ADB:Murner, Thomas

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Artikel „Murner, Thomas“ von Ernst Martin in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 67–76, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Murner,_Thomas&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 02:17 Uhr UTC)
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Murner: Thomas M., elsässischer Satiriker der Humanisten- und Reformationszeit. Ueber Lebensgang und litterarische Thätigkeit des unstäten Mannes sind wir nur unvollkommen unterrichtet: seine eigenen Angaben sind ebenso wenig durchaus zuverlässig wie die seiner Gegner. Zweifelhaft ist schon sein Geburtsort. Er selbst nennt sich einen Straßburger; aber Wimpfeling bezeichnet ihn in einem Briefe als aus Oberehnheim gebürtig, und obwol beim Drucke dieses Briefes die bezügliche Stelle unterdrückt worden ist, so erhält sie doch eine Bestätigung dadurch, daß, wie wir sicher wissen, Murner’s Vater Matheus M. erst 1482 das Straßburger Bürgerrecht erkauft hat und bei dieser Gelegenheit als von Oberehnheim gekommen bezeichnet wird. Als Geburtsdatum läßt eine Spottschrift gegen M. (M. Leviathan) diesen selbst den 24. December 1475 angeben. Der Vater, welcher die Stelle eines Fürsprech bekleidete, starb 1506. Er hinterließ außer Thomas noch mehrere Kinder, von denen Johannes 1525 im Dienste des Herzogs Anton von Lothringen steht und als Verfasser eines Gedichts von eelichs stadts nutz vnd beschwerden sich nennt, in einem Einzeldruck o. O. u. J., dessen Ausstattung mit der der Narrenbeschwörung von M. große Aehnlichkeit hat. Sixtus und Beatus M. (s. o.) erscheinen als Drucker zu Frankfurt nach 1510. Eine Schwester, Marie, war von vornehmen Geistlichen verführt worden: ein Proceß, den Johannes M. gegen diese anstellte, endigte erst 1522. M. trat 15jährig in das Minoritenkloster, mit 19 Jahren empfing er die Priesterweihe. Er studirte um 1495–1497 in Freiburg, wo er sich besonders an den Poeten Jacob Locher anschloß. Er ging dann nach Paris, und nachdem er sich nochmals in Straßburg und Freiburg aufgehalten hatte, nach Krakau, wo er Baccalaureus der Theologie wurde. Auch die Universitäten [68] Köln, Rostock und Prag besuchte er. Nach Straßburg zurückgekehrt, begann er 1502 die erste litterarische Fehde, welche seinen Namen bekannt machte.

Allerdings schon 1499 war seine Erstlingsschrift erschienen, eine „Invectiva contra astrologos“, gegen die Unglücksweissagungen, welche Kaiser Maximilian für den damals ausgebrochenen Krieg gegen die Schweizer erhalten hatte. Eine zweite Schrift zeigt M. noch befangen im Aberglauben seiner Zeit, der „Tractatus perutilis de phitonico contractu“. M. erzählt, daß er als Kind verhext worden sei und nur durch Gegenzauber seine Gesundheit wieder erlangt habe. Beide Schriften hat er einem Schüler zugeeignet, dem Baron Wernher v. Mörsberg und Befordt, der seinem Lehrer auch als einziger Bundesgenosse im Streite gegen Wimpfeling zur Seite trat.

Dieser Streit ist quellenmäßig dargestellt in der „Germania von Jacob Wimpfeling, übersetzt und erläutert“ von dem Unterzeichneten, Straßburg 1885. Wimpfeling hatte im J. 1500 sein akademisches Amt in Heidelberg niedergelegt und war nach Straßburg gekommen. Hier suchte er, einem besonders von Geiler gehegten Wunsche gemäß, den Stadtrath zur Errichtung einer humanistischen Schule zu bewegen, welche die für die Universität noch nicht herangereifte Jugend namentlich durch die Lectüre classischer lateinischer Autoren weiter bilden sollte. Ausführlich legte Wimpfeling diesen Plan vor in einer lateinischen Schrift, mit einer deutschen Uebersetzung, die erst 1648 durch Moscherosch gedruckt worden ist. Die lateinische Schrift betitelte Wimpfeling „Germania“, weil er dem eigentlichen Gegenstand noch eine Erörterung über die Deutschheit des Elsasses vorausgeschickt hatte. Er sprach von der Absicht der Halbfranzosen (semigalli), die Stadt Straßburg dem deutschen Reiche zu entfremden, dem doch das Elsaß von jeher angehört habe. Habe doch bereits Cäsar germanische Völkerschaften, die Triboker etc. hier angesiedelt gefunden, und so seien auch wieder die Karolinger schon Deutsche, nicht Franzosen gewesen. Die Germania war Ende 1501 erschienen und von Wimpfeling’s Schülern mit begeisterten Lobsprüchen begleitet, vom Rath mit einem Geschenk belohnt worden.

