Zum Inhalt springen

ADB:Brugsch-Pascha, Heinrich

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Brugsch, Heinrich“ von Édouard Naville in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 283–293, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Brugsch-Pascha,_Heinrich&oldid=- (Version vom 13. Oktober 2024, 13:30 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Brückner, Georg
Nächster>>>
Bruhns, Christian
Band 47 (1903), S. 283–293 (Quelle).
Heinrich Brugsch bei Wikisource
Heinrich Brugsch in der Wikipedia
Heinrich Brugsch in Wikidata
GND-Nummer 118674676
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|47|283|293|Brugsch, Heinrich|Édouard Naville|ADB:Brugsch-Pascha, Heinrich}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118674676}}    

Brugsch: Heinrich B., Aegyptolog, † in Berlin am 9. September 1894. Das Bild seiner bewegten und unruhigen Laufbahn ist von B. selber gemalt worden. Als er die ersten Anfälle der Krankheit fühlte, der er erliegen sollte, hatte er seine Autobiographie geschrieben, die, zuerst als Feuilleton in der Vossischen Zeitung publicirt, später in einem Band erschien, unter dem Titel: „Mein Leben und mein Wandern“ (8°, Berlin 1894). Daraus werden wir meistens die Angaben schöpfen, die sich auf sein äußerliches Leben beziehen.

Heinrich B. ist am 18. Februar 1827 in Berlin geboren, in einer Wohnung, die zu der Kaserne der weißen Ulanen gehörte, wo sein Vater Quartiermeister war. Für den Unterofficier, der später Wachtmeister der Leibgendarmerie wurde, fußte eine gute Erziehung hauptsächlich auf einer strengen militärischen Disciplin, von deren Ausübung sein Sohn ziemlich gemischte Erinnerungen behielt. Schon als 12jähriger Junge fühlte er sich zum Orient gezogen, und hauptsächlich zum Wunderlande Aegypten, von welchem er in Bildern so erstaunliches sehen konnte. Die wissenschaftliche Neugier erwachte in ihm, als er im Schlosse Monbijou die ägyptische Sammlung sah, die von Director Passalacqua in Aegypten gebildet, und später vom König angekauft worden war. Das räthselhafte in den Zeichen und Darstellungen, die er auf Mumien und Papyri sehen konnte, reizte seine Wißbegierde. Bei seinen wiederholten Besuchen der Sammlung fing er an zu copiren und faßte den Beschluß, diese Studien weiterzuführen. Wenn er einmal angefangen hatte, ließ er sich nicht durch die Schwierigkeiten abschrecken. Bis spät in die Nacht hinein vertiefte sich der Gymnasiast in seinen Entzifferungsversuchen; auch wurden die sehr geringen Geldmittel, über welche er verfügen konnte, sämmtlich zur Erwerbung der Bücher Champollion’s gebraucht. Er brachte es so weit, daß Anfangs 1847, als er das Kölnische Gymnasium verlassen sollte, er lateinisch eine demotische Grammatik verfaßt hatte, in welcher er die Lesung einer großen [284] Anzahl Gruppen dieser Schrift, der jüngsten von den drei ägyptischen Schriftarten, zum ersten Male angab. Diese Arbeit eines zwanzigjährigen jungen Mannes wurde als Manuscript Lepsius vorgelegt, der sie mit sehr übertriebener Strenge beurtheilte. Aber Brugsch’s Gönner, A. v. Humboldt, der gleich die großen Anlagen des Jünglings erkannt hatte, interessirte sich dafür, und verschaffte ihm die Mittel, die Arbeit in Autographie herauszugeben. Sie erschien Anfang 1848 unter dem Titel „Scriptura Aegyptiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret“.

Dieser erste Versuch eines Anfängers wurde in Paris sehr günstig aufgenommen. Vicomte E. de Rougé, der sich schon einen Namen erworben hatte durch mehrere Arbeiten, die sich namentlich durch eine gesunde und sichere Methode auszeichneten, und der zur Zeit mit der Sichtung von Champollion’s Papieren beschäftigt war, äußerte sich über die Erscheinung von Brugsch’s Grammatik als „Epoche machend“ (un évènement). In einem Artikel über das Demotische, welcher 1848 erschien (Lettre à Mr. de Saulcy sur l’écriture démotique des anciens Egyptiens. Rev. arch. 1848, Ve année, p. 321) erklärt Rougé gleich beim Anfang, daß er die neuen Hülfsmittel auslegen wird, die B. der Wissenschaft gebracht hat, und das besprechen, was seine Entdeckungen vervollständigen oder ihre Resultate modificiren kann. In Brugsch’s Arbeit, in der allerdings viele Fehler vorkommen, erkennt man eigentlich schon die hervorragenden Eigenschaften, durch welche sich der Aegyptolog später auszeichnen sollte: außerordentlichen Scharfsinn, eine intuitive Anlage, die ihre Gefahren hat, die aber dennoch dem bahnbrechenden Forscher gehört, und ohne welche es kein wissenschaftliches Schaffen geben kann.

