ADB:Lyncker, Nikolaus Christoph Freiherr von

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Artikel „Lyncker, Nikolaus Christoph Reichsfreiherr von“ von Johann August Ritter von Eisenhart in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 737–740, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lyncker,_Nikolaus_Christoph_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 18. April 2024, 07:19 Uhr UTC)
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Lyncker: Nikolaus Christoph Reichsfreiherr v. L. (auch Linker), Herr auf Dammer in Schlesien, Erbherr zu Flurstädt und auf Kötschau im Stifte Merseburg, kaiserlicher Reichshofrath und staatsrechtlicher Schriftsteller; geb. am 1. April 1643 zu Marburg, † am 28. Mai 1726 zu Wien. Die Lyncker sind ein angesehenes, seit Anfang des 13. Jahrhunderts in ununterbrochener Reihe nachweisbares Geschlecht aus Oberhessen und der Wetterau, welches sich schon frühzeitig in zwei Linien schied. Stifter der noch bestehenden protestantischen, reichsfreiherrlichen Hauptlinie und zugleich Gründer deren Glanzes ist unser L. – Die katholische, gewöhnlich „Linker-Lützenwick“ geschriebene Hauptlinie wurde 1816 mit dem k. k. Kämmerer, Clemens Wenzel Freiherm v. L., Herrn von Schlüsselburg in Böhmen, in den erbländisch-österreichischen Grafenstand erhoben. – L., der Sohn des hessischen Universitäts-Rentmeisters Aegidius L. († 1677), bezog nach dem Besuche des Gießener Gymnasiums im Alter von 16{{Bruch|1|2]] Jahren (August 1659) die Universität Jena, und im nächsten Jahre die Universität Gießen. Nach vollendeten Rechtsstudien ertheilte er dort (1662) einigen Adeligen Privatunterricht in den Institutionen, erwarb am 15. März 1664 die Licentiaten-, am 30. Juni 1668 die juristische Doctorwürde, gab 1669 seine dem Landgrafen Ludwig gewidmeten Protribunalia heraus, welche später zu Nürnberg 1732 und 1737 in 2. und 3. Auflage erschienen, und erhielt am 3. Juli 1670 die außerordentliche Professur für Staats- und Lehnrecht an der Gießener Hochschule. – Obwol seine Vorträge mit ungetheiltem Beifalle aufgenommen wurden, folgte [738] er doch im December 1673 einer Einladung des Herzogs Joh. Georg als Hof- und Regierungsrath nach Eisenach, und beim Abgange Johann Strauch’s von Jena einem Rufe an dessen Stelle, wo er im Mai 1677 seine erste Vorlesung de superioritate territoriali hielt, und zugleich Beisitzer des Schöppenstuhles sowie des Hofgerichtes wurde. – Wie bereits früher, so ergingen auch jetzt an L. mehrfache Anträge zur Uebernahme von Syndicaten oder Lehrstühlen, die er jedoch ausschlug, worauf ihm 1680 beim Rücktritte Georg Ad. Struve’s auch dessen Professur der Decretalen und die Würde des Primarius übertragen wurden. Gegen Ende des nämlichen Jahres (nach Strieder: 1678) fungirte L. als kaiserlicher Commissarius in Quedlinburg zur Hebung der Streitigkeiten zwischen dem brandenburgischen und braunschweig-lüneburgischen Hofe, ging hierauf als Abgeordneter des sächsischen Hauses an das Reichskammergericht nach Speyer, und im März 1682 im Namen des Herzogs Friedrich von Gotha nach Wien, nachdem er vorher in einer anderen Rechtssache Friedrichs Straßburg besucht hatte. Am 17. Januar 1687 zum wirklichen geheimen Rath in Weimar ernannt, begab er sich am 11. Juni 1688 von dort nach Wien, um nach dem Ableben Joh. Georg’s für die Herzöge von Sachsen-Eisenach und Weimar das Investiturrecht ihrer Lande zu