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ADB:Groth, Klaus

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Artikel „Groth, Klaus“ von Adolf Bartels in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 562–575, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Groth,_Klaus&oldid=- (Version vom 12. Dezember 2024, 05:47 Uhr UTC)
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Groth: Klaus G. Wenn die niederdeutschen Mundarten, wie es wol unvermeidlich ist, einst zu Grunde gegangen sein werden, verdrängt von dem übermächtigen Hochdeutschen oder wahrscheinlicher von aus ihm entstandenen provinziellen Patois, dann werden vor allem zwei Werke das Gedächtniß und den Ruhm der „alten Sassensprache“ lebendig erhalten und immer wieder forschende Gelehrte und bloß genießen wollende Leser zu ihrem Studium veranlassen: der Reineke Voß und Klaus Groth’s „Quickborn“, jener in der Zeit entstanden, wo Oberdeutsch und Niederdeutsch noch gleich mächtig und berechtigt nebeneinander standen, dieser in den Tagen, wo das alte Niederdeutschland dem Ansturm der neuen Zeit erlag, sein Vermächtniß. Beide Werke gehören in die Weltlitteratur; denn der Gegensatz von Oberdeutsch und Niederdeutsch ist [563] nicht bloß sozusagen reichsdeutsch, sondern europäisch, Holländer und Vlämen, Angelsachsen und Skandinavier haben Ursache, sich mit ihm gründlicher zu befassen und die ihnen näherstehende niederdeutsche Litteratur als Brücke zu der allgemeindeutschen Cultur zu benutzen. Warum ist nun aber, so wird man fragen, gerade Klaus Groth’s „Quickborn“ – über den Reineke Voß wird kein Streit sein – als das zweite, in die Weltlitteratur hineinreichende Hauptwerk der niederdeutschen Litteratur zu betrachten, da doch seines Zeitgenossen Fritz Reuter Werke größeren Erfolg gehabt und größere Verbreitung erlangt haben? Wir wollen hier den alten, bei der gründlichen Verschiedenheit der beiden Dichter auch überflüssigen Kampf nicht erneuern: es ist aber eine litteraturgeschichtliche Erfahrungsthatsache, daß das Werk, das die höchste künstlerische Form gefunden hat, immer das lebenskräftigste ist, daß nicht der Lebensgehalt an sich, sondern der mit ihm geschehene künstlerische Concentrations- oder Krystallisationsproceß die Bürgschaft der Dauer gibt. Klaus G. nun ist der größte in der heimischen Mundart dichtende Künstler seines Stammes gewesen, sein „Quickborn“ stellt eine ziemlich allseitige Vereinigung aus dem niederdeutschen Leben erwachsener vollendeter lyrischer und epischlyrischer Organismen dar, und dagegen kann kein auch noch so inhaltreicher Roman, kann wol selbst kein (hier allerdings überhaupt nicht vorhandenes) Volksdrama im Dialekt auf. Im übrigen ist es ja sicher, daß die Lyrik mehr als jede andere dichterische Gattung Ausdruck des Nationalcharakters und der Volksseele ist, und so wird man das Specifisch-Niederdeutsche denn auch wol am reinsten in dem unbestritten größten niederdeutschen Lyriker wiederfinden, das niederdeutsche Gemüth, während sich niederdeutscher Weltverstand und niederdeutscher Humor schon in dem alten Thierepos trefflich offenbaren.

Ganz vom engeren Gesichtspunkte der deutschen Litteratur gesehen, ist Klaus G. weder ein Anfang noch ein Ende, wol den Besten ebenbürtig, aber keineswegs eine einsame Größe für sich, da gehört er einfach zu den großen Stammesdichtern. Es ist bekannt, daß schon die Dichtung des Hainbundes bis zu einem gewissen Grade Stammescharakter trug, unsere classische Poesie hat ihn dann aber nicht, ist allgemein-deutsch, und erst mit Pestalozzi und Johann Peter Hebel tritt die Stammesdichtung neben die Nationaldichtung, erhalten wir zu der litterarischen Centralisation, die vor allem Goethe und Schiller repräsentiren, auch die dem deutschen Individualismus entsprechende Decentralisation. J. P. Hebel im besonderen, der sich auch mit Naturnothwendigkeit des Dialekts bedient, ist ein ausgeprägter Stammesdichter, und sie sterben nun im neunzehnten Jahrhundert nicht mehr aus, ja, man hat es als das litterarische Charakteristikum dieses Jahrhunderts bezeichnet, daß es große Stammesdichter um die Classiker herumgestellt hat. Nicht zwar die Allergrößten, Kleist, Grillparzer, Hebbel, und weiter nicht die großen Formtalente wie Heine, Geibel, Heyse sind unter die Stammesdichter einzureihen, wol aber so glückliche und volksbeliebte Talente wie die Schwaben Ludwig Uhland und Eduard Mörike, die Schweizer Jeremias Gotthelf und Gottfried Keller, die Oesterreicher Ferdinand Raimund, Adalbert Stifter, Ludwig Anzengruber, Peter Rosegger, der Schlesier Gustav Freytag, die Brandenburger Willibald Alexis und Theodor Fontane, der Thüringer Otto Ludwig, die Niedersachsen Annette v. Droste-Hülshoff und Fritz Reuter, Theodor Storm (der allerdings wol eher das Friesenthum repräsentirt) und Wilhelm Raabe. Hier steht auch Klaus G., und schließt sich am unmittelbarsten an Hebel an, weil auch er sich mit Naturnothwendigkeit des Dialekts bedient, ist das Haupt der jüngeren Dialektdichtung wie Hebel das der älteren. Betrachtet man seine Dichtung jedoch rein ästhetisch, so wird man sie am besten zu der Uhland’s stellen; [564] man kann geradezu sagen: Klaus Groth ist das als Norddeutscher, Niederdeutscher, was Uhland als Süddeutscher, Oberdeutscher ist. Weder fehlt bei dieser Zusammenstellung das dichterische noch das persönliche tertium comparations, wie man leicht auch ohne eingehende Vergleichung erkennen wird.

