ADB:Barth, Heinrich

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Artikel „Barth, Heinrich“ von Julius Löwenberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 96–99, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Barth,_Heinrich&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 16:00 Uhr UTC)
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Barth: Heinrich B., Afrikareisender, geb. 16. Febr. 1821 in Hamburg, † 25. Nov. 1865 in Berlin. Auf dem Gymnasium des Johanneums hatte er für Sprachen und Geschichtskunde besondere Neigung und widmete sich seit dem Herbst 1839 auf der Universität Berlin besonders unter Böckh der Philologie. Auch hörte er bei Karl Ritter die allgemeine Erdkunde, ohne aber über seine Neigungen klar zu werden, nur daß er eine besondere Vorliebe für den Länderkreis am mittelländischen Meere faßte, die er auch mit Ausdauer und Zähigkeit durch das ganze Leben festhielt, und die Veranlassung zu wiederholten Reisen gab. So reiste er schon am Schluß des zweiten Semesters, im August 1840, nach Italien, besuchte Venedig, Florenz, Rom, Neapel und Sicilien. Im Mai 1841 wieder in Berlin, befestigte sich nach manchen Schwankungen seine Vorliebe für das classische Becken des Mittelmeers darin, daß er sich eine lebendige Entwickelung der griechischen Colonien als Vorbereitung zur römischen Weltherrschaft und zugleich die einheitliche Darstellung des Mittelmeerbeckens im Menschenleben zur Aufgabe machte, und diesen Gedanken zuerst an das alte Korinth anknüpfte, in seiner wichtigen Lage auf dem Isthmus mit seinem weit in den Adriagolf hineingeschobenen Colonieen und dem merkwürdigen Verkehr längs der Donau in das Innere der türkischen Halbinsel hinein. Mit einem kleinen Abschnitt aus dieser Arbeit „Corinthiorum commercii et mercaturae historiae particula“, promovirte er im Sommer 1844 und trat dann im Januar 1845 eine dreijährige Wanderung um das Mittelmeer an. Er durchreiste Frankreich, Spanien, die nördlichen Küstenländer von Afrika, die Halbinsel Sinai, Palästina, Syrien, Cypern, Kleinasien und kam über Griechenland wieder nach Berlin, wenige Monate vor den Märzereignissen 1848. Trotz der politischen Unruhen habilitirte er sich im nächsten Winter und las im Sommer 1849 ein Publicum über Topographie einiger berühmter Stätten des Alterthums. Schon im Herbst desselben Jahres kam von Bunsen, dem preußischen Gesandten in England, an Karl Ritter die Aufforderung, die Theilname eines deutschen Gelehrten an einer projectirten Reise Richardson’s nach Centralafrika unter englischem Schutze auszuwirken, und B. wie Overweg schlossen sich derselben mit Begeisterung an. Richardson hatte nach mehrjährigem Aufenthalt in Tripolis und Murzuk in England für die Abschaffung des Sklavenhandels gewirkt und die Regierung zu einer Expedition bewogen, um mit den afrikanischen Fürsten die hierzu nothwendigen Verträge zu schließen. Das der ursprüngliche Zweck der Expedition. Die Berliner geographische Gesellschaft unterstützte die beiden Deutschen B. und Overweg wiederholentlich aus ihren Mitteln und verschaffte ihnen auch noch vom Könige und der physikalischen Gesellschaft in Königsberg namhafte Summen. Die Expedition ist daher wegen der geistigen und materiellen Mittel, die für sie eingelegt wurden, noch mehr aber wegen ihres Verlaufs, eine deutsche; denn Deutsche, B., Overweg, Vogel, waren ihre Seele, waren die Heroen derselben. Freilich aber klagte B.: „Leider kam ich im Laufe dieses 5½jährigen, schwierigen [97] und gefahrvollen Unternehmens mehrfach in die unerfreulichste Lage. Wann wird Preußen lernen, daß sich die Kleinen nur dann zu ihm halten werden, wenn ihre Interessen von ihm wirklich vertreten werden!“ Es hat dies inzwischen gelernt!

