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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Nr. 38.   1897.
Die Gartenlaube.
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahresabonnement: 7 M. Zu beziehen in Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf., auch in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.

Einsam.
Roman von O. Verbeck.

(7. Fortsetzung)

16.

Früh am Nachmittag kam Günther, neugierig gespannt wie ein Kind auf „Hannichens Märchenschloß“. Es machte ihr Vergnügen, ihn in den prächtigen Räumen des Erdgeschosses herumzuführen. Zwar ging sie selber immer noch beinahe wie ein Gast zwischen all den Herrlichkeiten einher. Aber während sie hier einen Vorhang lüftete, um die Sonne hereinzulassen, dort eine Falte der türkischen Diwandecke zurechtzog oder einem „dumm dastehenden“ Stuhl einen Ruck gab, überkam sie doch wieder mehr und mehr das fröhliche Gefühl der Besitzesfreude.

Den obern Stock mit den Wohnräumen, den Günther auch gern gleich gesehen hätte, zeigte sie ihm aber jetzt nicht. Sie wünschte Ludwig nicht aufzustören. Er würde sich schon von selbst einfinden, dachte sie, wenn er seine Mittagsruhe beendet hatte.

Auf der Terrasse am runden Tisch bei Frau Wasenius saßen die Drei, alsdann gemütlich wie in alter Zeit beisammen. Günther war entzückt von allem, was er sah, am meisten aber von der Mutter, über deren Besserung er sich gar nicht genug freuen konnte. Daß sie erst von heute so eigentlich datieren sollte, ging ihm nicht in den Kopf.

„Sie haben ein ganz anderes Gesicht als früher, Mamachen, wahrhaftig. So habe ich Sie noch nie gesehen. Es ist so was Geheimnisvolles drin. Gerade, als hätten Sie von irgendwo da oben her eine Botschaft bekommen. Wenn Sie doch der Rettenbacher so sehen könnte.“

„Sie hätten ihn mitbringen sollen,“ sagte Frau Wasenius. Es war ihr aber nicht ganz ernst damit. Im stillen wünschte sie einstweilen keine Begegnung zwischen ihm und Hanna. Doch davon durfte sie sich nichts merken lassen. Und sie glaubte auch keinen Besuch des jungen Mannes befürchten zu müssen und wunderte sich nicht, als Günther antwortete: „Wollt’ ich auch. Ich war bei ihm, ehe ich hierher ging, um ihn mitzunehmen, aber er hatte keine Zeit. Ließ mich überhaupt ziemlich abfallen, säße bis über die Ohren in Arbeit, könnte sich nicht aufs Besuche machen einlassen, wüßte kaum, wie er durch den Tag kommen sollte“ – und so weiter und so weiter.

Schwarzwälderinnen aus Schönwald.
Nach einer Originalzeichnung von H. Issel.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 629. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_629.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)