Zum Inhalt springen

ADB:Heinrich VI. (kursächsischer Generalfeldmarschall)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Heinrich VI. Reuß ä. Lin.“ von Ferdinand Hahn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 583–586, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Heinrich_VI._(kurs%C3%A4chsischer_Generalfeldmarschall)&oldid=- (Version vom 11. Oktober 2024, 21:02 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Heinrich XXVI.
Band 11 (1880), S. 583–586 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Heinrich VI. (Reuß-Obergreiz) in der Wikipedia
Heinrich VI. in Wikidata
GND-Nummer 104254130
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|11|583|586|Heinrich VI. Reuß ä. Lin.|Ferdinand Hahn|ADB:Heinrich VI. (kursächsischer Generalfeldmarschall)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=104254130}}    

Heinrich VI. Reuß ä. Lin., aus dem Hause Obergreiz, geboren am 27. Aug. 1649. Der Vater, Heinrich d. Ae., war kaiserlicher Rath, Generalfeldwachtmeister und Oberster, sowie designirter Commandant des Johanniterordens zu Lagau; die Mutter, Sybille Magdalene, eine geborene Gräfin von Kirchberg und Farnroda, Tochter des Burggrafen Georg, leitete hauptsächlich die Erziehung ihrer Kinder, da der Vater nur wenig daheim sein konnte. H. genoß bis in das 15. Lebensjahr seinen Unterricht im Elternhause und kam dann zur weiteren Ausbildung an den Hof zu Altenburg, wo er zugleich mit dem Erbprinzen erzogen wurde. Seine geistige und körperliche Entwicklung war eine äußerst günstige. Nach zwei Jahren bezog er nach Beschluß des Vaters, die hohe Schule zu Genf. Hier gab er sich mit Eifer den Wissenschaften und zugleich mit Vorliebe und Geschick ritterlichen Uebungen hin. Von Genf ging er nach Lyon, um sich in den ritterlichen Künsten weiter auszubilden, mit dem Entschlusse, sich dem Kriegsdienste ganz zu widmen. Er bereiste sodann die übrigen Theile Frankreicbs und kehrte 1668 nach Obergreiz zurück. Ein Jahr später trat H. in kurfürstlich Brandenburg’sche Kriegsdienste. Er ward zum Rittmeister im Regiment des Generalmajor von Ellers ernannt. Bei dieser Gelegenheit wurde er dem Kurfürsten näher bekannt, der ihn persönlich lieb gewann und zu seinem Kammerherrn machte. Heinrichs Sinn neigte indeß mehr zum Kriegsdienste, während das Kurfürstenthum Brandenburg sich damals des tiefsten Friedens erfreute. Im J. 1672 begann der durch Ludwig XIV. heraufbeschworene Krieg Frankreichs gegen die Republik Holland, in den auch der Bischof von Münster verwickelt wurde. Ein naher Verwandter Heinrichs, der braunschweig-lüneb. Gen.- Major Reuß, Heinrich IV., stand damals in Münsterischen Diensten. Dieß wurde Ersterem Anlaß, den Kurfürsten um seine Beurlaubung zu bitten und Dienste im Regiment seines Vetters zu nehmen. Bald nach seinem Eintritt erhielt er eine Compagnie und die Stelle eines Rittmeisters. Bei der Belagerung der Festung Gröningen wurde ihm durch eine Kanonenkugel das Pferd unter dem Leibe getödtet. Weiterhin übergab sein Vetter ihm noch eine Compagnie Infanterie und ernannte ihn zum Major. Ein derartiges Doppelcommando war damals nichts Ungewöhnliches. Der Bischof von Münster verfiel durch seinen Anschluß an Frankreich der Ungnade des Kaisers und wurde in die Reichsacht erklärt. Die meisten Offiziere verließen infolge