Bald darauf hörte Wimpfeling von einer Gegenschrift, welche M. vorbereitet habe. Am 17. Februar 1502 überschickte ihm M., der inzwischen Wimpfeling besucht und bei ihm freundliche Aufnahme gefunden hatte, das Manuscript dieser Gegenschrift; aller Streit sollte getilgt und vergessen sein. Allein er ward aufs neue angefacht durch eine Erörterung, die eigentlich Geiler betraf. M. beschwerte sich bei Geiler darüber, daß dieser sein juristisches Kartenspiel öffentlich verspottet habe. In Geiler’s Auftrag antwortete Wimpfeling am 26. Juli, daß es jenem nicht eingefallen sei über M., den er kaum dem Namen nach kenne, zu spotten; einige weitere Ermahnungen, zu denen sich der 50jährige Wimpfeling dem halb so alten M. gegenüber wol berechtigt glaubte, erklärte dieser später für Beleidigungen. So ließ denn M. seine „Germania nova“ erscheinen, in Verbindung mit einer Rede, die er in Solothurn vor dem Ordenscapitel am 12. Juni gehalten hatte. Von Wimpfeling’s Gründen beachtete er nur die nebenbei vorgebrachten: ein unglücklich gewähltes elsässisches Sprichwort, das Stadtwappen Straßburgs etc. Hier schenkte er z. B. dem Gegner nicht, daß dieser von einem Diameter des Wappenschildes gesprochen hatte, während dies doch kein Kreis sei. Die von Wimpfeling als Zeugen vorgebrachten Schriftsteller der älteren und der neueren Zeit wies er kurz mit dem höhnischen Sprichwort ab: wer von sieben sagt, der lügt. Perfid deutet er an, daß Wimpfeling die Gesandten des Raths als semigalli, als Verräter bezeichnet habe. M. selbst will freilich nur von christlicher Wahrheitsliebe zu seiner Schrift veranlaßt worden sein: die Straßburger sollten nur nicht etwa, um dem angeblichen Anspruche der Franzosen zu entgehen, als Lügner dem Scepter des Teufels anheimfallen.

[69] Auf die Germania nova antwortete Wimpfeling durch eine Declaratio ad mitigandum adversarium und fügte hier zu den historischen Gründen für die Deutschheit des Elsasses die nationalen hinzu, welche in der Volkssprache, in den Ortsnamen, ja in der Sprache der Urkunden seit 1000 (später sagt er vorsichtiger 800) Jahren vorlägen. Aber er forderte auch seine zahlreichen Schüler auf für ihn einzutreten und sie thaten es, indem sie theils witzig, theils plump Murner’s Unwissenheit, Eitelkeit und Frechheit schalten und verspotteten.

M. war nicht der Mann darauf zu schweigen. Seine Replik trug den etwas irreführenden Titel „Honestorum poematum condigna laudatio impudicorum vero miranda castigatio“. Er faßte seine Gegner unter einem N zusammen, den er als kraftlosen, schmähsüchtigen Greis darstellt, als vorgeblichen Theologen, welcher doch über den philologischen Kleinkram (grammatellica) nicht hinausgekommen sei. Er selbst ist der völlig ohne Schuld angegriffene. Seine bissigen Ausfälle kleidet er übrigens in eine Fülle von Citaten aus dem heiligen Augustin. Später hat er diese letzteren theilweise wiederholt in der an Locher 1509 gerichteten Schrift „De Augustiniana Hieronymianaque reformatione poetarum“, einem sonderbaren Versuch zwischen den kirchlich strenger gesinnten älteren Humanisten und den jüngeren Poeten eine Mittelstellung einzunehmen.

Die politische Tendenz der Germania nova war inzwischen nicht unbemerkt geblieben. Der Straßburger Rath verbot sogleich den Verkauf der Schrift und wiederholte dies Verbot 1503 auf die Mahnung des Kaisers Maximilian. Die überaus selten gewordene Germania nova ist jetzt durch den Neudruck, Genf und Straßburg 1874, leicht zugänglich. Wie sehr man im Elsaß Murner’s Vorgehen gegen Wimpfeling mißbilligte, zeigte sich noch zu Beginn der Reformationsstreitigkeiten; auch die Verdrehung seines Namens in Murnar, welche 1502 zuerst aufgebracht worden war, blieb an ihm haften.

Innerhalb seines Ordens aber erfreute er sich eines gewissen Ansehens. Er predigte 1503 zu Eßlingen, 1505 zu Ueberlingen und hier vor Kaiser Max, der ihn als Poeten krönte. In der Zuschrift des Franziskanergenerals, welche ihm die Annahme des Lorbeers gestattete, wird als besonderes Lob ihm zugesprochen, daß er veterum poetarum (etsi infidelium) dogmata in res theologas commutare pflege. Durch die beigefügte Einladung zum Generalcapitel in Rom berichtigt sich das Datum dieses Briefes, welches im Druck als 26. September 1506 angegeben ist, auf 1505.

