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ADB:Hensel, Louise

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Artikel „Hensel, Luise“ von Joseph Hubert Reinkens in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 1–3, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hensel,_Louise&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 15:43 Uhr UTC)
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Band 12 (1880), S. 1–3 (Quelle).
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Hensel: Luise H., Dichterin, geb. am 30. März 1798 zu Linum bei Fehrbellin im Ost-Havelland in der Mark Brandenburg, † am 18. Dec. 1876 zu Paderborn in Westfalen. Ihr Vater, Johann Jacob Ludwig H., war zur Zeit ihrer Geburt Pfarrer in dem Dorfe Linum, ein lutherischer Prediger von Ueberzeugung, aber nicht unduldsam; er war eifrig im Dienste der Gemeinde, immer klar und ruhig, ohne jede Engherzigkeit, voll priesterlicher Hingebung, gastfrei gegen Fremde, musterhaft als Familienvater. Luise war erst 11 Jahre alt, als der Vater starb (8. Septbr. 1809), aber sein frommes edles Bild hatte sich ihr unauslöschlich eingeprägt und nicht wenig zu ihrer Sittenreinheit, welche sie ihr ganzes Leben hindurch auszeichnete, und zur reichen Entfaltung ihres religiösen Gemüthes – wenn dies später auch eine andere Richtung nahm – beigetragen. Die Mutter, Johanna Albertina Luise geb. Trost, eine verständige, praktische, ungemein gütige, gottesfürchtige Frau und sorgsam unermüdlich liebende Mutter war des edlen Vaters werth und den Kindern nach dem Tode ihres Mannes Alles. Beim Tode des Vaters blieb die Mutter mit zwei Söhnen und zwei Töchtern zurück – ein dritter Knabe war gestorben –, mit welchen sie im Herbste 1810 nach Berlin zog, um für deren Ausbildung besser sorgen zu können. Fast wild und stark wie ein Knabe und mit Knaben am liebsten deren Spiele treibend, war Luise doch von der zartesten mädchenhaften Züchtigkeit; in der Kinderschaar zu Linum war sie von allen guten geliebt und von den schlimmen gefürchtet. Sie hatte den letzten Winter (1809) ihres Vaters Christenlehre beigewohnt und den alten lutherischen Katechismus auswendig gelernt. Aber die religiösen Eindrücke, welche sie schon vorher und mehr unmittelbar empfangen, hatten bereits ein religiöses Leben in ihr erzeugt, das nicht ohne Kämpfe war und den Anfang zu ihren confessionellen Zweifeln bildete. Ihre Schulkenntnisse befanden sich noch in den Elementen. So kam sie nach Berlin, wo sie ein Jahr lang die Real- später Elisabeth-Schule besuchte. Mit wahrem Heißhunger begehrte sie weltliches Wissen. Sie verschaffte sich Schriften über Astronomie, die sie eifrig studirte. Da aber das Wittwengehalt der Mutter (300 Thlr.) eine Zeit lang nicht ausgezahlt wurde, weil Napoleon die Wittwenkasse in Berlin hatte wegnehmen lassen, mußte sie in freien Stunden nebst ihrer älteren Schwester durch Handarbeit etwas zu verdienen suchen. Seit Ostern 1812 erhielt sie Confirmanden-Unterricht, der jedoch ihre Glaubenszweifel nicht hob. Als sie am 31. März 1813 confirmirt wurde, bekannte sie sich vor Gott, wie sie sich ausdrückte, nur zum Christenglauben, nicht aber zu einer bestimmten Confession. Damals absorbirte Vaterlandsliebe und Enthusiasmus für Deutschlands Erhebung alle ihre Empfindungen, Gedanken und Lieder. Seit 1815 näherte sie sich innerlich der katholischen Kirche, vorzugsweise von einem Auctoritätsbedürfnisse geleitet. Erfreut, im Herbste 1816 einen Katholiken – Clemens Brentano – kennen zu [2] lernen, fand sie diesen „weit abgeirrt von der Kirche“, und sie war es, die ihn „bekehrte“, obgleich sie noch Protestantin war. Dagegen erhielt sie nun viel Aufschluß über die katholische Kirche durch dessen Bruder Christian, während der bekehrte Clemens, der sie vergebens umwarb, sie späterhin eifrig in eine Mystik einführte, welche für ihren äußeren Lebensgang entscheidend wurde. In dem Bewußtsein, theuere Verwandte tief zu kränken und schwere Opfer zu bringen, legte sie auf dem Zimmer des Propstes zu St. Hedwig am 7. Decbr. 