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ADB:Gruner, Christian Gottfried

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Artikel „Gruner, Christian Gottfried“ von August Hirsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 38–40, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gruner,_Christian_Gottfried&oldid=- (Version vom 9. Oktober 2024, 22:17 Uhr UTC)
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Gruner: Christian Gottfried G., Arzt, ist den 8. November 1744 in Sagan geboren. Er ist der Sohn wenig vermögender Leute, welche ihn ursprünglich zur Erlernung eines Handwerkes bestimmt hatten, seinen dringenden Bitten, ihm eine wissenschaftliche Ausbildung zu Theil werden zu lassen, aber schließlich nachgaben und ihm die Möglichkeit verschafften, sich in Görlitz eine tüchtige Gymnasialbildung zu eigen zu machen. Unter den größten Entbehrungen absolvirte er diese Gelehrtenschule und siedelte, mit äußerst sparsamen Mitteln ausgestattet, im J. 1765 nach Leipzig über, um sich hier, dem seinen Eltern gegebenen Versprechen zufolge, dem Studium der Theologie zu widmen; schon nach Verlauf eines halben Jahres aber gab er die Theologie auf und wandte sich, von besonderer Neigung getrieben, der Medicin zu, während er sich daneben mit dem ihm liebgewordenen Studium der alten Sprachen weiter beschäftigte und damit den Grund für seine späteren hervorragenden Leistungen im Gebiete der Geschichte der Medicin gelegt hat. Den Wunsch, nach Beendigung seiner Studien in Leipzig zu bleiben, um die akademische Laufbahn einzuschlagen, mußte er auf die Vorstellungen seiner Freunde, die ihn auf die Unmöglichkeit aufmerksam machten, sich hier in kurzer Zeit die nöthigen Existenzmittel zu verschaffen, zu seinem tiefen Bedauern aufgeben, er wandte sich nach Halle, promovirte hier am 22. December 1769 und habilitirte sich darnach als praktischer Arzt in Breslau. – Im J. 1772 veröffentlichte er seine erste gelehrte Arbeit, die „Censura librorum Hippocraticorum“ und lenkte mit derselben die Aufmerksamkeit der ärztlichen Gelehrtenwelt in einem so hohen Grade auf sich, daß er schon im Jahre darauf einen Ruf als Prof. ord. nach Jena an Stelle Baldinger’s erhielt, der nach Göttingen übergesiedelt war. G. folgte diesem Rufe um so freudiger, da das gespannte Verhältniß, in welchem er zu den Aerzten Breslaus lebte, ihm den Aufenthalt daselbst nichts weniger als angenehm gemacht hatte. Am 29. November 1773 wurde er als Professor der theoretischen Medicin und der Botanik in die medicinische Facultät von Jena eingeführt und nun gab er sich mit Feuereifer der litterarischen Thätigkeit, und zwar vorwiegend auf dem ihn speciell interessirenden Gebiete der Geschichte der Medicin hin; schon in demselben Jahre veröffentlichte er seine Untersuchungen über Eros und Trotula („Neque Eros, neque Trotula, sed Salernitanus quidam Medicus, isque Christianus, auctor libelli est, qui de morbis mulierum inscribitur“) und seine Schrift zur Geschichte der Blattern („Variolarum antiquitates ab Arabibus solis repetendae“), im folgenden Jahre erschienen von ihm „Analecta ad antiquitates medicas“ und „Morborum antiquitates“, im J. 1775 seine „Semiotice generalis physiologiam et pathologiam complexa“, welche er später (1793 und 1801) in erweiterter Bearbeitung und in deutscher Sprache herausgab und die bei dem ersten Erscheinen sich eines solchen Beifalls erfreute, daß er in Anerkennung dieser seiner Leistung zum Prorector der Universität und zum herzogl. weimarischen Hofrathe ernannt wurde. Weiter veröffentlichte er, neben zahlreichen, das Gebiet der praktischen Heilkunde und der Historie betreffenden, von ihm selbst oder unter seiner Leitung bearbeiteten akademischen Gelegenheitsschriften (ein vollständiges Verzeichniß dieser, sowie aller seiner litterarischen Productionen findet sich in Biogr. Méd. IV. p. 529), im J. 1776 eine von ihm besorgte Ausgabe der Reiske und Fabri’schen „Opuscula medica ex monumentis Arabum et Ebraeorum“, in den J. 1781 und 1782 die „Bibliotheken der alten Aerzte in Uebersetzungen und Auszügen“, gleichzeitig die eben damals aufgefundenen Bücher der „Collecta“ des Oribasius, im J. 1789 die Ergänzungen zum „Aphrodisiacus“ des Luisinus, im J. 1790 die „Fragmenta de variolis et morbillis medicorum Arabistarum, Constantini, Sylvatici etc.