Klaus Groth’s Lebensschicksale sind verhältnißmäßig einfach, der Oertlichkeitswechsel vor allem ist sehr gering, da das Heimathland Schleswig-Holstein nur einmal für längere Zeit verlassen wird, und auch innerhalb dieses nur wenige Orte, Heide in Dithmarschen, Tondern in Schleswig, die Insel Fehmarn und Kiel, mit des Dichters Leben verknüpft sind. Geboren wurde Klaus Johann G., wie der volle Name lautet, am 24. April 1819 zu Heide, in dem mehr ländlichen südöstlichen Theile dieses dithmarsischen Hauptortes, der Lütjenheide (Kleinheide) genannt wird. Nicht weit von seinem Geburtshause stand das Familienhaus der Brahms, zu denen Johannes Brahms gehört, mit dem Klaus G. später gut befreundet war. Des Dichters Vater hieß Hartwig G. und war gelernter Müller, hatte aber einstweilen noch keine Mühle erwerben können und betrieb einen Mehl- und Milchhandel in Verbindung mit etwas Landwirthschaft; seine Mutte, Anna Christine Lindemann, war eines Landmanns Tochter aus Tellingstedt in Dithmarschen. Bis an des Dichters Jünglingsjahre heran lebte noch sein Großvater Klaus Reimer G., der aus dem Dorfe Hägen nördlich von Heide stammte – das echte Dithmarscherthum und weiterhin das reine Niedersachsenthum Klaus Groth’s wird durch diese Herkunft wahrscheinlich gemacht. Die Verhältnisse, in denen der Knabe mit vier jüngeren Geschwistern aufwuchs, waren die denkbar schlichtesten und natürlichsten: das Dithmarscher Volksthum war damals noch völlig ungebrochen, das Leben in fester, aber keineswegs drückender Sitte eingehegt, auch in den Städtchen des Landes fast ganz ländlich, jedoch nicht einförmig, da die Classengegensätze in der Hauptsache fehlten und ein gemüthlicher Verkehr von Haus zu Haus und von Mensch zu Mensch bestand. Der Ehrgeiz, der über die gegebene Lage oder gar über die von Natur gesetzten Schranken hinausstrebt, fehlte im ganzen in dem damaligen Dithmarschen, man war zufrieden und selbst, wenn es einmal knapp herging, seines Lebens froh. Sehr lebendig im Volke war noch die große historische Vergangenheit des Landes, die Geschichte der kleinen Bauernrepublik Dithmarschen, und auch der Knabe Klaus G. wurde durch seinen in den Chroniken belesenen Großvater früh in diese eingeführt. Weiter war noch ein ungeheurer Schatz von Sagen, Märchen und Spukgeschichten im Volksmunde, und auch dieser wurde das Erbtheil des späteren Quickborndichters. Die alten niederdeutschen Dithmarscher Lieder, die einst in großer Zahl existirt hatten, waren zwar bis auf geringe Reste vergessen, aber noch immer war man hier zwischen Elb- und Eidermündung außerordentlich sangesfroh – wie denn das Frisia oder Holsatia non cantat nie auf Dithmarschen gepaßt hat – und der Dichter berichtet selber, daß ihm kaum eines der Volkslieder der berühmten Sammlungen, als er in späteren Jahren zu ihnen kam, unbekannt gewesen sei. Sehr üppig vegetirte damals noch der plattdeutsche Volks- und Kinderreim, und von ihm hat der plattdeutsche Dichter später oft unmittelbar ausgehen können. Wurde dem jungen Klaus G. also unzweifelhaft eine reiche volksthümliche Cultur überliefert, so sah es dagegen mit der gelehrten Bildung um so schlechter aus. Es hatte zwar Dithmarschen bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts hin in jedem Kirchspiel meist einen oder zwei „lateinische“ Lehrer, theologisch gebildete Rectoren gehabt, speciell in Klaus Groth’s Vaterstadt hatte ja einmal der berühmte Satiriker Joachim Rachel aus Lunden in Dithmarschen als Rector gestanden, aber seit nun einem Menschenalter gab es außer an der alten Gelehrtenschule [565] in Meldorf nur noch seminaristisch gebildete Lehrer in Dithmarschen, auch in Heide nur solche, obgleich der Ort doch schon seine fünftausend Einwohner hatte. Sie waren übrigens meist sehr tüchtig, wer da wollte, konnte bei ihnen einen außerordentlich festen Grund seines Wissens legen. Klaus G. war ein sehr frühreifes Kind, Lesen, Schreiben und die Elemente des Rechnens hatte er schon vor dem sechsten Lebensjahre von seinem Großvater gelernt und kam daher in der Schule rasch vorwärts. Außer von dem Religionsunterricht, der ja in der Volksschule ein großes Maß für das ganze Leben vorhaltenden „biblischen“ Wissens zu geben pflegt, hat er namentlich in der Grammatik und im Rechnen, wofür die Nordseeanwohner eine besondere Begabung zu haben pflegen, profitirt, aber auch schon Geschichtsunterricht gehabt. Ungewöhnlich talentvoll und ungewöhnlich fleißig, hätte der Knabe frühzeitig ein lebensfremder Bücherwurm werden können, aber glücklicherweise gab’s nicht allzuviele Bücher in Dithmarschen, und dann wurde der Sohn des Landbesitzers natürlich auch zu landwirthschaftlichen Arbeiten herangezogen, vor allem aber, es war eine große unbewußte Liebe zur Natur in dem Knaben, die ihn alljährlich zu Wanderungen nach den Wohnsitzen mütterlicher Verwandten, über die Dithmarscher Geest nach Tellingstedt und in die Marsch hinab nach Wesselburen trieb. Geest und Marsch, Diluvium und Alluvium, hohes, welliges, trockenes, sandiges Land mit knickenumsäumten Koppeln, größeren und kleineren Gehölzen und murmelnden Bächen und niedriges, ebenes, feuchtes, außerordentlich fruchtbares mit gräbendurchschnittenen viehbesetzten Weiden und üppigen Kornfeldern, das sind die beiden großen Gegensätze, die das Land Dithmarschen in sich vereint, und Klaus G., dessen Heimatsort dicht an der Grenze von Geest und Marsch liegt, lernte sie und ihr Volksleben alle beide kennen, das bescheidene städtische Heides mit seinen immerhin bedeutenden Wochen- und Jahrmärkten noch dazu. Am liebsten hat er in dem Kirchdorf Tellingstedt geweilt, und die Geschichten, die er später unter dem Titel: „Ut min Jungsparadies“ vereinigt hat, spielen auf seinem Boden.

