ADB:Weiße, Michael

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Artikel „Weiße, Michael“ von Rudolf Wolkan in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 597–600, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wei%C3%9Fe,_Michael&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 15:37 Uhr UTC)
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Weiße: Michael W., Kirchenliederdichter des 16. Jahrhunderts. Ueber sein Leben sind wir wenig unterrichtet; auch gehen die Quellen in ihren Angaben ziemlich weit auseinander. Als bestimmt wissen wir nur, daß er in Neisse geboren war, in ein Mönchskloster zu Breslau eintrat und unter dem Einfluß der Schriften Luther’s dieses verließ. Er wandte sich nach dem böhmischen Leitomischl, wo er sich den böhmischen Brüdern anschloß, wurde auf der Synode zu Brandeis 1531 zum Priester der Brüder geweiht und gleichzeitig zum Vorstande der deutschen Gemeinde der böhmischen Brüder in Landskron erwählt. Frühzeitig muß W. sich mit den dogmatischen Anschauungen der böhmischen Brüder beschäftigt haben, namentlich mit der Abendmahlslehre, deren Formulirung nach langem Hin- und Herschwanken erst dem Bruder Lukas, einem der bedeutendsten Führer der böhmischen Brüder gelang, der in seinem Tractat „Von dem geistlichen und sakramentlichen Genuß des Leibes und Blutes des Herrn Jesu Christi“, sowie in einem Schreiben an den Bruder Bened. Bavorynsky aussprach, es bleibe „das Brot in seiner Substanz und dieses ist Fleisch Christi, nicht seiend, auch nicht fleischlich, sondern sakramentlich“. So groß jedoch auch das Ansehen des Bruders Lukas war, seine Ansicht blieb nicht unangefochten. Es bildeten sich Parteien innerhalb der Brüdergemeinden, von denen die eine einen engeren Anschluß an Luther befürwortete, während eine andere wieder Zwingli sich zu nähern suchte, dessen Schriften der gleichzeitig mit W. dem [598] Breslauer Kloster entflohene Johann Zeysingk (Tschischek) innerhalb der Brüdergemeinden zu verbreiten trachtete. W. trat vor der Hand mit seinen Anschauungen in der Abendmahlsfrage noch nicht in den Vordergrund. Er war Mitglied der Gesandtschaft an Luther und hatte dabei am besten Gelegenheit, des Reformators Ansicht über die Abendmahlslehre kennen zu lernen; aber je mehr der größte Theil der Brüdergemeinden Luther sich anschloß, um so entschlossener ging W. seine eigenen Wege. Am frühesten mag Bruder Lukas ihn erkannt haben, der die Seinigen in Mähren nachdrücklich vor W. warnte. Und in der That suchte W. die Gemeinden in Landskron und Fulneck für seine Anschauungen zu gewinnen. Schon im J. 1525 hatte er die Schrift veröffentlicht: „Eyn kurtz unterricht von dem ursprunck der Bruder in Behmen vnd desselben vrsach, daryn sie auch beweysen, das sie nicht aus der Waldenser oder Pickartenrotten kommen. Gesant auff den Lant tag ken Praga. Gedruckt yn der churf. stat Zwickaw durch Jorg Gastel ym 1525“. Weit wichtiger ist aber eine Sammlung von Kirchenliedern, die er im J. 1531 unter dem Titel: „Ein New Gesang buchlen“ in Jungbunzlau in Böhmen drucken ließ.