“, 1793 die sehr verdienstvolle Sammlung „De morbo gallico scriptores medici et [39] historici“, in den J. 1794 und 1795 die „Nosologia historica ex monumentis medii aevi lecta“, und 1800 die „Pandectae medicae“, welche vorher in einzelnen Programmen erschienen waren. – Demnächst hat G. in den J. 1780–1785 unter dem Titel „Delectus dissertationum med. Jenensium“ in 3 Bänden eine Sammlung der besten, in eben jener Zeit in Jena erschienenen, medicinischen Dissertationen veranstaltet, ferner in den J. 1783, 84 und 88 3 Bände „Kritische Nachrichten von kleinen medicinischen Schriften in- und ausländischer Akademien“ herausgegeben und in den J. 1781–97 den von ihm begründeten und redigirten „Almanach für Aerzte und Nichtärzte“ veröffentlicht. – Mit enormem Fleiße verband G. eine hervorragend philologisch-antiquarische Bildung, sehr gründliche litterarische Kenntnisse, ein scharfes kritisches Urtheil und einen hohen Grad von Gewissenhaftigkeit in der Forschung, und so tragen alle seine Schriften, trotz der Productivität, die er entwickelt hat, nicht nur den Stempel der Treue und Verläßlichkeit, sondern auch derjenigen wissenschaftlichen Vollendung, welche das ihm gebotene Material ermöglichte. Zu den bedeutenderen Arbeiten Gruner’s gehört auch die von ihm veranstaltete Sammlung der die „Geschichte des englischen Schweißes“ betreffenden Nachrichten; er hatte die Veröffentlichung derselben durch zwei kleine Schriften („Scriptores de sudore anglico superstites“ und „Iterinarium sudoris anglici“) eingeleitet, die Sammlung selbst ist handschriftlich in seinem Nachlasse gefunden und erst im J. 1847, mit Zusätzen und Anmerkungen versehen, von Häser herausgegeben worden. – Die Vertiefung Gruner’s in die Vergangenheit macht es, zum Theil wenigstens, erklärlich, daß er, besonders in der späteren Zeit seines Lebens, den Fortschritten der Wissenschaft nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt, in einseitiger Weise auf seinem isolirten Standpunkte verharrt hat. Wenn hierdurch der wissenschaftliche Ruhm Gruner’s entschieden beeinträchtigt wird, so sind es in einem viel höheren Grade moralische Schwächen in seinem Charakter, welche das von ihm zu entwerfende Lebensbild trüben. Es bleibe dahingestellt, wie weit eine mangelhafte Erziehung in seiner frühen Jugend zu diesen Charakterfehlern beigetragen, wie weit später Sorgen und Mühseligkeiten während seines Aufenthaltes auf der Universität und während der ersten Jahre seiner praktischen Thätigkeit in Breslau durch Verbitterung dieselben gesteigert haben, sicher ist es, daß schon in Breslau arge Zerwürfnisse zwischen ihm und andern Aerzten der Stadt bestanden, zu denen er selbst wohl durch die an ihm später so evident hervorgetretene Selbstüberschätzung und Unverträglichkeit am meisten beigetragen haben mag, und daß er von dem Augenblicke an, in welchem er die Professur in Jena antrat, bis zu seinem am 5. December 1815 erfolgten Tode in fortdauernder Fehde mit seinen Collegen stand. In roher Weise setzte er sich über alle diejenigen Rücksichten fort, welche Sitte und Anstand im ehelichen und häuslichen Leben gebieten, indem er alles Dies für bloßes Vorurtheil erklärte; er scheute sich nicht, Coterien zu bilden und unwürdige Intriguen gegen tüchtige, ihm unliebsame Collegen, wie gegen Loder, Stark (den Aelteren), namentlich aber gegen Fichte anzuspinnen, indem er in die Anklage, welche von den Behörden gegen diesen großen Philosophen wegen Atheismus erhoben worden war, aufs lebhafteste einstimmte, wiewol er selbst nichts weniger als strenggläubig war, die Entlassung desselben nach Kräften förderte und nach erfolgter Dimission ihm noch einen boshaften Nachruf nachschleuderte. In seiner Kritik war G. unduldsam, in seinem Tadel roh und ausfallend, und gerade hieraus, aus der Scheu, mit dem „etwas hitzigen Manne“ anzubinden, erklärt es sich, daß trotz seiner Angriffe eigentliche litterarische Fehden zwischen G. und seinen Zeitgenossen nicht bestanden haben. Ein Beispiel seiner Rohheit im gesellschaftlichen Umgange findet sich in der von Keßler verfaßten Lebensgeschichte des „alten Heim“ [40] (Leipz. 1846, S. 321). Heim hatte G. während seiner Studienzeit kennen und seiner Gelehrsamkeit wegen schätzen gelernt; im Mai 1796 machte er ihm bei seinem Aufenthalte in Jena einen Besuch, über dessen Ausgang Heim in seinem Tagebuche folgende Notiz gibt: „G. öffnete mir selbst die Thür, versicherte mich aber mit halbzorniger Miene, daß er nicht zu Hause sei. Ungeachtet ich ihm nun meinen Namen nannte, wollte er doch nichts von mir wissen, warf mir die Thür vor der Nase zu und gab mir noch durch das Geräusch des Zuriegelns seinen innern Unwillen zu vernehmen.“ – G. starb am 5. December 1815, nachdem er in eben diesem Jahre vom Könige von Schweden, dem er die letzte seiner Arbeiten, die Ausgabe der Schrift des Zosimus „περί Ζΰδων ποιήσεως“ (Sulzb. 1814) gewidmet hatte, zum Ritter des Wasa-Ordens ernannt worden war. Sein Dahinscheiden versetzte die Bevölkerung Jenas, in deren Mitte er nahe ein halbes Jahrhundert gelebt hatte, in tiefe Trauer, seine wissenschaftlichen Leistungen haben ihm ein dauerndes Andenken in der Gelehrtenwelt gesichert.

Nähere Daten über sein Leben hat Henschel in Janus, Zeitschr. für Geschichte und Litteratur der Med., 1846, I. S. 823, gegeben.