Am 27. März 1506 ward M. in Freiburg Doctor der Theologie. 1507 finden wir ihn wieder in Krakau, wo er sein „Cartiludium logicae“ veröffentlichte. Er hatte seine Methode, die Logik durch ein Kartenspiel zu lehren, anfangs geheim gehalten, war darüber als Zauberer vor die Universitätsbehörde citirt, aber nach Mittheilung seines Geheimnisses belobt und belohnt worden. Diese Methode hatte er vermuthlich in Paris kennen gelernt, wo Lefèvre d’Etaples die Arithmetik auf dieselbe Weise vortrug. M. hatte sie auch auf die Metrik übertragen und in seinem „Ludus studentum Friburgensium“, Frankfurt 1511, Schach-, Brett- und Roulettespiel in diesem Sinne verwerthet. Noch 1518 ließ er zu Straßburg ein „Chartiludium Institute summarie“ erscheinen. Die einzelnen zu diesem juristischen Kartenspiel gehörigen Karten sind noch in einem Exemplar zu Basel vorhanden: s. L. Sieber, Beiträge zur vaterländischen Geschichte, herausgegeben von der historischen Gesellschaft zu Basel, 1876, S. 273 ff.

1508 kehrte er nach Freiburg zurück, um Universitätsvorträge über Virgil zu halten. Aber noch in demselben Jahre verwies ihm der Senat die Ausfälle gegen die Münstergeistlichkeit, welche er auf der Kanzel sich hatte zu Schulden kommen lassen: s. Schreiber, Geschichte der Universität Freiburg, I. 167. 1509 war er in Worms, wo er König Maximilian von seinem Plane zur Narrenbeschwörung [70] unterhielt. Dann eilte er nach Bern, wo gerade der Proceß gegen die vier Dominicaner verhandelt wurde, welche einen schwachsinnigen Laienbruder, den Schneider Jetzer, durch vorgespiegelte Visionen zur Aussage gegen die unbefleckte Empfängniß Mariae hatten gebrauchen wollen. Eine Geschichte des Processes ward von M. unter dem Titel „De quattuor heresiarchis ordinis Praedicatorum de Observantia nuncupatorum“ (Observanz ist die strengere Regel) und in deutschen Reimen „Von den fier ketzern prediger ordens der observantz“, Straßburg 1509, veröffentlicht.

1510 war M. Guardian zu Speier. 1511 predigte er zu Frankfurt. Eine dieser Predigten gab er in lateinischem Auszug als „Arma Patientie“ heraus. Patientia ist sein Wappenspruch. In Frankfurt nahm er auch die Gelegenheit wahr hebräisch zu lernen und veröffentlichte zwei Schriften mit übersetzten jüdischen Gebeten: „Ritus et celebratio phase (= pasche) iudeorum“ und „Benedicite iudeorum“.

Gleichzeitig ergriff er nun auch die ihm am meisten zusagende Dichtgattung, die satirische. Frei von dieser Auffassung ist allerdings noch das 1514 zu Straßburg veröffentlichte Gedicht „Ein andechtig geistliche Badenfart“, verfaßt, als er eine Erkältung, die Folge einer winterlichen Rheinfahrt auf dem Wege nach Frankfurt, in einem Maienbad ausheilte. Dagegen herrscht die Satire völlig in „Der schelmen zunfft“, Frankfurt 1512, facsimilirt in „Deutsche Drucke älterer Zeit in photolithographischer Nachbildung, ausgewählt von W. Scherer“, Berlin 1881; ferner in der „Narrenbeschweerung“, Straßburg 1512, von G. Wickram umgearbeitet Str. 1556, neue Ausgabe mit Einleitung von Goedeke, Leipzig 1879; in „Die Mülle von Schwyndelsheim und Gredt Müllerin Jarzeit“, Str. 1515, Neudruck durch Albrecht in den Straßburger Studien 2, 1 ff.; endlich in „Die geuchmat“, Basel 1519, neu herausgegeben in Scheible’s Kloster VIII. Das letztgenannte Werk war schon 1515 zu Straßburg der Druckerei Hupfuff übergeben, aber der Druck hier verboten worden, weil die Franziskaner behaupteten, daß sie darin besonders stark mitgenommen würden.

Weitergehende Streitigkeiten mit seinen Ordensbrüdern sind bezeugt durch eine Protestation Murner’s vom 18. August 1515: s. Röhrich in der Zeitschrift für historische Theologie, 1848, S. 588 ff. Er berichtet darin, daß er auf dem Ordenscapitel zu Nördlingen (im Juli 1513) zum Guardian des Klosters zu Straßburg ernannt, aber vom Provincial vor mehr als einem Jahre abgesetzt worden sei. Man habe ihn angeklagt mehr als 500 Pfund aus der Kasse des Convents verschwendet zu haben, während er doch für alle Ausgaben habe Rechnung ablegen können. Der wahre Grund der Feindschaft seiner Klosterbrüder, welche ihm sogar mit Ermordung gedroht hätten, liege vielmehr darin, daß zur Zeit seines Guardianats mehrere Beamte des Ordens abgesetzt worden seien, und er, obschon ganz unschuldig, dafür verantwortlich gemacht worden sei.