empfangen. Seine Abordnung stieß wegen seiner bürgerlichen Abkunft bei dem kaiserlichen Oberstmarschallamte auf Anstand, welch Letzteres auch die mit sechs Pferden „in fiocchi“ beanspruchte Auffahrt Lincker’s ablehnte. Hieraus entspann sich ein Ceremonial- und Etiquettestreit mit weitwendigem Schriftenwechsel, in dem sich unser L. durch seine Deductionen sowie durch Aufzählung von Präcedenzfällen als gründlicher Kenner des Staatsrechts und der Reichsgeschichte erwies. Schließlich setzte er auch zu großer Befriedigung seiner Regierung durch, daß er am 15. September in einem sechsspännigen Staatswagen, empfangen von der Schweizergarde, seine Auffahrt nach der Hofburg halten durfte, wo sodann die feierliche Belehnung stattfand. Wenige Tage später, am 7. October 1688 verlieh ihm Kaiser Leopold den Reichsadelstand. Auch in der Heimath zeichnete man den Neugeadelten durch weitere Rangerhöhungen aus; am 10. Juli 1695 wurde ihm die Stelle eines Consistorialpräsidenten, und am 23. August 1701 die höchste Würde in den weimaranischen Landen, nämlich jene eines Geheimen-Rathspräsidenten nebst der Oberaufsicht über die Universität Jena übertragen, nachdem ihn Kaiser Leopold laut Diplom vom 7. August 1700 „in gnädigster Erkentniß trew geleisteter Dienste und meritten“ unter Wappenmehrung in den erblichen Freiherrnstand erhoben hatte. Als 1706 abermals eine Belehnung der sächsischen Fürsten nothwendig wurde, reiste L. zum dritten Male nach Wien, und nahm dort im nächsten Jahre seinen dauernden Aufenthalt, da ihn Kaiser Leopold durch Decret vom 17. März 1707 zum Reichshofrath auf der Herrenbank mit 4000 fl. und dem üblichen Adjutum ernannt hatte. Nur ungerne ließ man den Gefeierten aus der Heimath ziehen, und gab ihm manches Zeichen warmer Verehrung. So überreichte ihm beim Weggange im Juni 1707 u. A. die Jenenser Rechtsfacultät eine (zwei Foliobogen umfassende) höchst schmeichelhafte allocutio apodemica, und Loeber besang den Scheidenden in einem Panegyrikus, welcher – im schwülstigen Geschmacke jener Zeit gedichtet – den Titel trägt: „Die aufgewachsenen Cedern des Reichsfreiherrn v. L.“ (Jena 1707; 4°, 43 S.). L. gehörte zu jenen Publicisten, welche mit Wort und Schrift für möglichste Ausdehnung der kaiserlichen Gewalt in die Schranken traten, und genoß deshalb auch in Wien hohes Ansehen, ja er galt dort allgemein als der erste Staatsgelehrte seiner Zeit. Solche Ueberschätzung seiner wissenschaftlichen Bedeutung mehrte die Zahl der Gegner und Neider; er gerieth in neue litterarische Fehden, deren er schon früher ein Paar hatte ausfechten müssen. Von letzteren hat die sogenannte „Lyncker-Stryck’sche“ [739] wegen der Kampfweise und ihres ungewöhnlichen Umfanges in der gelehrten Welt ein gewisses Aufsehen erregt, und wurde deshalb zum Oefteren beschrieben (ausführlich von Hellbach, S. 46 u. folg.; dann in den Hallischen Beitr. I., S. 406 u. ff.; ferner in Beyer’s Gesch. Hall. Gel. I. 333 u. folg. und anderwärts). Zu dieser schließlich zwischen den Hallenser und Jenenser Juristen geführten Fehde gab Professor Joh. Brunnemann in Frankfurt a./O. † 1672) unbewußt den ersten Anstoß, welcher über 300 Stellen aus Bened. Carpzow’s Schriften als irrig bekämpfte. Geraume Zeit später sprach sich unser L. für Carpzow’s Lehren aus, während Stryck, Brunnemann’s Schwiegersohn, in des Letzteren Fußstapfen trat. 1697 wollte Wilhelm Ernst Schmidt, ein Schüler Lyncker’s, unter dessen