ADB:Münch, Ernst Hermann Joseph

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Artikel „Münch, Ernst Hermann Joseph“ von Theodor Schott in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 714–716, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:M%C3%BCnch,_Ernst_Hermann_Joseph&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 14:32 Uhr UTC)
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Münch: Ernst Hermann Joseph M., Historiker und Publicist, geb. zu Rheinfelden (Canton Aargau) am 25. October 1798, gest. ebendaselbst am 9. Juni 1841. Den Mangel einer gründlichen Jugendbildung, durch die bescheidenen Vermögensverhältnisse seiner Eltern veranlaßt, suchte er durch eigenes Streben zu ersetzen, doch treten die Folgen dieses Autodidaktenthums in seinen schriftstellerischen Arbeiten häufig hervor. 1816 bezog er die Universität Freiburg i.Br.; die juristischen Studien, welchen er sich widmen sollte, wurden durch seine Neigung und Begabung für geschichtliche und ästhetische Liebhabereien in den Hintergrund gedrängt. Der frische, talentvolle, strebsame Jüngling, dichterisch begabt, glühend für Freiheit und Vaterland genoß unter seinen Mitstudenten ziemliches Ansehen, an der Gründung der Freiburger Burschenschaft war er mitbetheiligt, aber auch angesehene Professoren, litterarische Berühmtheiten wandten ihm ihre Gunst und ihren Schutz zu; enge schloß er sich an Rotteck an, dessen liberale Ideen mit seinem eigenen Freiheitsgefühl übereinstimmten; ebenso trat er mit Luden und Niebuhr in Verbindung: seine Landsleute Usteri, Troxler, Zschokke nahmen sich freundlich seiner an und führten ihn in die litterarische und publicistische Welt ein. Ebenso wichtig war der Einfluß von Wessenberg und andern freigesinnten Katholiken; die Eltern Münch’s waren streng katholisch, seine ersten Lehrer in seiner Heimath theilten dieselbe Richtung, in den nach den Befreiungskriegen beginnenden Streit zwischen der gewaltig aufstrebenden neukatholischen Richtung und den Vertretern der Josephinischen Anschauung wurde er frühe hineingezogen, bestimmend wirkte dies auf seine Lebensschicksale ein. 1819 kehrte er in seine schweizerische Heimath zurück und wurde Substitut der Gerichtschreiberei zu Aarau; das trockene Amt befriedigte ihn sehr wenig, nach einigen Monaten gab er seine Stelle auf, um eine Professur der Geschichte an der dortigen Cantonsschule anzunehmen. Aber pädagogisches Talent, Freude am Unterrichten fehlten ihm, überdies waren ihm [715] die Verhältnisse der kleinen Stadt zu beschränkt, er strebte nach einer umfassenderen Wirksamkeit, glaubte auch eine höhere Stellung vollständig ausfüllen zu können. Eine Sammlung Gedichte (Epopöen, Basel 1819), hatten ihn in einigen Kreisen bekannt gemacht, 1821 begann er die Werke Ulrichs von Hutten gesammelt herauszugeben. So gab er 1822 die ziemlich einträgliche Stelle in Aarau auf und siedelte nach Deutschland über. Aber sein Wunsch, Professor der Geschichte in Freiburg zu werden, erfüllte sich nicht sogleich, erst 1824 erhielt er eine außerordentliche Professur für geschichtliche Hülfswissenschaften daselbst, in demselben Jahre verheirathete er sich auch mit einer Freiburgerin. Eine ungemein reiche litterarische Productivität entwickelte er in diesen Jahren; seine Gabe rascher Auffassung, leichter und fließender Darstellung nutzte er in vollem Maße aus, Gründlichkeit und Zuverlässigkeit litten freilich dabei in bedauerlicher Weise; von seinen Werken aus jener Zeit seien nur erwähnt: „Huttens vollständige Schriften“ Bd. 1–5, 1821–25, „Charitas Pirkheimer“ 1822; „Franz von Sickingen“ 1824–29; „Grundriß der deutschen Alterthumskunde“ 1827; „Olympia Fulvia Morata“ 1827; „Beiträge zur Geschichte Deutschlands“ 1827; „Epistolae obscurorum virorum“ 1827. Dabei war er Mitarbeiter verschiedener Zeitungen, Zeitschriften und Encyklopädien (z. B. Ersch und Gruber), nahm an allem, was das politische Leben Deutschlands bewegte, was die Zeitverhältnisse mit sich brachten, regsten Antheil, so an den griechischen Freiheitskriegen, an den Unabhängigkeitskämpfen in Amerika, an den Concordatsverhandlungen der deutschen Staaten etc. Man kann sagen, beinahe jedes große geschichtliche Ereigniß, welches er erlebte, regte ihn zu einem neuen geschichtlichen Werke an, ohne daß es ihm aber möglich gewesen wäre, über solch verschiedene Gebiete gründliche Studien zu machen; wegen ihres gefälligen Stiles wurden dieselben indessen damals vielfach gelesen, ihre liberalisirende