ADB:Schulz, Johann Abraham

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Artikel „Schulz, Johann Abraham Peter“ von Heinrich Welti in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 744–749, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schulz,_Johann_Abraham&oldid=- (Version vom 25. April 2024, 06:30 Uhr UTC)
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Schulz **): Johann Abraham Peter S., Tonsetzer und Musiktheoretiker, wurde am 31. März 1747 zu Lüneburg geboren. Sein Vater, ein Bäckermeister, ließ ihn trotz dürftigen Verhältnissen die lateinischen Schulen der Stadt besuchen, denn er wollte einen Gottesgelehrten aus ihm machen. Des Knaben eigenwilliger Sinn aber neigte zur Tonkunst, wofür er früh auffallende Begabung zeigte. Da er durch seine Thätigkeit als Discantist der Kirchenchöre und später durch seine Mitwirkung in den Concerten der Musikliebhaber allerlei Beneficia und kleine Einnahmen hatte, beschied sich schließlich der Vater und sorgte dafür, daß dem Jungen auch auf Clavier, Flöte und Violine ein erster Unterricht zu Theil wurde. „Schon in meinem 10. oder 11. Jahre“, so erzählt er selbst, „war ich soweit, daß ich Alles, was ich sah, nach meiner Art vom Blatt singen konnte, aber das genügte mir nicht, ich wollte componiren und componirte ohne zu wissen, wie man einen Accord zusammensetzt“. Aus den Fährlichkeiten solcher Selbstlehre rettete ihn ein Organist, Namens Schmügel, ein Schüler Telemann’s, der ihn nicht nur im Orgelspiel anleitete, sondern auch in die Künste des Satzes einführte und ihn bis zum „fugirten Choralpunkt“ förderte. „Schmügel hatte eine artige Sammlung Musikalien von den Neuesten Berlinischen Componisten, die damals in Deutschland für die Meister der Kunst galten; er hatte auch mehrere zu der Zeit in Berlin geschriebene Bücher über Musik und was dazu gehört. Ich verschlang [745] das alles mit der größten Begierde und war unersättlich in Auftreibung neuer Werke und Bücher. Bach und Kirnberger wurden meine Helden für die praktische, sowie Marpurg für die theoretische Musik.“ Gleichzeitig mit den Grundlagen seiner Kunst gewann S. aus diesen Werken auch ein festes Lebensziel, da er nach den Musikberichten Marpurg’s zu der Anschauung kam, daß wohl eine Capellmeisterstelle ihm am besten anstehen möchte. Tag und Nacht verfolgte ihn nun der Gedanke, es bei den Eltern dahin zu bringen, daß sie ihn nach Berlin reisen ließen; unter Anleitung der dortigen „geschickten großen Männer“ hoffte er sich in der Musik so weit zu vervollkommnen, als zur Erreichung seines Zieles nöthig war. Im Frühjahr 1764 ging endlich sein Wunsch in Erfüllung. Mit 10 Thalern in der Tasche reiste er über Salzwedel nach Berlin, wo er vorläufig sich erkundigen sollte, wie er dorten seinen Zweck erreichen und dabei fortkommen könnte, ohne dem Vater allzusehr zur Last zu fallen. Die Auskunft muß gut ausgefallen sein, denn im J. 1765 kam S. zu dauerndem Aufenthalt nach Berlin. Der Rector zum grauen Kloster, wo er sich als Chor- und Kirchensänger hatte einschreiben lassen, verschaffte ihm die ersten Einnahmen; Philipp