Seite:Geschichte der protestantischen Theologie 636.png

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ihr die Lehre von dem lebendigen heiligen Geist wie fremd und unglaublich geworden war. Sowohl die erste Schrift gegen Spener, die von C. Dilfeld, als die erste des letzten Vertreters dieser Orthodoxie, Löschers, hatte zu ihrem Gegenstand den „Enthusiasmus.“

In dieser Hinsicht öffnet also Spener wieder die lebendigen Quellen ursprünglicher christlicher Religion und Reformation. Er stellt die unmittelbare Gottesgemeinschaft und den Antheil am göttlichen Leben und Geist nicht bloß als eine mögliche Gunst, sondern das Suchen derselben als die fundamentale allgemeine Christenpflicht dar, und diese aus Erfahrung geborne Einsicht bildet den wahren Mittelpunkt seiner ganzen Arbeit zur Herstellung und Fortführung der Reformation. Spener kennt einen lebendigen Gott, nicht einen solchen, der sich hinter den Gnadenmitteln zur Ruhe begeben hat, welche an seiner Stelle wirken, während sie doch nie die persönliche Gemeinschaft mit ihm ersetzen können, sondern zu ihr führen sollen. Er kennt eine providentia specialis, ja specialissima, ein fortwährendes übernatürliches und doch gesetzmäßiges Wirken. Die Wunder des Christenthums sind ihm nicht todte Vergangenheit, sondern setzen sich ihm, wie Luthern, täglich fort in dem Wunder der Wiedergeburt der alten Creatur zur neuen. Die Gnadenmittel sind ihm nicht Weltdinge, die nach einer ihnen übernatürlich eingestifteten Dynamik nur in natürlich gesetzmäßiger Weise himmlische Kräfte und Gnaden ausstrahlen, sondern sie sind ihm die Mittel, durch welche Gottes Geist selbst und unmittelbar an den Seelen arbeitet und sich ihnen mittheilt, auch ohne sich in Abhängigkeit vom kirchlichen Amte zu setzen, indem er vielmehr auch dieses als ein Werkzeug zur Applikation des Wortes verwendet. Und die immer bereite gnädige Mittheilsamkeit Gottes ermuthigt ihn zu der Forderung, daß wer des Predigtamtes treu und erfolgreich warten wolle, vor Allem müsse wiedergeboren sein und die Kraft des Evangeliums, das er verkündige, müsse am eigenen Herzen erfahren haben.[1]


  1. An dem Inhalt der Theologie, wenigstens des Dogma beabsichtigt der Pietismus, Spener voran, der selbst einer Union mit den Reformirten nicht das Wort redet und für sich die Verpflichtungsformel mit quia sich gerne gefallen lassen will, keine Reform. Es soll nur das bisher Gewonnene aus dem Kopf in Herz und Hand übergehen. Gleichwohl führt die Betonung der heil. Schrift für den Theologen weiter. Denn indem er sie in die ihr gebührende, reformatorische Stellung wieder einsetzt, kann WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt es nicht ausbleiben, daß er der Kirche wie dem Staat das Recht absprechen muß, das Symbol für eine auf immer geschlossene und durch die Auctorität der Kirche gültige Lehrconstitution anzusehen; wie er denn auch für die Kirche im Ganzen die Verpflichtungsformel mit quatenus vorgezogen hat.
Empfohlene Zitierweise:
Isaak August Dorner: Spener und der Pietismus. J.G. Cotta, München 1867, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_protestantischen_Theologie_636.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)