Richtung entsprach den Gesinnungen eines großen Theils des gebildeten Publicums. M., der die Zahl seiner Bekannten geschickt zu vermehren wußte (er zählt selbst auf: Stein, Uhland, Schwab, Görres, Paulus etc.) wurde in den weitesten Kreisen bekannt und genoß eines ziemlichen Ansehens als Publicist und freigesinnter Mann, als unermüdlicher und scharfer Vorkämpfer gegen die hierarchischen Tendenzen der Zeit. 1827 erhielt er von der holländischen Regierung einen Ruf an die seit 1819 bestehende Universität Lüttich als Professor des Kirchenrechts und der Kirchengeschichte; das badische Ministerium machte keinen Versuch, ihn in Freiburg zu halten, Februar 1828 wurde seine Entlassung angenommen; die juridische Facultät in Freiburg verlieh ihm im April 1828 die Doctorwürde honoris causa, Mitte des Jahres traf M. in Lüttich ein. Dort erwarteten ihn die heftigsten Streitigkeiten, die ultramontanen Professoren begrüßten den Collegen als Freigeist, als Feind des Katholicismus; die liberale Partei, schon damals auf die Trennung von Holland hinarbeitend, hielt ihn für einen Parteigänger der holländischen Regierung. Eine lehrende Thätigkeit konnte er unter diesen Umständen nicht entfalten, er war auf historische Studien („Geschichte des Hauses Nassau-Oranien“ 1832–34), die Erörterung von Tagesfragen („Sammlung alter und neuer Concordate“ 1830–31, „Das Großherzogthum Luxemburg als integrirender Theil des deutschen Bundes“ 1831) und Zeitungscorrespondenzen (Augsburger Allgemeine Zeitung, Aletheia, Journal de Liège) angewiesen. Die heftige Polemik, welche sich zwischen ihm und seinen Gegnern entspann, machte seine Stellung in Lüttich unhaltbar, selbst seine persönliche Sicherheit schien dort gefährdet. Frühjahr 1829 nahm er deswegen die Stelle eines Staatsbibliothekars im Haag an; seine offene Mißbilligung der belgischen Revolution, in welcher er nur den Sieg der aristokratisch-pfäffischen und demokratischen Partei sah, gab seinem Ansehen unter seinen bisherigen liberalen Gesinnungsgenossen einen starken Stoß. [716] Noch heftiger wurden die Vorwürfe, er habe seine liberalen Principien verläugnet, als er in württembergische Dienste trat. Da seine Anstellung an der öffentlichen Bibliothek oder am Archiv unthunlich war, wurde er am 6. Oct. 1831 zum Bibliothekar der Königlichen Handbibliothek mit dem Titel: Geheimer Hofrath ernannt mit dem Nebenauftrag, in die Stuttgarter Zeitung, später in die Allgemeine Zeitung und andere auswärtige Blätter Correspondenzen im Interesse der Regierung zu liefern. Seine geschichtlichen Arbeiten nahmen daneben ihren ununterbrochenen Fortgang; es erschienen u. a.: „Die Fürstinnen des Hauses Burgund-Oesterreich in den Niederlanden“ 1832; „Allgemeine Geschichte der neuesten Zeit“ 1832–35; „Paolo Sarpi“ 1838; „Mahmud II., Padischah der Osmanen“ 1839; „Denkwürdigkeiten zur Geschichte der Häuser Este und Lothringen“ 1840. In seiner Hofstellung blieb er, bis am 9. Juni 1841 in Rheinfelden auf einer Reise ein Schlagfluß sein Leben endete; seine Gattin hatte er 2 Monate vorher verloren; er hinterließ 4 Kinder, 2 Knaben und 2 Mädchen. M. gehört zu den Schriftstellern, welche rasch sich Ansehen erwerben, eine Zeit lang viel von sich reden machen und eine bedeutende Thätigkeit entfalten, um eben so rasch wieder der Vergessenheit und Nichtbeachtung anheimzufallen. Die glücklichen Gaben einer leichten Auffassung und raschen Wiedergabe, großen Fleißes und geschickter Darstellung, verbunden mit einem frischen einnehmenden Wesen hatten ihm frühe eine Bedeutung verschafft, welche mit der Mangelhaftigkeit seiner Kenntnisse und seiner Studien in schneidendem Contraste stand, litterarisch machte er sich an Aufgaben, welchen er nicht gewachsen war, ohne Rast und Ruhe eilte er von einem Gegenstande zum andern, Unzuverlässigkeit und Unbrauchbarkeit waren die natürlichen Folgen dieser Ueberproduction. Außer den schon erwähnten Schriften sind noch zu nennen: „Die Heerzüge des christlichen Europa wider die Osmanen“ 1822–26; „Die Schicksale der alten und neuen Cortes in Spanien“ 1826–27; „Geschichte von Columbien“ 1828; „Geschichte des Hauses und Landes Fürstenberg“ 1829–32; „C. Rotteck“ 1831; „H. Zschokke“ 1831; „Frauencharaktere aus alter und neuer Zeit“ 1841–42. Ueber sein eigenes Leben hat er in seinen Denkwürdigkeiten 1832 und Erinnerungen 1841 und 42 berichtet; diese sowie der Neue Necrolog der Deutschen 1841, I. 568 ff. und eine schriftliche Privatmittheilung bilden die Quellen vorliegender Biographie.