ADB:Haagen, Friedrich

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Artikel „Haagen, Friedrich“ von Johann Joseph Xaver Steenaerts in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 791–793, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Haagen,_Friedrich&oldid=- (Version vom 24. April 2024, 01:22 Uhr UTC)
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Haagen *): Friedrich H., Professor und Oberlehrer an der Realschule I. Ordnung in Aachen. – Er war daselbst am 5. October 1806 geboren von ehrsamen Bürgersleuten, welche bei den französischen Durchzügen ihr Vermögen eingebüßt. Durch Vorschüsse edeler Menschenfreunde, durch Unterrichtgeben und Besorgung von Correcturen verschaffte er sich die Mittel zum Studium. Auf dem vaterstädtischen Gymnasium vorgebildet, widmete er sich von 1827–30 auf der Universität Bonn dem philologischen Studium unter Anleitung von Heinrich, Näke, Welcker und dem historischen unter Brandis, Hüllmann, Niebuhr, Windischmann. Am größten und nachhaltigsten war der Einfluß Niebuhr’s: von demselben wurde er mit Correcturarbeiten an der neuen Ausgabe der Scriptores historiae Byzantinae betraut und auch später noch mit freundschaftlichem Verkehre beehrt; auch wurden seine sorgfältig geschriebenen Collegienhefte bei den durch dessen Sohn M. Niebuhr veranstalteten Veröffentlichungen benutzt. Von Ostern 1831 an wirkte er als Candidat und Hülfslehrer am Gymnasium zu Aachen, bis er im Herbste 1834 eine Hauslehrerstelle übernahm bei dem zur Winterzeit in Aachen und zur Sommerzeit auf einem benachbarten Landsitze wohnenden niederländischen General Grafen Cruquembourg. Des Französischen fast unkundig, lernte er dasselbe binnen 3 Monaten geläufig sprechen. Obwol ihm der Graf beim Verbleiben in seiner Stellung eine lebenslängliche Pension anbot, wollte er seinen Lebensberuf nicht preisgeben. Im Herbste 1836 wurde er an der Aachener Realschule ordentlicher Lehrer, 1845 Oberlehrer und erhielt im J. 1873 den Professortitel. Sein Hauptfach an der Realschule war Geschichte und Geographie in den höheren Classen, daneben Französisch und Litteratur. Auch ertheilte er noch Unterricht in verschiedenen Töchterschulen und gab Privatkurse für erwachsene Zöglinge beider Geschlechter. – In ihm vereinigten sich in seltener Weise die Liebe zu seiner katholischen Kirche und zu seinem Vaterlande, tiefe Religiosität und unbeirrtes moralisches Gefühl, Geradsinn und stets würdige, maßvolle und unabhängige Haltung, umfassendes und gründliches Wissen, ausgezeichnete Lehrgabe, unermüdliche, selbstlose Begeisterung für seinen Beruf, Ernst und Heiterkeit, [792] unverzagte, ganz ergebene Geduld bei seinen schrecklichen Leiden, sowie stete Dienstwilligkeit: kein Wunder, daß er für viele Kreise segensreich wirkte und die Hochschätzung aller, die ihm näher traten, in seltenem Maße gewann. – Nach harter Jugend war ihm noch Härteres im Mannes- und Greisenalter beschieden. Die im Jahre 1840 ihm angetraute Gattin verlor er bereits im Jahre 1850, nachdem ihr 5 seiner Kinder vorangegangen; sein einziger Sohn, ein tüchtiger Chemiker, lebte fern von ihm in Roermonde; nur eine Tochter blieb bei ihm, welche ihm stets Bibliothekarin, Secretärin, Pflegerin und vor Allem – Kind war. Im J. 1845 stellte sich ein Rückenmarksleiden ein, welches die Unterglieder lähmte und allmählich immer weiter um sich griff. Sechszehn Jahre lang wurde er in einem Handwägelchen in das Schulzimmer gefahren, wo die Schüler ihn auf den Katheder hoben; bewundernswerth waren die Autorität und die Leistungen des gelähmten Lehrers! Als auch dieses nicht mehr anging, ließ er sich im Januar 1873 pensioniren zum tiefen Bedauern seiner Collegen. – Da saß er nun in seinem Sessel, eine stattliche Persönlichkeit, die aber nur noch den rechten Arm bewegen konnte. Und wie hat sein stets frischer Geist dieses letzte brauchbare Glied benutzt! Wenn ihm auch durch