Vorsitze eine Streitschrift: „Trutina doctrinarum Jo. Brunnemani Jct quibus a Bened. Carpzovio et dissentiendum sibi existimavit“ öffentlich vertheidigen, und der Studirende Jak. Brunnemann zu Halle (ein Neffe des vorerwähnten Professors) als Opponent auftreten. Letzterer jedoch nicht zugelassen, bekämpfte nun den veröffentlichten Theil der Streitschrift, welchen er nicht undeutlich L. selbst zuschrieb, mit großer Bitterkeit. Trotzdem vollendete W. E. Schmidt seine Dissertation mit Ausnahme der Schlußzeilen in einem ruhigen Tone; worauf Brunnemann die ganze Dissertation zu widerlegen suchte. – Fast gleichzeitig griffen drei Hallenser anonyme Schriften L. als angeblichen Verfasser der „Trutinae“ in derbster Weise an. Nun tauchten in beiden Lagern Schriften um Schriften voll Gehässigkeit auf, und man trachtete besonders, sich an L. zu reiben. Aber auch Stryck wurde als bekannter Gegner Lyncker’s von dessen Anhängern in die Händel hineingezogen; er antwortete 1698 mit einer „modesta calumniarum Jenensium depulsio“. Um sich an diesem zu rächen, wies L. unter seinem versetzten Namen: „Caroli, Sylbandi, Nicei“[WS 1] in Stryck’s Tractat „de actionibus“ (2. Aufl. 1699) 5465 Fehler und Irrthümer nach! Diese „Monita plus quam quinque millia“ etc. (Frankfurt u. Leipzig 1699, 4°) wurden zwar auf Stryck’s Betreiben in Halle confiscirt, erschienen jedoch später unter dem veränderten Titel: „Experimentum solidae ac immobilis jurisprudentiae“ etc. Schließlich gab der Historiker Schubert in Jena alle in diesem ebenso unerquicklichen wie unfruchtbaren Streite erwachsenen Schriften unter dem für L. beleidigenden Namen: „Absurda Lynckeriana“ heraus, wofür sich dieser dadurch rächte, daß er die von Schubert sehnlichst angestrebte Berufung auf einen juristischen Lehrstuhl hintertrieb. – L. war ein vielseitiger Lehrer, ein fleißiger Geschäftsmann und ein äußerst fruchtbarer Schriftsteller, der sich nur wenige Stunden Schlaf gönnte, und an den üblichen Zerstreuungm des gesellschaftlichen Lebens keinen Gefallen fand. Das ehrendste Denkmal seines eisernen Fleißes ist die 1724 zu Wien ausgegebene, muthmaßlich von ihm selbst gefertigte Liste seiner Schriften. In Folio gedruckt umfaßt sie 2{{Bruch|1|2]] Bogen und zählt 193 Nummern, darunter allerdings viele Dissertationen und mehrere handschriftliche Entwürfe. Als besonders nennenswerth verdienen Erwähnung dessen „Instructorium forense“ etc. (1691; 2. Aufl. 1698, Fol.; 3., von J. Chr. Fischer in 2 Thln. besorgte Auflage; P. I. 1752, P. II. 1756), sowie dessen „Consilia et responsa juris“ etc. (Vol. I. 1704, 2. Aufl. 1710; Vol. II. 1715, 2. Aufl. 1737 und 1744, Fol.); dann „Praescript. publicae lectionibus inaug. praemissae“ (1697, verm. 1723; eine Zusammenstellung Von 24 mit Summarien versehenen Programmen Lyncker’s). – Auch seine staatsrechtlichen Elaborate waren hochgeschätzt, obwol er sich auf diesem Gebiete zu sehr von den Grundsätzen des römischen Rechtes beeinflussen ließ; von den reichskammergerichtlichen Schriften war namentlich sein Werk „Ueber die Extrajudicial-Appellation“ sehr verbreitet, welches 1672 zu Gießen, 1679 und 1737 zu Jena verlegt wurde. – Haftet auch an Lyncker’s Behandlung der Stoffe ein gewisser pedantischer Zug, so wird dieser immerhin [740] aufgewogen durch den praktischen Sinn, die Belesenheit und die reichen Erfahrungen, worüber der Autor gebot, und die er in seinen Werken zu verwerthen weiß.

