Zum Inhalt springen

ADB:Clusius, Carolus

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Clusius, Carolus“ von Heinrich Wilhelm Reichardt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 349–351, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Clusius,_Carolus&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 01:17 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Georg von Klausenburg
Nächster>>>
Clüver, Alverich
Band 4 (1876), S. 349–351 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Charles de l’Écluse in der Wikipedia
Carolus Clusius in Wikidata
GND-Nummer 118890646
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|4|349|351|Clusius, Carolus|Heinrich Wilhelm Reichardt|ADB:Clusius, Carolus}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118890646}}    

Clusius: Karl C. oder Charles de l'Ecluse, Botaniker, geb. 19. Febr. 1526 zu Arras in Belgien, † 4. April 1609 zu Leyden. Sein Vater war Gutsbesitzer und höherer Beamte; dem Wunsche desselben entsprechend studirte C. anfangs die Rechte an mehreren Universitäten, namentlich in Löwen, Marburg und Wittenberg. In dieser letzteren Stadt wurde C. mit Melanchthon bekannt und sein Glaubensgenosse. 1550 kam C. nach Montpellier, wo seine Studien eine neue entscheidende Richtung einschlagen sollten. An der dortigen Universität lehrte nämlich Wilhelm Rondelet, ein berühmter Arzt und Naturforscher; derselbe stellte C. von einer schweren Krankheit her und flößte ihm eine solche Vorliebe für Medicin, sowie für Naturwissenschaften ein, daß C. sich diesem Studium und speciell der Botanik widmete. 1553 wurde C. Licenciat der Medicin und kehrte in seine Heimath zurück. Dort lebte er bis 1563, in welchem Jahre er nach Augsburg kam und mit dem Patriciergeschlechte Fugger bekannt wurde. Zwei Brüder der genannten Familie begleitend, unternahm C. 1564 und 1565 eine Reise nach Spanien und Portugal. Obwol er sich im ersten Jahre den rechten Arm und im folgenden den rechten Fuß brach, durchforschte er doch mit unermüdlichem Eifer die iberische Halbinsel von den Pyrenäen bis Gibraltar, von Lissabon bis Valencia, entdeckte zahlreiche neue Arten, zeichnete sie selbst und beschrieb sie musterhaft. Aus Spanien zurückgekehrt, verlebte C. 7 Jahre in seiner Heimath, mit der Bearbeitung des mitgebrachten Materiales beschäftigt. Während dieser Zeit trafen ihn Widerwärtigkeiten in Menge; er erkrankte mehrmals schwer, das Vermögen seines Vaters (eines Protestanten) wurde confiscirt und C. gerieth dadurch in drückende materielle Verhältnisse. Einer seiner Zöglinge, Thomas Rhedinger, machte C. mit Krato v. Kraftheim, dem Leibarzte der Kaiser Maximilian II. und Rudolf II. bekannt. Wahrscheinlich lenkte Krato die Aufmerksamkeit Maximilians II. auf C. und dieser Monarch, welcher Wissenschaften und Künste liebte, berief 1573 C. nach Wien. C. verweilte bis 1587, also 14 Jahre, in Oesterreich, war Botaniker am Hofe der genannten Kaiser und bezog einen Jahresgehalt von 500 fl. rheinisch. In dieser Lebensperiode hatte C. viele Große Oesterreichs und Ungarns zu seinen Gönnern und stand mit den berühmtesten Naturforschern seiner Zeit in regem wissenschaftlichen Verkehr. In Wien war er namentlich mit Johann Aichholz (seinem Hausherrn), Paul Fabricius und mit Sambucus innig befreundet. Während seines Aufenthaltes in Oesterreich durchforschte C. botanisch Niederösterreich mit seinen sämmtlichen höheren Alpen, er bereiste Ungarn und [350] Croatien, so weit diese Länder damals österreichisch waren, er besuchte ferner die Alpen Steiermarks und Salzburgs. Zweimal war C. auch während dieser Zeit in England. C. brachte die meisten auf seinen Ausflügen gesammelten Pflanzen lebend nach Wien und cultivirte sie theils in seinem eigenen Garten, theils in jenem seines Freundes Aichholz. Die Winter verwendete er zum Niederschreiben und Ordnen der gemachten Erfahrungen. Diese unermüdliche Thätigkeit muß um so mehr Bewunderung erregen, wenn man bedenkt, wie schwierig damals Reisen und namentlich Besteigungen von Alpen waren, wenn man ferner erfährt, daß C. auch in Wien das Unglück hatte, sich den linken Unterschenkel zu brechen. C. gebührt das große Verdienst, der erste gewesen zu sein, welcher Niederösterreich und die angrenzenden Länder botanisch durchforschte und die Erfolge dieser Forschungen in zwei berühmten Werken der Nachwelt überlieferte. 