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ADB:Herz, Henriette

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Artikel „Herz, Henriette“ von Ludwig Geiger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 258–260, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Herz,_Henriette&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 06:49 Uhr UTC)
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Herz: Henriette H., geb. zu Berlin am 5. Septbr. 1764, † daselbst am 22. Octbr. 1847. Sie war die Tochter eines jüdischen aus Portugal stammenden, aber lange in Berlin ansässigen Arztes de Lemos, und wurde von diesem, als sie kaum 12 Jahre alt war, mit dem Doctor Markus Herz verlobt, drei Jahre später an denselben verheirathet. Schon vor der Zeit ihrer Ehe, aber namentlich während derselben, erwarb sie sich eine reiche Bildung. Sie lernte viele Sprachen u. a. auch die griechische, übersetzte unter wesentlicher Beihülfe Schleiermacher’s, zwei Bücher aus dem Englischen: Mungo Parks Reise in das [259] Innere von Afrika (Berlin 1799) und Weld’ des Jüngeren Reise in die Vereinigten Staaten von Amerika (Berlin 1800) und durfte in ihrem Alter ohne Uebertreibung von sich sagen: „Es gibt kaum eine Wissenschaft, in welcher ich mich nicht einigermaßen wenigstens umgesehen hätte und einige trieb ich ernst, so Physik und späterhin mehrere Sprachen.“ Aber weder wegen ihres ausgebreiteten Wissens, noch wegen ihres klaren Verstandes verdient sie eine rühmliche Erwähnung, sondern wegen der großartigen Stellung, welche sie in dem gesellschaftlichen Leben ihrer Zeit einnahm. Diese verdankte sie zum großen Theil ihrer wunderbaren Schönheit, welche während ihrer Jugend die Meisten blendete, auch in ihren späteren Jahren Viele anmuthete und erfreute, zum Theil ihrer Leichtigkeit, eine Unterhaltung zu führen, ihrer Fertigkeit, einen Salon zu bilden. So wurde und blieb ihr Haus Jahrzehnte lang Mittelpunkt des geselligen Lebens, Versammlungsort für Diplomaten, Künstler und Schriftsteller, die sich hier trafen und der schönen Herrin des Hauses huldigten. In Folge dessen war sie berechtigt, später zu schreiben: „Ich glaube nicht zu viel zu behaupten, wenn ich sage, daß es damals in Berlin keinen Mann und keine Frau gab, die sich später irgendwie auszeichneten, welche nicht längere oder kürzere Zeit, je nachdem es ihre Lebensstellung erlaubte, diesen Kreisen angehört hätten“. Zu ihren Besuchern und ihren intimeren Freunden gehörte u. a. Prinz Louis Ferdinand, die beiden Brüder Humboldt, Göckingk, Arndt; Frauen, denen sie nahe stand, waren Frau v. Stael, Frau v. Genlis, besonders Dorothea Mendelssohn (später die Frau Friedrichs v. Schlegel), mit bedeutenden Fremden wurde sie bekannt: mit Schiller (1804), Jean Paul (s. dagegen Tieck’s Briefe, III., 257 ff.), Joh. v. Müller, Mirabeau, Gentz und vielen Anderen. Dagegen blieb das Verhältniß zwischen ihr und der berühmten Ort-, Glaubens- und Zeitgesnossin Rahel stets ein sehr kühles (Briefw. zwischen Rahel und Varnhagen, I. 162, II. 109, 157). Zwei ihrer Freundschaftsverhältnisse haben aber besonders viel von sich reden gemacht: das mit Schleiermacher und mit Börne. Ueber letzteres vgl. oben III. S. 165; Börne sah 1819 in Frankfurt, 1827 in Berlin die früher leidenschaftlich geliebte Frau mit wesentlich anderen Empfindungen wieder und lieh seiner Enttäuschung mitunter scharfe Worte. Das Verhältniß mit Schleiermacher gehört zu den idealen Freundschaftsbündnissen, an denen gerade jene Epoche ziemlich reich war. Schleiermacher lernte bei seinem ersten Aufenthalt in Berlin (1790) H. kennen, gleich nach seiner Uebersiedelung dahin (1796) schloß er sich ihr aufs innigste an, vertauschte, als er Berlin verließ (1802) das „Sie“ der Anrede mit dem traulichen „Du“, stand mit ihr, so lange er von Berlin fern war, in regem Briefwechsel, und blieb auch nach seiner Verheirathung (1809) bis an sein Lebensende (1834) ihr ein treuer Berather und Freund. In diese Freundschaft mischte sich keine Liebe und keine Leidenschaft, sogerne sinnlichere Freunde, wie Friedrich Schlegel, eine solche voraussetzten, bedächtigere Rathgeber vorwurfsvoll das Haupt schüttelten, und der Berliner Volkswitz sie karikirte, es war ein inniges, geistiges und gemüthliches Zusammenleben, das niemals eine Trübung oder gar Störung erlitt. H. lehrte den Freund englisch und italienisch, Schleiermacher war ihr Rathgeber in philosophischen und theologischen Dingen; sie setzten sich über Standes- und Parteivorurtheile hinweg und begünstigten die Verbindung zwischen Friedrich Schlegel und Dorothea Veit; er war ihr Trostspender nach dem Tode ihres Gatten, dem sie, so ungleich in Wesen und Alter sie gewesen waren, treu angehangen hatte, sie seine Vertraute in seinem seltsamen Verhältnisse zu Eleonore Grunow; er hätte ihren Beitritt zum Christenthum gern gesehen (1809, Aus Schleiermacher’s Leben, II. 161), aber er wagte nicht ihrer Entscheidung vorzugreifen. Von ihrem äußern Leben ist wenig zu berichten. Nach dem Tode ihres Mannes (1803) mußte sie sich einschränken [260] (vgl. Spalding’s Brief A. Schl. L., III. 331 ff.), manchmal, wie zur Zeit von Preußens Katastrophe, gerieth sie geradezu in Dürftigkeit. Aber aus dieser Lage wurde sie theils durch hülfreiche Freunde, wie Wilh. v. Humboldt, in ihrem hohen Alter durch directes Eingreifen des Königs Friedrich Wilhelm IV. befreit, theils rettete sie sich selbst durch Ertheilen von Unterricht und behielt immer so viel, um Armen thatkräftig beizustehen. Das Anerbieten aber, Erzieherin der Prinzessin Charlotte zu werden, der spätern Kaiserin von Rußland (1805), lehnte sie ab, weil sie den dazu nothwendigen Schritt, den Uebergang zum Christenthum, ihrer Mutter wegen nicht thun mochte; erst nach dem Tode der Mutter ließ sie sich taufen (1817). Kurz darauf unternahm sie, die Reiselustige, die häufig kleinere Touren zu ihren Verwandten, ferner nach Rügen, nach dem Harz, nach Dresden gemacht hatte, wo sie einmal (1810) Goethe nahe trat, eine Reise nach Rom, wo sie zwei Winter verweilte, von dem damaligen Kronprinzen Ludwig von Baiern gefeiert wurde und mit alten und neuen Freunden, besonders den deutschen Künstlern und Gelehrten (Niebuhr, Rückert, W. v. Humboldt) in regstem Verkehr stand. Ueber ihre römischen Eindrücke hat sich ein sehr ausführlicher Brief Februar 1818 an Louise Seidler erhalten (H. Uhde, Erinnerungen von L. S. 2. Aufl., Berlin 1875, S. 155–62), welche schon in Dresden H. kennen gelernt, in München die Bekanntschaft erneuert hatte und in Rom lange mit ihr zusammen war. Von dieser Freundin wird H. schön und würdig charakterisirt (a. a. O. S. 180 ff.); bei ihrer Abreise aus Rom heißt es: „Die edle, schöne H. war der allgemeine Liebling geblieben, viele Thränen flossen ihr nach“. H. war durch die Erfolge, welche sie Jahrzehnte lang in der Gesellschaft gefunden hatte, sehr verwöhnt, daher nicht frei von Einbildung: sie war stolz auf ihre Schönheit, auf die Menge ihrer hochgestellten Freunde, sie mochte, zumal ihre imponirende Gestalt und ihr angeregtes Wesen ihr auch später noch Beachtung sicherten, leicht vergessen, daß sie alt wurde. Aber trotz dieser Mängel war sie eine Frau, die zu den trefflichen gezählt werden muß, voll Berufstreue und Liebe, voll „praktischen Talents, das bis zur Unersättlichkeit geht“ (A. Schl. L., I. 338), voll Lebenslust und Thatkraft. – Von ihren Briefen ist leider so gut wie nichts gedruckt worden; ihre Erinnerungen, nach Erzählungen, die sie in ihrem hohen Alter vorgetragen, von Anderen aufgezeichnet, entbehren nicht selten der rechten Zuverlässigkeit.

Henr. Herz, Ihr Leben und ihre Erinnerungen, herausgegeben von J. Fürst, Berlin 1850 (2. Aufl. 1858). Briefe des jungen Börne an Henr. Herz, Leipzig 1861. Aus Schleiermacher’s Leben in Briefen, besonders Bd. I. u. II., 2. Aufl. Berlin 1860.