1818 Bekenntniß und Beichte ab und am 8. December empfing sie früh Morgens das Abendmahl nach römischer Weise. „Nicht der äußere Glanz des Cultus, noch weniger Sentimentalität“ habe sie zu dem Schritte bestimmt, erklärte sie noch am 14. Octbr. 1862, sondern die klare Erkenntniß, daß in der katholischen Kirche die von Christo gestiftete Kirche vorhanden sei“. Dichter und Künstler rangen um die Hand des schönen sittlich reinen und durchaus ideal gestimmten Mädchens; aber es war ein junger Jurist von edlem Wesen und seinen Sitten, Ludwig von Gerlach, dem sie innerlich die Liebe erwiederte, von dem sie in langen Kämpfen mit Schmerzen sich loslöste, um „dem Königssohn“, dem „Seelenbräutigam“, als welcher Christus ihr nunmehr erschien, allein anzugehören. – Im Herbste 1817 war sie Erzieherin im Hause des preußischen Gesandten Baron von Werther für dessen 14jährige Tochter geworden, mit Hingebung und Liebe. Am 11. März 1819 verließ sie Berlin, um Gesellschafterin der Fürstin Salm-Reifferscheidt-Krautheim, geb. Fürstin Gallitzin zu Münster zu werden, mit welcher sie dann im August desselben Jahres nach Düsseldorf übersiedelte. Im Mai 1821 wurde sie dann Hauslehrerin bei der Witwe des Grafen Fr. Leop. Stolberg auf Brauna in der Niederlausitz. Der Schatten, welcher auf das Verhältniß zu ihrer Mutter und zu ihren Geschwistern durch die Conversion gefallen, wich in diesem Jahre bei einem Wiedersehen auf dem Schlosse Scheibe bei Glatz vollständig. Der gewöhnliche Aufenthalt der Gräfin Stolberg war aber in Westfalen, wo L. H. in lebhafte Beziehung zu der Nonne von Dülmen, Katharina Emmerich, trat. Sie verließ das Haus Stolberg 1823 und wohnte 3 Jahre zu Wiedenbrück, um die Erziehung des Sohnes ihrer verstorbenen Schwester zu leiten. 1824 wollte sie zu Münster barmherzige Schwester werden. Die Furcht, ihr Pflegesohn würde dann protestantisch, hielt sie davon zurück, obgleich sie schon ihre weltlichen Kleider weggegeben und ihre Haare abgeschnitten hatte. Darauf nahm sie die Einladung an, in Coblenz mit zwei Freundinnen das Bürgerhospital bis zur Uebernahme desselben durch die barmherzigen Schwestern vom heil. Karl Borromäus zu leiten. Sie war dann bei verschiedenen Privatunternehmungen thätig, im Unterricht auf Marienberg zu Boppard, und vom Frühjahr 1827 bis Herbst 1832 in St. Leonhard zu Aachen. Im J. 1833 kehrte sie zu den Ihrigen nach Berlin zurück, wo sie viel im Hause ihres Bruders, des Historienmalers Wilhelm Hensel und ihrer Schwägerin Fanny Mendelssohn zubrachte. 1835 starb ihre Mutter. Sie blieb noch in Berlin bis 1838. Der damals die Gemüther erregende Kampf der römisch-katholischen Kirche gegen die vom Staate geforderte Toleranz in gemischten Ehen beunruhigte sie und wirkte mit, daß sie Berlin verließ. Sie folgte einer Einladung der Frau Rath Schlosser nach deren Gut am Neckar. Im Anfange der vierziger Jahre that sie noch Erzieherdienste in einer Kölnischen Familie. Später zog sie nach Wiedenbrück, wo sie mehrere Decennien in stiller Zurückgezogenheit lebte, bis sie ein paar Jahre vor ihrem Tode nach Paderborn übersiedelte, wo sie in dem sog. gräflich Westfalenschen Hofe am 18. Decbr. 