1587 verließ C. Oesterreich, übersiedelte nach Frankfurt a. M., trat mit dem Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen in ein freundschaftliches Verhältniß und bezog von ihm einen Jahresgehalt. In Frankfurt hatte C. das Unglück, sich die rechte Hüfte zu verrenken und lahm zu bleiben, so daß er nur mit Krücken gehen konnte. Dies hinderte aber die Stände der Niederlande nicht, ihn 1593 an die Universität von Leyden zu berufen, an welcher er bis zu seinem Tode wirkte. C. war der größte Botaniker des 16. Jahrhunderts; er übertrifft alle seine Zeitgenossen durch eminenten Scharfblick im Erkennen und Unterscheiden verwandter Pflanzenarten, ferner durch Naturwahrheit in seinen Beschreibungen, endlich durch Genauigkeit und Richtigkeit in seinen Angaben. Obwol C., dem damaligen Stande der botanischen Kenntnisse entsprechend, noch nicht consequent Arten und Gattungen unterscheidet, obwol er noch kein eigentliches System kennt, obwol ihm noch eine botanische Kunstsprache fehlt, so sind trotz dieser Mängel seine Beschreibungen doch so meisterhaft ausgearbeitet, lassen die charakteristischen Merkmale so prägnant hervortreten, sind durch äußerst genaue Angaben der Standorte und durch treffliche Abbildungen so gut unterstützt, daß man nur selten darüber im Zweifel bleibt, welche Art gemeint sei. C. führt ferner die Volksnamen der Pflanzen gewissenhaft an, er gibt auch sehr interessante Daten über die Einführung zahlreicher Nutz- und Zierpflanzen. Als besonderes Verdienst von C. muß endlich hervorgehoben werden, daß er zuerst die Flora Spaniens, sowie jene Oesterreich-Ungarns genauer durchforschte und der Wissenschaft erschloß. Abgesehen von zahlreichen Uebersetzungen der Schriften anderer Botaniker sind folgende vier die wichtigsten Publicationen von C.: „Rariorum stirpium per Hispaniam observatarum historia“ (1576). Sie enthält die ersten ausführlichen Nachrichten über die Flora der pyrenäischen Halbinsel; mehr als 200 neue Arten werden in ihr bekannt gemacht. – „Rariorum stirpium per Pannoniam, Austriam et vicinas quasdam provincias observatarum historia“ (1583). Dieses Buch ist als Fundamentalwerk für das Studium der Flora von Oesterreich-Ungarn zu betrachten, denn es enthält die Beschreibungen von mehr als 500 seltenen Pflanzenarten aus den genannten Ländern. – „Rariorum plantarum historia“ (1601). In diesem Werke wird der Inhalt der beiden früheren zusammengefaßt und durch zahlreiche neue Beobachtungen vermehrt. Beigegeben ist u. a. ein Commentar über die von C. in Ungarn und Oesterreich gefundenen eßbaren und giftigen Schwämme; derselbe ist wichtig als der erste Versuch einer Monographie dieser schwierigen Gewächsgruppe. – „Libri exoticorum decem“ (1605). In ihnen beschreibt C. außereuropäische Naturproducte aller Art; von besonderem Interesse sind die Nachrichten über Chinarinde, Sassaparille, Coca, den Walchvogel u. m. a. – C. war nicht blos Botaniker, sondern er war auch Philologe (er sprach sieben Sprachen), Geograph und Historiker. Er besaß ferner künstlerische Bildung, hatte Sinn für Poesie und stand mit sehr vielen Gelehrten, sowie mit Diplomaten in regem Briefwechsel. Der Charakter [351] von C. war rein und edel. Aus seinen Schriften leuchten hervor der glühendste Eifer für die Wissenschaft, der tiefste Ernst des Forschens, die strengste Wahrheitsliebe gepaart mit der größten Bescheidenheit. Boerhave nennt daher C. mit Recht „einen Mann, wie ihn reiner kaum die Tugend bilden könnte“. Von Körper war C. klein und schwächlich; oft warfen ihn Krankheiten nieder, wiederholt brach er sich Arm und Fuß; die letzten Jahre seines Lebens konnte er nur mit Krücken gehen; aber diesen gebrechlichen Körper stählte die Begeisterung für die Wissenschaft, sie machte ihn fähig, die größten Beschwerden zu ertragen und gab ihm noch als 80jährigem Greise die Kraft, unermüdlich zu arbeiten.

Boissardus, Icones virorum illustr. II. p. 21. – Everardus Vorstius, Oratio funebris in obitum C. Clusii.Sprengel, Historia rei herbariae I. p. 407. – E. Meyer, Geschichte d. Botan. IV. S. 350. – Neilreich, Geschichte d. Botan. in N.Oe., Verh. d. zool. bot. Verein. V. (1855) S. 24. – H. W. Reichardt, Karl Clusius und sein bot. Wirk. in N.Oe. Blätter d. Ver. f. Landesk. v. N.Oe. II. (1866) S. 33. – Derselbe, Ueber das Haus, welches C. während seines Aufenth. in Wien bewohnte. Verh. d. k. k. zool. bot. Ges. XVII. (1867) S. 977. – Derselbe, K. Clusius’ Naturgesch. d. Schwämme Pannoniens. Festschrift zur Feier d. 25jähr. Best. d. zool.-bot. Ges. in Wien. S. 145 ff. – Ed. Morren, Ch. de l'Ecluse, sa vie et ses oeuvres (Bull. de la féd. d’hortic. de Belgique) 1784. p. 1 ss.