Vierzehn Jahre alt, war Klaus G. weit über das Bildungsniveau der Volksschule emporgewachsen, die Lehrer konnten ihn nicht mehr fördern, und auch vom Confirmationsunterricht wurde er dispensirt. Was sollte nun werden? Es kam in Dithmarschen bisweilen, aber im ganzen doch äußerst selten vor, daß man einem talentvollen Knaben aus dem Volke zum Studium verhalf, aber in diesem Falle scheint, wie in dem Friedrich Hebbel’s, überhaupt nicht daran gedacht worden zu sein. Gewöhnlich war für begabte Jünglinge die Schreibercarrière, die nicht ohne Aussichten war; denn so ein dithmarsischer Kirchspielschreiber wurde recht gut bezahlt und den Honoratioren zugerechnet; wie bei Hebbel vermittelte denn auch bei Klaus G. ein Lehrer, hier der Rechenmeister Simon Bakker, den Eintritt bei dem Kirchspielvogte, d. h. dem höchsten Verwaltungs- und Justizbeamten des Ortes nach dem ganz Norderdithmarschen regierenden Landvogt. Dem Knaben schwebte bei dieser Berufswahl vor allem vor, daß er Zeit und Bücher haben werde, und die hat er in den ungefähr fünf Jahren, die er auf der Kirchspielvogtei beschäftigt war, denn auch gehabt. So einfach war es freilich nicht, Bücher zu bekommen, der Brotherr Klaus Groth’s, doch ein studirter Mann, besaß weder Schiller noch Goethe noch Lessing, aber langsam drangen damals die Classiker und Romantiker doch auch nach Dithmarschen, und da die Heider Schreiber, meist sehr strebsame und aufgeweckte Menschen, in der Regel zu den Bücherbrettern ihrer Herren konnten, so hat er nach und nach alles Mögliche „hintenherum“ geliehen erhalten. Schwer war es natürlich besonders sich zu orientiren, gekümmert [566] hat sich um die jungen Leute von allen Studirten Heides nur der Propst, der mit ihnen eine Zeitlang Klopstock’s Messias las, aber Klaus G. fand doch allmählich seinen Weg, wol weniger durch das Conversationslexikon, das er durchlas, als instinctiv: Goethe zog ihn, wie er bekennt, bald vor allen an. Er wußte früh, daß er ein Dichter werden würde, aber weniger selbstbewußt wie sein Landsmann Hebbel, den er in diesen Jugendtagen einmal sah, richtiger vielleicht, weniger ringende, dämonische Natur als dieser, trat er mit Gedichten noch nicht hervor, ja er schwor sich sogar „nie einen Vers zu machen, bis mich innerer Drang gewaltsam dazu triebe, und vorher alles daran zu setzen, etwas Tüchtiges zu lernen“ – und er hat diesen Schwur gehalten. Als Schreiber suchte er, wie übrigens seine Collegen auch, vor allem seinen Stil zu bilden und gewann bereits das tiefere Interesse an der Sprachwissenschaft, das ihn nie mehr verlassen hat; dann lernte er Dänisch. Ungewöhnlich groß war auch seine Neigung zur Musik, und er hat jetzt in Heide und später in Tondern doch so viel gelernt, daß er sich, ohne selbst ein ordentlicher Spieler zu sein, einen großen Theil des Musikschatzes von Bach bis Brahms zu eigen machen konnte. – Es versteht sich von selbst, daß, je reifer er wurde, die Fortsetzung der Schreiberlaufbahn ihm desto unmöglicher erschien, und da es nun für das eigentliche Studium, wie man wenigstens annahm, zu spät war, so erklärt sich leicht, wie Klaus G. dazu kam, das Schullehrerseminar in Tondern zu beziehen. Das geschah, nachdem die Mutter des Dichters 1835 gestorben war, im J. 1836. Man weiß sehr wenig von den drei Tonderner Jahren: für den Unterricht war der junge Mann fast schon zu reif, zu wissensreich, und da er das wol auch gelegentlich merken ließ, besaß er nicht die Huld aller Lehrer, sodaß er denn später trotz glänzend bestandener Abgangsprüfung auch nur den „zweiten Charakter mit Auszeichnung“ bekam. Gelernt hat er in Tondern trotzdem sehr viel, durch Selbststudium, wobei ihm die fremdsprachlichen Kenntnisse mancher vom Gymnasium aufs Seminar übergegangenen Freunde eine Unterstützung waren. Im ganzen blieb er in der nämlichen Richtung: Sprachen, Naturwissenschaften, Mathematik waren seine Lieblingsfächer. Auch die Musik trieb er, wie schon bemerkt, fort und gewann in dem musikalisch sehr begabten Leonhard Selle einen treuen Freund. Von den üblichen Zerstreuungen der Jugend hat er sich im ganzen ferngehalten, wenn auch nicht gerade rigoristisch: „auch lebte ich hier ein wenig Jugendleben, wenig“, gesteht er von Tondern. Nach seinem Abgang vom Seminar wurde er als Lehrer an der zweiten Mädchenclasse seines Heimathortes angestellt, und jetzt beginnen seine schwersten Jahre: Ein volles Decennium hat Klaus G. noch ringen und arbeiten müssen, ehe er seine Lebensaufgabe voll begriff und fähig war, sie durchzuführen.

Klaus G. ist ein tüchtiger Pädagoge gewesen, und er hat seine Mädchenclasse weiter gefördert, als es eigentlich im Lehrplan lag; er ist auch ein guter Bürger des Fleckens Heide gewesen und hat im öffentlichen Leben sogar eine führende Stellung eingenommen, einen Bürgerverein, einen landwirthschaftlichen Verein, eine freiwillige Feuerwehr, eine Liedertafel begründet oder mitbegründet und für die Veranstaltungen all dieser Vereine, beispielsweise für Vorträge Zeit und Kraft übrig gehabt. Aber außer diesem Klaus G., der mitten im Leben steht und auch in der alten Häuslichkeit auf Kleinheide sein Behagen findet, gibt es noch einen zweiten Klaus G., der in faustischem Drange alles zu wissen strebt und, wie Müllenhoff in seiner Einleitung zum „Quickborn“ von 1856 berichtet, das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen wieder aufnimmt und fortsetzt, mit Pastor Koopmann, dem späteren Landesbischof, Latein und Philosophie, mit einem Schüler [567] von Encke und Jakobi in Berlin Mathematik treibt und an den jenem übertragenen astronomischen Rechnungen mitarbeitet, daneben fleißig botanisirt, so daß er einer der besten Kenner der schleswig-holsteinischen Flora wird, und die neuere Physiologie der Organismen, Chemie und Physik studirt. Das Dämonische der Faustnatur hat Klaus G. ja allerdings nicht, es ist nur die tiefe, reine und ehrliche Wißbegierde in ihm, die die nordischen Naturen vielfach auszeichnet; eine gewisse Rolle mögen bei seinem Studium auch die Unklarheit über den eigentlichen Beruf oder, wenn er sich, wie wol sicher, noch immer für zum Dichter bestimmt hielt, über den einzuschlagenden Weg und weiter die Furcht, als Volksschullehrer nicht für voll angesehen zu werden, gespielt haben. Jedenfalls gewann er eine sehr ausgebreitete Bildung, aber er ruinirte auch seine Gesundheit und kam in den Ruf eines Sonderlings. Wichtig ist aus seinen Heider Lehrjahren noch die 1846 unternommene Sängerfahrt nach Würzburg, bei der er „Berlin, Dresden, das böhmische Gebirge, Franken, Main und Rhein im Fluge besah“. Ein Jahr später nahm Klaus G. seine Entlassung, die ihm unter Gewährung eines kleinen Wartegeldes für die nächsten vier Jahre gewährt wurde, und brach kurz darauf krank zusammen. Er begab sich zu seinem Freunde Leonhard Selle in Landkirchen auf der Insel Fehmarn, um hier zu gesunden und womöglich seine Aufgabe zu lösen.