Die Erkenntniß des Demotischen ist die erste Schöpfung Brugsch’s gewesen. Nach seiner lateinischen Grammatik fuhr er mit diesem Studium gleich fort. Der Erfolg, den sein Probestück gehabt hatte, veranlaßte König Friedr. Wilhelm III. ihm die nöthigen Geldmittel zu bewilligen, um eine Reise nach Paris zu machen. Dort fand er das größte Wohlwollen bei E. de Rougé, der seine Arbeit so hoch gewürdigt hatte, und unter dessen Leitung er sich in seine demotischen Studien vertiefte. Er machte mehrere Entdeckungen in der Sammlung des „Louvre“ wie auch der „Bibliothèque nationale“, welche die Achtung noch vermehrten, die er beim berühmten Akademiker, dem Nachfolger Champollion’s genoß. B. erkennt selber, wie viel er E. d. Rougé verdankt, den allein er als seinen Lehrer betrachtet, und der ihn oft durch seine wissenschaftliche Erfahrung auf den richtigen Weg zurückbrachte.

Als seine Mittel zu Ende waren, kehrte B. nach der Berliner Universität zurück, die er nur zeitweilig verlassen hatte. Was er in Paris gesammelt, zu welchem noch vieles kam, das er aus Leyden und Turin brachte, benutzte er zur Anfertigung mehrerer Arbeiten, die noch vor dem Ende seiner Universitätsstudien erschienen: „Numerorum apud veteres Aegyptios demoticorum doctrina“ in 4°, Berlin 1849; „Uebereinstimmung einer hieroglyphischen Inschrift von Philae mit den griechischen und demotischen Anfangstexten des Decretes von Rosetta“, Berlin 1849; „Sammlung demotischer Urkunden“ in 4°, Berlin 1850; „Lettre à Mr. de Rougé au sujet de la découverte d’un manuscrit bilingue sur papyrus en écriture démotico-égyptienne et en grec cursif“, in 4°, Berlin 1850. Es bezieht sich alles auf das Demotische; auch wählte er darin das Thema zu seiner Doctordissertation, die 1850 erschien: „De natura et indole linguae popularis Aegyptiorum. I. De nomine, de dialectis, de literarum sonis“, Berlin 1850. Das Demotische blieb sein Hauptstudium bis 1855, als er seine große Grammatik herausgab („Grammaire [285] démotique“ in Fol., Berlin 1855). Dieses höchst werthvolle und wichtige Werk, dessen Umfang und Ausstattung an Champollion’s Grammaire hiéroglyphique erinnern, ist noch jetzt die Grundlage aller demotischen Studien. Obwohl sie vieler Berichtigungen bedarf, ist sie noch heutzutage das einzige Mittel, in dieses bis jetzt wenig beliebte Fach der Aegyptologie eingeführt zu werden. Unter den großen Plänen, die B. noch in späteren Jahren machte, war eine vollständige Umarbeitung seiner demotischen Grammatik; aber der Tod hat ihm nicht erlaubt, diesen Plan auszuführen. Obwohl nach der Publication dieses Werkes B. sich nicht mehr mit dem Demotischen begnügte und andere Richtungen einschlug, so kehrte er doch gerne zu seinen Jugendstudien zurück, entweder um neue Documente zur Kenntniß zu bringen, oder um die Arbeiten zu besprechen von seinen Nachfolgern, die man wohl seine Jünger nennen kann, da sie sämmtliche Elemente ihres Wissens aus seiner Grammatik geschöpft haben. Die „Zeitschrift für ägyptische Sprache und Alterthumskunde“ enthält eine Anzahl Artikel, in welchen er ein demotisches Thema behandelt, oder vom Demotischen einen reichlichen Gebrauch macht.

Während B. in Paris war, hatte E. de Rougé darnach getrachtet, ihn auf das Studium der Hieroglyphen zu lenken. B. fügte sich sehr willig dem Rathe des Akademikers, und er erzählt uns selber, daß noch als ganz junger Mann vor seinen Augen der Plan schwebte, ein großes hieroglyphisches Lexikon zu verfassen. Was ihn definitiv auf das Hieroglyphische verwies, das war eine Reise nach Aegypten. Der junge Gelehrte hatte geheirathet, und verschaffte sich den Lebensunterhalt durch die Erziehung junger Ausländer, die in seinem Hause wohnten. Rath, Unterstützung und Interesse fand er immer und fast ausschließlich bei A. v. Humboldt. Der weltberühmte Gelehrte benutzte alle Gelegenheiten, die Studien seines jungen Günstlings zu fördern.

Als nun die Gerüchte nach Europa kamen von den großen Entdeckungen, die der Franzose Mariette im Serapeum gemacht hatte, unter welchen viele demotische Inschriften sich befanden, da zögerte Humboldt nicht, sich an den großmüthigen Monarchen zu wenden, dessen wirklich königliche Freigebigkeit und edles Interesse für Wissenschaft sich so glänzend gezeigt hatte, sowohl bei der dreijährigen Reise von Lepsius, als bei der folgenden Herausgabe der „Denkmäler aus Aegypten und Aethiopien“. Friedrich Wilhelm IV. bewilligte eine genügende Summe, und im Monat Januar 1853 schiffte sich B. in Triest ein. Seine Reise dauerte über ein Jahr. Gleichwie seine Vorgänger Champollion und Lepsius, hat er eine Beschreibung seines Aufenthaltes in Aegypten publicirt: „Reiseberichte aus Aegypten“, Leipzig 1855. Es ist lehrreich und interessant, diese drei Bücher mit einander zu vergleichen. Für Champollion, der erst kurze Zeit vorher das Licht in die altägyptische Welt gebracht hatte, die fast fünfzehn Jahrhunderte in tiefstem Dunkel verborgen lag, ist Aegypten wie ein verschlossenes Buch, welches er mit Begeisterung eröffnet; jeder Schritt im Nilthal ist eine Entdeckung. Lepsius ist viel methodischer und vorsichtiger. Er vervollständigt die Beschreibungen des Meisters, er setzt jedes Denkmal an seinen historischen Platz, und er beschäftigt sich am meisten mit seiner Lieblingsarbeit, dem Hauptwerke seines Lebens, der chronologischen Reihenfolge der ägyptischen Könige. B. brauchte die Denkmäler nicht von neuem zu beschreiben; er sucht vielmehr den Sinn der Texte zu ergründen und die Inschriften nach allen Seiten zu erklären. In seinem verhältnißmäßig kurzen Buche befindet sich eine Anzahl längere Uebersetzungen, wie sie vor ihm E. de Rougé allein gewagt hatte.