Das Gesangbuch ist nach zwei Seiten hin von großer Wichtigkeit. In dogmatischer Hinsicht zeigt es W. ganz als Anhänger Zwingli’scher Lehrmeinung. Er singt in einem Liede (Wackernagel, Kirchenlied III, 385), daß wir Christi „fleisch vnd blut entpfangen testaments weiß“, bekennt beim Empfange des Abendmahls (Wackern. III, 414), „das nach christi wort dis brot testamentlich sey“, und in einem anderen Liede (III, 413): „Das sacrament bleibt wein vnd brot vnd wirt nicht verwandelt jn gott, Es wirt wol leib vnd blut genant, hat aber geistlichen verstandt … Solt mans dann alls fleischlich verstehn, so müst der glaub zu boden gehn“. Daß die Landskroner Gemeinde, der W. vorstand und der er im Verein mit der Fulnecker Gemeinde, die beide deutsch waren, mit seinen Anschauungen einverstanden war, geht aus Weiße’s Worten am Schlusse des Gesangbuches hervor, wo er dem Vorsinger zuruft: „Er seh nur mit allem f1eiß zu, Das er dem text keinn schaden thu, Weder sihn, sillaben noch wort Verrück an jrgent einem ort, Denn die sach ist nicht mein allein, Sonder einer christlichen gemein, Welch jnn Behmen vnd Mehrern lange zeit Erleidet manchen widerstreit, Da bey den sihn wol versucht Vnd beweret hat jnn seiner frucht, Verlest ihn nu nicht, es sey denn, Das sie was bewerters erkenn“. W. wußte wol bereits damals, daß seine Arbeit am Gesangbuche und die darin niedergelegten Ansichten auf harten Widerstreit stoßen würden. Aber er konnte doch noch die Hoffnung haben, aus dem drohenden Kampfe siegreich hervorzugehen, da die Lieder seines Gesangbuches, das er nicht auf eigenen Antrieb, sondern veranlaßt durch die Bitten der Aeltesten der beiden Brüdergemeinden veröffentlicht hatte, vorher von den Senioren, und unter ihnen sogar von dem angesehenen Johannes Horn, „f1eißig überlesen, corrigiert und gebessert“ worden waren, und dabei also auch inhaltlich vollkommene Billigung gefunden hatten. Und noch im Jahre darauf, 1532, mag er gleicher Hoffnung gewesen sein, als er die Apologie der böhmischen Brüder ins Deutsche übersetzte (die dann im folgenden Jahre in Zürich – auch der Druckort ist kennzeichnend – gedruckt wurde) und man ihn in den engeren Rath der Brüdergemeinde wählte. Allein schon das Jahr 1533 brachte die Enttäuschung. Wir kennen die Geschichte der böhmischen Brüder in ihren Einzelheiten noch zu wenig, um genaue Rechenschaft über die verschiedenen Strömungen geben zu können, die sich zur Niederlage Weiße’s vereinten. Wir wissen nur, daß in diesem Jahre die Anhänger Luther’s innerhalb der Brüdergemeinden den engen Anschluß an Luther durchsetzten, Weiße’s Uebersetzung der Apologie als unrichtig erklärten, und eine neue ausarbeiten ließen, welche den geänderten Ansichten in der Abendmahlslehre [599] Rechnung trug und, von Luther durch ein Vorwort gut geheißen, noch im gleichen Jahre 1533 in Wittenberg erschien. W. verlor alle Anhänger, ja soll, wenn die Ueberlieferung nicht parteiisch gefärbt ist, selbst auch nach „ernstlicher Strafe und hartem Zureden“ daran gegangen sein, die anstößigen Lieder seines Gesangbuches entsprechend den neuen Anschauungen zu verbessern oder auszumerzen. Doch schon im J. 1534 ereilte ihn der Tod, wie erzählt wird, weil er Wolfsfleisch gegessen. Sein einstiger Gesinnungsgenosse Johannes Horn gab das Gesangbuch Weiße’s im J. 1544 in neuer Auflage heraus, die von der ersten beträchtlich sich unterscheidet, da eine Reihe von Liedern weggelassen, andere geändert und 26 neu hinzugefügt wurden.

