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ADB:Georg (Landgraf von Hessen-Darmstadt)

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Artikel „Georg, Landgraf von Hessen-Darmstadt“ von Wilhelm Diehl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 285–288, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Georg_(Landgraf_von_Hessen-Darmstadt)&oldid=- (Version vom 9. Dezember 2024, 20:06 Uhr UTC)
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Georg, Landgraf von Hessen-Darmstadt, „der Eroberer und Vertheidiger von Gibraltar“, berühmter Feldherr, ist am 25. April 1669 als Sohn des regierenden Landgrafen Ludwig’s VI. und dessen zweiter Gemahlin Elisabetha Dorothea, der Tochter Herzog Ernst’s des Frommen von Sachsen-Gotha, im Residenzschloß zu Darmstadt geboren. Schon in früher Jugend des Vaters beraubt (1678), erhielt er unter der Leitung seiner thatkräftigen Mutter, welche nach dem ebenfalls 1678 erfolgten Tod des Landgrafen Ludwig VII. für ihren erst elfjährigen ältesten Sohn Ernst Ludwig die Regentschaft übernommen hatte, eine streng religiöse Erziehung, zugleich aber auch eine sorgfältige Unterweisung in den Kriegswissenschaften. In letzterer Beziehung ging seine Mutter, dem Geist der Zeit entsprechend, so weit, daß sie schon im J. 1684 den wiederholten Versuch machte, ihren kaum fünfzehnjährigen Sohn Georg an die Spitze eines in Hessen zu werbenden Regimentes und mit diesem in den Dienst mächtiger deutscher Potentaten zu bringen. Da der Plan mißlang, schickte sie ihn zugleich mit seinem älteren Bruder Ernst Ludwig auf Reisen. Auf „einer großen Tour“ lernte so Landgraf G. in dem Zeitraum vom 1. Juni 1685 bis 21. October 1686 die Schweiz, Frankreich und den Niederrhein kennen; ganz besonders eingehend wurde den Plänen der Landgräfin entsprechend Paris studirt. Nach seiner Rückkehr führte ihn der Wunsch der Mutter in die Türkenkriege. Er nahm als Freiwilliger an dem Feldzug des Jahres 1687 in Ungarn theil und zog dann im J. 1688, nach einem kurzen Aufenthalt in Darmstadt, zum zweiten Mal gegen den Erbfeind des christlichen Glaubens zu Felde. Hatte G. im J. 1687 eine mehr untergeordnete Stellung eingenommen, so sollte er jetzt viel selbständiger auftreten. Er wurde nämlich bestimmt, an dem glorreichen Kampfe, welchen christliche Waffen im Dienste der Republik Venedig, damals noch der Mitbeherrscherin [286] der Weltmeere, auf der Halbinsel Morea gegen die Ungläubigen führten, als Führer eines Regimentes von 1000 Mann in zehn Compagnien (mit Einschluß einer Grenadiercompagnie) Antheil zu nehmen. In dieser Stellung betheiligte er sich mit seinen Truppen bei der unglücklichen Belagerung von Negroponte, dem einzigen bemerkenswerthen Ereigniß des fehlgeschlagenen Feldzugs, und wurde bei dieser Gelegenheit wegen seiner hervorragenden Tapferkeit zum Brigadeführer von fünf Regimentern ernannt. Nach Ausgang dieses Krieges in die Heimath zurückgekehrt, verweilte er bis zum Jahre 1691 in Darmstadt bei seinem seit 1688 mündig gewordenen und die Regierung Hessens seitdem selbständig führenden Bruder, Landgraf Ernst Ludwig. Im J. 1691 eröffnete sich ihm eine doppelte Carrière. Auf der einen Seite zog ihn seine Neigung an den Hof des englischen Königs Wilhelm III., unter dessen krieggeübter Oberleitung es noch harte Kämpfe in Irland auszufechten galt. Andrerseits wiesen die Traditionen des hessischen Hauses nach dem österreichischen Dienste hin. Georg’s Schwanken kam nun zwar scheinbar durch die im Anfang 1691 erfolgte Ernennung zum Obristen eines von da an bis zum Tode des Landgrafen den Namen des hessen-darmstädtischen Regimentes oder kurz „Regiment Darmstadt“ tragenden Cürassierregimentes zum Abschluß. Trotzdem nahm er noch im Juli 1691 an dem Feldzug des Königs Wilhelm gegen die Iren rühmlichen Antheil und fand dabei einen solchen Gefallen am englischen Dienste, daß er sich mit der Absicht trug, ihn nach einem Abstecher nach Wien, wenn auch nur vorübergehend, wieder aufzunehmen. Diesen Plan vereitelten ihm jedoch die inzwischen veränderten Verhältnisse auf dem Schauplatz der Türkenkriege. Landgraf G. hielt es im Blick auf die im J. 1691 in Ungarn stattgehabten Kämpfe zwischen der kaiserlichen Heeresmacht und den Türken für eine Ehrensache, dem Ruf nach England vorerst nicht zu folgen und sich dem kaiserlichen Dienst nunmehr mit ganzer Kraft zu widmen. Im Verfolg dieses Gedankens betheiligte er sich 1692 an einem neuen Türkenzug, kämpfte 1693 mit Markgraf Ludwig von Baden, einem der größten Feldherren seiner Zeit, zusammen am Rhein und unter dem Grafen Caprara 1694 als Generalfeldwachtmeister bei der kaiserlichen „Hauptarmada“ wieder in Ungarn. Kurz vorher war er, berühmten Mustern aus seiner Zeit folgend, zur katholischen Kirche übergetreten.