In Aegypten wurde er von Mariette aufs freundlichste empfangen. Der Entdecker des Serapeums nahm ihn in sein Haus zu Sakkarah auf, wo er [286] mehrere Monate verweilte. Dort sammelte B. eine große Anzahl Inschriften, darunter sehr viele demotische, die er nachher für seine Grammatik benutzte. Als er damit fertig war, fuhr er mit einer kleinen Dahabieh den Nil hinauf bis nach Philae, hielt sich längere Zeit in Theben auf, und kehrte im Frühling 1854 nach Berlin zurück. Als specielles Resultat dieser Reise gibt B. in seinen Reiseberichten außer seiner demotischen Grammatik ein einziges Buch an: „Monuments de l’Egypte décrits, commentés et reproduits par le Dr. Henry Brugsch“, fol., Berlin 1857.

Das Buch, welches aus einer einzigen Lieferung besteht, und welches B. nicht weiterführte, ist von keiner großen Bedeutung und würde an und für sich keine hohe Meinung von dem Werthe und Nutzen seiner Reise geben. Erst später gab B. deren eigentliches Resultat heraus, eine Arbeit, in welcher sein schöpferischer Geist wieder zum Vorschein kommt, nämlich die geographischen Inschriften („Geographische Inschriften altägyptischer Denkmäler“. I. Band: Das alte Aegypten in 4°, Leipzig 1857; II. Band: Das Ausland, Leipzig 1858; III. Band: Die Geographie nach den Denkmälern aus den Zeiten der Ptolemäer und Römer, Leipzig 1860).

Hier hatte ihm ein Vorgänger den Weg gewiesen, und zwar ein Engländer, Harris, der in Alexandrien ansässig sich eine reiche Sammlung ägyptischer Alterthümer erworben hatte, welche jetzt größtentheils nach dem British Museum gewandert sind. Harris hatte richtig erkannt, daß die hieroglyphischen Standarten, deren Reihenfolgen so häufig in den Tempeln als unterste Decorirung der Mauern vorkommen, die Namen der verschiedenen Provinzen oder Nomen Aegyptens waren. Von diesem Grundsatz ausgehend, hat B. die ganze Geographie Aegyptens reconstruirt. Er beschreibt jeden Nomos, die verschiedenen Elemente, aus welchen er bestand, Hauptstadt, Tempel der Gottheit, Canäle, bewässertes Land u. s. w. Er fängt mit Nubien an und geht den Nil abwärts, indem er die Stelle von jedem Nomos und die Lage von den Hauptstädten bestimmt. Nach dem 22. Nomos von Oberägypten behandelt er dieselbe Zahl von Provinzen im Delta. Dieser erste Band gibt uns ein nahezu vollständiges Bild der Geographie und der administrativen Eintheilung Aegyptens.

Der II. Band, der 1858 erschien, beschreibt die Geographie der Nachbarländer Aegyptens nach den Denkmälern, sowohl nach den Steininschriften als nach den hieratischen Papyri, die B. durchstudirt hatte. Obwohl dieser Band im jetzigen Zustande der Wissenschaft vielerlei Berichtigungen bedarf, so ist doch das reiche Material, welches darin zusammengebracht ist, noch immer sehr werthvoll.

Ein III. Band (1860) behandelt die Geographie Aegyptens zur Zeit der Ptolemäer und Römer, und enthält wichtige Zusätze zu den vorigen Bänden und einen Index.

B. hat die geographischen Studien nie aufgegeben. Als im J. 1864 Duemichen aus Aegypten zurückkam und einen reichen Schatz Inschriften aller Art aus den Tempeln, hauptsächlich aus den neu ausgegrabenen von Denderah und Edfu zurückbrachte, schlug ihm B. vor, sofort zwei Bände geographischer Inschriften herauszugeben, welche die Nummern III und IV einer Publication bilden, die B. allein angefangen hatte unter dem Titel: „Recueil de monuments égyptiens dessinés sur les lieux et publiés par le Dr. Henri Brugsch“, in 4°, Leipzig. Die Namen beider Herausgeber erscheinen auf den geographischen Bänden (1865 u. 1866). Zwanzig Jahre später, 1885 und 1886, fügte Duemichen zwei neue Bände hinzu. In der Vorrede erinnert er dankbar an die Anregung zu den geographischen Studien, die er erhalten hatte von [287] B., „der unter den Vertretern der Aegyptologie, wie kein Anderer …, unsere Kenntniß der Geographie des alten Aegyptens gefördert hat“. Zahlreiche Artikel und Aufsätze erörtern geographische Fragen in Bezug auf Aegypten oder das Ausland. In dem Berliner Orientalistencongreß 1881 hielt B. einen Vortrag über die „altägyptische Völkertafel“. Diese höchst geistreiche und scharfsinnige Arbeit enthält doch vieles sehr kühne und gewagte, das bei einer strengen Kritik sich nicht bewähren kann. Das colossale Material, welches er in diesem Gebiete gesammelt hatte, wurde von B. zusammengestellt, in einem dicken Folianten von 1420 Seiten, eigenhändig autographirt („Dictionnaire géographique de l’ancienne Egypte“, Folio, Leipzig 1879). Das Buch ist jetzt für weitere Untersuchungen unentbehrlich; leider bezieht es sich ausschließlich auf das Nilthal, Aegypten und Nubien, und läßt das Ausland gänzlich bei Seite, es ist auch öfters zu weitläufig und enthält längere Abstecher über gewisse Punkte, die zu der Zeit Brugsch’ Steckenpferde waren und die er selber später fallen ließ.