Diese seine Aufgabe war ihm doch während der Heider Jahre nach und nach klar geworden. Die Entscheidung hatte nach des Dichters eigenem Geständniß das Bekanntwerden mit Hebel’s alemannischen Gedichten gegeben, die er bei seinem Freunde, dem Pastor Marcus Petersen in Tellingstedt gefunden und mit Entzücken verschlungen hatte, um sie dann später wie den Burns gründlich zu studiren. Seine sprachlichen Studien hatten ihn den Werth des Plattdeutschen, an dem er als Sohn des Volkes, als Dithmarscher mit ganzer Seele hing, schon früh erkennen lassen, er war auch lange entschlossen, für die bedrohte Muttersprache einzutreten, und sah sehr gut ein, daß da nur eine künstlerische That, die Wiedergeburt sozusagen der Sprache durch die lebendige Dichtung helfen könne, aber er verzweifelte noch an der Möglichkeit, bis ihm Hebel den Weg zeigte. Die unendliche Schwierigkeit, in einer Sprache zu dichten, lyrisch zu dichten, die litterarisch im ganzen zur Possenreißerei herabgekommen war, war damit freilich noch nicht überwunden, und der Dichter selbst mochte wol das Bild vom über einen Graben springen, bei dem man auch zu kurz springen und ertrinken kann, mit Recht gebrauchen. Im einzelnen wissen wir trotz des autobiographischen Aufsatzes „Wie der Quickborn entstand“ nicht viel davon, wie es Klaus G. gelang, sich eine plattdeutsche dichterische Technik zu verschaffen, wenn wir auch ihre fortschreitende Ausbildung verfolgen können. Die Production setzte im Sommer 1849 ein, und es entstand auf den ersten Anlauf eine ganze Reihe meist erzählender (episch-lyrischer) Gedichte; dann kehrten die Schaffensperioden mit ziemlicher Regelmäßigkeit, März 1850, Juli 1850, Herbst 1851, März 1852 wieder; darauf floß es den ganzen Sommer 1852 hindurch, während der Druck einer Sammlung schon eingeleitet war. Von 1851 an wurden auch die rein lyrischen Gedichte häufiger, und hier und da entstanden selbst drei vortreffliche Gedichte an einem Tage, ein Zeichen, daß „die Zeit erfüllt war“. Auf Rechnung der wissenschaftlichen Ausbildung des Dichters, wie Müllenhoff that, darf man das natürlich nicht setzen, aber allerdings hatte die hohe geistige Cultur des Mannes einen Antheil daran, daß nun alles reif zum Vorschein kam, wie denn auch das lange Zurückdrängen des dichterischen Quells die Ursache davon war, daß es nun um so mächtiger strömte. Das Buch „Quickborn“ als Ganzes hat [568] dem Dichter nach eigener Erklärung nicht von vornherein vorgeschwebt, nur im allgemeinen die rettende dichterische That für die Muttersprache, aber nach und nach rundete sich selbstverständlich etwas wie eine lyrische und lyrisch-epische Gesammtdarstellung Dithmarscher Volksthums. Man kann annehmen, daß Klaus G. so gut wie jeder andere Dichter beim Schaffen selbst das Glücksgefühl der Production und die innere Gewißheit, endlich auf dem rechten Wege zu sein, empfunden hat, im ganzen war aber sein Aufenthalt auf Fehmarn trostlos genug – vergingen doch zunächst einmal zwei Jahre, ehe die Production einsetzte und später fehlten die langen Pausen nicht. Wie in Heide, hat der Dichter dann auch noch auf der Ostsee-Insel weiter studirt; vier Pferde, meinte er selber, hätten die Bücher nicht fortziehen können, die er damals alle gelesen habe. Andererseits aber hat seine Vereinsamung, indem sie die Sehnsucht nach der glücklichen Jugend wachrief, unzweifelhaft mit zum Entstehen des „Quickborn“ beigetragen. Wie der junge Autor es gewöhnlich macht, ging auch Klaus G., ehe er mit seiner Sammlung hervortrat, einige Autoritäten um ihre Meinung an, und er fand die richtigen Leute, Klaus Harms, seinen Landsmann, und Gervinus, dessen ganz vortreffliche Charakteristik Hebel’s in seiner Litteraturgeschichte es ihm sofort angethan hatte. „Sie brauchen weder Klaus Harms noch mich“, antwortete der Litteraturhistoriker, „Ihre Gedichte werden sein wie die Oase in der Wüste“. Im November 1852 erschien der „Quickborn“ – die Wahl des Titels hatte viel Kopfzerbrechen gemacht – bei Mauke in Hamburg.

Es gab einen der seltenen großen Erfolge, die die Augen von ganz Deutschland auf den Dichter ziehn, manchmal echte, manchmal auch Modeerfolge sind, je nach der Periode, in die sie fallen. Daß der Erfolg des „Quickborns“ ein echter war, hat die Zeit, die strengste Kritikerin, bestätigt; denn gerade jetzt, wo diese Zeilen geschrieben werden, ist ein halbes Jahrhundert seit dem Erscheinen des Buches verflossen, und es ist noch immer im Vordringen begriffen, was bei einem Modebuche ganz unmöglich wäre. Wir haben Klaus G. bereits als einen großen Stammesdichter bezeichnet, wie sie das neunzehnte Jahrhundert in ziemlicher Anzahl hervorbrachte; sein „Quickborn“ ist dementsprechend, wie wir auch schon andeuteten, eine ziemlich allseitige Darstellung Dithmarscher, niedersächsischen Volkslebens, weiter aber die vollkommenste Gedichtsammlung, die je aus einem Volks- und Stammesthum erwachsen und ihm durch einen treu und sicher gestalteten Dichtergeist wieder geschenkt worden ist, und das verleiht dem Dichter seine besondere Stellung. Ja, wir haben größere lyrische Dichter als Klaus G., aber wir haben keinen, der außer seinem eigenen Leben und in seinem eigenen Leben auch noch das gesammte Leben seines Stammes lyrisch verkörpert hätte – episch und dramatisch habens andere Dichter allerdings ebenso meisterhaft vermocht. Hebel freilich, seine „Alemannischen Gedichte“ stehen, als dichterische Gesammtleistung gesehen, im ganzen auf der Höhe des „Quickborns“, doch aber ist der Badener Dichter mehr „idyllisch“ als lyrisch begabt, und das halbe Jahrhundert, das zwischen dem Erscheinen seiner Dichtungen und dem der Klaus Groth’s lag, hatte denn doch eine gewaltige Entwicklung der deutschen Poesie gesehen, die dem jüngeren Dichter zugute kommen mußte: während Hebel auf den Errungenschaften des Hainbundes, im besondern Vossens fußte, hatte Klaus G. die ganze Erbschaft Schiller’s und Goethe’s, Uhland’s und Rückert’s, Platen’s und Heine’s überkommen, und er wußte sie auch neben dem nicht minder beträchtlichen Reichthum, den ihm die Germanistik zuführte, zu gebrauchen. So konnte der „Quickborn“ die allseitigste und reichste aller ähnlichen Gedichtsammlungen werden, so war auch die nicht minder bemerkenswerthe [569] künstlerische Vollendung der einzelnen Stücke möglich, wenn wir darüber auch nicht vergessen dürfen, daß das Talent des Dichters zuletzt doch das Entscheidende war, das Talent und die schlichte, starke Natur Klaus Groth’s, die ihn trotz seiner Bildung im Rahmen des echt Volksthümlichen hielten und wiederum mit diesem höchste Künstlerschaft verbanden. Das Leben, aus dem Klaus Groth’s „Quickborn“ erwuchs, ist heute zu einem guten Theil versunken, es fällt selbst dem geborenen Dithmarscher nicht mehr ganz leicht, in den Gestalten des Buches, wie sie der Dichter hingestellt und später Erwin Speckter nach dem Leben nachgezeichnet hat, die Vorfahren zu erkennen, aber trotzdem lebt alles auf den ersten Blick, und wer sich gar in die Welt des „Quickborn“ wirklich einlebt, der kommt nicht mehr von ihr los. Am unmittelbarsten zum Dichter selber führt natürlich das Specifisch-Lyrische des Bandes, das, was ihm unmittelbar aus dem Herzen, dem eigenen inneren Erlebniß und dem Naturgefühl zugewachsen ist; Gedichte wie „Min Johann“ und „As ik weggung“, „De Kinner larmt“ und „Dat Dörp in Snee“, „Min Platz voer Doer“ und „Abendfreden“, „Hell int Finster“ und „Min Port“ werden immer wie neu wirken, können unter keinen Umständen veralten. Aber auch das Volksliedmäßige bei Klaus G., meist erotischer Natur, Lieder wie „De Fischer“ („Schön Anna stunn voer Stratendoer“), „Dar weer en lüttje Buerdiern“, „Dar geit en Bek de Wisch hentlank“, „O wullt mi ni mit hebbn“, „He sä mi so veel“, „Leben, och, wa is’t ni schön“, „Lat mi gan, min Moder slöppt“, „Sin Moder geit un jammert“, trägt die Bürgschaft der Dauer in sich selbst, denn es hat nicht nur, wie alles gelungene Moderne dieser Art, bei Goethe und Mörike z. B., den leise individuellen Reiz, der es über die bloße Volksliednachahmung erhebt, es hat auch den niedersächsischen Volks- und Stammescharakter, der nur durch die Mundart zu erreichen ist. Gleich hoch stehen die Kinderlieder Klaus Groth’s „Still, min Hanne, hör mi to“ und „Dar wahn en Mann int gröne Gras“ – man hat an die Bilder Ludwig Richter’s erinnert, um ihren bei aller Schlichtheit durch und durch künstlerischen Charakter zu kennzeichnen –, und diesen schließen sich wiederum die Bilder aus dem Thierleben, von denen „Lütt Matten de Has’“ das berühmteste ist, ebenbürtig an. Dazu nehme man dann die Balladen Klaus Groth’s, die in zwei Gattungen zerfallen, solche, die an Sagen und Gespenstergeschichten und solche, die an die Dithmarscher Geschichte anknüpfen: auch in ihnen erreicht der Dichter die Meisterschaft, Stücke wie „Ol Büsum“, „He wak“, „De Pukerstock“, „Hants Jwer“, von den historischen „Heinrich von Zütphen“ und „De letzte Feide“ finden in der hochdeutschen Litteratur kaum ihresgleichen, da der Realismus und die Wortkargheit, möchte ich sagen, des Niederdeutschen dieser Gattung sehr entgegenkommen. An die Seite dieser Balladen treten die Schilderungen aus dem Volksleben, die vielfach derbhumoristisch („Orgeldreier“, „Schitkroet“, „Dagdeef“), aber darum noch nicht, wie Müllenhoff meinte, parodistisch sind. Manche von diesen, wie der Robert Burns’ „Tam O’Shanter“ trefflich nachgeahmte „Hans Schander“, nehmen auch schon breitere erzählende Form an. So auch die meisten Idyllen Klaus Groth’s, von denen das „Gewitter“ das Prachtstück ist, und die zum Theil zu Cyklen geordnet sind („Familjenbiller“, „Ut de Marsch“). Größere poetische Erzählungen des „Quickborns“ sind „Rumpelkamer“, „De Fischtog na Fiel“, „Peter Plumm“, „Peter Kunrad“, „Hanne ut Frankrik“ – „Rumpelkamer“ ist vielleicht die ergreifendste aller Klaus Groth’schen Dichtungen, im „Fischtog“ nähert er sich am meisten dem Gebiet Fritz Reuter’s, doch steckt viel mehr sprachliche Kunst darin, als dieser gewöhnlich aufwendet, „Peter Kunrad“ und „Hanne ut Frankrik“, die größten Dichtungen des „Quickborn“, sind, das erste, ungefähr [570] das, was man Novelle in Versen, das zweite, was man bürgerliches Epos nennt, das letztgenannte Werk ist auch in Hexametern geschrieben. Endlich enthält der „Quickborn“, wie er jetzt vorliegt, noch ein gut Theil Didaktisches. Obgleich von vornherein eine wohl gerundete Sammlung, hat nämlich der „Quickborn“ doch nach und nach eine bedeutende Erweiterung erfahren: Schon die zweite Auflage brachte etwa zwanzig, die dritte siebenundzwanzig neue Stücke, und seitdem sind bis zur vierzehnten noch vierundzwanzig Gedichte hinzugekommen, das letzte, das ergreifende „Min Port“ aus dem Jahre 1882 stammend. Klaus G. betrachtete bis an sein Lebensende den „Quickborn“ als sein Hauptwerk und gab, ganz außerordentlich feinfühlig, das Vollendetste, was ihm später gelang, aber auch nur dieses hinein. So enthält sein erstes Buch die Quintessenz seiner gesammten Dichtung, ohne daß jedoch der ursprüngliche Charakter irgendwie aufgehoben worden wäre.