Als M. diese Protestation erließ, war er eben aus Italien zurückgekehrt. Von einem Aufenthalte in Bologna und Venedig berichten auch die späteren Streitschriften gegen ihn. Am 15. August 1515 widmete er von Straßburg aus Kaiser Maximilian die Uebersetzung der Aeneis’ „Vergilii Maronis dryzehen Bücher von Troianischer zerstörung vnd vffgang des Römischen reichs“. Auch fiele wol in diese Zeit, wenn sie wirklich von M. herrühren sollte, die Abfassung des Till Eulenspiegel, welcher nach einem Straßburger Druck von 1519 mit werthvollen Untersuchungen neu herausgegeben ist von J. M. Lappenberg, Leipzig 1854, nach einem von 1515 in den Neudrucken, Halle 1885. Die Annahme, M. habe den Eulenspiegel aus dem Niederdeutschen übersetzt (denn nur darum kann es sich hier handeln), beruht auf einer Angabe in Ain schöner dialogus … zwischen aim pfarrer vnd aim schulthayss (Scheible, Kloster VIII, S. 318), [71] welche außer anderen, sicher von M. herrührenden Büchern ihm auch den Vlenspiegel zuschreibt. Entscheiden könnte nur eine sprachliche Untersuchung.

Am 30. November 1515 kündigte M. in Trier den Studenten seine Uebungen über die Institutionen an und versprach vermöge seines Kartenspiels ihnen den Gegenstand in vier Wochen beizubringen. Auch von hier schied er nicht in Frieden, wenn wir dem M. Leviathan glauben dürfen. Diesmal könnte freilich seine Theilnahme für Reuchlin, die in den Epist. Obscur. virorum (ed. min. Boecking, p. 169 sqq. und 197) erwähnt wird, ihm Feindschaften zugezogen haben.

Er kehrte wol zunächst nach Straßburg zurück. 1518 aber ließ er sich an der Universität Basel immatriculiren, um die Rechte zu studiren. Vor dem 5. April 1519 ward er Licentiat der Rechte; als solcher veröffentlichte er zu Basel eine Uebersetzung der „Instituten ein warer ursprung vnnd fundament des keyserlichen rechts“; schon 1518 hatte er „Utriusque iuris tituli et regule … in Alemanicum traducti eloquium“ erscheinen lassen. Jene Uebersetzung wiederholte er zu Straßburg 1521 unter dem Titel „Der keiserlichen stat rechten ein ingang vnd wares fundament. Meister vnd rädten tütscher Nation gegabet vnd zu gefallen vertütschet“. Inzwischen hatte er sich auch den juristischen Doctorhut erworben, trotz der abmahnenden Briefe, welche Zasius von Freiburg aus an seine Fachgenossen in Basel schrieb. M. wollte seinen Feinden zum Trotz die Feierlichkeit mit dem vollsten Glanze begehen und schrieb deshalb an den Straßburger Rath, ihm dazu in üblicher Weise die Pfeifer der Stadt Straßburg zu schicken. Am 11. März 1519 mußte er freilich diese Bitte zurückziehen: s. den Abdruck dieses Briefes durch Th. v. Liebenau im Baseler Jahrbuch von Boos I, 1879, S. 100. Vielleicht nicht ohne Bezug auf diese Vereitelung seines Wunsches widmete er seine am 5. April fertig gedruckte „Geuchmat zu straff allen wybschen mannen … der löblichen Statt Basel zuo eyner letz“ als Abschiedsgeschenk.

Er ging nach Italien, muß aber bald nach Straßburg zurückgekehrt sein, wo er 1521 sich als lector et regens fratrum minorum unterzeichnet. Hier in Straßburg ließ er auch, noch 1519, seine Uebersetzung des Buches von Ulrich v. Hutten „von der wunderbarlichen artzney des holtz Guaiacum“ erscheinen (neu gedruckt in Hutten’s Werken von Böcking 5, 397 ff.).