dessen ihren Dienst, darunter auch H., der nach Greiz zurückkehrte und dort sich mit der Wittwe des Freiherrn von Biberstein, Amalie Juliane, einer Tochter Heinrichs V. Reuß ä. Lin. [584] zu Untergreiz, vermählte. Bald nachher ging H. nach Brüssel. Dort bot ihm der Prinz von Salm seine beiden Regimenter zum Commando an, das er indeß nicht annahm, dagegen aber auf des Prinzen Anrathen in spanische Dienste trat. Es ward ihm hier ein Regiment übertragen, das er anderthalb Jahre hindurch befehligte, dann die spanischen Dienste quittirte und durch Vermittlung des Prinzen von Oranien, damaligen Statthalters der vereinigten Niederlande und nachherigen Königs von England, in holländische Dienste trat. Hier wurde ihm das Inf.-Reg. von Lüzau übertragen, das er 1676 in’s Feld führte und mit demselben der Belagerung von Mastricht beiwohnte. Bei dieser Gelegenheit hatte er einen Sturm zu commandiren, in welchem das von ihm persönlich geführte Bataillon total niedergemacht wurde und er selbst nur mit Mühe dem Tode entging. Eine Gewehrkugel hatte ihn so schwer am Kopfe verwundet, daß er nach beendigtem Sturme in bewußtlosem Zustande unter den Todten aufgefunden wurde. Während er noch an dieser Verwundung litt, ward ihm das Commando der Festung Hasselt übertragen, die er heldenmüthig behauptete. Die gewaltigen Anstrengungen beugten aber den erst Halbgenesenen dermaßen, daß er dem Kriegsdienste entsagen mußte und nach der Heimath zurückging. Gegen Ende des Jahres trat er diese Reise an, wurde jedoch unterwegs abermals schwer krank und erreichte Greiz erst im Frühjahr 1677. Seine Absicht, fortan ganz auf Kriegs- und fremde Staatsdienste zu verzichten, erfüllte seine Familie mit Freude. Indeß hielt er diesen Entschluß nur bis zur Wiedergenesung fest. Der Markgraf von Bayreuth ernannte ihn in demselben Jahre noch zu seinem Geheimen Rath und übertrug ihm die Landeshauptmannsstelle zu Hof, die er zwei Jahre hindurch mit vorzüglichem Erfolge verwaltete. Da bewog ihn Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen die brandenburgischen Dienste gänzlich zu verlassen und ernannte ihn zum Kammerherrn und zum Obersten über ein Cavallerieregiment. Solchem Antrage vermochte H. nicht zu widerstehen. Später errichtete er selbst noch ein Dragonerregiment und führte dasselbe, wohl organisirt, 1682 dem Kurfürsten vor. Im J. 1683 wurde Kaiser Leopold I. in einen Krieg mit den Türken verwickelt. Die Letzteren drangen so rasch vor, daß sie ungehindert Wien erreichten und es einschlossen. Die Stadt wurde tapfer vertheidigt, war aber nach zwei Monaten kaum noch zu halten. Während dieser Zeit waren an 50 000 Türken vor Wien gefallen. Von den Mächten war Wiens Entsatz beschlossen und eilten deßhalb Polen, Brandenburger, Sachsen, Bayern und Reichstruppen in einer Gesammtstärke von 81 000 Mann nach der bedrängten Stadt. Die betreffenden Kriegsherren befanden sich sämmtlich im Heere. H. war zum Gen.-Major ernannt worden und führte sein Dragonerregiment. Er erhielt den Auftrag zum ersten Angriff auf das türkische Lager und vollzog ihn glänzend. Während dieses Kampfes saß er sechszehn Stunden ununterbrochen zu Pferde. – Am 12. Septbr. fiel das Lager. Die christlichen Heere verloren bei dem Entsatze gegen 2000 Mann, die Türken über 30 000. Es folgten hierauf einige Jahre der Ruhe. H. erlitt dagegen durch den am 25. Decbr. 