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ADB:Grabe, Johannes Ernst

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Artikel „Grabe, Johann Ernst“ von Wilhelm Heinrich Erbkam in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 536–538, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Grabe,_Johannes_Ernst&oldid=- (Version vom 10. Oktober 2024, 04:00 Uhr UTC)
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Grabe: Johann Ernst G., geboren am 10. Juli 1666 zu Königsberg, † am 13. November 1711 zu London, Sohn des Folgenden, berühmter englischer Theologe. Seine gelehrte Bildung erhielt er im elterlichen Hause theils in Königsberg, theils in Pommern, wohin sein Vater versetzt war. Besonderen Einfluß auf die Richtung seiner Studien hatte sein Onkel, der jüngere Michael Behm, seiner Mutter Bruder, der ihn schon in Pommern unterrichtet hatte und [537] sodann auf die Universität Königsberg 1682 begleitete, um später als Erzpriester in Pr. Holland und Beisitzer des Pomesanischen Consistoriums eine einflußreiche Stelle im Kirchenregimente einzunehmen. Der junge G., von außerordentlicher Lernbegier ergriffen und mit hinreichenden Kenntnissen ausgestattet, trieb zunächst philosophische und geschichtliche Studien mit solchem Erfolge, daß er schon nach drei Jahren (1685) den Grad eines Magisters erlangen konnte, und damit das Recht, Vorlesungen zu halten, erwarb. Diese erstreckten sich anfangs nur auf Geschichte und Rhetorik. Doch verband er damit auch theologisch-exegetische Studien, so daß er sich befähigt hielt, auch theologische Vorlesungen zu halten. Durch den 1686 erfolgten Tod seines Vaters ward er veranlaßt, nach Colberg zu reisen, und dehnte diese Reise zu einer in jener Zeit üblichen Gelehrtentour durch alle Universitäten Deutschlands aus. Nach seiner Rückkehr 1687 setzte er seine akademische Lehrthätigkeit unter Ausdehnung auf die Kirchengeschichte mit großem Beifall fort, so daß ihm gerathen wurde, sich um eine außerordentliche Professur der Theologie zu bewerben. Er lehnte es aber ab, ohne Zweifel, weil ihm damals schon Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bestandes der ganzen lutherischen Kirche entstanden waren. Dieselben betrafen nicht den Inhalt der christlichen Glaubenslehre im Allgemeinen, sondern die Verfassung und den Cultus der lutherischen Kirche. In jener vermißte er ein gültiges, durch apostolische Succession gewährleistetes Priesterthum, in diesem die Opferhandlung im Abendmahle. Anlaß zu diesen Zweifeln haben ihm ohne Zweifel die Tendenzen der damals in Königisberg zur Herrschaft gelangten, durch Calixtus angeregten synkretistischen Theologen gegeben. Die theologischen Professoren, die fast alle mit ihm verwandt waren, huldigten mehr oder weniger dem Calixtinismus mit Hinneigung zur katholischen Kirche. Im J. 1694 trat dieses offen hervor durch die Conversion des theologischen Professors Pfeiffer, des Pfarrers Praetorius und des Magisters Hellwich. G. selbst sah sich dadurch veranlaßt, seine Zweifel in einer ausführlichen Schrift dem Consistorium vorzutragen. Dieses schickte dieselbe dem kurfürstlichen Hofe nach Berlin zu. Der Kurfürst befahl die Schrift an drei berühmte Theologen zu schicken, mit der Anweisung, daß Jeder besonders darauf antworten solle. Es waren Ph. Jac. Spener, Propst in Berlin, Joh. M. Baier, Professor in Jena, Bernhard v. Sanden, Professor, Oberhofprediger, später evangelischer Bischof in Königsberg. Nur auf die Schrift des Letzteren antwortete G. („Abgenöthigte Ehrenrettung wider Sanden“, 1696). Er entzog sich den daraus für ihn entstehenden Widerwärtigkeiten durch eine Reise nach Wien. Es war seine Absicht, dort den Uebertritt zur katholischen Kirche zu vollziehen. Davon brachte ihn indeß die Schrift Spener’s zurück, die ihm bewies, daß die in der Offenbarung Johannis enthaltenen Stellen vom Falle Roms nicht vom heidnischen, sondern vom christlichen Rom verstanden werden müssen, und daher nur das Papstthum damit gemeint sein könne. Er knüpfte darauf weitere Verhandlungen mit Spener an, die zu einer gegenseitigen persönlichen Aussprache in Berlin führten. Da Spener ihm den Skrupel wegen der mangelnden apostolischen Succession in der lutherischen Kirche nicht nehmen konnte, so rieth er ihm, in die anglikanische Kirche überzutreten, wo das dort vorhandene Episcopat diesen Mangel ersetze. G. befolgte diesen Rath, und mit den besten Empfehlungen versehen begab er sich 1697 nach England. Dort nahm man ihn mit offenen Armen auf, die Königin Anna gewährte ihm eine jährliche ansehnliche Pension und mehrmals außerordentliche Gnadengeschenke. Obwol er sich zum Priester weihen ließ, nahm er doch kein geistliches Amt an, weil er an einigen Punkten in der englischen Abendmahlsliturgie, als welche nicht dem alten Brauch der Kirche entsprächen, Anstoß nahm. Er lebte nun 14 Jahre lang meistens in Oxford als gelehrter Privatmann, ganz gelehrten Studien, besonders [538] patristischen, hingegeben. Durch Benutzung der berühmten Bodlejanischen Bibliothek daselbst gelang es ihm, werthvolle Handschriften des christlichen Alterthums zum ersten Male ans Licht zu ziehen. Als Hauptfrucht dieser Studien ist das berühmte Werk anzusehen: „Spicilegium S. S. Patrum et Haereticorum, Seculorum post Christum natum,“ I–III, Oxon. 1698. Nächstdem beschäftigte er sich mit einer neuen Herausgabe des „Irenaeus. Vor allem aber benutzte er den nach England gekommenen „Codex Alexandrinus“, um auf Grund dieser ältesten Handschrift eine neue Ausgabe der griechischen Uebersetzung des alten Testaments herauszugeben. Die Oxforder Universität ehrte die gelehrten Verdienste dieses Fremdlings durch die feierliche Verleihung des theologischen Doctorgrades. Der Lord Oxford ließ ihm 1726 in der Westminsterabtei ein kostbares Monument aus Alabaster setzen, wo er in einem Doctorhabit auf einem Sarge sich auf den rechten Arm lehnend, in der linken ein Buch haltend, gesehen wird.

Vgl. Acta borussica, 1730, I. Die daselbst abgedruckte Lebensgeschichte ist von seinem jüngeren Bruder verfaßt. – Arnold, Historie der Königsb. Universität, II. S. 449. – Ersch u. Gruber, Encyklopädie, I. 77, S. 208. (Hier wie in dem ersten Werke ist ein vollständiges Verzeichniß seiner Schriften enthalten.) – Herzog, Realencyklopädie, V. S. 310.