In diese Zeit fällt sein erstes Eintreten in die litterarischen Streitigkeiten, welche sich an Luther’s Reformation anschlossen. M. erwarb sich bald eine hervorragende Stellung unter den Bekämpfern der Reformation, namentlich insofern, als er ganz besonders das Ziel des Spottes und Hohnes wurde, womit die Freunde der Reformation deren Gegner angriffen. Nicht ohne Ursache trat er hier in den Vordergrund: hatte man doch eine ganz andere Parteinahme gerade von ihm erwartet, der ja die unhaltbaren Zustände der alten Kirche so schonungslos aufgedeckt, der vor allem in seinen Schriften über den Berner Handel das Klosterleben in so grellem Lichte hatte erscheinen lassen. In der That scheint M. die ersten Schritte Luther’s beifällig aufgenommen und nach seiner Art diesem Urtheil auch öffentlichen Ausdruck gegeben zu haben. Er übersetzte Luther’s Schrift „Von der babylonischen gefengknuss der Kirchen“, 1520, allerdings ohne seinen Namen zu nennen, wie er auch seine noch 1520 beginnende Polemik gegen Luther anfänglich anonym führte. Später behauptete er freilich, daß jene Uebersetzung nur den Zweck gehabt hätte, Luther in seinem wahren Wesen bekannt zu machen und so zu bekämpfen. Noch die erste Gegenschrift gegen Luther: „Ein christliche und briederliche ermanung an den hochgelerten doctor M. L.“ vom 9. November 1520 ist schonend gehalten. Aber bald geht er zu leidenschaftlichem Ausdrucke über und bezeichnet Luther in einer Streitschrift gegen [72] dessen Aufruf an den deutschen Adel als den wiederauferstandenen Catilina, der bürgerlichen Aufruhr und den Niedergang seines eigenen Vaterlandes herbeiführen werde. Hier gibt er an, daß der Name des Verfassers, obschon nicht veröffentlicht, doch dem Bischof von Straßburg bekannt sei. Dagegen „Ain new lied von dem vndergang des Christlichen glaubens jnn Bruder Veiten thon“ (abgedruckt bei Scheible, Kloster VIII, S. 677) läßt er schon mit der Angabe „Doctor Murner’s“ erscheinen.

Bald beginnen die Erwiderungen der Gegner. Zwar Luther selbst würdigte M. nur einmal einer noch dazu nebenbei gegebenen Antwort in der Schrift „Auff das vbirchristlich übirgeystlich vnd übirkunstlich buch Bock Emssers zu Leyptzk antwort D. M. Luthers, darinn auch Murnars seins gesellen gedacht würt“, 1521. Aber in Straßburg selbst ließ man sich die Gelegenheit nicht entgehen, M. mit seinen eigenen Waffen anzugreifen. Besonders auszuzeichnen sind von diesen Satiren „Karsthans“, noch 1520 erschienen und für das Volk bestimmt, und vom Jahre 1521, lateinisch abgefaßt, „Murnarus Leviathan“ von Raphael Musaeus, worin der Verfasser, natürlich ein Pseudonym, angibt, daß er mit M. in Basel, Frankfurt, Trier freundschaftlich verkehrt habe, und manche Einzelheit aus seinem Leben, freilich wol mit spottender Entstellung, mittheilt. Beide Satiren hat Scheible, Kloster 10, 219 ff., 321 ff. neu abgedruckt. Die Darstellung Murner’s, der als bissiger, fauchender Kater im Karsthans auftritt, ist dann von ihm selbst aufgenommen worden.

Er richtete gegen seine ungenannten Gegner am 8. März 1521 eine Protestation, welche Röhrich in der Zeitschrift für historische Theologie 1848, 598 ff. wieder bekannt gemacht hat. M. bekennt sich hier zu sechs Schriften gegen Luther, denen noch 26 andere folgen sollten.

Aber erst im Herbst 1522 trat er wieder mit antilutherischen Schriften hervor: diesmal mit einer Uebersetzung des Buches von König Heinrich VIII. von England über die Sacramente; er fügte hinzu: „Ob der künig uß engelland ein lügner sey oder der luther“ (wieder abgedruckt bei Scheible 4, 893 ff.).

Weit heftiger und mit aller Kunst der Dichtung, die ihm zu Gebote stand, bekämpfte M. die Reformation in dem Gedicht „Von dem großen Lutherischen Narren wie in doctor Murner beschworen hat“, Straßburg 1522 im December (abgedruckt bei Scheible 10, 1 ff. und von H. Kurz, Zürich 1848). Seine Ausfälle entschuldigt er mit den Angriffen der Gegner. Ihm selbst ward in der Novella (Abdruck bei Scheible 8, 675 ff. und bei Goedeke, Pamphilus Gengenbach, S. 262 ff.) die entsprechende Erwiderung. Der Straßburger Rath verbot den Verkauf des Murner’schen Gedichts, wie er schon früher gegen M. in ähnlicher Weise vorgegangen war.

Vielleicht trugen diese Erfahrungen dazu bei, daß M. sich 1523 nach England begab, in der von einem Unberufenen (Lappenberg, Ulenspiegel, S. 422) erweckten Hoffnung, dort bei Heinrich VIII. gut aufgenommen zu werden. Der König beschenkte ihn allerdings und gab ihm am 11. September ein Empfehlungsschreiben an den Straßburger Rath. M. reiste mit der von Heinrich VIII. an den Reichstag in Nürnberg geschickten Gesandtschaft zurück, war aber Ende 1523 wieder in Straßburg.