B. und Overweg reisten im November 1849 von Berlin ab, kamen am 18. Januar 1850 in Tripoli mit Richardson zusammen, und brachen von hier am 24. März nach dem Süden auf, nachdem sie zuvor einige Excursionen namentlich nach den Ghariânbergen gemacht hatten. Die kleine Karavane ging zunächst nach Murzuk und von hier durch die Sahara und nach Tintellust, von wo B. als erster Europäer Aghâdez besuchte, die Hauptstadt der bisher fast unbekannten Oase Aïr, und damit die lange Reihe seiner hervorragenden Forschungen und Entdeckungen eröffnete. Erst im December konnten die Reisenden ihren Weg weiter nach Süden fortsetzen und erreichten im Januar 1851 Damergu. Hier trennten sich die Reisenden am 11. Januar, um auf verschiedenen Wegen das weite, wenig bekannte Gebiet zu durchziehen und endlich in Kuka, der Residenz des Scheikhs von Bornu am Westufer des Tschadsees wieder zusammenzukommen. Richardson ging ostwärts über Sinder auf dem kürzesten Wege nach Kuka. Overweg ging westwärts durch Guber und Mariadi, während B. zwischen beiden Gefährten sich nach Südwesten wandte, nach dem Lande Haussa und dessen beiden großen von Klapperton besuchten Handelsstädten Katsena und Kano im Reiche Sokoto. Schon am 4. März erlag Richardson den Beschwerden zu Ungurutua, 6 Tagesreisen vor Kuka, wo Overweg und B. am 5. Mai glücklich zusammentrafen, nachdem letzterer noch zuvor die Papiere Richardson’s gerettet hatte. Von Kuka aus machten B. und Overweg zum Theil vereint, zum Theil einzeln verschiedene Excursionen in die Gegenden im Süden und Osten vom Tschadsee. Zunächst ging B. nach Süden, entdeckte am 18. Juni den Benuefluß, jenen großen östlichen Arm des Niger, den Baikie 1854 als eine bequeme Wasserstraße bis tief ins Herz des Südens erprobte, und erreichte am 20. Juni die Hauptstadt Jola des bisher unbekannten Landes Adamana, von wo er am 22. Juli wieder in Kuka eintraf. Hierauf besuchte er mit Overweg in Begleitung des brüchtigten Räuberstammes der Uëlad Sliman das nördlich vom Tschadsee gelegene Kanem, und vom 25. Nov. 1851 bis Ende Januar 1852 das Land der Musgo. Ende März ging sodann B. allein nach Baghirmi im Südosten des Tschadsee’s, wo er wichtige Materialien zur Kunde jener noch ganz unbekannten Länder des Sudan zusammenbrachte, aber sich auch von der Unmöglichkeit überzeugte, mit seinen geringen Mitteln südostwärts den indischen Ocean zu erreichen. Nach abermaliger Vereinigung mit Overweg in Kukua erlag auch dieser am 27. September 1852 zu Maduari am Tschadsee dem endemischen Sumpffieber. – B., obwol nunmehr ganz allein, entschließt sich dennoch westwärts nach Timbuktu vorzudringen. Die Wanderung ging über Zinder, Kátsena und Wurno nach Sokoto, der Hauptstadt der Fellatah, über Gando nach Sai am Niger, und jenseits des Stromes durch die bisher von keinem Europäer betretenen Gebiete von Gurma, Libtako, Dalla. Nach fast ¾jähriger beschwerlicher und gefahrvoller Wanderung erreichte er am 5. Sept. 1853 Kabara, den Hafen von Timbuktu, und hielt am 7. Sept. seinen Einzug in die Wüstenstadt. Nach einem siebenmonatlichen Aufenthalt unter fortwährenden drohenden Gefahren trat er endlich am 19. April 1854 die Rückreise nach Kuka an, verfolgte den Lauf des Niger bis Sai, erkrankte in Wurno und wiederholentlich in Kano bei drückendem Mangel an materiellen und pecuniären Mitteln, und alle Welt war ohne Nachricht von ihm geblieben. In dieser Zeit hielt man ihn in Europa wie in Kuka für todt. Dort schrieb man seine Nekrologe (Gumprecht, Zeitschr. für allgem. Erdk. IV. 1855. S. 53), hier hatte man sich schon in seinen [98] zurückgebliebenen Nachlaß getheilt, als er schwach und entkräftet zwischen Kano und Kuka in einem Walde bei Surrikulo ganz unerwartet am 1. December mit Eduard Vogel zusammentraf, der ihm mit allen Mitteln zur Hülfe nachgeschickt worden war. Beide Reisende blieben nun einige Wochen in Kuka zusammen. Am 10. Mai 1855 trat B. die Heimreise nach Europa an, erreichte über Bilma und Murzuk den 28. August Tripolis, und betrat nach fast 6jähriger Abwesenheit am 8. September zu Marseille wieder den europäischen Boden.