Emanuel Bach, an den er sich schon von Lüneburg aus gewandt hatte und dem er nun ein fugirtes Trio für 2 Violinen und Baß vorlegte, trat ihm mit seinem Rathe hilfreich bei und empfahl ihn an Kirnberger. Dieser berühmte Theoretiker fand so viel Gefallen an der Begabung des lernbegierigen Jünglings, daß er ungeachtet aller schönen Präludien, Motetten und Fugen, die er ihm von seiner Arbeit vorlegte, mit ihm wieder bei den Anfangsgründen begann und ihn bald auch ganz zu sich ins Haus nahm, damit er alle Zeit auf die Composition verwenden könne. S. selbst berichtet über diese Zeit: „Mit eisernem Fleiße und mit einer gleichen Lust arbeitete ich beinahe drei ganze Jahre lang nach unzähligen Vorschriften im simpeln und figurirten Choralstil, worin K. unerschöpflich war, und ward durch seinen Unterricht allerdings mit allen Künsten des reinen und vielstimmigen Satzes, und des einfachen und doppelten Contrapunkts bekannt. Aber diese zu lang anhaltenden Studien einerlei Art hatten mich unvermerkt in solchem Grade angezogen, daß ich ihre Anwendung auf Producirung eigener Kunstwerke ganz aus den Augen verlor und nun sie zu meiner Hauptbeschäftigung machte … Nur was mir mühsam ausgearbeiiet zu sein schien, zog mich an, und daher ward meine ehemals so leichte Schreibart nur mühsam und peinlich. Praktische Musik verlor allen Reiz für mich, weil K. selbst kein sonderlicher Praktiker war und keine Concerte besuchte. Die Orgel, ehemals mein Hauptinstrument, ward hintangesetzt, weil ich schüchtern im Phantasiren geworden war und verbotene Fortschreitungen zu machen fürchtete. Ich hatte, mit einem Worte, durch K.’s Umgang und Unterricht unstreitig an Kenntniß, Theorie und Kritik gewonnen, aber ebensoviel an Genie zur praktischen Hervorbringung eigener Kunstwerke verloren.“ Es war daher für die Weiterentwicklung seiner Naturanlagen nur förderlich, daß er im J. 1768 Berlin verließ, um als musikalischer Begleiter und Lehrer einer polnischen Fürstin Sapieha, der Woiwodin von Smolensk, für längere Zeit auf Reisen zu gehen. Da diese Fahrten ihn nach Oesterreich, Italien und Frankreich brachten, hatte er Gelegenheit, seine künstlerischen Anschauungen an reicher entwickelter Musikpflege zu bilden und unter dem Eindruck des großen zeitgenössischen Musiklebens von den Ueberlieferungen der Berliner Musikschulmeisterei mehr und mehr sich zu befreien. Bestimmte Gluck seine künstlerische Auffassung im allgemeinen, so wirkten dagegen die Schöpfer der französischen komischen Oper, voran Grétry, befruchtend auf seine musikalische Phantasie. Auch Haydn, den er in Esterhaz besuchte, mag nicht ohne Einfluß auf die künftige Entwicklung seines Schaffens geblieben sein. In der Einfachheit der Conception und dem bürgerlichen Grundton der Empfindung zeigt sich S. [746] dem Vater der Symphonie verwandt, in der Frische der Empfindung, dem Reichthum an Gedanken und der Kraft künstlerischer Gestaltung dagegen steht er so weltenweit hinter ihm zurück, daß es heute unbegreiflich erscheint, wie Reichardt und Gerber es wagen konnten, beide nebeneinander zu stellen.