Eine zweite Reise nach Aegypten machte B. in den Jahren 1857 und 1858 auf Mariette’s Einladung. Saïd-Pascha, Vicekönig von Aegypten, zeigte sich ihm gegenüber sehr huldvoll und gewährte ihm die Mittel, seine Studien weiterzuführen. In dieser Zeit scheint B. hauptsächlich den Zweck verfolgt zu haben, genügendes Material zum Hauptwerke seines Lebens zu sammeln, nämlich zum großen Lexikon der ägyptischen Sprache, an welches er schon als Student gedacht hatte. Kurz nach seiner Rückkehr nach Berlin wurde er von einem schweren Schlag getroffen, dem Tode seines Freundes und Gönners A. v. Humboldt, der, wie wir gesehen, von Anfang an großes Interesse an seinen Studien genommen und ihn stets unterstützt hatte, sowohl sachlich als durch den großen Einfluß, den er bei Hofe und bei der Regierung genoß. In jener Zeit war für B. die Lage höchst schwierig; nicht nur hatte er für seine Frau und drei Kinder zu sorgen, sondern auch für seine verwittwete Mutter und seinen jüngeren Bruder. Seine wissenschaftliche Thätigkeit konnte ihm nur sehr bescheidenen Lohn einbringen; er hatte keine Stellung, in welcher er sich der Wissenschaft vollständig hätte hingeben können und die ihn von den materiellen Sorgen befreit hätte. Es ist hier nicht der Ort zu untersuchen, in wie weit ein ungünstiges Schicksal oder sein Charakter daran Schuld sind, daß sein ganzes Leben sich als ein Wandern entwickelt hat, wie er es selber nennt. Bei der officiellen Welt ist er nie beliebt gewesen. Namentlich ist sein Verhältniß zu Lepsius, obwohl in den letzten Jahren äußerlich ganz gut, nie ein freundschaftliches und collegiales gewesen. Die große Leichtigkeit, mit welcher er sich mit allen neuen Verhältnissen vertraut machen konnte, gab seinem ganzen Wesen etwas unruhiges, so daß er nie längere Zeit am selben Platze bleiben konnte und immer gern alles neue annahm, was ihm angeboten wurde, obwohl fast immer dieselbe Enttäuschung darauf folgte.

Ein Ausweg aus den Schwierigkeiten, in welchen er sich nach seiner Rückkehr befand, schien ihm das diplomatische Leben zu sein, welches er betrat, als Baron v. Minutoli, der als Ministerresident in Persien ernannt war, ihm anbot eine mehrjährige Reise nach Persien mit ihm zu machen, in der amtlichen Eigenschaft eines königl. preuß. Viceconsuls. Im Monat Februar 1860 verließ er Berlin; die Mission reiste glücklich über Konstantinopel und den Kaukasus nach Teheran; bald mußte sie aber schwere Zeiten durchmachen. Cholera und Pest herrschten in Persien. Im Herbste desselben Jahres starb der Chef der Mission, Baron v. Minutoli, während einer Reise nach dem Persischen Busen und so ging die Mission zu Ende. Anfangs 1861 wurde die Rückreise angetreten, die über den Kaukasus, Moskau und Petersburg stattfand. [288] Die Erlebnisse der Mission nach Persien hat B. in einem doppelbändigen Buche dargestellt („Reise der königl. preußischen Gesandtschaft nach Persien 1860 und 1861“. 2 Bde. in 8°, Leipzig 1863).