Hier waren inzwischen die reformatorischen Bewegungen fortgeschritten und selbst die Klöster wurden davon ergriffen. Im November richtete M. mit anderen Klosterbrüdern an den Rath die Anzeige, daß sie wünschten sich wie weltliche Geistliche zu kleiden und zu halten, und trotzdem der Provinzial widerstrebte, legte M. in der That am 12. März 1524 sein Ordenskleid ab. Am 29. März aber (Polit. Corresp. v. Straßburg, S. 89) begab er sich nach Zabern zum Bischof und reiste, mit dessen geheimen Aufträgen versehen, zum Cardinal Campeggi nach [73] Nürnberg. Die Straßburger Gesandten begegneten seinen Anklagen und M. kehrte nach Straßburg zurück. Hier nahm er das Ordenskleid wieder an, gerieth aber nun in neue Streitigkeiten nicht blos mit den lutherischen Prädicanten, sondern selbst mit seinen Klosterbrüdern. Er beschuldigt diese später, einen Aufruhr des Volkes gegen ihn begünstigt zu haben, das ihn zwar nicht persönlich, weil er gerade von Straßburg abwesend war, wol aber sein Eigenthum beschädigt habe; insbesondere sei ihm ein wichtiges Manuscript über sein Verhältniß zum Könige von England entwendet worden. Diese Klagen richtete er von Oberehnheim aus an den Rath zu Straßburg; die bezüglichen Briefe sind von Strobel, Beiträge zur deutschen Litteratur 1827, S. 65 ff. abgedruckt worden. Als nun der Rath die Verwaltung der Klostereinnahmen an sich zog, verlangte M. die Rückgabe des von ihm für sein Kloster aufgewendeten Geldes, erklärte sich aber zu Straßburg am 14. August 1526 mit einer jährlichen Pension von 52 Gulden für abgefunden.

Inzwischen war er nach Luzern übergesiedelt. Aus Oberehnheim hatte er im April oder Mai 1525 sich vor den Drohungen der aufständischen Bauern nur durch die Flucht in Laienkleidern retten können. In Luzern ward er freundlich aufgenommen, zum Pfarrer bestellt und konnte nun von neuem gegen die Reformation auftreten. Zwar die Straßburger Prediger zu schonen hatte er bei der Zusicherung der Pension versprechen müssen. Um so mehr wendete sich seine Polemik gegen die Reformatoren in der Schweiz, insbesondere in Zürich. Er richtete selbst eine Druckerei in Luzern ein und wechselte zunächst mit Utz Eckstein mehrere Streitschriften. Dieser stellte in seinem Concilium, Ende 1525, und dem Reichstag, 1526 (Abdruck in Scheible’s Kloster 8, 705. 827) Murner’s Treiben in dramatischer Form dar; M. antwortete mit lateinischen Abhandlungen. Eine besondere Gelegenheit sich geltend zu machen gewährte ihm das Religionsgespräch zu Baden im Mai 1526, wo er neben Eck auftrat und den nicht erschienenen Zwingli vierzigmal für ehrlos erklärte. Zwingli’s Vorwurf, daß er noch von keinem Orte in Ehren geschieden sei, hatte M. besonders übel genommen.

M. besorgte auch, im Auftrag der katholischen Kantone, die Publication der Acten des Badener Religionsgesprächs, welche im Mai 1527 erschienen. Schon Ende 1526 hatte er „Der lutherischen evangelischen Kirchendieb und Ketzer kalender“ veröffentlicht, in welchem die Heiligenreihe eröffnet wird durch Judas, Luther und Manicheus (s. den Abdruck bei Scheible 10, 201 ff.). Gegen die Berner richtete er „Des alten christlichen beeren Testament“, 1528. Als nun am 24. Juni 1529 zwischen Zürich und den katholischen Orten der Friede zu Stande kam, wurde bestimmt, daß M. sich zu Baden vor Gericht stellen, daß Bern und Zürich die Richter wählen, Luzern aber den Spruch ausführen solle. M. entfloh; auf die Klage der Schweizer entzog ihm nun auch der Rath zu Straßburg seine Pension. Er fand eine Zuflucht beim Pfalzgrafen zu Heidelberg. Von dort schrieb Frecht an Bucer am 21. Februar 1530 (s. Straßburger Studien 3, 146), daß M. ehrenvoll entlassen worden sei, nachdem er scheinbar zu juristischen Vorlesungen, aber dem Gerüchte nach als Berather bei einer Schatzgräberei auf dem alten Schlosse nach Heidelberg berufen worden war.

Erst 1533 ist M. wieder nachweisbar und zwar wieder in Oberehnheim. Er war dort Pfarrer an der Kirche St. Johann. Ein Ansuchen von Luzern 1535, die Leitung der dortigen Schule zu übernehmen, lehnte er ab. Seine letzte litterarische Arbeit, welche handschriftlich zu Karlsruhe sich befindet, ist 1532 datirt, eine Uebersetzung der Weltgeschichte (Enneades) des Sabellicus. Er starb 1537; wie in einem 1577 geführten Proceß erwähnt wird, hat er „sein [74] end wunderbarlich genommen“ (Gyß, Hist. d’Obernai 2, 429). Gern wüßte man Näheres darüber.