Im J. 1772 verließ S. den Dienst der Fürstin und nahm bei einem ihrer Verwandten, dem Fürsten Sapieha, Woiwoden von Plock und Unterfeldherrn von Litthauen, eine Stellung als Capellmeister an. Da ihm indessen weder der Aufenthalt in dem weltabgelegenen Dorfe Deveczyn, der Residenz des Fürsten, noch seine amtlichen Verpflichtungen zusagten, verließ er nach einem halben Jahre seinen. Posten und kehrte 1773 nach Berlin zurück. Kirnberger empfing den Lieblingsschüler mit offenen Armen; er war eben an einer Arbeit, bei der ihm die leichtere Feder und die gefällige Darstellungsgabe des jüngeren Kunstgenossen sehr förderlich sein konnten. So machte er S. zu seinem Mitarbeiter an den musikalischen Artikeln der „Allgemeinen Theorie der schönen Künste“, die sein Freund J. G. Sulzer seit dem J. 1771 herauszugeben begonnen hatte, ja vom Buchstaben S. ab übertrug er ihm diese Arbeit völlig. S. selbst schrieb später über diese ersten Versuche in der Aesthetik: „Ich that, was ich konnte, hatte aber doch zu solcher Arbeit nicht die erforderlichen Kräfte; daher theils so manches Unvollständige, daher u. A. auch das harte Urtheil über Pergolesi’s berühmtes Stabat mater, das damals noch weniger das Meinige sein konnte, als es jetzt bei reiferer Einsicht das Meinige geworden ist. Es war das Urtheil Kirnberger’s, unter dessen Namen ich schrieb oder doch zu schreiben glaubte.“ In einem ähnlichen Abhängigkeitsverhältniß zu Kirnberger, dessen theoretisches Material er verarbeitete, steht S. in dem Buche: „Die wahren Grundsätze zum Gebrauch der Harmonie, darin deutlich gezeigt wird, wie alle möglichen Accorde aus dem Dreiklang und dem wesentlichen Septimen-Accord und deren dissonirenden Vorhälten herzuleiten und zu erklären sind, als ein Zusatz zu der Kunst des reinen Satzes in der Musik. Berlin und Königsberg 1773.“ Diese Schrift, obwohl aus Schulzens Feder, erschien unter Kirnberger’s Namen und der bescheidene Mann hielt es für Recht und Ehre, daß der verehrte Lehrer dies „geschehen ließ“.

Auf ganz andere Bahnen drängte den jungen Musiker aber bald nach seiner Rückkehr in die preußische Hauptstadt das Leben. In kurzer Zeit ward er einer der gesuchtesten Lehrer im Gesang und Clavierspiel und machte sich sowohl in der höheren Bürgergesellschaft als bei Hofe einen so guten Namen als gewandter und tüchtiger Musikus, daß ihm 1776 die Stellung eines Musikdirectors beim königlichen französischen Theater angeboten wurde. S., der Lehrerqual müde, übernahm das neue Amt mit Eifer und Liebe und bewährte sich auch hier so trefflich, daß die Kronprinzessin ihm, als beim Beginn des Bairischen Erbfolgekrieges das französische Schauspiel verabschiedet wurde, die Leitung ihres Privattheaters anvertraute, „worin sie selbst in Gesellschaft von lauter Damen unter S.’s Leitung anfangs kleine, zuletzt immer größere französische Operetten aufführte. Hier hatte ich, erzählt alle Hände voll zu thun, da ich allein mit allen diesen Personen die Rollen einstudiren mußte, zu dem Ende täglich Versammlungen bei der Kronprinzessin stattfanden. Nach Endigung des Krieges ging diese Uebung noch selbst in Potsdam fort, wo ich zu diesem Ende drei Tage in jeder Woche zubringen mußte.“ Diese andauernde Beschäftigung mit der Bühne hat auch Schulz’ schöpferische Fähigkeiten aus ihrer jahrelangen Erstarrung wieder geweckt; am 26. Mai 1775 wagte er mit dem dreiactigen Singspiel „Clarisse oder das unbekannte Dienstmädchen“ auf dem Döbbelin’schen Theater zu Berlin seinen ersten Versuch als Operncomponist und ebenfalls in die zweite Hälfte der siebziger Jahre muß die Abfassung einer komischen Oper „le barbier de Séville“ fallen, aus der die erste Sammlung Schulz’scher Lieder vom J. 1779 [747] Proben enthält. Noch reger wurde diese Thätigkeit, als Prinz Heinrich, der Bruder des Königs, den jungen Tonkünstler, dessen ersprießliches Wirken er beobachtet hatte, zum Capellmeister seines großen französischen Theaters in Rheinsberg ernannte. S. trat diesen Dienst am 1. April 1780 an und brachte während der Zeit von 7 Jahren, da er ihn versah, nach seiner eigenen Aussage alle Gluck’schen, Piccini’schen und Sacchini’schen großen Opern und eine große Menge der besten französischen Operetten aufs Theater. Erwägt man, daß die Berliner königliche Oper erst 1795, also über ein Jahrzehnt später, die ersten Aufführungen Gluck’scher Opern wagte, so erscheint Schulz’ Beginnen als der erste, kühne und verdienstliche Versuch, der neuen Kunst auch im nördlichen Deutschland Bahn zu brechen, doppelt verdienstlich, weil die tonangebenden Musikkreise und einflußreiche höchste Herrschaften, wie z. B. die Prinzessin Amalia, der neuen Richtung feindlich gegenüberstanden. Diese That zeigt, daß S. den Einfluß Kirnberger’s und die Vorurtheile einer anerzogenen Aesthetik überwunden hatte. Zeuge dessen sind in ihrer Anlage und ihrem Charakter auch die dramatischen Musikwerke, die er für das von ihm geleitete Rheinsberger Operntheater schrieb; zunächst 1782 das Singspiel: La fée Urgèle ou ce qui plaît aux dames, nach einem Texte, den Favart aus einem Märchen von Voltaire für Duni geschrieben hatte, dann die Musik zu den Chören in „Athalie“ von Racine, die 1786 die erste Aufführung erlebten und endlich nach einem von Sedaine verfaßten Libretto die Oper „Aline, reine de Golconde“, die 1790 im Druck erschien.