Brugsch’s Thätigkeit als consularischer Beamter endigte nicht in Persien. Im J. 1864 wurde er zum preußischen Consul in Kairo ernannt und begab sich sofort zu seinem neuen Posten mit seiner Familie. In der Zwischenzeit aber, während seines Aufenthaltes in Berlin, hatte er von neuem seine ägyptischen Studien aufgenommen, die durch seine Reise nach Persien unterbrochen worden waren. In diese Zeit gehören auch die schon erwähnten geographischen Werke und seine erste Arbeit über das Kalenderwesen der alten Aegypter: „Matériaux pour servir à la reconstruction du calendrier des anciens Egyptiens“ in 4°, Leipzig 1864. Den Kalender hat B. immer mit einer gewissen Vorliebe behandelt, später ist er noch mehrfach darauf zurückgekommen, in Artikeln in der „Zeitschr. f. äg. Spr. u. Alterthumsk.“, in seiner Abhandlung über „Drei Festkalender des Tempels von Apollinopolis magna in Oberägypten“ in 4°, Leipzig 1877, und in einem Bande seines Thesaurus. Vor ihm waren über denselben Gegenstand sehr geistreiche Werke von Biot, Lepsius, E. de Rougé und Anderen erschienen. Jetzt noch wird vielfach darüber geschrieben, aber nach allen diesen Arbeiten ist man noch zu keinem festen Resultat gelangt. Das ägyptische Kalenderwesen ist ein sehr undankbares Gebiet, weil wir eigentlich keine wirklichen astronomischen Beobachtungen besitzen. Es gibt z. B. keine einzige unzweideutige Angabe einer Sonnen- oder Mondfinsterniß. Alles was sich auf Astronomie bezieht, hat mehr oder weniger einen religiösen oder astrologischen Charakter. Darum gehen die verschiedenen Deutungen dieser Texte weit auseinander. B. selber hat seine Meinungen und Gesichtspunkte öfters geändert. In der Vorrede seines letzten Werkes über den Kalender, im zweiten Bande des Thesaurus, sagt er selber, daß erst mitten im Laufe der Publication er die Bezeichnungen entdeckte für die Conjunctionen, die Sonnenstände, die Farben der Sonne und die vier Hauptpunkte des Jahres, welche eine vollständige Umwälzung in der berechneten Chronologie herbeiführen sollten. Ob das, was er sein Endresultat nennt, es noch immer geblieben wäre, muß dahingestellt bleiben. Immerhin werden seine kalendarischen wie seine anderen Arbeiten durch das reichhaltige Material, welches er dafür gesammelt hatte, noch lange Zeit von großem Nutzen sein.

In das Jahr 1863 gehört die Gründung der „Zeitschrift für ägyptische Sprache und Alterthumskunde“. Sie fing im Juli an, wurde erst mit ziemlich mangelhaften hieroglyphischen Holztypen gedruckt. Im nächsten Jahre, als B. nach Kairo reiste, übernahm Lepsius die Leitung der Zeitschrift, in welcher er sofort die gegossenen Typen der Reichsdruckerei einführte. Diese Leitung behielt Lepsius bis zu seinem Tode im J. 1884. Dann übernahm sie B. von neuem, erst unter Dr. Stern’s und später unter Prof. Erman’s Mitwirkung. Die Zeitschrift ist jetzt in ihrem 38. Jahre unter der Leitung der Prof. Erman und Steindorff.

B. blieb nur zwei Jahre als Consul in Kairo; er hat uns ein trauriges Bild dieser Zeit gelassen, wo er eine furchtbare Choleraepidemie durchleben mußte; er fuhr dennoch mit seinen ägyptischen Arbeiten fort, die hauptsächlich aus Beiträgen zu der von ihm gegründeten Zeitschrift bestanden. Er sagt, er habe das Consulat aufgegeben, weil er sich zu dieser Thätigkeit wenig befähigt fühlte. 1867 kehrte er nach Europa zurück und zuerst nach Paris, wo damals eine internationale Ausstellung stattfand. Aegypten hatte dort seinen Platz und sogar das alte Aegypten, denn Mariette hatte das Modell eines Tempels anfertigen lassen, wo er mehrere von den schönsten Denkmälern aufstellte, die [289] er in seinen Ausgrabungen gefunden hatte, und welche wesentlich dazu beitrugen, das Interesse für ägyptische Alterthümer zu erwecken. B. fand in Paris seinen Freund Mariette und den Akademiker E. de Rougé, der ihn früher wirksam zu seinen Studien ermuthigt hatte. Durch de Rougé’s Einfluß wurde B. von Kaiser Napoleon III. eine Stellung am „Collège de France“ angeboten, welche sofort seine Naturalisation als französischer Unterthan zur Folge gehabt hätte. Aber B. zog es vor, ein Preuße zu bleiben, und die Regierung ermöglichte es ihm, indem er auf Lepsius’ Antrag eine Stelle als ordentlicher Professor mit gehörigem Gehalt in Göttingen bekam. Obwohl in der hannöverischen Universitätsstadt die Verhältnisse noch ziemlich unbefriedigend waren (es war kurze Zeit nach der Einverleibung Hannovers in den preußischen Staat), so erfreute sich B. dennoch einer höchst günstigen Aufnahme von Männern wie Ewald, E. Curtius und Benfey. Er sagt, seine Vorlesungen hätten bis 500 Zuhörer zugezogen. In Göttingen konnte er sich ganz seiner Lebensarbeit widmen, deren Plan er schon als junger Mann gefaßt hatte, dem ausführlichen Lexikon der ägyptischen Sprache („Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebräuchlichsten Wörter und Gruppen der heiligen und der Volkssprache und Schrift, nebst deren Erklärung in französischer, deutscher und arabischer Sprache.“ 7 Bde., in 4°. Leipzig 1868–1882).

1867 erschien die erste Lieferung dieses großen eigentlich bilinguen Werkes, welches eine Arbeitskraft und eine Kenntniß der Litteratur bezeugt, wie sie kein anderer Aegyptolog besessen hat. Das Wörterbuch bestand zuerst aus drei Bänden, die Ende 1868 vollendet wurden, 1728 Seiten, in welchen nahezu 4700 Wörter besprochen sind; das ganze ist von Anfang bis zu Ende von seiner eigenen Hand niedergeschrieben und mit Hülfe des Umdruckes autographirt. B. erzählt uns, wie viel Mühe es ihm auf der Schule kostete, eine schöne Schrift zu erwerben, auf welche sein Vater, der Leibgendarmerie-Wachtmeister, ein großes Gewicht legte, und welche er als bestes Zeichen einer guten Erziehung betrachtete. Diese schöne Schrift hat er sein Leben lang gehabt und sie ist ihm von sehr großem Werthe gewesen zur Anfertigung seines Wörterbuches, dessen Druck hohe Kosten verursacht hätte, die B. unmöglich tragen konnte.

