ADB:Teichner, Heinrich der

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Artikel „Teichner, Heinrich der“ von Joseph Seemüller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 544–547, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Teichner,_Heinrich_der&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 22:54 Uhr UTC)
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Teichner: Heinrich der T., österreichischer Spruchdichter des 14. Jahrhunderts. Sein Zuname, dessen Bedeutung dunkel ist, wird durch nahezu einheitliches Zeugniß der Handschriften sicher gestellt; nur die Regensburgische (in Mone’s Anzeiger VII, 494) schreibt auch Teichsner, die Laßbergische Tichtner – zweifellos willkürliche Veränderungen und Versuche, den Namen zu deuten, um so mehr, da beide Quellen auch die andere richtige Form bieten. Den Taufnamen Heinrich bezeugen eine Wiener Handschrift und Suchenwirt. Unter den bisher bekannten Gedichten des Teichners sind mit einiger Sicherheit datirbar nur der Spruch bei Karajan Anm. 3 – etwa um 1359 –, in Laßberg’s Liedersaal III, 269 – um 1363 (s. Karajan S. 93) –, bei Karajan Anm. 7 – um 1372 (nicht 1370) oder 1377 –, bei Karajan Anm. 9 – vor 1377. Die Annahme, daß er dieses Jahr nicht überlebt habe, wird durch nichts bezeugt; die Anspielungen auf innere Unruhen, die Karajan (Anm. 8 S. 95) auf die Jahre 1372–1375 bezieht, können ebensogut auf die Fehde gegen die Rohrer auf Leonstein gedeutet werden, von denen die Hagen’sche Chronik zu 1388 berichtet. Die obere Grenze seines Lebens ist nur durch den Nachruf, den ihm Suchenwirt widmet – vor 1395 – gegeben. Für die Zeit seiner dichterischen Wirksamkeit geht kein Zeugniß in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts zurück: denn die Deutung, durch welche Karajan S. 91 den Spruch Anm. 1 zwischen 1328 und 1330 versetzt, ist unhaltbar. Oesterreich als Heimath des Teichners wird durch seine Mundart, durch einige unmittelbare Anspielungen auf österreichische Zustände, die Nennung Wiens, seine Bestattung daselbst (nach dem Zeugniß Suntheim’s, s. Pfeiffer’s Germ. I, 380), durch die Aufnahme speciell österreichischer Heiliger in seinen Cisiojanus, endlich durch die Lobrede Suchenwirt’s sichergestellt. Er war Laie, nicht bäurischer Abkunft, aber auch nicht ritterbürtig: wo er von rittermäßigen Dingen redet, schaut er zwar noch auf ihre vergangene Blüthe und ist deren Lobredner, aber was er selbst dann positiv über ihre gegenwärtigen Erscheinungsformen sagt, zeigt nicht blos, daß er sie als gesunken und verfallen betrachtet, sondern daß er selbst ganz außerhalb der ritterlichen Anschauungen [545] steht (man vgl. Liedersaal III, 299 oder Karajan Anm. 296 f.). Die herkömmliche Schätzung des Ritterstandes wirkt nach, aber man sucht vergebens nach einer sicheren Spur, welche die Standeszugehörigkeit des Dichters verriethe. Er war nicht einmal ‚Edelknecht‘, wofür ihn Karajan S. 137 halten möchte: denn das Gedicht Liedersaal II, 11 behandelt rein akademisch und vom Standpunkt des unbetheiligten Dritten die Frage, ob im Frauendienst Ritter und Knappe gleiches Recht haben, und der Ausdruck ‚Knecht‘, auf den sich Karajan S. 137 Anm. 154 f. stützt, bedeutet dort (wie etwa Anm. 201) den unadeligen. Eine Zeitlang scheint der Teichner Fahrender gewesen zu sein (s. insbesondere Karajan Anm. 217, 219, 237); aber nur eine Minderzahl seiner erhaltenen Gedichte dürfte in diese Lebensperiode fallen: das moralische und sociale Selbstgefühl, das in den anderen sich ausspricht, die Andeutungen eines wenn auch nicht reichen, so doch wirthschaftlich vollkommen gesicherten Zustandes, der Ruhm der Freigebigkeit und Mildthätigkeit, den ihm Suchenwirt’s Nachruf spendet, sprechen dagegen.