1688 erfolgten Tod seiner Gemahlin einen schweren Verlust. Im nächsten Frühjahre zog er mit dem kurf. sächs. Heere an den Rhein, zur Belagerung der von den Franzosen besetzten Festung Mainz. Bei einem Ausfall der Besatzung am 13. Juli, bei welchem 70 Mann von Heinrichs Regiment fielen, erhielt er selbst einen Streifschuß am Kopfe, während ihm am 18. August bei Anlegung einer neuen Batterie der linke Arm zerschossen wurde. Der starke Blutverlust machte ihn für einige Zeit kampfunfähig. Am 30. August ernannte ihn der Kurfürst von Sachsen zum Generalfeldmarschall und der Kurfürst von Bayern, an dessen Seite er die letzte schwere Verwundung erlitten, überbrachte ihm das Diplom persönlich. – Nach dem Falle von Mainz verließ H. das [585] Heer und verlebte den Winter abwechselnd in Dresden und Greiz. – An den Feldzügen am Rhein im Frühjahr 1690 und 1691 nahm er wiederum Theil. Am 3. März 1691 vermählte er sich zum zweiten Male und zwar mit Henriette Amalie, Freiin von Friesen, einer mit hoher Körperschönheit und allen geistigen Vorzügen reich begabten Dame. Nach dem Tode Johann Georgs III. wollte er sich vom Kriegsdienste zurückziehen; jedoch der Sohn und Nachfolger, Johann Georg IV., brachte ihn davon ab und sandte ihn als Botschafter an den König Wilhelm III. von England und den Kurfürsten von Bayern, welche damals die verbündeten Armeen in den Niederlanden commandirten. H. machte die Schlacht bei Fleury mit, in welcher er den König in das dickste Feuer begleitete und dabei während 24 Stunden ununterbrochen zu Pferde saß. – Kurfürst Johann Georg IV. starb schon nach drei Jahren. Friedrich August I., der Starke, folgte ihm 1694 und ernannte bei seinem Regierungsantritt H. zum Generalfeldzeugmeister. Als Commandirender der sächs. Armee führte er diese 1694 wieder an den Rhein. Dieser Feldzug blieb zwar ohne hervorragende Schlachten, doch kam das gesammte deutsche Heer dabei in Gefahr, vom Feinde aufgerieben zu werden und hatte nur der Klugheit und Wachsamkeit des sächs. Heerführers seine Rettung zu danken. Prinz Ludwig von Baden berichtete diese That an den Kaiser und H. empfing von dort die höchste Anerkennung. August der Starke ernannte ihn zum Geh. Kriegsrathe. Im J. 1695 schickte der Kurfürst eine starke Anzahl Hülfstruppen nach Ungarn zur kaiserl. Armee gegen die Türken. August der Starke kommandirte das gesammte verbündete Heer und H., unter ihm, die sächsische Armee. – Der Krieg setzte sich in das Jahr 1696 fort. Während der blutigen Schlacht bei Temeswar lag H. am Podagra darnieder. Als die Gefahr für die verbündete Armee jedoch stieg, saß er auf und verhinderte an der Spitze seines Heeres noch zu rechter Zeit den nahen Sieg der Türken. – August der Starke bestieg 1697 den polnischen Thron. Er sandte dem Kaiser abermals Hülfsvölker nach Ungarn und zwar unter dem Commando Heinrichs. Den Oberbefehl über das gesammte Heer führte dießmal Prinz Eugen von Savoyen. Am Morgen des 11. Septbr. begann die Entscheidungsschlacht bei Zenta. Das türkische Heer stand unweit Zenta hinter doppelter Verschanzung an der Theis und hatte außer dieser günstigen Stellung auch ein numerisches Uebergewicht über das christliche. Das Letztere machte, als es des Feindes ansichtig wurde „Halt“. Die Heerführer hielten