Im J. 1845 schätzte Bunsen die Zahl der bekannten ägyptischen Wörter auf 685. Man kann aus dem Umfang des Wörterbuches ermessen, wie groß der Fortschritt in zwanzig Jahren gewesen war, dessen Verdienst B. hauptsächlich dem E. de Rougé zuschreibt. Zweck Brugsch’s bei der Herausgabe dieses epochemachenden Buches war, wie er selber sagt, „die endliche Begründung der ägyptischen Philologie im eigentlichen Sinne des Wortes. Jede andere Disciplin ist ihm untergeordnet, wie das Mittel dem Zwecke“. Nach dem Verständniß der ägyptischen Texte, nach der Erklärung des Inhalts jeder Inschrift, hat B. immer getrachtet, und dazu hat er in seinem Lexikon ein vortreffliches Mittel geschaffen, dessen Ausführung sich noch Niemand gewachsen gefühlt hatte.

Das Buch zeigt eine vollständige Beherrschung der ägyptischen Litteratur, wie sie zu jener Zeit gekannt war. Inschriften auf Denkmälern in Aegypten und Museen, hieratische und demotische Papyri, alles was publicirt war, wird berücksichtigt und ausgezogen. Ein so großartiges Unternehmen wurde für B. erleichtert durch die außerordentliche Raschheit, mit welcher er den Sinn eines Textes erkannte, die intuitive Anlage, mit welcher er gleich auf das richtige Verständniß eines Textes traf. Freilich erwies sich nachher im einzelnen vieles [290] ganz unhaltbar, aber das Wesentliche in der Erklärung ist fast immer richtig. Sehr viel ist schon und wird noch von seinen Nachfolgern corrigirt werden, nicht nur in den Erklärungen, sondern auch in den Citaten, die nicht immer zuverlässig sind, aber das Buch bleibt doch für alle diejenigen, die das Aegyptische studiren wollen, absolut unentbehrlich. Brugsch’s Wunsch, daß sein Buch erfolgreich wirke und den Jüngern der Wissenschaft die Wege zur Erkenntniß des schon einmal Erkannten erleichtern möge, ist über alle Hoffnungen erfüllt worden.

So umfangreich die vier ersten Bände waren, so wurden sie doch schnell überholt durch die Publication einer großen Anzahl von Texten, die bald nachher stattfand, und darunter Schriften wie der Papyrus Ebers oder der große Papyrus Harris, die den Wortschatz vielfach vermehrten. B. ging von neuem an die Arbeit, und von 1880 bis 1882 gab er drei Ergänzungsbände heraus, von über 1400 Seiten, so daß die Zahl der besprochenen Wörter im ganzen auf 8400 gewachsen ist. Wohl konnte Lepsius dem Verfasser schreiben: „Es ist dies ein Lebenswerk, dem kein ähnliches gegenüber gestellt werden kann in der Aegyptologie“. B. konnte es noch selber wahrnehmen, wie stark die Veröffentlichung seines Werkes die Entzifferung der Inschriften und im allgemeinen die ägyptischen Studien gefördert hat.

Eine unstäte Natur wie B. konnte sich nicht leicht dem unbewegten und geregelten Leben eines Universitätslehrers fügen; außerdem hat der Orient immer einen unwiderstehlichen Reiz auf ihn ausgeübt; so wurde er bald wieder in das Wanderleben getrieben. Kaum hatte er sich in Göttingen niedergesetzt und seine Lehrthätigkeit mit großem Erfolg angetreten, als er vom Vicekönig einen Ruf erhielt, in Kairo eine europäisch-orientalische Schule zu gründen, in welcher sogar der Unterricht in Hieroglyphenentzifferung zu geben sein würde. Die finanziellen Bedingungen waren so lockend, daß B. sich einen fünfjährigen Urlaub erbat und sich 1868 nach Kairo begab, wo er mit zwölf eingeborenen Zöglingen seinen Unterricht begann. Er gesteht selber, daß sein Erfolg kein glänzender war, und das konnte er eigentlich nicht sein; aber sein Aufenthalt in Aegypten, wo er beim Vicekönig ein willkommener Gast war, sowohl wie der Umgang mit der kosmopolitischen Gesellschaft, die sich um Ismail-Pascha drängte, entsprach seinen Neigungen. Anfangs blieb er mit Göttingen in Verbindung. In der heißen Sommerzeit nahm er seine Vorlesungen wieder auf; nach fünf Jahren aber, als Kaiser Wilhelm ihm seinen Urlaub auf fünf Jahre erneuerte, verzichtete er gänzlich auf Göttingen und auf sein Lehramt, und wählte sich für seinen Sommeraufenthalt ein kleines Schloß in Graz, das er bald wieder verließ.