In der überwiegenden Masse seiner Gedichte ist der Teichner Sittenrichter, Moralist; indem er seine Stoffe ebenso aus dem allgemeinen Leben der einzelnen Stände wie aus den alltäglichsten, unbedeutend scheinenden Vorkommnissen nimmt, zeigt sich in ihnen eine Versittlichung der Lebenserscheinungen im weitesten Sinne. Nur das politische Gebiet bleibt fast ganz bei Seite: an Autoritäten wie den Landesfürsten, den Kaiser, den Papst rührt er nicht (man vgl. die Gedichte Liedersaal II, 33 und III, 269). Der Standpunkt seiner sittlichen Urtheile ist entweder ein volksthümlicher, opportunistischer, oder aber – und viel häufiger – ein eigentlich sittlicher, ob er nun überlieferte Themen des Moralisten berührt, wie das ungeistliche Leben der Mönche und Nonnen, das Renommiren mit Liebesabenteuern, die Klage über allgemeine Verderbniß der Welt, oder ob er persönlicheren Beobachtungen und Erfahrungen ein individuelles Ethos unterlegt: wenn er etwa untersucht, in wie weit es sittlich sei die Wahrheit zu sagen, und die zu Zwecken des Verrathes ausgesprochene wegen ihrer bösen Absicht verwirft; oder wenn er gegen Bußfahrt nach Rom und Gewinnung von Ablässen spricht, mit der sich nicht innere Besserung verbinde; oder wenn er erklärt, daß Heide und Klosterbruder Gott gleich nahe liegen, daß auch der Laie, der der Welt widerstrebt, ein geistliches Leben führe, daß er selbst schon die Kutte angelegt hätte, wenn sie allein heilig machte. Vollends äußert sich eine sittlich hochstehende Natur, wenn ihn der Zweifel am eigenen Werthe quält, das innere Leben ihm ein Kampf mit mehr als einem Feinde ist, er sich heimathlos dünkt, weil er nicht wisse wem vertrauen, wenn er den Prunk als Raub an den Armen betrachtet, über dem schweren Ernst der Sorge um das Seelenheil das Lachen verlernt zu haben erklärt. Diesem sittlichen Grübeln steht ein intellectuelles zur Seite, das sich in Gedichten einer zweiten Hauptgruppe äußert, welche mit religiösen, darunter auch dogmatischen Stoffen sich beschäftigt. Der T. erwägt, ob Gott auch das Uebel geschaffen, die Bösen zur Hölle vorherbestimmt habe, er sucht sich vorzustellen, wie in aller Creatur eine Seele sei; er stellt sich selbst förmlich scholastisch spitzfindige Fragen: wäre er in der Messe oder bei der Predigt und vernähme er, daß Christus selbst draußen auf dem Friedhof stünde oder Gott selbst draußen vor der Kirchenthüre predigte, so bliebe er doch drinnen, denn Christus sei ganz auch in der Messe gegenwärtig und Gott selbst könne nichts anderes predigen als was im Evangelium steht. Neben diesen zwei Gruppen stehen einige wenige Gedichte, welche in traditionellen höfischen Vorstellungen und wie es scheint auch in überlieferten höfischen Phrasen sich bewegen (s. Karajan S. 138), ferner das schwankartig parodistische Gedicht (Liedersaal II, 473) von [546] den Riesenwämmsern, in denen zwei Müller aus der Geil (wol die Gaal bei Knittelfeld, Steiermark) aufzogen, und der Cisiojanus. Schon das legt den Gedanken an eine dichterische Entwickelung des Teichners nahe; sie zeigt sich auch in einem Wechsel seiner Auffassung einzelner sittlicher und religiöser Fragen und in einer Aenderung seines Stiles. Zu frühest sind die höfischen Gedichte, „das Wamms“ und wohl jene Sprüche zu setzen, in welchen die lehrhafte Reflexion einer strenger festgehaltenen und mit reicheren Einzelheiten ausgemalten Handlung oder Situation untergeordnet wird (z. B. Hätzlerin 2, Nr. 28); es folgt die Hauptmenge der moralistischen und religiösen. In dieser zweiten Periode unterscheidet man aber deutlich eine freireligiöse und eine orthodoxe Richtung. Die zu individuellem Denken auf dogmatischem und sittlichem Gebiet veranlagte Persönlichkeit des Teichners scheint eine Zeit lang unter dem Einflusse abseits von der Kirche sich geltend machender religiöser Bewegungen gestanden zu haben; directe Beziehungen zur Mystik oder zu einer der im benachbarten Böhmen auftretenden Häresien läßt sich aus dem bisher bekannten Material nicht nachweisen; aber die Aeußerungen über Prädestination, der Pantheismus des Gedichtes Karajan Anm. 61, die Ansicht daß Gott nur predigen könnte, was im Evangelium steht, die Ansichten über den Ablaß, die Betonung der ersten Wichtigkeit der Reue im Beichtsacrament weisen darauf hin. Ob nicht auch der Spruch Karajan Anm. 55, der vom Bibellesen der Laien redet, seine zeitgenössische Anregung in Karl’s IV. Erlaß vom Jahre 1369 hat, der die Verbreitung religiöser Litteratur in deutscher Sprache verbietet? Und ob nicht die ruhebedürftige, religiöser Autorität zugängliche Persönlichkeit des Teichners in dem zweckbewußteren, verschärften Auftreten geistlicher und weltlicher Macht seit Organisierung der Inquisition in Deutschland den erwünschten Anlaß zur Beruhigung und Lösung ihrer Zweifel gefunden hat?

