ADB:Giselbert (Herzog von Lothringen)

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Artikel „Giselbert von Lothringen“ von Ernst Ludwig Dümmler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 196–198, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Giselbert_(Herzog_von_Lothringen)&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 00:09 Uhr UTC)
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Giselbert (Giselbrecht) von Lothringen, Sohn des Herzogs Reginar mit dem Beinamen Langhals und der Albrada, aus altem und vornehmem Geschlechte, folgte seinem wahrscheinlich im J. 915 verstorbenen Vater in der herzoglichen Regierung Lothringens nach. Trotz seiner Unmündigkeit, in Folge deren anfänglich die Mutter statt seiner die Leitung übernehmen mußte, belehnte ihn der westfränkische König Karl mit allen Würden und Besitzungen des Vaters, zu denen außer der Grafschaft im Hennegau und Haspengau am linken Ufer der Maas noch die Einkünfte von sechs Klöstern sich gesellten, über die er als Laienabt gebot, von Echternach und St. Servaes zu Mastricht, Stavelot und Malmedy, St. Maximin zu Trier und der Marienabtei zu Chevremont bei Lüttich. Sehr bald trat der junge Herzog selbständig handelnd hervor: er zeigte sich gleich seinem Vorgänger rastlos und unternehmend, übermüthig und verwegen, unzuverlässig und zweideutig, wie man es den Lothringern überhaupt nachsagte, voll Thatkraft, aber in jugendlichem Leichtsinn noch der rechten Umsicht entbehrend. Die Schwäche seines Lehnsherrn, Karls des Einfältigen, mußte dazu aufmuntern für Lothringen, das ja überdies erst seit 911 dem westfränkischen Reiche angehörte, volle Unabhängigkeit zu erringen und reiche Geschenke an Geld und Land auch aus dem für den Unterhalt der Mönche vorbehaltenen Gute der Klöster soll G. an die Großen gespendet haben, um sie für seine Pläne zu gewinnen. Daß er mit Karl zerfiel, zeigt die Entziehung der Mastrichter Abtei, welche im J. 919 der Trierer Kirche, freilich nur für kurze Zeit, zurückgegeben wurde. Als dann im J. 920 die Macht des Königs ohnehin ganz untergraben war, fiel die Mehrzahl der Lothringer von ihm ab und erhob G. als ihren Fürsten zu unabhängiger Herrschaft. Bei der Erledigung des Bisthums Lüttich wagte es der Herzog im Gegensatze zu der Wahl und dem Willen Karls seinen Anhänger Hilduin zum Bischofe weihen zu lassen, der dann bald auch einen Rückhalt an Heinrich, dem ostfränkischen Herrscher fand. Da aber erschien im Herbste Karl, in seinem eigenen Reiche hergestellt, in Lothringen, dessen Bewohner zum Gehorsam gegen ihn zurückkehrten. Wie eine sagenhafte Quelle berichtet, sollen die Großen gegen Bestätigung ihres Besitzes ihm treu geblieben sein, während G. in seiner Veste Hardestein zwischen Maas und Geul sich von ihm belagert sah und endlich mit zwei Begleitern über den Rhein zu Heinrich flüchten [197] mußte. Erst nach längerer Verbannung soll dieser ihm eine Aussöhnung mit Karl zu Stande gebracht haben, bei der er einen Theil seiner Güter einbüßte. Wie dem auch sein mag, in Lüttich trat Richar als Bischof an die Stelle Hilduins und durch eine Zusammenkunft der Könige