Verweilen wir noch bei Murner’s Bedeutung als Schriftsteller. Von seinen zahlreichen Büchern dürfen die lateinischen Prosaschriften kaum einen selbständigen Werth beanspruchen. Sie dienen meist seinen endlosen Streitigkeiten, und wenn man ihrem Verfasser auch ein großes Advocatengeschick nicht absprechen wird, so zeigen sie doch, daß seine sachlichen Kenntnisse mangelhaft und seine Grundanschauungen oberflächlich waren. Als Theologen beurtheilt ihn Schmidt, Hist. litt. 2, 259 ff. sehr ungünstig. Von den Lehrbüchern haben die juristischen durch R. Stintzing, Geschichte der populären Litteratur des römisch-canonischen Rechts in Deutschland, Leipzig 1867, S. 472 folgende Beurtheilung erfahren: „Murner’s gesammte Thätigkeit in der Jurisprudenz stellt sich uns dar, nicht sowol als eine hülfreiche für die Bedürfnisse des Lebens und die Noth der ungelehrten Praktiker, sondern als die gemeine Art nach Ruhm und Popularität zu haschen durch servile Dienstleistung für die Masse derjenigen, deren Trägheit vor ernster Anstrengung zurückschreckte, in einer Zeit, welche schon höhere Anforderungen stellen durfte.“ Am meisten läßt Stintzing noch die Uebersetzung der Institutionen gelten, die er treu, aber auch sclavisch treu nennt. Unter den Werken Murner’s, welche als Lehrmittel Spiele heranziehen, hat das „Cartiludium logicae“ allerdings noch einen bewundernden Herausgeber gefunden in Joa. Balesdens, Paris 1629. Wol für alle lateinischen Schriften Murner’s gilt das Urtheil Schmidt’s 2, 265, daß seine Darstellung souvent confuse et contradictoire sei. Geradezu fehlerhaft nennen die Schüler Wimpfeling’s das Latein Murner’s und sie bringen auch Beweise dafür. Aber zur rechten Zeit gewinnt M. immer wieder die Aufmerksamkeit des Lesers durch ein scharfes Urtheil über Persönlichkeiten, durch Witze jeder Art, die er übrigens gelegentlich auch seinen Gegnern einfach abborgt.

Murner’s litterarischer Ruhm beruht auf seinen deutschen Gedichten, insbesondere seinen Satiren. Denn wo er harmlos ist, wird er auch leicht langweilig. So in der Badenfahrt, deren Allegorie, an ein Geschäft des gemeinen Lebens anknüpfend, Geiler nachahmt, aber weit entfernt bleibt von Geiler’s warmer, gemüthvoller Deutungsweise. Doch hat er gerade in diesem Gedichte einige wirklich empfundene Stellen, insbesondere am Schluß, wo er das Straßburger Münster preist und erzählt, daß er aus der Fremde, nach dem Rathe seines nun verstorbenen Vaters, jedem nach Straßburg Ziehenden einen Gruß an die Jungfrau Maria, die Schutzpatronin des Münsters, aufzutragen pflege.

Geiler gab ihm auch das Beispiel von Predigten auf Grund nicht biblischer, sondern weltlicher Texte. Wenn aber Geiler über das Narrenschiff seines Freundes Seb. Brant gepredigt hatte, so legte M. seine eigenen Satiren zu Grunde. So berichtet er am Schluß der Schelmenzunft, daß er zu Frankfurt darüber gepredigt habe. Er bemerkt überdies, daß er das Gedicht auch lateinisch verfaßt habe. Von dieser lateinischen Fassung ist nichts bekannt; dagegen hat Joa. Flitner eine lateinische Uebersetzung unter dem Titel „Nebulo nebulonum“, Frankfurt 1644, erscheinen lassen. Ebensowenig wissen wir von dem lateinischen Werk, worin er „on schimpf mit ernst“ die Narren beschworen haben will, nach der Schlußrede der Narrenbeschwörung. Am Ende der Geuchmatt versichert er sogar, daß er in seinem ganzen Leben kein deutsches Buch gedichtet habe, ohne es daneben auch lateinisch zu dichten. Aber die Drucker verlangten nur nach den geucheryen und ließen die ernstlichen Bücher liegen, von denen er wahrlich 50 schon geschrieben habe. Vermuthlich meint er überall die lateinischen Concepte zu seinen deutschen Gedichten und Predigten, wie solche lateinische Concepte zu Geiler’s Predigten vielfach in den Druck gekommen sind.

