ADB:Unger, Franz von

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Artikel „Unger, Franz von“ von Wilhelm von Gümbel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 286–289, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Unger,_Franz_von&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 13:30 Uhr UTC)
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Unger: Hofrath und Professor Dr. Franz v. U., berühmter Botaniker auch auf dem Gebiete der Phytopaläontologie, erblickte am 30. November 1800 auf dem südsteiermärkischen Gut Amthof als Sohn eines schlichten Gutsbesitzers das Licht der Welt. Nach einer sorgfältigen Jugenderziehung erst auf dem Gymnasium in Graz, dann im Convict des Stiftes Admont bezog U. die Universität Graz, um sich nach dem Wunsche seines Vaters der Rechtswissenschaft zu widmen. Doch schon als Knabe liebte U. allerlei Naturgegenstände zu sammeln. Diese Neigung, wahrscheinlich verstärkt durch den Umgang mit seinem Jugendfreunde, dem später rühmlich bekannten Botaniker, Kreisarzt in Salzburg, Sauter, sowie mit dem Botaniker und Secretär des Erzherzogs Johann Zahlbruckner und dem Mineralogen Anker in Graz zog ihn bald von dem Studium der Rechtswissenschaft zu jenem der Naturkunde hinüber. U. siedelte deshalb im Herbst 1821 erst an die Universität Wien und 1822 an jene in Prag über, um ausschließlich medicinische und naturwissenschaftliche Studien zu betreiben. Auf einer größeren Reise durch Norddeutschland fand er Gelegenheit, mit vielen damals berühmten Naturforschern wie Oken, Carus, Hornschuch u. A. persönliche Bekanntschaften anzuknüpfen und wurde durch den Umgang mit studentischen Kreisen auf verschiedenen Universitäten bei seiner ohnehin zum Schwärmerischen geneigten Natur von den damals weit verbreiteten Freiheitsidealen mächtig erfaßt, was er auch äußerlich offen zur Schau trug. Dies wurde die Veranlassung, daß U., nachdem er 1823 nach Wien zurückgekehrt war, als der Geheimbünderei und des Vaterlandsverraths verdächtig sieben Monate lang in Untersuchungshaft bis Juli 1824 gehalten wurde. Nach seiner Freilassung setzte U. mit neuem Eifer in Wien seine Studien fort und trat nun in nähere Beziehung zu den Botanikern Baron v. Jacquin und insbesondere zu Endlicher, der ihn eng an sich fesselte und in seinen Bestrebungen wesentlich förderte. Schon damals machte U. die wichtige Entdeckung der Schwärmsporen bei Vaucheria clavata (Nov. Act. Acad. Leop.-Carol. Bd. 13.) Im J. 1827 promovirte er mit der allerdings etwas überschwänglich phantastisch verfaßten Inauguraldissertation: „Anat. physiol. Untersuchung über die Teichmuschel“. Dann übte U. zuerst die medicinische Praxis von 1828 an in Stockerau aus und wurde 1830 von hier an Dr. Sauter’s Stelle nach Kitzbühel in Tirol als Landgerichtsarzt berufen. Hier [287] setzte er seine botanischen Studien, denen sich auch geologische zugesellten, namentlich durch fleißiges Sammeln von Pflanzen mit Rücksicht auf die Beschaffenheit des Bodens, auf dem sie wuchsen, mit vielem Eifer fort. Durch eine Reihe meist mit vortrefflichen, von ihm selbst gefertigten Zeichnungen versehener Publicationen, in denen er seine naturphilosophischen, oft recht phantastischen Ansichten über die thierische Natur gewisser sich freibewegenden Pflanzengebilde, z. B. Sporidien, Samenfäden u. s. w. zu beweisen suchte, lenkte er die Aufmerksamkeit auf sich, sodaß, als die Professur der Botanik am Johanneum in Graz frei wurde (Nov. 1835), U. zum Professor der Botanik und Zoologie und zugleich zum Director des botanischen Gartens daselbst ernannt wurde. Hier unermüdlich forschend veröffentlichte er eine epochemachende Schrift pflanzengeographischen Inhalts über den Einfluß des Bodens auf die Vertheilung der Gewächse nach den schon in Kitzbühel angestellten Beobachtungen. Er unterschied hierin, je nachdem gewisse Pflanzenarten nur auf ganz bestimmten chemisch zusammengesetzten Gesteinen gedeihen, „Bodenstäte“, oder aber zwar nicht einer einzigen Bodenart allein angehören, jedoch bestimmte allen andern vorziehen „Bodenholde“ oder endlich auf jeder Art Boden wachsen „Bodenwage“. Damit hatte U. als Erster die Grundlage zur Erkenntniß der Abhängigkeit der Pflanzenart von der Natur des Bodens, auf dem sie vorkommen, gelegt. Es ist bemerkenswerth, daß schon damals U., der sich bereits zu jener Zeit mit Pflanzenversteinerungen befaßt hatte, von verkieselten Pflanzenstämmen durchsichtige Schliffe herstellte, um die Holzstructur zu erkennen. Solche Dünnschliffe von Gesteinen, deren erste Anfertigung man gewöhnlich Sorby zuschreibt, sind schon 1837 von U. in großartigem Maaßstabe geliefert worden.