Das Eigenartigste und Bedeutendste, was S. in dieser Blüthezeit seiner Kraft geschaffen, sind die Lieder. Nachdem er bereits 1779 ein Heft „Gesänge am Clavier“ veröffentlicht, das neben deutschen Liedern auch noch französische und italienische Stücke enthielt, ließ er im J. 1782 das Liederwerk erscheinen, das seine besondere Art und Auffassung des Liedes zum ersten Mal voll ausgeprägt zeigt. Es sind dies die „Lieder im Volkston beim Clavier zu singen“, die vom J. 1785 an in vermehrter Sammlung unter dem kürzeren Titel „Lieder im Volkston“ erschienen. Die drei Bände dieses Liederschatzes mit ihren 114 Gesängen sind es, die heute ihres Schöpfers Bedeutung in der Musikgeschichte bestimmen, denn sie bezeichnen einen bedeutsamen Schritt in der Entwicklung des deutschen Liedes. S. ist einer der ersten, die mit Glück ihre Melodien nicht frei zu erfinden, sondern gewissermaßen aus dem Rhythmus und der Sprachmelodie zu entwickeln suchten, und wenn auch über diesem Bestreben die volle, formbildende Kraft der Phantasie lahmgelegt wurde, so daß manche dieser Lieder in der Erfindung dürftig erscheinen, so ist doch nicht zu verkennen, daß Dichtung und Tonsatz darin eine so feste Einheit bilden, wie dies bei früheren Liedersetzern nur ausnahmsweise der Fall war. Ueber die Grundsätze und Absichten, die ihn bei der Composition seiner Lieder leiteten, hat sich S. in der Vorrede zu seiner großen Sammlung ausgesprochen. „In allen diesen Liedern“, schreibt er dort, „ist und bleibt mein Bestreben, mehr volksmäßig als kunstmäßig zu singen, nämlich so, daß auch ungeübte Liebhaber des Gesanges, sobald es ihnen nicht ganz und gar an Stimme fehlt, solche leicht nachsingen und auswendig behalten können. Zu dem Ende habe ich nur solche Texte aus unseren Liederdichtern gewählt, die mir zu diesem Volksgesange gemacht zu sein schienen und mich in den Melodien selbst der höchsten Simplicität und Faßlichkeit beflissen, ja auf alle Weise den Schein des Bekannten darein zu bringen gesucht, weil ich es aus Erfahrung weiß, wie sehr dieser Schein dem Volksliede zu seiner schnellen Empfehlung dienlich, ja nothwendig ist. In diesem Schein des Bekannten liegt das ganze Geheimniß des Volkstons … Denn nur durch eine frappante Aehnlichkeit des musikalischen mit dem poetischen Ton des Liedes, durch eine Melodie, deren Fortschreitung sich nie über den Gang des Textes erhebt, noch [748] unter ihn sinkt, die wie ein Kleid dem Körper, sich der Declamation und dem Metro der Worte anschmiegt, die außerdem in sehr sangbaren Intervallen, in einem, allen Stimmen angemessenen Umfang und in den allerleichtesten Modulationen fortfließt und endlich durch die höchste Vollkommenheit der Verhältnisse aller ihrer Theile, wodurch eigentlich der Melodie diejenige Rundung gegeben wird, die jedem Kunstwerk aus dem Gebiete des Kleinen so unentbehrlich ist, erhält das Lied den Schein, von welchem hier die Rede ist, den Schein des Ungesuchten, des Kunstlosen, des Bekannten, mit einem Wort, des Volkstons, wodurch es sich dem Ohr so schnell und unaufhörlich zurückkehrend einprägt. Und das ist doch der Endzweck des Liedercomponisten, wenn er seinem einzig rechtmäßigen Vorsatz, bei dieser Compositionsgattung, gute Liedertexte allgemein bekannt zu machen, getreu bleiben will.