Heinrich und Karl bei Bonn am 7. November 921 wurde des letzteren Herrschaft über Lothringen wesentlich befestigt. Ohne deutschen Beistand stand G. ihm im folgenden Winter gegenüber und wurde von ihm bekämpft, das Mißvergnügen aber, welches Karl im westfränkischen Reiche selbst, zumal durch Bevorzugung eines gewissen Hagano, gegen sich erregt hatte, führte dazu, daß am 29. Juni 922 Robert, Odo’s Bruder, der Capetinger zum Könige erhoben wurde. Lothringen zeigte sich bei diesem Thronstreite innerlich gespalten, ein Theil des Volkes stand auf der Seite Karls, G. blieb sein Gegner. Als Robert bei Soissons (15. Juni 923) gefallen war und Karl, der Besiegte dieser Schlacht, abermals durch Rudolf von Burgund verdrängt wurde, wandte sich G. mit dem Erzbischofe Rotger von Trier an den deutschen König Heinrich, auf den auch Karl in seinem Sturze noch seine Hoffnung setzte. So wurde durch den Beistand des Herzogs selbst, der Heinrich auf seinem ersten Zuge Metz belagern half, die Erwerbung Lothringens für das deutsche Reich vorbereitet, doch bald gerieth G. in Hader mit seinen nächsten Verwandten und fiel sogar eine Zeit lang in die Gefangenschaft seines Schwagers Berengar. Wetterwendisch wie er war bot er jetzt Rudolf seine Huldigung an, der, nachdem er zuerst sie zurückgewiesen, 925 an der Maas sie persönlich in Empfang nahm, rasch aber erschien Heinrich im Lande, eroberte Zülpich, eine Veste Giselbert’s, und brachte ihn, den ein Graf Christian ihm als Gefangenen überliefert haben soll, nebst ganz Lothringen zur Unterwerfung. Unter der deutschen Herrschaft, welche König Rudolf nicht anzufechten vermochte, beschwichtigten sich allmählich die inneren Wirren: 928 zog der König abermals nach Lothringen, versöhnte G. mit Boso, dem Bruder Rudolfs und mit Reginar, überließ ihm die Abtei St. Servaes noch auf Lebenszeit zum Genusse, ja er vermählte ihn, den er lieb gewonnen hatte, sogar mit seiner klugen Tochter Gerberga, welche ihn auf das innigste an das sächsische Herrscherhaus fesseln sollte. Daneben diente aber auch Eberhard, der Franke, der in Lothringen Besitzungen und Einfluß hatte, daselbst als Stütze der deutschen Herrschaft. In diesen friedlicheren Tagen, die freilich noch öfter durch Giselbert’s Einmischung in die westfränkischen Händel, durch seine Verbindung zumal mit dem Grafen Heribert von Vermandois, gestört wurden, konnte auch endlich Hand an die Herstellung des arg zerrütteten Klosterlebens gelegt werden. In St. Maximin begann die Reform durch die Einsetzung des Abtes Ogo im J. 934, nachdem der Heilige selbst, wie nachmals im Kloster erzählt wurde, dem Herzoge im Schlafe erschienen war und ihn eigenhändig gezüchtigt hatte, St. Ghislain wurde schon 931 dem heiligen Gerard von Brogne, einem eifrigen Verbesserer des Mönchslebens, übergeben und reichlicher ausgestattet, auch in Moyenmoutier priesen noch die nachfolgenden Geschlechter Giselbert’s Verdienste um die Herstellung des Stiftes. Diese segensreiche Umwandelung, die sich an verwandte Strebungen anderer Zeitgenossen anlehnte, war nicht möglich ohne den Verzicht auf manchen bisher der Kirche entfremdeten Besitz.