Die zehn Jahre, die B. als Beamter in Aegypten zubrachte, waren anfangs der Wissenschaft wenig günstig, obwohl die Schule eigentlich Nebensache war. Seine Thätigkeit wurde durch allerlei in Anspruch genommen. 1869 war er bei der Eröffnung des Suez-Canals anwesend; er sollte sogar den Kaiser von Oesterreich auf der Nilreise begleiten, die am Ende nicht statt fand. 1874 vertrat er die ägyptische Regierung bei dem Orientalistencongreß in London, wo er einen Vortrag über den Auszug der Israeliten hielt („L’Exode et les monuments égyptiens“ in 8°, Leipzig 1875). 1873 organisirte er den ägyptischen Theil der Weltausstellung in Wien. Zwei Jahre später schickte ihn Ismail-Pascha zu einem ähnlichen Zweck nach Philadelphia, wo B. sich durch die wachsende ägyptische Finanznoth in großer Verlegenheit befand. Im Winter 1875 begleitete er den Erbgroßherzog August von Oldenburg auf einer Wüstenreise nach der großen Oase El Khargeh. Die Ergebnisse dieser Reise, die hauptsächlich aus den Inschriften des Tempels der Oase bestehen, hat B. [291] herausgegeben in der „Reise nach der großen Oase El Khargeh in der libyschen Wüste“, Leipzig 1878, in 4°. Die nächsten Jahre waren ruhiger. Dahin gehört das geographische Lexikon (1878–1879) und seine „Geschichte Aegyptens unter den Pharaonen“, Leipzig 1877. Zwei Mal hatte er schon früher mißlungene Versuche gemacht, ein Bild der ägyptischen Geschichte zu geben. 1859 publicirte er einen Band, der Saïd-Pascha gewidmet war: „Histoire d’Egypte sous les premiers rois indigènes“, in 8°, Leipzig 1875. Eine zweite Ausgabe, die nicht weiter als bis zur XVII. Dynastie sich erstreckte, blieb fast unbeachtet[WS 1]. Nicht so das deutsche Werk, das sofort ins Englische übersetzt wurde, und dem noch jetzt große Autorität mit Recht zugeschrieben wird. Dennoch ist es bei weitem keine der besten Arbeiten von B. Der litterarische Charakter des Werkes, die schöne, sogar poetische Sprache, das Bildliche der Darstellung, die geistreichen Einfälle, denen der Leser hie und da begegnet, das alles kann nicht gut in die Wage gestellt werden gegen den Mangel an wirklicher historischer Kritik. Geschichte war nie Brugsch’s Fach. Sie bedarf nicht nur scharfsinniger Einsicht des Wahren, sondern auch der sicheren und logischen Methode, die E. de Rougé’s Hauptverdienst in der Wissenschaft war. Dasselbe gilt auch für die Grammatik, die B. 1872 für seine Schüler in Göttingen herausgab („Grammaire hiéroglyphique contenant les principes généraux de la langue et de l’écriture sacrée des anciens Egyptiens“, Leipzig 1872). Obwohl, unserer Meinung nach, sie jetzt unterschätzt wird, so muß man sagen, daß sie mehr eine Sammlung grammatischen Materials als eine Grammatik ist.

Am Ende der siebziger Jahre wurde die Lage der ägyptischen Regierung immer bedenklicher; die Finanznoth wuchs in gefährlichem Maaße; Ismail-Pascha war in Verzweiflung und wußte nicht mehr, wie und wo er sich Geld verschaffen konnte. Die Zinsen der riesigen Schulden wurden nicht mehr bezahlt. Da schritten die europäischen Mächte ein; es hieß, man müsse überall wo möglich sparen und so kündigte im J. 1879 der englische Finanzminister B. an, daß seine Stelle aufgehoben sei. B. verließ sofort Aegypten und reiste nach Berlin zurück. Er ließ sich zuerst in Charlottenburg nieder, kehrte aber nach einiger Zeit wieder in die Stadt zurück.

Schon im folgenden Jahre war B. wieder in Kairo, beim Sterbebette Mariette’s. Er war anwesend bei der Eröffnung von zwei Pyramiden in Sakkarah, der ersten, deren Kammer man von religiösen Texten beschrieben fand. Mariette, der kaum noch sein Bewußtsein besaß, hörte von der wichtigen Entdeckung. Wenige Monate nachher reiste B. mit dem Kronprinzen Rudolf von Oesterreich nach Oberägypten bis nach Philae. 1883 begleitete er Prinz Friedrich Karl nach Aegypten und Syrien. 1885 erhielt er vom Auswärtigen Amte den Antrag, als Legationsrath mit der deutschen Gesandtschaft nach Persien zu reisen, wo seine frühere Erfahrung, so wie seine Kenntniß der Sprache und Verhältnisse von großem Nutzen sein konnten. Sieben Monate hielt er sich mit der Gesandtschaft in Teheran auf, wo er eine schwere Krankheit durchmachte und kam nach Berlin zurück, gerade am Tage der Beerdigung seines Gönners Prinz Friedrich Karl. 1891 und 1892 wurden ihm Mittel bewilligt, nicht nur um nach Aegypten zu reisen, sondern auch um bedeutende Einkäufe an Alterthümern und Papyri zu machen. 1892 fand seine letzte Reise nach Aegypten statt.

