Seite:Geschichte der protestantischen Theologie 644.png

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vertreten, als etwa innerhalb des Katholicismus das Mönchthum. Es ist wahr, die Gegner des Pietismus vertraten im Allgemeinen noch weniger rein als er die Sache der Kirche; denn das Wahre im Pietismus, das zugleich das der Zeit unmittelbar Nöthigste war, ist nicht minder für die wahre Kirchlichkeit die Voraussetzung, als die objectiven Gnadenmittel es für die Kirche sind. Aber daraus folgt nur, wie sehr beiden streitenden Theilen die Einigung in einem höhern zusammenfassenden Standpunkte Noth that.

Der norddeutsche Pietismus selbst ließ es, obwohl er gelehrte Männer zu seinen Anhängern zählt, doch spürbar an Pflege der strengeren wissenschaftlichen Arbeit fehlen. Mit aller Kraft wurden die Studirenden zu frommer Selbstbildung angeleitet, aber nicht ebenso bestimmt war erkannt, daß zur Sittlichkeit des Studirenden das Studiren gehört, ernste, solide, wissenschaftliche Arbeit in eifriger Wahrheitsliebe. Von Philosophie namentlich meinte der Pietismus wenig oder keinen Gewinn erwarten zu können,[1] und doch war der Schöpfer des ersten von Aristoteles unabhängigen Systems in Deutschland, Leibnitz, Speners Zeitgenosse. Gegen Chr. Wolff, der zuerst das Leibnitzische System zusammenhängend darzustellen suchte, glaubte Joach. Lange die Mittel der staatlichen Gewalt aufrufen zu müssen, die ihn von Halle vertrieb. Im Uebrigen hat H. A. Francke eine Kritik der lutherischen Bibelübersetzung in seinen Observationes biblicae 1695 angefangen, aber gegen Speners Rath und ist, als die vorhergesagten Angriffe eintrafen, und zwar in der elendesten haltungslosesten Form, durch J. F. Mayer, von der Fortsetzung abgestanden.[2] Lange u. A. hat später ein großes Bibelwerk in


  1. Obwohl Lange dagegen protestirt, daß er die Philosophie verachte.
  2. Er hat noch seine Praelectiones hermeneuticae 1723 herausgegeben, in welchen er gegen den herrschenden Canon, nach der Analogie des Glaubens d. h. der Kirchenlehre zu interpretiren, Exceptionen macht. Dabei unterschied er einen buchstäblichen und einen geistlichen Sinn, der letztere sei nur für die Wiedergebornen zugänglich, der erstere sei nur pädagogisch. Bedeutender ist J. J. Rambachs Commentatio de idoneo s. literarum interprete 1720 und seine Institutiones hermeneuticae s. 1723 mit seinen Erläuterungen dazu in 2 Thln. 1738. Er, wie J. Lange Hermeneutica s. 1733 fordert neben der philologischen Bildung von dem Schrifterklärer einen geistlichen Takt und legt ein großes Gewicht auf das Aufsuchen der Emphasen in Wörtern und Wortverbindungen heil. Schrift. Da Gott ihr Urheber sei, so müsse ihr so viel Fülle und Gewicht des Sinnes, als irgend die Worte gestatten, zugeschrieben werden. Die Analogia fidei will er als Regel des Interpreten festgehalten wissen, doch mehr als WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt Analogia scripturae s. denn als Kirchenglaube. Ihm folgte noch S. J. Baumgarten „Unterricht von Auslegung heiliger Schrift 1742.“ Den mehrfachen Schriftsinn nahm wie Rambach und Lange auch noch Hoffmann an (der mystische Sinn ist ihm allegorisch, parabolisch oder typisch), doch will er die Einheit des Schriftsinns damit vereinigen, indem er den Einen zusammengesetzt denkt, vgl. Hoffmann Instit. theol. exegeticae 1754. Die Wittenberger, Löscher u. A. vergaben auch diese hermeneutischen Abweichungen nicht.
Empfohlene Zitierweise:
Isaak August Dorner: Spener und der Pietismus. J.G. Cotta, München 1867, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_protestantischen_Theologie_644.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)