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ADB:Kronecker, Leopold

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Artikel „Kronecker, Leopold“ von Moritz Cantor in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 393–395, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kronecker,_Leopold&oldid=- (Version vom 11. Oktober 2024, 23:45 Uhr UTC)
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Kronecker: Leopold K., Mathematiker, geboren am 7. December 1823 zu Liegnitz, † am 29. December 1891 in Berlin. Kronecker’s Vater war Kaufmann und zugleich ein Mann von feiner Geistesbildung, namentlich auf dem Gebiete der Philosophie, der diese seine Neigung auch auf den Sohn vererbte und sie in häuslicher Erziehung wie später durch seine Briefe wach erhielt und förderte. Durch einen Hauslehrer vorbereitet trat Leopold K. in die Vorschule des Conrectors Werner ein, die er dann mit dem Gymnasium vertauschte, an welchem wieder Werner den Unterricht in philosophischer Propädeutik und in christlicher Religionslehre, Kummer den in der Mathematik ertheilte. Beide Männer übten auf K. den nachhaltigsten Einfluß. Werner’s Religionsunterricht, an welchem er, obgleich Jude, theilnahm, gab ihm die Weltanschauung, an der er festhielt und die ihn veranlaßte, später seine Kinder durch die Taufe in die evangelische Kirchengemeinschaft einzureihen, einen Schritt, den er für sich selbst erst in seinem letzten Lebensjahre 1891 vollzog, während er bis dahin aus Gewissensbedenken damit gezögert hatte. Kummer wußte seine mathematische Begabung zu entwickeln, und da ein glücklicher Zufall Lehrer und Schüler an der Universität Breslau abermals in gleicher Stellung vereinigte, da Berlin beiden wiederum, und jetzt als Collegen in der Akademie als Aufenthalt diente, so vertieften sich ihre Beziehungen, aus welchen die innigste Freundschaft geworden war, immer mehr. Schon auf der Schule war Kronecker’s hervorragende mathematische Begabung zu Tage getreten, aber auch in allen anderen Fächern des Gymnasialunterrichts zeichnete er sich aus, und Vielseitigkeit des Wissens blieb ein Vorzug des geistvollen Mannes. Im Frühjahr 1841 bezog K. die Universität Berlin, um unter Dirichlet und Steiner, denen im folgenden Jahre Jacobi sich zugesellte, sich in seiner Lieblingswissenschaft auszubilden; als zweite Universität besuchte er Breslau, wohin inzwischen Kummer als Professor berufen worden war; eine kurze Zeit verbrachte er in Bonn, wo er auch an dem studentischen Leben und Treiben sich betheiligte und zu den Gründern einer burschenschaftlichen Verbindung gehörte, welche man, trotzdem in Berlin die Absicht bestand, dieselbe aufzuheben, ruhig und stillschweigend gewähren ließ, weil sie, mehr als ein Zehntel der ganzen Bonner Studentenschaft und darunter die Fleißigsten und Tüchtigsten umfassend, Professoren wie Naumann, Dahlmann, Nitzsch, Arndt zu ihren Freunden und Beschützern zählte. Den Abschluß von Kronecker’s Studienzeit bildete die mit Auszeichnung bestandene Prüfung als Doctor der Philosophie in Berlin 1845. Anstatt einem Lebensplane zu folgen, der an das Bisherige unmittelbar[WS 1] anknüpfte, mußte K. plötzlich ganz anderen ungewohnten Beschäftigungen sich unterziehen. Der Tod eines Oheims, des Vaters seiner späteren Frau, machte es nothwendig, mit ordnender Hand in die Geldverhältnisse des von diesem hinterlassenen Geschäftes einzugreifen und auch landwirthschaftliche Thätigkeit zu entwickeln, wenn nicht schwere Verluste eintreten sollten. K. wußte sich in die neue Lage aufs Beste zu finden und rettete durch unermüdliche Arbeit der Familie ein nicht unbeträchtliches Vermögen, wiewohl seine Gesundheitsverhältnisse gerade damals nicht immer die besten waren. Im J. 1848 heirathete K. seine Cousine, mit welcher er 43 Jahre in glücklichster Ehe lebte. Ihr Tod am 23. August 1891 ging seinem eigenen nur um vier Monate voraus. Die geschäftliche Thätigkeit Kronecker’s währte bis 1855, ohne ihn jedoch so sehr in Anspruch zu nehmen, daß er auf alle wissenschaftlichen Arbeiten hätte verzichten müssen. Ein fortwährend festgehaltener [394] Briefwechsel