Weiße’s „Gesangbüchlein“ ist das erste, umfassendere Gesangbuch, das in deutscher Sprache erschien; mit seinen 157 Liedern läßt es die Gesangbücher, die unter Luther’s Einfluß veröffentlicht wurden, weit hinter sich. Bis in die jüngste Zeit galten alle diese Lieder als aus dem Tschechischen übersetzt; aus der Vorrede Weiße’s, die er „der deutschen Gemein Gotes vnd Christlichen brüderschaft zur Lantzkron vnd zur Füllneck“ widmet, hatte man diesen Schluß gezogen. W. spricht sich darin allerdings ziemlich unklar aus, wenn er sagt: „Nachdem yhr ewer Eltisten vnd seelsorger offtmal mit beth ersucht, vnd sie da durch, auch euch deutschen (wie die behmischen brüder) mit geistlichen gesengen zu versorgen, verursacht habt, Vnnd nu solche arbeit mihr aufgelegt, hab ich auch nach vermügen all meynen fleis angewandt, ewer alt sampt der behmischen brüder Cancional vor mich genommen, vnd den selben sihn, nach gewisser heiligenn schriefft, jnn deutsche reym bracht, die sillaben, wort vnd gesetz also gestellt, dz sich ein jeglichs vnder seinem zugeschriebenen thon fein singen lest“. Das Brüdergesangbuch von 1639 gibt in einem Anhang ein „Verzeychniß derer Personen, welche die Bohemischen Gesänge in Deutsche Reymen übergesetzt, vnd also dieses Cantional verfertigt haben“, und sagt: „Michael Weiß, welcher … das Cantional zu verdolmetschen angefangen, vnd der Gesänge 143 verdeutscht“. Diese Angabe wurde ohne weitere Prüfung als richtig angenommen, obwol schon der eine Umstand hätte zur Vorsicht mahnen können, daß dasselbe Gesangbuch einige Lieder Weiße’s, die bereits im Gesangbuche von 1531 stehen, dem erst dem folgenden Jahrhunderte angehörigen Martin Polykarp zuschreibt. Und thatsächlich zeigt auch eine genauere Prüfung, daß nur ein geringer Theil der Lieder Weiße’s, nur 20, tschechische Lieder zur Vorlage hatte. Das tschechische Cancional der böhmischen Brüder, das W. bei seiner Bearbeitung vorlag, war gewiß das im J. 1519 veröffentlichte, da die beiden früheren, in den Jahren 1501 und 1505 erschienen, infolge der strengen Verordnungen König Wladislaw’s (vom J. 1503) gegen die böhmischen Brüder schwerlich ihm vorlagen. Nun ist zwar gerade dieses Gesangbuch von 1519 nicht mehr vorhanden, allein sein Inhalt wurde vollständig in die späteren Auflagen von 1541 und 1561 aufgenommen, wie uns die Vorrede des Gesangbuchs von 1561 belehrt, das insgesammt 735 Lieder enthält; unter all diesen finden sich, wie erwähnt, nur 20 Lieder, die zu entsprechenden Liedern Weiße’s in eine Parallele gesetzt werden können. – W. erwähnt aber in seiner Vorrede auch noch ein altes Cancional der deutschen Gemeinden selbst, und dieses kann doch wol nur ein lateinisches gewesen sein, da es nicht sehr glaubwürdig ist, daß innerhalb der kurzen Zeit, seit überhaupt unter den böhmischen Brüdern auch deutsche Gemeinden existirten, schon deutsche Lieder in größerer Zahl entstanden wären; auch wäre dann Weiße’s Bearbeitung zwecklos gewesen; zu dem kommt noch, daß für einige Lieder Weiße’s in der That sich lateinische Originale nachweisen lassen. Die Hauptmasse aber seiner Lieder – und das ist das Wichtige – sind Eigenthum Weiße’s und kein Deuteln kann sie ihm weiter ableugnen; Luther’s Wort, daß [600] W. ein „trefflicher, deutscher Poet“ gewesen, hat wieder seine Geltung erlangt. Ist Weiße’s Sprache oft auch ungelenk und hart, so wirken seine Lieder doch durch ihre Einfachheit und das feste Gottvertrauen, das überall in ihnen sich ausspricht. Lange Zeit war ein großer Theil von ihnen Gemeingut der evangelischen Kirche. Schon 1534–35 veranstaltete Katharina Zell eine Sonderausgabe derselben in 4 Büchlein, Luther nahm 11 Lieder Weiße’s in seine eigenen Gesangbücher auf, von denen das Lied: „Nu laßt uns den Leib begraben“ lange Zeit als Eigenthum Luther’s galt; ihm folgten eine Reihe anderer „Kirchengesänge“, wie die von Frankfurt a. M. (1569), Wittenberg (1573) und Dresden (1589) und selbst Fischart fand sich bewogen, die Gesänge Weiße’s einer Umarbeitung und Ergänzung zu unterziehen.

Gindely, Geschichte d. böhm. Brüder. – Todtenbuch d. Geistlichkeit d. böhmischen Brüder in Fontes rerum Austriacar. Scriptores, Bd. V. – Sitz.-Ber. d. Wiener Akademie, Phil.-hist. Cl., Bd. XIII. – Goll, Quellen und Untersuchungen z. Gesch. d. böhm. Brüder. – Monumenta Germaniae paedagogica, Bd. IV. – Jireček, Hymnologia bohemica (Abhandlungen d. böhm. Gesellsch. d. Wissenschaften, VI. Folge, Bd. 9). – Wolkan, Das deutsche Kirchenlied d. böhm. Brüder i. XVI. Jahrh. – Wolkan, Gesch. d. deutschen Litteratur in Böhmen bis z. Ausgange d. XVI. Jahrh., S. 246–257.