“ So wurde S. der musikalische Interpret der Hainbunddichter und ihrer Geistesverwandten. Die lebensfrischen Lieder Bürger’s, die volksmäßige Derbheit Vossens, die sinnige Einfachheit des Wandsbecker Boten fanden in ihm den ersten und auch den besten musikalischen Darsteller, und seine Weisen, die als willkommene Beilagen dem Göttinger Musenalmanach beigeheftet waren, trugen viel zur weitesten Verbreitung dieser Gedichte bei und sicherten ihnen später in der Schulstube noch eine letzte Zufluchtsstätte; schon im J. 1811 wurde in der Allgemeinen musikalischen Zeitung auf das Schulgemäße der Lieder von S. hingewiesen und in Schulliederbüchern haben sich einzelne davon bis auf den heutigen Tag zu behaupten gewußt.

Die schöne, schaffensfrohe Rheinsberger Zeit wurde S. schließlich durch die Einmischung seiner musikalischen Gegner arg getrübt. Die Prinzessin Amalie, die in dem Lieder componirenden Schüler Kirnberger’s naturgemäß einen Abtrünnigen erblickte, gab ihm ihr allerhöchstes Mißfallen an seinen Tonwerken in so grober und anmaßender Form kund, daß der bescheidene Musikus darüber sich tief gekränkt fühlen mußte. Auf sein Gesuch, ihr die seiner Zeit viel gerühmten Chöre zur „Athalie“ widmen zu dürfen, antwortete sie ihm: „Ich stelle mir vor, Herr Schulz! daß er sich versehen, und statt seiner Arbeit Mir das Musikalische Notengekläckere seines Kindes geschickt hat, dieweil Ich nicht die allergeringste wissenschaftliche Kunst darin bemerket, hingegen von Anfang bis zu Ende durchgängig fehlerhaft sowohl in dem Ausdruck, Sinn und Verstand der Sprache, als auch in dem Ritmus. Der Modus contrarius ganz hintenangesetzt, keine Harmonie, kein Gesang, die Terze ganz ausgelassen, kein Ton festgesetzt, man muß rathen, aus welchem es gehen soll, keine kanonische Nachahmungen, nicht den allergeringsten Contrapunkt, lauter Quinten und Octaven, und das soll Musik heißen.“ Bei so geringer Werthschätzung seiner Thätigkeit und so dünkelhafter Behandlung erscheint es begreiflich, daß S. im J. 1787 dem Ruf des Königs von Dänemark folgte und sich in Kopenhagen niederließ, wo er mit einem Gehalt von 2000 Thalern das Amt eines Capellmeisters übernahm. Unter angenehmen dienstlichen Verhältnissen und günstigen Vorbedingungen für eine künstlerische Wirksamkeit verblieb S. beinahe 8 Jahre in dieser Stellung und entfaltete dabei in Oper und Concertsaal eine rege Thätigkeit. Zunächst brachte er mehrere seiner früheren Opern in dänischer Uebersetzung, meist von seinem Freunde C. F. Cramer besorgt, auf die Bühne, dann schrieb er im besonderen für das Kopenhagener Theater die Singspiele: „Höst-gildet“ (das Erntefest), „Indtoget“ (der Einzug) und „Peter’s Bryllup“ (Peter’s Hochzeit). Daneben aber wandte er sich nun mit großem Eifer der geistlichen Musik zu; es entstand das Oratorium „Maria und Johannes“ (Kopenhagen 1789), ferner „Christi Död“ (Dichtung von Baggesen) 1792, das Passionsoratorium „Frelseren’s sidste Stund“ (des Erlösers letzte Stunde) und eine ganze Reihe Hymnen, Cantaten und Motetten, zum Theil nach Worten seiner Freunde Thaarup und Heiberg, [749] die später auch ins Deutsche übersetzt wurden und in deutschen