In den letzten Lebensjahren körperlich sehr gebrechlich, starb L. hochbetagt als Reichshofrath am 28. Mai 1726 und wurde im damaligen Kloster Montserrat bei den Schwarz-Spaniern bestattet; wenige Jahre vorher (1721) hatte er sich selbst in lateinischer Sprache seine ausführliche Grabschrift gefertigt. – Lyncker’s Porträt wurde viermal in Kupfer gestochen; von dem Holländer Peter Schenk (1699, Fol.), von Krügerer (4°), von E. Heinzelmann (Groß-Fol.); das beste und größte Blatt hat der Augsburger Stecher Bernhard Vogel geliefert, welcher hierzu eine von Auerbach in Wien nach dem Leben gefertigte Zeichnung benützte. Eine hübsche Denkmünze auf den gefeierten Juristen hat der Medailleur Wermuth geprägt, deren Avers zeigt Lyncker’s Brustbild, auf dem Revers malt Minerva das Lyncker’sche Wappen mit der Devise „Virtute oculi in manus“. Das genaueste Verzeichniß der Schriften Lyncker’s (muthmaßlich nach des Verfassers eigener Zusammenstellung) lieferte Hellbach S. 55–123, welcher nach Lyncker’s eigenen, genauen Aufschreibungen, dessen Leben in einem „biographischen Versuche“ erschöpfend geschildert hat. – Ueber die staatsrechtlichen Schriften gibt Pütter (Litter. d. deutsch. St.-Rechtes, Thl. I, S. 269 bis 271; II. 353); über die reichskammergerichtlichen Fahnenberg (Litter. d. kaiserl. R.-K.-Ger. S. 91, 247, 266, 211) Aufschluß.

Aus der Ehe, welche L. 1676 mit Margaretha Barbara, der Tochter des sächsischen Leibarztes Widmarkter abgeschlossen hatte, gingen mehrere Kinder hervor, von denen der älteste Sohn Ernst Christian L. (geb. 27. März 1685, † 1750 als markgräflich Ansbachischer geheimer Rath und Justizraths-Präsident) mit sechs Söhnen das Geschlecht fortsetzte. Von diesen sechs Söhnen, welche sämmtlich bei verschiedenen Fürsten zu hohen Würden emporstiegen, verdient besonders der vierte, Heinrich Ferdinand Christian, nähere Erwähnung. Geboren am 28. Juli 1728 in Ansbach, studirte er nach dem Besuche des dortigen Gymnasiums in Halle die Rechtswissenschaft, wurde später Regierungsrath in Meiningen, trat sodann in fürstlich schwarzburgische Dienste und starb 1811 zu Arnstadt als fürstlicher Kanzler und Consistorialpräsident. Zweimal verheirathet und 1802 mit Flurstädt und Kötschau mitbelehnt, wurde er Gründer der jüngeren thüringischen Linie und hat sich durch einige publicistische Schriften, insbesondere durch sein dreitheiliges Werk: „Römisch-Königliche Wahlcapitulation Ihrer Kaiserlichen Majestät Joseph’s des Zweiten“ etc. (1783, 4°) in der literarischen Welt einen geachteten Namen erworben.

(Nik. Christoph L. u. Familie), Kneschke’s Adels-Lexikon Bd. V, S. 566 bis 570 und die daselbst zahlreich Aufgeführten. – Strieder, Hess. Gelehrt.-Gesch., Bd. V, S. 178–216. – Joh. Chr. Hellbach, N. Chr. R.-Freih. v. L., ein biograph. Versuch. (Eisenach 1789.) Kl. 8°, 164 S. und die im Vorberichte Genannten. – (Heinr. Ferd. Chr. L.), Weidlich, Biograph. Nachr. etc., Bd. I, S. 483; dann Nachtr., Zusätze etc. 175.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: schließendes Anführungszeichen fehlt