Behinderung in freier Bewegung und durch Mangel an großen litterarischen Hülfsmitteln die tiefere Forschung versagt war, so hat er doch gezeigt, was unter den ungünstigsten Umständen Fleiß und ernster Wille vermögen; hat mit Bienenemsigkeit gesammelt und Außerordentliches für die vaterstädtische Geschichte geleistet und zumal das durch fremden und eigenen Fleiß Gewonnene populär bearbeitet und zum Eigenthum des Volkes gemacht. – Seine ersten Arbeiten waren Monographien in den Schulprogrammen: „Die Majores-Domus aus dem Hause Pippins von Landen und ihre Erhebung zur königlichen Würde“ (1839, 25 S. 4.; in Folge neuerer Forschung veraltet); „Die deutschen Heerkönige nach Einführung des Christenthums bei den germanischen Völkern und die Salbung und Krönung der deutschen Könige in Aachen“ (1854, 39 S. 4.). Bedeutender waren: „Aachen und die Grafen von Jülich im 13. Jahrhundert bis zur Katastrophe vom 16./17. März 1278“, mit einem Anhange: „Die Pfalzgrafen von Aachen und bei Rhein bis 1228“ (1862, 22 S. 4.); „Karls des Großen letzte Tage und Grab“ (1866, 32 S. 4.). Sodann 1864 als Festgabe zu der fünfzigjährigen Amtsjubelfeier des Aachener Gymnasialdirectors Herrn Dr. Schoen, der Nachweis, daß unter den vielen im Laufe der Jahrhunderte gebräuchlichen Bezeichnungen die Schreibung „Achen“ die älteste und einzig sprachrichtige sei. Dann folgten in kurzen Zwischenräumen seine beiden bedeutendsten Werke: „Geschichte Achens von seinen Anfängen bis zum Ausgange des sächsischen Kaiserhauses 1024“ (Aachen 1868, VI und 224 S., gr. 8.) und mit Benutzung von etwa 250 noch ungedruckten Urkunden des dortigen Stadtarchivs die populär gehaltene „Geschichte Achens von seinen Anfängen bis zur neuesten Zeit, seinen Mitbürgern gewidmet“ (Aachen 1873 – 74, 2 Bände, XV, 381 und IV, 740 S., gr. 8 mit Abbildungen). Das Programm für 1874 brachte noch von ihm: „Zerstreute Mittheilungen zur Geschichte Achens während des Mittelalters“. Außerdem lieferte er für die 4. Aufl., 1877, der Schrift: Die Thermen von Achen und Burtscheid“ vom Geh. San.-Rath Dr. A. Reumont die Umgestaltung des historisch-topographischen Theiles; für die 12. Auflage des Conversationslexikons von Brockhaus den seine Vaterstadt betreffenden Artikel; für die gegenwärtige „Allgemeine deutsche Biographie“ die sämmtlichen auf Aachen bezüglichen Artikel *); für die Rheinisch-Westphälische Schulzeitung 1879 die Artikel über [793] die Unterrichts- und Erziehungsanstalten in Aachen vom Ende des 8. Jahrhunderts bis auf unsere Tage; die Zeitschrift des im J. 1879 gegründeten Aachener Geschichtsvereins wurde von ihm eröffnet mit dem Anfang einer historischen Topographie der Stadt; dazu kommen noch eine Menge kleinerer Arbeiten sowie ein Manuscript mit kostbaren Materialien für die Zeit Karls des Großen, welches von ihm selbst „ein Schatz“ genannt wurde und hoffentlich durch eine geschickte Hand der Oeffentlichkeit übergeben wird. – Dazwischen hatte er bei jeder Gelegenheit an den vielen Berathungen bezüglich der Restauration des Aachener Rathhauses, namentlich der Außenfronte und des Kaisersaales den eingreifendsten Antheil genommen. Kurz, er lebte und webte in Aachener Geschichte! – Mitten in seiner Thätigkeit überraschte ihn ein sanfter Tod in der Morgenfrühe des 30. Octobers 1879 in seinem 74. Lebensjahre. Erst in seinen letzten Stunden entschlüpfte ihm das Wort: „Ich habe nie gut gesessen und gut gelegen!“ Erst nach seinem Tode zeigte sein Leib, was er gelitten. Die allgemeinste Theilnahme bewies, wie sehr die Stadt diesen Ehrenmann, ihren Lehrer und Geschichtschreiber schätzte.


[791] *) Zu Bd. X. S. 256.

[792] *) Die von dem Verstorbenen s. Z. übernommenen Artikel aus der Aachener Geschichte fanden sich in seinem Nachlaß sämmtlich druckfertig vor und sind uns zu unserer Freude zur Benutzung zugestellt worden. Der treffliche Aachener Mitarbeiter wird uns also bis zum Z begleiten.