Der große Erfolg des „Quickborn“ machte natürlich auch Epoche in seines Dichters Leben, führte ihn dem Boden zu, in den er sich dann für immer einwurzeln sollte. Er hatte den Winter nach der Herausgabe seines Buches auf Fehmarn krank gelegen, gepflegt von seinem Freunde Selle und seinem Bruder Johann, verließ dann aber im Frühjahr 1853 die Insel, um sich nach Kiel zu begeben, wohin ihn vor allem Karl Müllenhoff zog, der, bekanntlich ein Dithmarscher wie Klaus G., den „Quickborn“ mit großer Anerkennung aufgenommen hatte und mit seinem Dichter in Briefwechsel getreten war. Bis Kiel kam Klaus G. zunächst nicht, sondern blieb in Lütjenburg krank liegen, erst im Sommer langte er in der schleswig-holsteinischen Universitätsstadt an und bezog eine Wohnung in der dortigen Seebadeanstalt am Düsternbrook. Nach und nach gesundete er jetzt, wenn auch die Aerzte noch eine Reise nach Süden für nöthig erklärten. Sein Hauptverkehr war Müllenhoff, der sich um den „Quickborn“ und seinen Dichter unzweifelhaft große Verdienste erworben hat. Beide gemeinschaftlich arbeiteten den ganzen nächsten Winter, wo der Dichter in der Stadt wohnte, an der Durchführung der Orthographie nach bestimmten Regeln und dem Glossar zum „Quickborn“; später (1856) hat Müllenhoff auch noch die schon erwähnte Einleitung zum „Quickborn“ geschrieben, die eine der wichtigsten Schriften über den Dichter ist. Weniger hoch wird man es schätzen, daß der Germanist Klaus G. auch zum Schaffen gewisser im „Quickborn“ noch fehlender Poesiegattungen antrieb, wie denn Müllenhoff überhaupt nicht ganz die richtige Stellung dem künstlerisch productiven Geiste gegenüber fand; so wird man die Bemerkung aus dem Jahre 1852, daß dem Dichter noch die letzte Feile fehle und die Sammlung noch gesichtet werden müsse, dem de facto Geleisteten gegenüber wol etwas anmaßend finden. Um gleich den Ausgang dieser Freundschaft hier zu verzeichnen: es war im J. 1858, Müllenhoff war eben nach Berlin berufen, und Klaus G., der immer noch keine gesicherte Existenz hatte, theilte ihm mit, daß er sich in Kiel habilitiren wolle. „Dann müssen Sie Mathematik für angehende Mediciner lesen“, entgegnete Müllenhoff, und Klaus G. sagte: „Müllenhoff, sind Sie denn wirklich verrückt?“ Das waren die letzten Worte, die die beiden wechselten, doch hat Klaus G. seine Werthschätzung des Gelehrten und Müllenhoff die des „Quickborn“ bewahrt. – Den Sommer 1854 verbrachte der Dichter wieder in der Seebadeanstalt und schrieb dann im Winter 1854/55 die plattdeutsche Erzählung „Detelf“. Im April 1855 reiste er mit einem Stipendium der dänischen Regierung, wie es s. Z. auch Friedrich Hebbel erhalten hatte, von Kiel ab und begab sich zunächst nach Hamburg, wo er bei dem in Kiel gewonnenen Freunde Louis Koester wohnte, und die Bekanntschaft der Schriftsteller Robert Heller, Ludwig Walesrode und Moritz Hartmann machte, vor allem aber seinen [571] Hunger nach guter Musik stillte; im Juni ging es dann nach Pyrmont weiter, wo der Dichter eine vierwöchige Cur durchmachte, und darauf nach Bonn, wo er für längere Zeit dauernden Aufenthalt nahm. Er hatte Empfehlungen an Otto Jahn und Ernst Moritz Arndt, an Dahlmann und Simrock und lernte außer diesen noch eine ganze Reihe Bonner Notabilitäten, Welcker, Helmholtz, Moritz Haupt, David Strauß u. s. w. kennen. Seine Wohnung hatte er bei dem Professor Böcking. Am nächsten kam er Otto Jahn. Auch Bettina’s Bekanntschaft machte er in Bonn und gelegentlich eines Düsseldorfer Musikfestes die Johannes Brahms’. Am 27. Januar 1856 wurde ihm von der philosophischen Facultät der Universität das Doctordiplom überreicht. Ueberhaupt ist diese Bonner Zeit die eigentliche Höhe seines Lebens, in ihr ist er gesundet und hat mit vollem Behagen in den Kreisen verkehrt, zu denen es ihn als Gelehrtennatur zog. Im Herbst 1856 unternahm er mit Böcking eine Reise nach der Schweiz, ging dann aber nicht nach Italien, wie es ursprünglich beabsichtigt war, sondern kehrte nach Bonn zurück, wo er nun bis zum Frühjahr 1857 blieb. Dann reiste er nach Leipzig, wo er u. a. Gustav Freytag, und darauf nach Dresden, wo er Berthold Auerbach und Otto Ludwig kennen lernte, im Hause des Grafen Baudissin und mit Carus und Ludwig Richter verkehrte. Ueber Weimar fuhr er dann nach Hamburg und Kiel zurück, wo er also nach zweijähriger Abwesenheit im Sommer 1857 wieder eintraf. Es galt nun die feste Stellung im Leben zu gewinnen.

Das Nächstliegende war natürlich eine Professur an der Universität, und von dänischer Seite hätte man dem Dichter, der einstweilen Pensionär des Königs war und in dieser Zeit eine Audienz bei Friedrich VII. hatte, gewiß nichts in den Weg gelegt. Wie aber Müllenhoff den Entschluß Klaus Groth’s, sich zu habilitiren, aufnahm, haben wir bereits gesehen, und da die Bekannten unter den Kieler Professoren, die der Dichter gehabt hatte, die Universität meist verlassen hatten, so stand er ziemlich einsam da. Er verheirathete sich jedoch im J. 1858 mit Doris Finke, der Tochter eines wohlhabenden Bremer Kaufmanns, und jetzt ging auch die Habilitation (für deutsche Sprache und Litteratur) vor sich. Unter der österreichischen Verwaltung Holsteins durch den General v. Gablenz wurde Klaus G. dann Professor mit einem Gehalte von vierhundert Thalern. Die Ehe des Dichters war durchaus glücklich und mit vier Söhnen gesegnet, von denen der älteste früh wieder starb. Seit 1866 bewohnte Klaus G. ein eigenes Haus am Schwanenweg (jetzt Klaus Groth-Platz) in Kiel. Durch den Krieg von 1870 verlor Groth’s Schwiegervater sein Vermögen, aber das preußische Cultusministerium verdoppelte nun (1872) sein Gehalt, und auch die Schillerstiftung hat gethan, was sie konnte. Leider starb Klaus Groth’s Frau bereits 1877, nachdem sie schon seit 1864 lungenleidend gewesen war, und auch einen herangewachsenen Sohn hat er dann noch verloren. Im ganzen war aber sein späteres Leben ohne viel Wechsel und bedeutendere Ereignisse. Als Lehrer an der Universität hat er sich keiner größeren Wirksamkeit erfreut, obgleich er vielleicht das Zeug dazu gehabt