Alle bisher erwähnten kriegerischen Bethätigungen des Landgrafen G. tragen den Charakter der Vorbildung für sein eigenstes Lebenswerk, seine Feldzüge in Spanien. Als er im Frühjahr 1695 von Wien aus mit den österreichischen Hülfstruppen als commandirender General nach Catalonien ging, da war daselbst schon seit sieben Jahren der Krieg im Gange. Es kämpften die Truppen Ludwig’s XIV. mit den Truppen der „großen Allianz“, und es handelte sich dabei in den Jahren, da G. ankam, vor allem um den Besitz von Barcelona. Es gelang nun zwar dem französischen Oberbefehlshaber Vendôme, die von dem Vicekönig von Catalonien, dem Landgrafen und anderen Commandanten vertheidigte Stadt Ende August 1697 einzunehmen. Doch ist hervorzuheben, daß die Capitulation gegen des Landgrafen Willen und hinter seinem Rücken geschah, und daß G. durch seine Umsicht und Tapferkeit bei der Vertheidigung sich die Liebe und Begeisterung der Stadtbevölkerung zu erwerben verstand. Daß man dies sein Verdienst trotz des ungünstigen Ausgangs auch in Madrid zu schätzen wußte, zeigt sich daran, daß man ihn nach dem bald auf Barcelona’s Capitulation folgenden Frieden von Ryswick in Madrid mit den höchsten Ehrenbezeugungen empfing, ihn zum Granden erster Classe erklärte, zum Ritter des goldenen Vließes, Kammerherrn und Obristen der königlichen Garde zu Pferd ernannte und mit kostbaren Geschenken und [287] einer bedeutenden Pension bedachte. Ja, man ernannte ihn im Decbr. 1697 zum Vicekönig von Catalonien. Mit diesen Auszeichnungen, denen von Wien aus im November 1699 für die bei Barcelona bewiesene Tapferkeit, sowie die unermüdliche Thätigkeit für die österreichische Sache die Ernennung zum Feldmarschall folgte, hatte Landgraf G. freilich für die nächste Zeit die Höhe seines Ruhmes erstiegen. Das Zögern des Wiener Hofes, Hülfstruppen zu schicken, und sich bei Zeiten die spanische Erbfolge zu sichern sowie die französischen Intriguen und Erfolge (Ernennung des Enkels Ludwig’s XIV. zum Nachfolger Karl’s II.) machten es nach dem Tode des Königs Karl († am 3. Nov. 1700[1]) und dem dadurch bedingten Regierungsantritt des Franzosen Philipp V. möglich, daß der „Held des Tages“, das „Ideal der Catalonier“ aus seiner Stellung als Vicekönig verdrängt wurde (1701).