Neben anderen Publicationen ragt die im J. 1838 erschienene Schrift „Aphorismen zur Anatomie und Physiologie der Pflanzen“ ganz besonders dadurch hervor, daß U. in derselben zuerst die Idee eines auf anatomischer Grundlage aufgebauten Pflanzensystems entwickelte, wie dies dann durch Endlicher später weiter ausgeführt wurde. Eine von der Petersburger Akademie gekrönte Preisschrift (1840) setzt den Bau des Dikotyledonenstammes in vortrefflicher Weise auseinander, allerdings nicht ohne einen gewissen phantastischen Beigeschmack, indem er z. B. die Knospen als Pflanzenindividuen bezeichnet, welche als Schmarotzer auf dem Mutterstamm leben u. s. w. Mit diesem Jahre beginnen auch Unger’s größere, langvorbereitete phytopaläontologische Veröffentlichungen mit der Schrift über ein Lager vorweltlicher Pflanzen in Schichten auf der Stangalpe, die er richtig als zur carbonischen Flora gehörig erkannte. Schon 1841 folgt ein sehr umfassendes und grundlegendes phytopaläontologisches Werk: „Chloris protogaea“, das er bis 1847 fortsetzte. Es enthält in mehreren Abtheilungen Skizzen einer Geschichte der Vegetation in den verschiedenen erdgeschichtlichen Perioden, dann eine systematische Zusammenstellung der damals bekannten fossilen Pflanzen und ihrer Zugehörigkeit zu den verschiedenen Formationen, endlich eine Beschreibung von über 1600 Arten von Pflanzenüberresten. Dieses Werk allein gereicht dem Verfasser zu unvergänglichem Ruhme. Ihm schließen sich die Schriften über fossile Pflanzen und Insecten von Radoboj (Nov. act. Leop. Carol. 1842 Vol. 19) und über die Untersuchung fossiler Stämme und holzartiger Gewächse (Neues Jahrb. f. Min., Geogn. und Petref. 1841, 149) als inhaltsverwandte Monographien an.