Concertvereinen, z. B. der Singakademie in Berlin zur Aufführung gelangten. Als eine besonders glückliche Schicksalsfügung bezeichnet S., daß es ihm vergönnt war, in dieser Kopenhagener Zeit eine Wittwenkasse für die Musiker zu gründen, deren Capital aus dem Ertrage seiner Oratorien gebildet wurde, und daß er in Christoph Ernst Friedrich Weyse (1774–1842) einen Schüler erziehen durfte, von dessen Zukunft er sich Großes versprechen konnte. Wie regsam sein Geist überhaupt damals war, beweisen auch seine Bestrebungen um eine neue, bequemere Notenschrift, die ihn zu einer eigenen Chiffern-Tabulatur führten, in der er dann auch sein Oratorium „Maria und Johannes“ veröffentlichte, sowie seine „Gedanken über den Einfluß der Musik auf die Bildung des Volkes und über deren Einführung in die Schulen der k. dänischen Staaten“ 1790. Auch seiner Beiträge zu E. L. Gerber’s Lexikon der Tonkünstler (1791 f.) und später zur „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ soll hier gedacht werden.

Krankheit allein konnte S. zwingen, vor der Zeit den ihm liebgewordenen Wirkungskreis zu verlassen. Schon in Rheinsberg hatten sich Anzeichen von Schwindsucht bemerklich gemacht; sie wiederholten sich im Februar 1794 nach den Aufregungen des Schloßbrandes, aus dem S. die Musikschätze gerettet hatte. Bluthusten und Schwindelanfälle befielen ihn. „Bei der Ausarbeitung der Trauercantate für die Erbprinzessin (Sophie Friederike) überfiel mich eine heftige Brustkrankheit, die durch die heftige Kälte in der Kirche von Roeskilde, wo die Beisetzung der im Dec. 1794 verstorbenen Erbprinzessin geschah, in solchem Grade vermehrt wurde, daß ich auf die Erklärung meines Arztes mich genöthigt sah, um meine Entlassung anzuhalten, um mich in ein milderes Klima zu begeben. Der König bewilligte mir solche mit Zweidrittel meines Gehaltes als Pension, zu verzehren, wo ich wolle.“ Unter solchen Umständen entschloß sich S., dem Rath des Arztes zu folgen und schiffte sich im Herbst 1795, nachdem er den Sommer in Eutin bei Voß und im Hamburgischen zugebracht hatte, nach Portugal ein. Widrige Winde und Stürme trieben aber unglücklicherweise das Schiff nach Norden und der leidende Tonsetzer mußte den strengsten Theil des Winters an der norwegischen Küste, in Arendal zubringen. Da er dies überstanden, verzichtete er auf die Cur im Süden und reiste mit seiner Familie im Sommer 1796 nach der Mark zurück. Den Winter 1796/97 verbrachte er in Berlin, den Sommer darauf in Rheinsberg, immerfort kränkelnd und arbeitsunfähig. Er starb am 10. Juni 1800 im Bade Schwedt. Den ersten biographischen Nachruf widmete ihm bald darauf sein Freund J. F. Reichard in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“. Bruchstücke seiner Autobiographie haben Ledebur vorgelegen, der sie in seinem Tonkünstlerlexikon Berlins (Seite 528 ff.) zu einem Ganzen zu vereinigen suchte. Außerdem sind zu vergleichen: Gerber, Neues historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler, III. Theil 1813 (Seite 142–158) mit eigenen Mittheilungen von Schulz und Hans Georg Nägeli in der „Allg. mus. Zeitung“ 1811 S. S29 ff. Ein Verzeichniß der Werke giebt Ledebur, Tonkünstlerlexikon S. 533–37.


[744] **) Zu Bd. XXXII, S. 744.