Nach einer an Wirren und Schwankungen reichen Jugend befand sich demnach G. in den Jahren männlicher Reife und auf besseren Wegen, als fast gleichzeitig durch den Tod Rudolfs am 14. Januar, Heinrichs am 2. Juli 936 der westfränkische und der deutsche Thron erledigt wurden. Während dort wieder ein Karolinger Ludwig, noch ein Knabe, durch die Großen erhoben ward, beging hier einige Wochen später auf lothringischem Boden zu Aachen Otto I. das glänzende Fest seiner Krönung und G. leitete als Kämmerer die Feier, die in seinem Gebiete stattfand. Rasch genug trübte sich durch mancherlei [198] Widerwärtigkeiten die Herrlichkeit des neuen Herrschers, obgleich sie aus der einhelligen Wahl der deutschen Stämme hervorgegangen war: einer der treuesten Anhänger seines Hauses, Eberhard der Frankenherzog, mußte bereits 937 als Landfriedensbrecher bestraft werden. Dem Bunde, welchen dieser aus Rachsucht insgeheim mit Otto’s jüngerem ehrgeizigem Bruder Heinrich schloß, neigte bald auch G. zu, doch beschäftigten ihn im J. 938 noch die westfränkischen Händel, in denen er die Grafen Hugo und Heribert gegen den König Ludwig unterstützte. Das J. 939 brachte, nachdem dort der Friede hergestellt war, die von langer Hand her vorbereiteten Pläne zur Reife, die Bewegung zum Ausbruche: der Sturz Ottos mußte das Ziel der Empörer sein, unter der Herrschaft seines jugendlichen Bruders durften die Herzöge hoffen eine so gut wie unabhängige Stellung einzunehmen. Von Saalfeld aus, wo er mit seinen Anhängern getagt hatte, eilte Heinrich an den Rhein und verband sich hier mit den Lothringern. Otto folgte ihm und mußte es vom rechten Ufer des Stromes aus mit ansehen, wie ein kleiner Theil der Seinigen, der bereits übergesetzt war, bei Birten unweit Xanten von Heinrich und G. mit gewaltiger Uebermacht angegriffen wurde. Der fast wunderbar erscheinende Sieg der tapferen Minderzahl stärkte das Zutrauen in die gerechte Sache, G. aber, zu dem sein Schwager Heinrich sich bald auf’s neue gesellte, wurde durch die Niederlage bewogen Beistand bei dem westfränkischen Könige zu suchen und diesem zu huldigen trotz des Friedens, der damals zwischen beiden Reichen bestand. Ein zweiter Zug Ottos nach Lothringen im Sommer führte nur zu einer vergeblichen Belagerung der durch die Natur fast uneinnehmbaren Veste Chevremont bei Lüttich, doch gewann er den in der dortigen Gegend angesessenen Grafen Immo, bisher Giselbert’s zuverlässigsten und verschmitztesten Berather, für sich und schuf ihm dadurch einen lästigen und gefährlichen Feind. Nachdem der König Ludwig gleich darauf einen verwüstenden Einfall in das Elsaß unternommen hatte, zog Otto vor Breisach am Oberrhein, das von den Leuten Eberhard’s besetzt war, und gerieth, während die Festung sich tapfer wehrte, durch vielfachen Abfall aus seinen Reihen in wachsende Bedrängniß. Inzwischen vereinigte sich G. jetzt offen mit Eberhard und beide überschritten bei Andernach mit Heeresmacht den Rhein, um die Gaue der königlich gesinnten fränkischen Grafen Konrad und Udo, der Vettern Eberhard’s, zu verwüsten. Schon war ihr Heer mit reicher Beute über den Strom zurückgekehrt und sie selbst mit wenigen Begleitern diesseits bei dem Mahle beschäftigt, als gerade jene feindlichen Grafen, durch einen ausgeplünderten Priester geführt, sie überfielen und ihnen ein jähes Ende bereiteten. Denn während Eberhard mit seinem Gefolge dem Schwerte erlag, warf sich G. mit Begleitern in einen Kahn, der unter der allzu schweren Last der Fliehenden umschlug und sie alle in die Fluthen versenkte. Fischer sollen den Leichnam, nachdem sie ihn des reichen Waffenschmuckes beraubt hatten, heimlich beerdigt haben. In so schimpflicher Weise endete ein Mann, der dem Könige Heinrich einst theuer gewesen war und zu großen Hoffnungen berechtigt hatte: ein warnendes Beispiel allen Denen, die aus persönlichem Ehrgeize Feinde ihres Vaterlandes werden wollten. Sein Untergang besiegelte die Vereinigung Lothringens mit dem deutschen Reiche. Seiner Familie blieb das Herzogthum nicht erhalten, denn sein einziger Sohn Heinrich überlebte ihn nur um wenige Jahre und seine Wittwe Gerberga wählte mit ihrer Tochter Albrada das westfränkische Reich zur neuen Heimath, indem sie in zweiter Ehe sich mit dem Könige Ludwig verband.

K. Wittich, Die Entstehung des Herzogthums Lothringen, Göttingen 1862. – G. Waitz, Jahrbücher des deutschen Reichs unter König Heinrich I., Neue Bearb. Berlin 1863. – Köpke und Dümmler, Kaiser Otto der Große, Leipzig 1876.