Als Landgraf G. sich im Hafen der Stadt, die er so ruhmvoll vertheidigt, einschiffte, um Wien und dann Darmstadt wieder einmal aufzusuchen, sprach er die prophetischen Worte: „Ich werde nicht allein zurückkehren, sondern mit einem andern König von Spanien“. Dies Wort sollte sich eher, als er es geahnt, erfüllen. Bereits im März 1702 treffen wir ihn an der Spitze einer großen Seeexpedition gegen Spanien, deren Ziel (die Eroberung von Cadix) freilich mißlang, aber durch die Wegnahme der spanischen Silberflotte in der Bai von Vigo aufgewogen wurde. 1703 erhielt G. dann von Wien aus den Auftrag, die Unterhandlungen zwischen Oesterreich und England zum Zweck der gewaltsamen Absetzung Philipp’s V. und der Einführung des österreichischen Kronprätendenten Karl III. auf den spanischen Königsthron in London zu leiten. Nachdem ihm dies gelungen ist, treffen wir ihn im J. 1704 als Theilnehmer bei der großen Seeexpedition, die König Karl nach Portugal bringen und dann an den Küsten Spaniens neue Eroberungsversuche zu seinen Gunsten machen sollte. Von nun an ist er die eigentliche Seele aller Unternehmungen und Angriffe, die zur See in Spanien gemacht wurden. Von König Karl zum Stellvertreter mit der höchsten Machtbefugniß (vicario general de la corona de Aragon) ernannt, schiffte er sich an Bord des Admiralsschiffes der ihm allein zu Verfügung stehenden englischen Flotte ein und unternahm zuerst einen Angriff auf Barcelona. Als dieser infolge des Ausbleibens portugiesischer Unterstützungen und Hülfstruppen und der zögernden Stellung des die englische Flotte commandirenden Admirals Rooke mißlang, entschloß sich G. zu einem Hauptschlag, der Einnahme der für die ganze Kriegsführung hochwichtigen, stark befestigten, aber nur mit schwacher Besatzung versehenen Festung Gibraltar. Sie gelang auch durch eine Capitulation vom 4. August 1704, trug dem Landgrafen allerdings (namentlich von englischer Seite) nicht die Anerkennung ein, die ihm gebührte. Trotzdem ließ er dadurch sich nicht verbittern. Gerade die nun folgende Thätigkeit Georg’s als (erster) Gouverneur der Stadt und Festung Gibraltar gibt dafür manches Zeugniß. Es gelang seiner Tapferkeit und Selbstverleugnung nicht bloß in zeitweilig sehr kritischen Lagen den Zurückeroberungsversuchen der Franzosen und Spanier zu trotzen und sich zwei Mal ihrem Kriegsglück gegenüber bis zum Entsatz durch die englische Flotte zu behaupten, er war auch in dem nach Aufhebung der Belagerung nach Catalonien unternommenen Feldzug die Seele aller vernünftigen Unternehmungen und der Vater aller gesunden Kriegspläne. Leider drang er auch hier nicht immer durch. Drei Wochen lang lag das Heer wegen der Unentschiedenheit der Engländer unthätig vor Barcelona. Als man endlich zum Angriff überging, da ereilte den Landgrafen gleich in der ersten Schlacht das Todesgeschick (am 14. September 1705). Grade der Feldzug, von dessen [288] Ausgang er sich am meisten versprochen, sollte ihn an das Ziel alles irdischen Strebens hinführen.

Tragisch wie dieser Tod des Landgrafen ist auch das Schicksal seines Leichnams geworden. Sein Körper wurde einbalsamirt und in zwei Särgen, deren Schlüssel Landgraf Georg’s Bruder Heinrich mit nach Deutschland brachte, vorläufig in den Gewölben eines Klosters zu Grazia bei Barcelona beigesetzt. Ueber die weiteren Schicksale dieser sterblichen Ueberreste ist nichts bekannt. Genaue Nachforschungen im J. 1858 ergaben nur, daß alle Spuren derselben verschwunden sind. Es ist zu vermuthen, daß Philipp V. den Sarg des heldenmüthigen Landgrafen verschwinden ließ. Gerettet wurde nur das Herz des Landgrafen, welches sein Bruder Heinrich bei der Einbalsamirung hatte herausnehmen lassen, um es in einem mit starkem Weingeist gefüllten Porzellangefäß der tiefbetrübten Mutter zu überschicken. Freilich kam das Herz erst nach dem Tode der Landgräfin Elisabetha Dorothea in die Heimath. Es wurde sammt dem englischen Packetboot, das es heimbringen sollte, von den Franzosen erbeutet und erst 1711 nach langen Verhandlungen ausgeliefert. Jetzt ruht es in Darmstadt in der Gruft der Ahnen.

Tragisch erging es endlich mit seiner Würdigung. Man hat unter dem Druck englischer Darstellungen lange Georg’s Bedeutung unterschätzt und vergessen, daß es doch Großthaten waren, welche der Held von Gibraltar, noch nicht 35 Jahre alt, vollbrachte. Um so mehr ist es nöthig festzustellen, daß die Erhaltung Gibraltars und die Eroberung Cataloniens Thatsachen sind, welche mit dem Wirken seiner Persönlichkeit in einem unlösbaren Zusammenhang stehn.

Das Leben und der Briefwechsel des Landgrafen Georg von Hessen-Darmstadt, des Eroberers und Vertheidigers von Gibraltar. Ein Beitrag zur Geschichte des spanischen Successionskrieges, zur Memoirenliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts, und zur hessischen Landesgeschichte. Nach den deutschen, englischen, französischen, spanischen, italienischen, holländischen und lateinischen Originalpapieren des britischen Museums und der Archive zu London, des Großherzoglichen Haus- und Staatsarchivs zu Darmstadt, des k. k. Reichsarchivs zu Wien, der Archive von Paris, Madrid, Lissabon, Venedig und im Haag, von Gibraltar und Barcelona, des Königl. Würtembergischen Staatsarchivs zu Stuttgart und des Fürstlich Oettingischen Archivs zu Wallerstein dargestellt von Heinrich Künzel. Friedberg u. London 1859. – Prinz Georg von Hessen. Ein episches Gedicht. Nach histor. Quellen bearbeitet von C. Merck. Darmstadt 1855. – In dem erstgenannten Werk ist die gesammte Litteratur bis zum Jahre 1859 verzeichnet.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. Georg, Ldgf. v. H.-Darmstadt XLIX 287 Z. 10 v. o. l.: ersten Nov. 1700 (statt 3. Nov.). [Bd. 56, S. 396]