hätte; wenigstens hat er 1872 in Oxford auf Anregung Max Müller’s, mit dem er bekannt war, und 1873 in Leyden und Amsterdam erfolgreiche Vorträge gehalten, nachdem er schon 1861 Verbindungen in den Niederlanden angeknüpft hatte. Aber es muß leider gesagt werden, daß sich das Sprichwort vom Propheten im Vaterlande auch an Klaus G. erfüllt hat, woran nicht die behauptete „Eitelkeit“, die gar nicht existirte, wol aber sein Stolz und seine Reizbarkeit einige, nicht die Hauptschuld trugen. Eine Reihe von Jahren ist der Dichter unbesoldeter Director des Museums vaterländischer Alterthümer in Kiel gewesen. Von seinen Reisen sind außer den erwähnten nach England [572] und in die Niederlande die beiden nach Italien 1883 und 1895/96, bei welch letzterer er seinen Freund, den Maler Allers auf Capri besuchte, und die in die Schweiz von 1888, wo er zu Thun viel mit Johannes Brahms verkehrte, zu erwähnen. Seine musikalischen Interessen waren mit den Jahren immer stärker geworden, zum Theil auch dadurch, daß seine Frau sehr musikalisch war. Sie war mit Jenny Lind befreundet, und diese hat G. 1866 auf dem Musikfest zu Hamburg kennen gelernt. Außer mit Brahms ist er auch mit dem Sänger Stockhausen und der Sängerin Hermine Spies befreundet gewesen. – An Ehrungen hat es ihm, trotzdem in den sechziger und siebziger Jahren Reuter’s Ruhm den seinigen verdunkelt hatte, natürlich nie gefehlt. Kronprinz Friedrich Wilhelm, der spätere Kaiser Friedrich, und seine Gemahlin schätzten den „Quickborn“ sehr und haben die persönliche Bekanntschaft seines Dichters gesucht, und Kaiser Wilhelm II. hat Klaus G. 1890 den Schillerpreis (ihm und Fontane) verliehen wie auch zu den Jubiläen des Dichters regelmäßig sein Telegramm gesandt. Der siebzigste und fünfundsiebzigste, namentlich aber der achtzigste Geburtstag haben Klaus G. eine Fülle der Ehren gebracht. Besonders werthvoll waren ihm stets die Huldigungen der Niederländer, die ihn selbst in der Zeit, wo Reuter ihn zurückgedrängt hatte, als den ersten niederdeutschen Dichter feierten. Klaus G. erwies sich dankbar, indem er die „dietsche Bewegung“ der Vlämen nach Kräften förderte. Außer aus den Niederlanden hat er auch aus Nordamerika sehr viele Dank- und Ehrenbezeigungen empfangen. Die Feier seines achtzigsten Geburtstages, die ihm auch eine Anzahl Schriften über sein Leben und seine Werke brachte und überhaupt seinen Ruhm, wohlverstanden den echten, aus dem vollen Verständniß erwachsenen auf der Höhe zeigte, hat er nicht lange überlebt: am 1. Juni 1899 ist er nach kurzer Krankheit gestorben, bis zur letzten Zeit unglaublich geistesfrisch.

Einen Erfolg wie den des „Quickborn“ hat der Dichter in späterer Zeit nicht wieder errungen und auch diese seine erste dichterische Leistung nicht übertroffen – wie will man denn vollendete lyrische Gedichte übertreffen? –, wol aber hat er noch eine sehr bemerkenswerthe dichterische Entwicklung gehabt und sein Lebenswerk nach allen Seiten aus- und abgerundet. Zuerst nach dem „Quickborn“ erschienen die „Hundert Blätter“ (1854), hochdeutsche Gedichte, die als „Paralipomena“ zu dem Erstlingswerk bezeichnet waren. Müllenhoff hat sie sehr gelobt: „Zartgesinnte Seelen und feinere Kenner der Poesie und Musik finden in diesen schlichten, einfach scheinenden Liedern im wesentlichen den Charakter Mendelssohn’scher Musik, finden hier dieselbe Zartheit und das Elegische der Stimmung neben jener Präcision der Form, wie sie nur der ausgebildeste und bewußteste Kunstsinn zu geben vermag, und dieselbe Virtuosität vielleicht in noch höherem Maaße in den Sonetten“. Das Urtheil stimmt, aber der Lyriker Klaus G. hat im Hochdeutschen doch bei weitem nicht die ausgeprägte Physiognomie wie im Plattdeutschen, wenn auch einzelne Stücke, wie das berühmte „Regenlied“, auf der Höhe des Besten im „Quickborn“ stehen und der Ruhm eines der größten deutschen Sonettisten dem Dichter nicht abzusprechen ist. – Auf das Gebiet der Prosa-Erzählung hatte sich Klaus G., wie bereits erwähnt, im Winter 1854/55 mit dem „Detelf“ gewagt; 1855 erschien der erste Band der „Vertelln“, der außer dem „Detelf“ noch die Erzählung „Twischen Marsch und Geest“ (später „De Waterbörs“ betitelt) und die dann in den „Quickborn“ überführte poetische Erzählung „Ut de Marsch“ enthielt. Der zweite Band der Vertelln (1859/1860) brachte die größere Erzählung „Trina“, eine weitere „Um de Heid“ erschien 1871 im zweiten Theile des „Quickborn“. Kleinere Erzählungen sind dann die drei [573] in der Sammlung „Ut min Jungsparadies“ (1876) veröffentlichten: „Min Jungsparadies“, „Von den Lüttenheid“ und „De Hoeder Moel“, endlich „Witen Slachters“, 1877 im „Plattdütschen Husfründ“ zuerst erschienen. Klaus G. ist so gut der Schöpfer der neueren plattdeutschen Prosa, wie er der der neueren plattdeutschen Poesie ist, doch ist des Rostocker John Brinckmann’s Roman „Kasperohm un ick“ gleichzeitig mit dem „Detelf“ und wol unbeeinflußt von diesem entstanden. G. hat diesen Mecklenburger Dichter sehr geschätzt, während er mit Reuter über dessen „Läuschen und Rimels“ bekanntlich in Streit gerieth – er hatte aber diesem gegenüber zweifellos recht, die genannten plattdeutschen Schwänke waren ein Rückfall in die alte Spaßmacherei. Vom Erscheinen der „Franzosentid“ an hat er dann den großen Erzähler Reuter anerkannt, wenn er auch natürlich die halbe Vergessenheit, in die er durch ihn beim großen Publicum kam, schwer genug empfand. Seine eigenen Erzählungen soll man mit den Romanen Reuter’s nicht vergleichen, sie gehen nicht darauf aus zu unterhalten, sondern bestreben sich vor allem, die Zustände vergangener Zeit in charakteristischen Bildern durch möglichst eingehende Detaildarstellung der Anschauung der engeren Landsleute lebendig zu erhalten, sind also alle bis zu einem gewissen Grade memoirenhaft und treffliche Ergänzungen des „Quickborn“. „Detelf“, später recht unglücklich in „Wat en holsteenischen Jung drömt, dacht und belevt hett voer, in un na den Krieg 1848“ umgetauft, ist in bestimmter Beziehung die beste geblieben, eine gute biographische