1876 der Wassersucht erlag. L. H. hat sich Ruhm und Liebe erworben unter den Deutschen aller Confessionen durch ihre religiösen Lieder, die gesammelt erschienen unter dem Titel: „Lieder von Luise M. Hensel, herausgegeben von Prof. Dr. C. Schlüter“, Paderborn, Schöningh, 1869. 2. Aufl. [3] 1877. Diese Lieder hängen in ihrer Entstehung und Beschaffenheit schlechthin mit dem individuellen religiösen Leben der Dichterin zusammen; sie versetzte sich nicht künstlich in eine religiöse Stimmung, um ein Lied zu dichten, sondern die religiöse Empfindung drängte sie, so zu singen. Ihre Andacht, ihr Gebet, ihre Reue, ihre Freude wurde zum Liede. Der nach ihrer Anschauung bestehende Conflikt zwischen der Wahl eines irdischen Bräutigams, der von ihr geliebt, um sie warb, und der Wahl des himmlischen erzeugte ihr Seelenstimmungen, die nach den trübsten Schmerzen oft aufleuchteten wie die Morgenröthe eines entzückenden Hochzeitstages. Und dann sproßten wie bräutliche Blumen ihre zartesten Lieder hervor, wie: „Die Wahl des Liebsten“ („Es warten dein zwei Freier“) oder „Ich liebe einen Königssohn“ u. a. Aber auch selbst ihr Kummer um irdische Noth wurde zum religiösen Liede. Daher bedingte ihre religiöse Entwickelung sowohl die Productivität an Liedern wie den Reichthum oder die Armuth des Inhalts. Ihre reichste Periode ist die von ihrem 16. Lebensjahre bis zum 22. Dahin gehören auch ihre werthvollsten und bekanntesten Lieder, wie: „Müde bin ich, geh zur Ruh“ und „Immer muß ich wieder lesen“. Während dieser 6 Jahre ist mehr als die Hälfte der Lieder in der Schlüter’schen Sammlung entstanden. Es war die Zeit ihrer größten religiösen Selbständigkeit, die auch noch einige Jahre, nachdem sie katholisch geworden, fortdauerte. In Düsseldorf ergab sie sich der Seelenführung eines Exjesuiten (P. W.); seitdem wurde sie im religiösen Leben von Jahr zu Jahr unselbständiger, und wenn auch vielseitige freundschaftliche Beziehungen dem inneren geistigen Leben noch lange Vorschub leisteten, so erlag ihr Geist doch schließlich, wie die von Schlüter veröffentlichten Briefe leider constatiren, der ganzen Aeußerlichkeit der vaticanischen Gehorsamstheorie. In dem Maße, in welchem dies geschehen, vertrocknete die Quelle ihrer unsterblichen Lieder.

Vgl. Luise Hensel und ihre Lieder. Dargestellt von Joseph Hubert Reinkens, kath. Bischof, Bonn, P. Neusser, 1877 (in 2. Aufl.). – Briefe der Dichterin Luise Hensel, Paderborn, F. Schöningh, 1878 (herausgegeben von Prof. Schlüter). Außer diesen Briefen ist die angeführte Biographie die einzige der Oeffentlichkeit zugängliche Quelle für das Leben der Dichterin. Der Verfasser besitzt ihre für ihn geschriebene Selbstbiographie bis zu ihrem 40. Lebensjahre und hat außer ihren Tagebüchern im Original auch ihre mündlichen Mittheilungen benutzt. Alle seitdem erschienenen kürzeren Lebensskizzen sind aus meiner Biographie wesentlich entnommen, auch wenn dies nicht erwähnt wird, wie z. B. in der 2. Auflage der Lieder, welche Schlüter aus der Hand gegeben und an einen Zeloten, der sich „R.“ unterzeichnet, abgetreten hat. Dieser gewissenlose Kleriker schreibt meine Biographie aus und verdächtigt sie dann unter dem Texte durch eine dreiste Lüge, und befleckt auf diese Weise die Ausgabe der so reinen, frommen und zarten Lieder. – Außer der erwähnten Sammlung hat H. Kletke eine kleine Sammlung „Gedichte von Luise und Wilhelmine Hensel“ herausgegeben. Berlin, Verlag von Ludwig Raul). Ohne Jahreszahl.