Mit Endlicher war U. seit seinem Wiener Aufenthalte in regem wissenschaftlichen Verkehr geblieben, der 1843 eine wichtige gemeinsame Arbeit „Grundzüge der Botanik“ zeitigte. In diesem Werke, welches damals als eines der besten und umfassendsten Lehrbücher der Botanik geschätzt wurde, hatte U. die Bearbeitung des anatomisch-physiologischen Theils besorgt und die vorzüglichen [288] Zeichnungen selbst angefertigt. Eine Reise, welche U. 1845 unternahm, brachte Ihn mit den berühmten Gelehrten Heer in Zürich, Pet. Merian in Basel, W. P. Schimper in Straßburg, Alex. Braun in Karlsruhe, Martius in München u. A. in persönlichen Verkehr und bereicherte seine Bestrebungen mit einem großen Schatz neuer Anregungen, nachdem seine so mühsame wie geschickt ausgeführte Schrift „Synopsis plantarum fossilium“ 1845, in welcher er 1648 Arten von Pflanzenversteinerungen in natürliche Ordnungen und Geschlechter einzureihen versucht hatte, zur Veröffentlichung gelangt war. Eine Erweiterung und Vervollständigung früherer Publicationen bildeten die Schriften „Grundzüge der Anatomie und Physiologie der Pflanzen“ 1846 und „Beiträge zur Bodenstätigkeit gewisser Pflanzen“ 1848. Besonders erfolgreich waren seine Studien über Fossilreste von Pflanzen, von denen er 141 Arten in der Braunkohlenablagerung von Parschlug sammelte und beschrieb, dadurch, daß er in diesen den Typus einer nordamerikanischen Flora nachzuweisen vermochte. Mit Endlicher’s Tod in Wien trat eine wesentliche Aenderung in Unger’s Lebensgang ein; er wurde an Endlicher’s Stelle als Professor für Pflanzenanatomie und -Physiologie nach Wien berufen, wo er jedoch unter dem Druck der großstädtischen Verhältnisse sich nie recht heimisch fühlte und sehr zurückgezogen nur für seine Arbeiten lebte, welche unentwegt einen fruchtbaren Fortgang nahmen. Zunächst vervollständigte er seine früher publicirte Schrift Synopsis durch das Werk: „Genera et species plantarum fossilium“, in welchem statt der früheren 1648 Arten nunmehr 2421 aufgezählt werden. Noch mehr Aufsehen in größeren Kreisen fand seine 1851 erschienene Schrift „Die Urwelt und ihre verschiedenen Bildungsperioden“, in welcher er versuchte, durch 14 große, von Kuwasseg nach seinen Entwürfen gezeichneten bildlichen Darstellungen mit Erläuterungen die verschiedenen Entwicklungsabschnitte der Erdgeschichte in idealisirten Landschaften mit Thierstaffagen zu versinnlichen. Wenn auch diese Vegetationsbilder der Vorzeit, in denen sich Hypothetisches und Phantastisches mit direct Beobachtetem vermengt zeigt, einer strengen wissenschaftlichen Kritik nicht Stand halten können, so trugen sie doch erstaunlich viel dazu bei, auf die weitesten Kreise anregend und belehrend einzuwirken; sie machten Unger’s Namen in allen Ländern bekannt. Eine Fortsetzung dieser mehr populären Schilderungen enthält die Schrift: „Versuch der Geschichte der Pflanzenwelt“ 1852, in welcher U. eine eingehende Schilderung des Lebens und Bestandes der Pflanzenwelt durch alle Zeiten und nach allen ihren verschiedenen Veränderungen zu entwerfen bestrebt war. Es ist sehr bemerkenswerth, daß U. in dieser Schrift Darwin vorauseilend bereits deutlich ausspricht, naturgemäß müsse man annehmen, eine Pflanzenart könne nur aus einer anderen früheren hervorgegangen sein und die Pflanzenwelt der Gegenwart könne nur als einstweilig letztes Moment dieser fortschreitenden Entwicklung aufgefaßt werden. In einem weiteren Schriftchen „Versuche über Generatio aequivoca“ bekämpft er lebhaft die Möglichkeit einer mutterlosen Zeugung. Je mehr jedoch U. durch diese namentlich populären Darstellungen seinen Ruhm als gelehrter Schriftsteller vergrößerte, um so mehr machte er sich bei der Jesuitenpartei und den fanatischen Clerikalen verdächtig, welche ihn in der schmählichsten Weise als Gottesverleugner, Pantheist und Verderber der Jugend öffentlich zu brandmarken versuchten, ohne daß es U. gelang, den entsprechenden staatlichen Schutz zu finden. Seine Freunde riethen ihm daher, Wien zu verlassen und vielfach an ihn von auswärts ergangenen Berufungen zu folgen. U. aber konnte sich aus inniger Anhänglichkeit an sein liebes Heimathland nicht hierzu entschließen. Er zog sich immer mehr von dem Verkehr mit der Außenwelt zurück und vertiefte sich um so intensiver in die Fortsetzung seiner bisherigen Forschungen, wie zahlreiche in den folgenden Jahren erschienene Schriften beweisen, zu welchen auch die im J. 1858 unternommene [289] Reise nach Aegypten und Syrien, dann 1860 nach den ionischen Inseln und Griechenland, sowie 1864–1865 und 1866–1867 nach Dalmatien reichen Stoff lieferten. Während dieser Zeit hielt U. auch mehrfach populäre Vorträge in Wien und Graz, in welchen er zur Erklärung der Pflanzenverwandtschaften von Europa mit der Flora in Nordamerika eine zwischen beiden Erdtheilen liegende, jetzt versunkene Landschaft, „Atlantis“ construirte und ein Neuholland in Europa schilderte. Bereits begann er zu kränkeln und kam deshalb um Enthebung von seiner Professur ein, die ihm 1868 ertheilt wurde. Er selbst schrieb 1869: „Seit einem Jahre lebe ich in stiller Zurückgezogenheit sehr vergnügt und gesünder als früher in Graz.“ Auch wissenschaftlich bleibt U. thätig, bis ihn in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 1870 in Graz der Tod ereilte.

Es konnten im Vorausgehenden von Unger’s 170 erschienenen Schriften – abgesehen von kleineren Berichten und Recensionen – nur einige der wichtigsten namhaft gemacht werden. Sie alle einzeln aufzuzählen, fehlt hier der Raum, nur muß gesagt werden, daß sie alle dazu beitragen, U. als Entdecker großer Wahrheiten, als Leuchte der Wissenschaft und Lehrer der Menschheit, wie ein Nekrolog sich ausdrückt, erkennen zu lassen. Unger’s in der Wissenschaft hochgeachteter Name wurde durch die Benennung einer baumartigen Pflanzengattung Ungeria und durch zahlreiche Bezeichnungen einzelner Pflanzenarten mit dem Beiwort „Ungeri“ verewigt. Die Akademien der Wissenschaften in Wien, Berlin und München und 27 gelehrte Gesellschaften zählten ihn zu ihren Mitgliedern. Am Schluß seines Lebens erhielt er das Ritterkreuz der eisernen Krone und den Hofrathstitel.

Reyer, Leben und Wirken des Naturforschers Dr. Franz Unger, Graz 1871. – Leitgeb, Fr. Unger, Gedächtnißrede. 1870.