wieder hineinzwängte.

(Fortsetzung folgt.)


Die Alkoholvergiftung bei Kindern.

Ein Mahnwort an die Eltern. Von C. Falkenhorst.


Wie schade um den bedauernswerten Dr. N.! Er trinkt sich zu Grunde, er kann sein Amt nicht erfüllen, wir müssen ihn entlassen. Es ist geradezu schrecklich, daß ein gut veranlagter, hochgebildeter Mann sich so weit vergessen kann!“

So sprach eines Tages der Vorgesetzte des Mannes, der mir schon seit langer Zeit bekannt war und noch heute als ein trübes warnendes Beispiel in meiner Erinnerung fortlebt. Ich beurteilte ihn milder als die anderen Kollegen, denn ich konnte ein Geständnis nicht vergessen, das mir jener Gewohnheitstrinker einmal gemacht hatte, als ich, wie so viele andere, versuchte, ihn auf einen besseren Weg zu leiten. Es war bereits um eine späte Nachtstunde gewesen und wir saßen allein in der durch wenige Gasflammen düster erleuchteten Kneipe. Kollege N. trank weiter und lachte, als er meine Vorstellungen anhörte.

„Was willst Du denn?“ rief er zur Antwort. „Ich bin noch lange nicht betrunken. Ich trinke Dich, wenn Du willst, unter den Tisch. Und rede mir nicht von Enthaltsamkeit! Ohne mein Quantum Bier täglich kann ich nicht schlafen und ich bin wahrlich nicht schuld daran, daß es so gekommen ist. Du kennst das rauhe Waldland, aus dem ich stamme. Cognac und Malaga gelten dort als Heil- und Stärkungsmittel für kranke und schwache Kinder und so habe ich schon als Säugling in der Milch die ersten Tropfen des feurigen Spiritus gekostet. Er half mir über die böse Kindercholera hinweg. Vater und Mutter haben es mir frühzeitig gesagt, daß der Cognac mir das Leben gerettet hat. Und so oft ich später matt und schwach wurde, brachten mich einige Tropfen der großen Medizin auf die Beine. Als Knabe habe ich zur Stärkung zu Mittag mein Gläschen Bier getrunken; ich bin als Jüngling der Sitte treu geblieben und Vater und Mutter hatten nichts dagegen, daß mit den wachsenden Jahren auch das Maß und die Zahl der Gläschen größer wurden. Fürchte also nicht um mich! Ich kann schon einen tüchtigen Stoß vertragen, denn in guter Absicht bin ich zum Trinken erzogen worden!“

Kollege N. irrte sich. Das Gift war stärker als sein Körper, als er sich durch jenes Geständnis entschuldigte, war er bereits ein Trunkenbold und seine Angehörigen atmeten auf, als ihn eines Tages im Anfalle eines Säuferwahns der Tod dahinraffte. So oft ich aber an diesen verlorenen Menschen dachte, klang mir in den Ohren die schreckliche Erklärung. „Ich bin zum Trinken erzogen worden!“ Und um so schrecklicher kam sie mir vor, als ich deren Wahrheit nicht leugnen konnte und aus Erfahrung wußte, daß leider gar viele Eltern ihre Kinder aus Unwissenheit in guter Absicht zu Trinkern erziehen! Es ist ja eine wohlverbürgte Thatsache, die sich nicht wegleugnen läßt, daß in unsrer Zeit mit der Darreichung geistiger Getränke ein bedauerlicher Mißbrauch getrieben wird, daß das gewohnheitsmäßige Trinken der Kinder einen Krebsschaden bildet, der leider immer weiter um sich frißt. In dieser Hinsicht wurden in neuester Zeit von erfahrenen Aerzten geradezu betrübende Thatsachen enthüllt. Im Jahre 1891 hielt Professor Dr. Demme als Rektor der Universität Bern eine Rede „Ueber den Einfluß des Alkohols auf den Organismus der Kinder“. Als Leiter des Jennerschen Kinderhospitals konnte er diese Frage gründlich studieren; er teilte mit, daß er sieben Kinder behandeln mußte, die wegen schwerer Trunkenheit ins Hospital gebracht wurden! So leichtsinnig verfahren Eltern und Erzieher in der Verabreichung geistiger Getränke an

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_186.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)