Mehr Theilnahme und Interesse, sagt Petermann, als B. fern im Innern des räthselvollen, noch immer so wenig gekannten Afrika, hat wol kaum je ein andrer Reisender erweckt, und wenn dies vor allem durch die wunderbaren Erlebnisse auf seinen von Gefahren aller Art umlagerten Pfaden hervorgerufen war, so hatte es in wissenschaftlicher Beziehung seine tiefe und volle Berechtigung. Sein großes Reisewerk, das zugleich in deutscher und englischer Ausgabe erschien, hat eine höchst ausgedehnte Länderstrecke der abgeschlossenen afrikanischen Welt eröffnet. Denn abgesehen von den neu entdeckten und zuerst von ihm beschriebenen Landschafen wie Aïr, Adamana, die Länder am Niger, dehnen sich Barth’s Erkundigungen fast über das ganze Innere des nördlich vom Aequator gelegenen Theiles von Afrika aus, so daß sie zum ersten Male eine geographische Uebersicht dieser so schwer zugänglichen Welt ergaben. Seine Forschungen über Geschichte, Politik und Sprachen erschlossen ein vollständig neues Gebiet und lieferten eine staunenswerthe Masse wichtiger Daten. Alles dies leistete er unter den drückendsten Verhältnissen; seine ganze 6jährige Reise von wenigstens 3000 deutschen Meilen kostete nicht mehr als 10000 Thlr.! Es ist wahrhaft zu bewundern, wie er neben den weit umfassenden ethnographischen und geographischen Forschungen noch Zeit gefunden, zu den höchst mühevollen, vielleicht von keinem anderen Reisenden jemals mit ähnlicher Genauigkeit und Ausdauer durchgeführten Wegeaufnahmen, die den festen Anhalt zu seinen Karten gaben, wie er oft alle 5 Minuten Uhr und Kompaß ablas, die Schnelligkeit des Kameelschrittes in verschiedenen Tagesstunden sorgfältig maß und diese auf Richtung und Länge der Wegestunden angewandt hat. So urtheilte Petermann, der die Karten zu dem großen Reisewerk redigirt hat. Humboldt klagte indeß 1852 (Briefwechsel mit Berghaus III. 209): „Schade, ewig Schade, daß B. von der ersten Grundlage aller Erdbeschreibung, von der Ortsbestimmung nichts versteht. Durch diesen Mangel erleidet die Geographie von Central-Afrika große Einbuße an positiven Thatsachen. An Encke und dessen astronomischem Generalstabe hätte er die bereitwilligsten Lehrmeister gefunden. Bei dem Mangel aller Ortsbestimmung schweben und schwanken Barth’s Reiserouten, sobald Overweg sich von ihm trennte, rein in der Luft. Ich bin weit entfernt, Barth’s Verdienste zu verkennen, dennoch muß ich Overweg darum den Preis einräumen, weil er es versteht, den Ort, wo er sich befindet, nach der Entfernung vom Aequator und von irgend einem als fest angenommenen Mittagskreise zu bestimmen.“ Auch hat B. selbst es noch in späteren Jahren sehr bedauert, daß er das Studium der Natur versäumt habe. Aber trotz alledem wurde er doch die erste geographische Autorität in Betreff des nördlichen Centralafrika, und übte durch sein Beispiel einen begeisternden Einfluß aus auf die große Zahl der Reisenden in Afrika. – In Berlin fand B. die seinem unermüdlichen Arbeitstrieb angemessenste Stätte. Seit 1863 war er Professor der Geographie an der Universität und wirkte als Gründer der Carl Ritter-Stiftung, als Vorsitzender der geographischen Gesellschaft in umfassendster Weise für alle Zweige geographischen Wissens. Nach Vollendung seines afrikanischen Reisewerks richtete er seine Studien wieder auf den Länderkreis des Mittelmeers. Im Herbst 1858 durchwanderte er die nördliche Hälfte Klein-Asiens von Trapezunt über Kaisarieh bis Scutari, 1861 bereiste er Spanien, [99] 1862 das Innere der europäischen Türkei, 1863 die Alpen, 1864 Italien, 1865 wiederum die Türkei. Noch in demselben Jahre, im 45. seines Lebensalters, in Mitten eifrigster Arbeit verschied er nach zweitägigem Unwohlsein am 25. November. Seine Reisewerke sind: „Wanderungen durch die Küstenländer des Mittelmeeres“, Bd. I. 1849; „Reise und Entdeckungen in Nord- und Central-Afrika in den Jahren 1849–1855“. 5 Bde. mit Karten und Illustrationen. Gotha, J. Perthes, 1857–58, ein Auszug unter gleichem Titel in 2 Bdn. Gotha 1859–60; „Reise von Trapezunt durch die nördliche Hälfte Kleinasiens nach Skutari“, 1860; „Reise durch das Innere des europäischen Türkei“. 1864. Das für die Sprachwissenschaft viel verheißende Werk: „Sammlung und Bearbeitung centralafrikanischer Vocabularien“. Abth. I. und II. Gotha, Perthes 1862–1863 ist unvollendet geblieben.