Kriegsrath. Prinz Eugen und H. waren für den sofortigen Angriff; die älteren Generale dagegen. Indeß erfolgte der Angriff mit Tagesanbruch und am Abend war eine der furchtbarsten Schlachten beendet und zugleich einer der glorreichsten Siege errungen, den die Geschichte kennt. Das christliche Heer hatte gesiegt und dadurch ganz Mitteleuropa von schwerer Gefahr gerettet. Die Türken waren total geschlagen und zu jedem Weitervordringen unfähig. Als Sieger würden sie einen furchtbaren Verwüstungszug durch Europa angetreten haben. Die Schlacht bei Zenta hat deßhalb eine welthistorische Bedeutung. Der Sieg der Christen wurde mit schweren Opfern erkämpft. Auch H. zählte zu diesen. Er commandirte beim Angriff das erste Treffen. Durch die feindlichen Kugeln wurde ihm zunächst das Pferd zweimal verwundet; dann traf ihn eine Büchsenkugel, in den eben ausgestreckten rechten Vorderarm, die sich bis zur Schulter fortbohrte. Leichtere Verwundungen folgten; auch empfing das Pferd einen dritten Schuß. Trotz Schmerz und Blutverlust blieb H. an der Spitze seines Heeres, weil dessen Reihen zu wanken begannen. Er rief seiner Umgebung zu: „Es gilt jetzt, daß redlich gefochten und rühmlich gestorben werde. Ich werde mit Euch siegen oder sterben. Keiner soll das Geringste mehr thun, als das ich thue!“ – So stürmte er vorwärts und führte die [586] kursächsische Infanterie zunächst in das türkische Lager. Ihr folgten die Kurbrandenburger. Nach längerem Gemetzel gerieth das Türkenheer in Unordnung und suchte sein Heil in der Flucht. Unzählige kamen um beim Uebersetzen der Theis; das gesammte türkische Lager und unermeßliche Vorräthe fielen den Siegern in die Hand. Hinter einer Wagenburg versteckt, feuerte noch ein Schwarm Janitscharen auf die Nachsetzenden. Von diesen Kugeln empfing H. eine mit solcher Gewalt in den linken Schenkel, daß er von der Heftigkeit des Schlages betäubt wurde. Auch sein Pferd bekam einen vierten Schuß und stürzte. – Der Sieg war gesichert, einer seiner besten Kämpfer aber durch jene letzte Kugel zum Tode getroffen. Die Armee brach erst am vierten Tage zur Verfolgung des Feindes auf. Der verwundete Heerführer wurde nach der Festung Szegedin gebracht und dort von dem Commandanten Schlick gastlich aufgenommen. Später eilte auch die Gemahlin des Helden herbei. Sie hatte nach empfangener Nachricht sofort die weite Reise unternommen. Nach verschiedenen Operationen starb der Held, mit einem Herzen voll innigster Gottergebung, am 21. Octbr. um Mitternacht. Vor seinem Tode empfing er noch die höchste Anerkennung des Kaisers; Prinz Eugen hatte dort Bericht über seinen Kampfgenossen erstattet, die Nachricht aber, daß ihn August der Starke zum königl. polnischen Generalfeldmarschall ernannt, erreichte ihn nicht mehr, obgleich das Patent bereits am 20. Septbr. in Krakau ausgefertigt worden war. Bei der Sektion zeigte es sich, daß der Oberschenkelknochen vom Knie bis zur Hüfte total zerschmettert war. Die Kugel selbst fand sich, breitgedrückt, im Hüftmuskel. Der Leichnam wurde, begleitet von der Gemahlin des Helden und unter starker militärischer Bedeckung, von Szegedin über Ofen und Preßburg, durch Böhmen und Sachsen nach Greiz gebracht, wo er am 22. Dezember ankam. Regierender Herr war H. vom Jahre 1682 ab in segensvollster Weise gewesen.

Aus Archivquellen.