mathematischen Inhalts mit Kummer und Anderen beweist ebensosehr das Gegentheil als insbesondere die berühmte Abhandlung über die algebraisch auflösbaren Gleichungen, welche im Mai 1853 bei einer Reise nach Paris Dirichlet in Berlin übergeben, von diesem am 20. Juni der Berliner Akademie vorgelegt wurde. Vom Jahre 1855 an durfte K. sich ganz der Wissenschaft widmen. Er siedelte nach Berlin über und traf dort mit Kummer, mit Weierstraß, mit Borchardt zusammen, in deren Kreis er als geistig ebenbürtiger, ihnen längst durch seine Arbeiten warm empfohlener Mitarbeiter an der Entwicklung der Mathematik eintrat. Die Akademie wählte ihn 1861 zum Mitglied, und in ihren Sitzungsberichten legte er hauptsächlich die Ergebnisse seiner Forschungen nieder. Nach Borchardt’s Tode übernahm K. 1881 die Leitung des Crelle’schen Journals. Endlich wirkte er auch an der Universität, wozu seine Stellung als Mitglied der Akademie ihm das Recht gab. Diese rastlose, K. im höchsten Grade befriedigende Thätigkeit fesselte ihn an Berlin, sodaß er eine 1868 von Göttingen aus an ihn ergangene Berufung ablehnte. Zum Berliner ordentlichen Professor wurde er 1883 ernannt, als Kummer wegen vorgerückten Alters in den Ruhestand getreten war. Die mathematische Bedeutung Kronecker’s in allgemeinverständlicher Weise zu schildern ist um so weniger möglich, als er niemals zu den leicht verständlichen Schriftstellern seines Faches gehört hat. Auch als Lehrer konnte er nur auf verhältnißmäßig wenige Zuhörer einen nachhaltigen Einfluß ausüben, auf diese aber einen um so tieferen. K. war vorzugsweise Algebraiker auf zahlentheoretischer Grundlage. Bis zum Jahre 1832 hatten sich die Zahlentheoretiker nur mit reellen ganzen Zahlen und deren Eigenschaften beschäftigt. In dem genannten Jahre zeigte Gauß, daß es auch eine Zahlentheorie der complexen ganzen Zahlen gebe. Es dauerte wieder über zehn Jahre, bis dieser kühne Gedanke zum Ausgangspunkte von selbständigen Untersuchungen gemacht wurde, und Dirichlet, Kummer, K. theilen sich in die Ehre, jeder für sich solche Untersuchungen angestellt zu haben. K. that es bereits in seiner Doctordissertation De unitatibus complexis von 1845, welche er 1882 unter Hinzufügung einiger bei der ersten Veröffentlichung weggelassenen Schlußparagraphen neuerdings in dem, wie wir wissen, damals unter seiner Leitung stehenden Crelle’schen Journale zum Abdruck bringen ließ. Die Abhandlung von 1853, mit welcher K., wie wir gleichfalls schon gesagt haben, seinen Einzug in die Monatsberichte der Berliner Akademie hielt, ist den Fragen gewidmet, mit welchen Abel, mit welchen Gullois sich beschäftigt hatte, wie eine Gleichung von höherem als dem vierten Grade geartet sein müsse, damit sie die Umwandlung in eine reine Gleichung zulasse? K. kannte damals, wie sehr wahrscheinlich gemacht worden ist, die Arbeiten Gullois’ noch nicht. Um so verdienstlicher ist es, daß er in seinen Ergebnissen über diesen hinausging. Kronecker’s Abhandlung fand gerade in Frankreich den lebhaftesten Beifall, und J. A. Serret nahm 1854 eine Uebersetzung derselben in sein Lehrbuch der Algebra auf. Spätere Arbeiten Kronecker’s beziehen sich auf elliptische Transcendenten, andere auf die Gleichung fünften Grades. Zu den merkwürdigsten Arbeiten gehören die Grundzüge einer arithmetischen Theorie der algebraischen Größen von 1882, welche als Festschrift zu Kummer’s fünfzigjährigem Doctorjubiläum erschienen. K. suchte hier die Algebra als so sehr von der Zahlentheorie abhängig zu schildern, daß überhaupt keine Lehre von den Gleichungen mehr übrig bleibt, sondern ausschließlich Congruenzen zu behandeln sind. Eine Abhandlung von 1886 über den Zahlbegriff erschien in der Festschrift zu Eduard Zeller’s fünfzigjährigem Doctorjubiläum. Der Inhalt ist philosophisch-mathematisch und begegnet sich mit manchen Ansichten Dedekind’s.

[395] Vgl. Heinr. Weber in den Mathematischen Annalen XLIII, 1–25 (Leipzig 1893) und G. Frobenius, Gedächtnißreden auf Leopold Kronecker in den Abhandlungen der Berliner Akademie für 1893.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 'umtttelbar