Der Teichner hat keine gelehrte Bildung aber eine Menge Kenntnisse in deutscher didaktischer, satirischer, geistlicher Litteratur und volksthümlicher Naturkunde; auch mündliche Mittheilung geistlicher Stoffe durch die Predigt war gewiß für ihn eine Hauptquelle. Die Anspielungen seiner Gedichte auf Heldensage und eigentliche höfische Litteratur sind verschwommen und unbestimmt. Seine Kunst faßt er einerseits auf als ein Wissen, andererseits als Kunst im engeren Sinne, deren Hauptkennzeichen die Mittheilung irgend eines Neuen sei. Den Spruch stellt er höher als das Lied, sich selbst nennt er einen Sprecher, der den Menschen einen Spiegel vorhalte. Er hat sich (vom Kalender abgesehen) ausschließlich der Spruchform und der kurzen Reimpaare bedient. Der formale Werth seiner Gedichte ist nicht groß: die Sprache ist stark mundartlich, der Vers rhythmisch eintönig, die Bildlichkeit seiner Vorstellungen, die Anschaulichkeit seiner Erzählung gering; zur künstlerischen Form der Satire zu gelangen, seine Figuren individuell erkennbar zu zeichnen verhindert ihn auch ein bewußtes, moralisches Bedenken. Aber seine Sprüche sind eine litterar- und culturgeschichlich bemerkenswerthe, ja bedeutende Erscheinung. Ihre große Zahl, ihre Verbreitung in der Heimath des Dichters und außerhalb derselben zeugt für ein Bedürfniß breiter Volksschichten nach solcher an Religion und Gemüth anknüpfenden sittlichen Belehrung. Ihre metrische Form und ihre Composition war volksthümlicher Wirkung förderlich: wo der T. nicht geradezu die ältere Form des Bîspels verwendet, geht er oft von irgend einer epischen Situation aus, unterbricht seine Reflexionen häufig durch Analogien aus Natur- und Menschenleben, wiederholt eindringlich und variirt die Hauptgedanken, flicht Sprichtwörter ein, prägt seine eignen Gedanken sententiös, verwendet den Dialog, die volksthümliche Form der Aufzählung, drückt sich vorwiegend in kurzen Sätzen aus. Der Umfang seiner [547] Gedichte schwankt im Durchschnitt zwischen 50 und 100 Reimpaaren; ausgedehnte Compositionen (s. Karajan S. 150) sind Ausnahmen.

Der Nachruf Suchenwirt’s auf ihn scheint die Züge zu wiederholen, die das Bild des Teichners in der Erinnerung seiner Landsleute hatte: die hohe Sittlichkeit seines Lebenswandels, die Fülle der Weisheit und des Wissens an dem ungelehrten Laien, die Vornehmheit seiner Gesinnung, die nie durch Schmeichelei um Herrenlohn bettelte, seine Frömmigkeit, seinen Mariencult, seine Mildthätigkeit.

Von den Gedichten des Teichners ist erst eine verhältnißmäßig geringe Zahl durch lautgetreuen oder normalisirten Abdruck bekannt geworden. Zu der sehr nothwendigen kritischen Untersuchung ihrer Ueberlieferung ist nicht einmal ein Anfang gemacht. Daß die so häufige, mit Namensnennung verbundene Schlußformel der Sprüche andere Dichter zur Nachahmung veranlaßte, bezeugt Mone’s Anzeiger VII, 495, daß sie zu förmlich appellativischer Bezeichnung der echten und wol auch verwandter Gedichte als „die Teichner“ führte, lehrt die Londoner Handschrift.

Texte: bei Th. v. Karajan Ueber Heinrich den Teichner, Denkschr. d. Wiener Akad. phil.-hist. Cl. VI, 85 ff., in Laßberg’s Liedersaal I–III, Docen’s Miscellaneen II, 228 ff., Wiener Jahrb. d. Litt. I, Anzeigebl. 26 ff. (Schottky; ein Spruch daraus wiederholt in Wackernagel’s Leseb. I, 1087); außerdem im Liederb. d. Hätzlerin, in Keller’s Erz. (Stuttg. litt. Ver. XXXV), Zarncke’s Narrenschiff, Pfeiffer’s Altd. Leseb. – Der Cisiojanus bei Pickel, Das h. Namenbuch v. Conrad Dangkrotzheim 59 ff. (dazu Z. f. deutsch. Altert. XXIV, 132). – Ueber Leben und Werke: Karajan in der o. a. Schrift (dazu Pfeiffer, Germania I, 375); ein Auszug aus ihr ist Karajan’s Vortrag im Alman. d. Wiener Akad. 1855, S. 115 ff. – Ueber die Londoner Hs.: Baechtold, Deutsche Hss. a. d. brit. Museum 74 ff. – Suchenwirt’s Nachruf: in Primisser’s Ausg. d. Suchenwirt 64.