In diesen letzten Jahren, die nicht minder bewegt waren als die früheren, hat B. seine wissenschaftliche Thätigkeit nicht aufgegeben. Allein, außer den Zusatzbänden des hieroglyphischen Lexikons, sind keine großen Werke zu erwähnen. Man merkt, daß die schöpferische Kraft bei ihm nicht erloschen, aber doch gemindert ist. In seinen Arbeiten spürt man immer das geniale, jedoch [292] sind sie nicht mit den früheren zu vergleichen. Die „Religion und Mythologie der alten Aegypter“ (in 8°, Leipzig 1885) enthält, wie alle seine Schriften, ein sehr großes Material, aber es ist nicht genügend geordnet und gesichtet. Außerdem stammt es hauptsächlich aus ptolemäischer Zeit, so daß es uns kein Bild der Religion zur Pharaonenzeit wiedergiebt. „Die Aegyptologie, Abriß der Entzifferungen und Forschungen auf dem Gebiete der ägyptischen Schrift, Sprache und Alterthumskunde“ (in 8°, Leipzig 1891) ist hauptsächlich für Nichtägyptologen bestimmt; es ist meistens ein Auszug aus seinen vorigen Arbeiten und gibt eine kurze und bequeme Darstellung von den Resultaten der Wissenschaft. Es hätte seinen Zweck besser erfüllt, hätte B. nicht die gerade für die Laien wenig verständliche Umschrift der Hieroglyphen angenommen, die neuerdings von den Berliner Aegyptologen in die Zeitschrift eingeführt worden ist. „Die biblischen sieben Jahre der Hungersnoth“ (in 8°, Leipzig 1891), ist ein Commentar über die vom Amerikaner Wilbour entdeckte Inschrift auf der Insel Sehel.

Seine letzte große wissenschaftliche Publication sind die sechs Bände des „Thesaurus Inscriptionum Aegyptiacarum“ (in 4°, Leipzig 1883–91), ein Schatz von Inschriften aller Art, von welchen er schon früher viele publicirt oder die Andere herausgegeben hatten. Seit Lepsius’ Tod hatte er, wie gesagt, die Redaction der Zeitschrift übernommen, erst unter Stern’s, nachher unter Erman’s Mitwirkung.

Außer dieser rein wissenschaftlichen Thätigkeit hat B. in den letzten Jahren eine litterarische geübt. Er schrieb viel für Zeitungen und Monatsschriften, wo er öfters einen wissenschaftlichen Gegenstand populär behandelte. In dieser Richtung hat er sogar ein längeres Werk herausgegeben: „Steinschrift und Bibelwort“ (in 8°, Leipzig 1891). Viele dieser Arbeiten leiden an ihrer Natur; sie mußten an einem bestimmten Tage herauskommen und tragen die Spuren der Eile; der streng wissenschaftliche Charakter ist bei Seite gelassen, oder in den Schatten gestellt, während das Hypothetische aber für das Publicum Interessante zu stark zum Vorschein kommt. Das letzte, das er schrieb, war seine schon oben erwähnte Autobiographie. Sie ist von Leben und Schwung durchdrungen, doch bemerkt man deutlich die Stimmung, die B. am Ende seines Lebens zu oft erfüllte, die Erbitterung gegen Menschen und Schicksal, das Gefühl, daß seine erstaunlichen wissenschaftlichen Leistungen keine rechte Würdigung erhalten hatten, und daß seine großen Anstrengungen nie belohnt wurden, wie sie es verdienten. Kurz nach dem Erscheinen des Buches wurde er von einem Anfall seiner Herzkrankheit ergriffen. Er erholte sich theilweise und wie sein Freund Mariette machte er noch große wissenschaftliche Pläne, wie z. B. einer neuen Herausgabe seiner demotischen Grammatik; aber es wurde ihm nicht gegönnt, sie auszuführen. Am 9. September 1894 schied er aus diesem Leben.

Wie Erman es mit Recht ausspricht: „In Heinrich B. ist der letzte bedeutende Vertreter jenes Zeitalters von uns gegangen, das die Aegyptologie geschaffen hat“. Im Vergleich zu seinen Vorgängern muß man sagen, daß er derjenige gewesen ist, der mit Champollion die größte Aehnlichkeit hatte. Der eingeborene Spürsinn für das Verständniß des Aegyptischen, die intuitive Erkenntniß des Richtigen, die scharfsinnige Einsicht der Lösung, das sind Geisteszüge, die er, ebenso wie der Meister, im hohen Grade besaß. Hingegen fehlte ihm die Methode, das Vorsichtige und logische Vorgehen, die Em. de Rougé besonders auszeichneten. Mariette, der beide genau gekannt hatte und mit beiden das Nilthal bereist, erzählte einmal, er wäre öfters im Fall gewesen, einen von den beiden Gelehrten vor eine neu entdeckte Inschrift zu stellen: „B.“, sagt er, „liest mir das gleich französisch vor, von Anfang bis zu Ende; [293] Rougé sagt kein Wort, aber am nächsten Tag bringt er mir eine Uebersetzung, die in jeder Beziehung vollkommen ist“.

Lange noch werden Brugsch’s Nachfolger auf den Grundlagen bauen, die er gelegt hat und dazu das Material brauchen, das er so reichlich gesammelt. Denn mit Ausnahme der Kunst hat er alle verschiedenen Fächer der Aegyptologie behandelt und überall sein Gepräge gelassen. In allen ist er nicht gleich glücklich gewesen, aber Brugsch’s Namen wird immer in der Aegyptologie bleiben, als der des Schöpfers des Demotischen, der Geographie und des Lexikons.

Siehe Ad. Erman: Heinrich Brugsch. Nachruf. Zeitschr. für ägypt. Spr. XXXII, 69. – Maspéro: Henri Brugsch. Actes du Congrès des Orientalistes de Genève. Sect. IV, p. 95.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ununbeachtet