Erzählung, bei dessen Helden dem Dichter sein Bruder Johann vorgeschwebt hat, in der Schilderung der Kriegsereignisse von 1848 geradezu classisch für die Schleswig-Holsteiner. „Trina“ ist die psychologisch am weitesten durchgeführte Erzählung des Dichters und für Land- und Städteleben in Dithmarschen kurz vor Anbruch der neuen Zeit höchst charakteristisch. In „Um de Heid“ stellt Klaus G. die Verhältnisse der napoleonischen Zeit in Holstein dar und zeichnet zugleich eine der Dithmarscher Herrennaturen. Aus des Dichters eigenem Leben steckt am meisten in den kleineren Erzählungen, die alle erotische Themata haben und meist tief ergreifen, vor allem auch dadurch, daß man des Dichters eigene Ergriffenheit spürt. Wie bei einem Dichter von seiner Bedeutung selbstverständlich, hat Klaus G. einen sehr eigenen Erzählerton – wer seinen Reiz erfaßt hat, der weiß z. B. auch, wodurch ein neuester Dithmarscher Roman, Frenssen’s „Jörn Uhl“, so stark auf nichtdithmarsische Leser wirkt. Daß der Erzähler Klaus G. neben Reuter nicht zur Geltung kommen konnte, braucht hier kaum erklärt zu werden, und auch heute werden ihn nur die schätzen, die sich wirklich in eine stille Welt einzuleben verstehen. – Die Höhe der späteren Dichtung Klaus Groth’s bezeichnen die beiden epischen Dichtungen „Rotgetermeister Lamp un sin Dochder“, 1862 einzeln erschienen, und „De Heisterkrog“, zuerst im zweiten Theile des „Quickborn“ 1870 veröffentlicht. Die beiden Werke ergänzen sich, der „Rotgeter“ stellt Geest und Geestleute – auch Heide, wo er spielt, ist ja Geestboden –, der „Heisterkrog“ die Marsch und Marschleben dar; der „Rotgeter“ bleibt im wesentlichen Idylle, der „Heisterkrog“ ist Schicksalsgeschichte; über dem „Rotgeter“ steht sozusagen die Sonne „Hermann und Dorotheas“, der „Heisterkrog“ ist modern und dementsprechend auch in jambischen Versen geschrieben, während beim „Rotgeter“ der Hexameter verwandt ist. Die beiden Dichtungen gehören unbedingt zu den besten ihrer Art in der deutschen Litteratur, der „Rotgeter“ vor allem wegen seines ganz wundervollen Details, der „Heisterkrog“ als Stimmungsdichtung – der Ausdruck trifft aber noch nicht ganz das Richtige. „Sie haben etwas“, schrieb einmal Detlev v. Liliencron an Klaus G., „was ich noch bei keinem unserer großen, [574] d. h. wirklichen Dichter las, und das ich auch kaum ausdrücken kann; annähernd, so wunderbar es klingen mag, habe ich es bei Heinrich v. Kleist gefunden: also ein Zeichnen der Situation, das so an Herz und Nieren des Lesers greift, daß er durchaus erschüttert wird.“ Ja, das ist’s ungefähr, wo andere Dichter Worte haben, schöne Worte machen, da wirkt Klaus G. durch die ganz mit Empfindung gesättigte Situation und ergreift bis ins tiefste. Er ist durchaus Realist, er hat die Sachen, aber sie kommen nicht nackt und kalt empor, erhalten auch nicht Stimmung als Zuthat, sondern sie werden mit ihr geboren, leben in ihr.

Von den beiden größeren prosaischen Schriften Klaus Groth’s hat die erste, die „Briefe über Hochdeutsch und Plattdeutsch“, 1858 erschienen, mancherlei Anfechtung erfahren, und wol mit Recht. Dagegen gehört die zweite „Ueber Mundarten und mundartige Dichtung“, die zuerst in einzelne Aufsätze getheilt in der „Gegenwart“ erschien (1875), zu den besten Arbeiten dieser Art, die wir besitzen, und ist jedem Sprachforscher und Litteraturhistoriker aufs wärmste zu empfehlen, mag auch die zünftige Wissenschaft jetzt hier und da anders urtheilen als der selfmademan Klaus G. In späterer Zeit hat dann der Dichter außer einer niederländischen Broschüre „Dietsche Beweging“ noch eine Reihe autobiographischer Aufsätze für die „Gegenwart“ und zuletzt noch einen „Wie der Quickborn entstand“ für Fleischer’s „Deutsche Revue“ geschrieben. Die „Lebenserinnerungen von Klaus Groth“, herausgegeben von Eugen Wolff (1891), sind nach Notizen und mündlichen Erzählungen des Dichters zusammengestellt. Eine Sammlung der prosaischen Schriften Klaus Groth’s existirt bisher nicht, seine dichterischen Werke aber sind als „Gesammelte Werke“ 1893 in Kiel in vier Bänden erschienen. Der erste Band enthält den „Quickborn“, den alten, im Laufe der Jahre vervollkommneten. Als „Quickborn II“ sind dann die späteren plattdeutschen Gedichte, von denen „Voer de Goern“ 1858 und „Fiv nie Leder ton Singen un Beden voer Sleswig-Holstein“ 1864 auch einzeln erschienen sind, mit den beiden Epen „Heisterkrog“ und „Rotgeter“ zusammengestellt. Der dritte Band enthält die plattdeutschen Erzählungen: „Detelf“ (unter dem obengenannten Titel), „De Waterbörs“, „Witen Slachters“, diese drei enger vereinigt, „Trina“, „Um de Heid“ , der vierte „Ut min Jungsparadies“ („Min Jungsparadies“, „Von den Lüttenheid“, „De Hoeder Moel“), die beiden Aufsätze „Büsum“ und „Sophie Dethlefs un ik“, das epische Fragment „Sandburs Dochder“ (das dann in der zweiten Auflage der „Werke“ noch vollendet erschien), die „Hundert Blätter“ und eine sehr große Anzahl bis dahin noch unveröffentlichter hochdeutscher Gedichte („An meine Zeit“, „Sonette“, „Schleswig-Holstein“, „Leben, Liebe und Tod“, „Weihelieder“).

Ueber Klaus Groth unterrichten außer den bereits genannten „Lebenserinnerungen“ und autobiographischen Aufsätzen am besten: Müllenhoff’s „Einleitung“ von 1856, in den „Lebenserinnerungen“ abgedruckt. – Karl Eggers, Klaus Groth und die plattdeutsche Dichtung (1885). – C. J. Hansen, Klaus Groth in zijn leven un streven als dichter, taalkamper, mensch met reisverhaal en terugblick op de dietsche Beweging (1889). – H. Siercks, Klaus Groth. Sein Leben und seine Werke (1899, die Quellschrift für das Leben, volksthümlich geschrieben). – Adolf Bartels, Klaus Groth. Zum achtzigsten Geburtstage (1899, ästhetische Würdigung). – Die Essays von Ernst Ziel in den „Litterarischen Reliefs“, von Eugen Wolff in Westermanns Monatsheften, Bd. 85, und Hermann Krumm’s Einleitung zu der neuen (3.) Ausgabe des illustrirten „Quickborn“. – Die besten Bilder [575] Klaus Groth’s haben Ludwig Bokelmann und Hans Olde geschaffen, Büsten der Albersdorfer Tiedje und Harro Magnussen.