Die eben besprochenen Behauptungen finden sich in den Entschuldigungen [75] mit denen M. fast regelmäßig schließt und durch welche er alles wieder gut zu machen glaubt. In seinen Satiren selbst erlaubt er sich das Aeußerste. Rücksichtslos gibt er alle Stände und insbesondere seinen eigenen dem Gelächter Preis. Ja sich selbst stellt er als den größten Narren, als den Kanzler der Geuchmatt dar. Gewiß hat man mit Recht davor gewarnt überall da, wo er sein Ich gebraucht, Selbstbekenntnisse zu finden. Spricht er doch auch in directer Rede, wo er die Thorheiten Verheiratheter schildert. Freilich wenn er in der Geuchmatt (F IIIvo vol.) sagt: Ich truwte selbs eim schonen B … Ich fur nit wyter den gen Barr, so ist dies kaum anders denn als Anspielung auf ein wirkliches Vorkommniß zu verstehen. Und die genaue Kenntniß all’ der verliebten Thorheiten, all’ der Gassenbubenmanieren hat er schwerlich blos aus Büchern oder als Beichtvater sich angeeignet. So haben wir keinen Grund seine Zeitgenossen der Lüge zu zeihen, wenn sie ihn als lockeren Gesellen bald aufziehen, bald schelten. Auch für die Eitelkeit, die sie ihm vorwarfen, liefert er selbst den Beweis. Wie er schon 1502 sich als Erfinder des juristischen Kartenspiels gegen Geiler rühmt: „Praeter me nemo“, so nennt er seine Uebersetzung der Aeneis „vor mir ein vngehortes vnderston“.

Dies Betonen seiner Originalität hindert ihn aber nicht gerade auf seinem eigensten Gebiete, als Satiriker, sich an ein Vorbild, und zwar stets dasselbe anzulehnen, an das Narrenschiff von Seb. Brant. Freilich überbietet er diesen an Witz, an Gestaltungskraft, an Volksthümlichkeit. Die lästige Gelehrsamkeit Brant’s meidet er so sehr, daß er z. B. für böse Frauen immer die gleiche Reihe historischer Beispiele aufzählt. Dagegen schließt er sich Brant in der Anlage seiner Satiren fast völlig an. Auch er reiht eine Anzahl von Capiteln aneinander, in welchen einzelne Redensarten und Sprichwörter erläutert werden. Auch er stellt den einzelnen Capiteln Bilder voraus, die übrigens an künstlerischer Bedeutung weit hinter denen Brant’s zurückstehen. Für die Narrenbeschwörung hat der Drucker die Bilder zum Narrenschiff großentheils einfach wieder verwendet.

Noch andere gleichzeitige Werke hat M. benutzt. Für die Schelmenzunft ist der Titel wenigstens entnommen aus der Schilderung des liederlichen Studentenlebens, welche unter Wimpfeling’s Vorsitz bei einer quodlibetarischen Disputation zu Heidelberg vorgetragen und 1489 gedruckt, neuerdings von Zarncke, Die deutschen Universitäten im Mittelalter, S. 61 ff. und nach einer vollständigeren Handschrift von Wattenbach, Anz. f. K. d. V., 1874, Sp. 247 ff. wiederholt worden ist. So mag auch für die Geuchmatt etwa ein französisches pré aux cocus vorgelegen haben; dem Inhalte nach vergleicht sich Bebel’s „Triumphus Veneris“, nur daß dessen herber Auffassung bei M. eine völlig ins Lächerliche gezogene gegenüber steht.

Am meisten Selbständigkeit, die sich schon in der Anknüpfung an sprichwörtlich gewordene Localitäten des Elsasses zeigt, besitzt die Mühle von Schwindelsheim (Schwindratzheim bei Brumat). Indem M. eine Reihe von Redensarten, die sich auf die Mühle beziehen, darunter auch recht unsaubcre, ausführt und erklärt, kommt er auch auf den Mülleresel zu sprechen. Der Esel entläuft, da sucht ihn sein Herr überall und findet ihn überall, und zwar aller Orten hochgeehrt; unter den Kaufleuten, im Rath, bei den Fürsten, überall sitzt er obenan; bei den Dominicanern ist er Prior, bei den Barfüßern Guardian.

Noch bedeutender, und nun auch durch wirklich epischen Gang ausgezeichnet, ist der „Große Lutherische Narr“. Ganz grandios ist das Aufgebot aller der Narren, unter denen die zu der großen Sache der Reformation hinzutretenden kleinen und unreinen Bestrebungen verstanden sind. Der Widerspruch der hochklingenden Namen auf den Bannern mit dem wirklichen Thun und Gebahren [76] ihrer Träger wird in helles Licht gesetzt. Auch das Heer der Vertheidiger des alten Glaubens sammelt sich; bald aber sieht sich M. in die Burg zurückgedrängt. Luther eröffnet Unterhandlungen und bietet ihm seine Tochter zur Ehe: es ist wol die reformirte Kirche gemeint, wie unter dem lutherischen Narren die Gesammtheit der Anhänger Luther’s. M. läßt sich gewinnen. Er bringt seiner Braut ein Ständchen, dessen theils schwülstige, theils bäurische Lobeserhebungen immer durch den Refrain „Sparnößli“, ein ganz gemeines Schimpfwort, unterbrochen werden. In der Hochzeitsnacht aber entdeckt er, daß sie den Grind hat und prügelt sie hinaus. Luther stirbt, der lutherische Narr auch. An dessen Grab wird das Erbe vertheilt: es besteht nur in einer Narrenkappe, und die setzt sich der Dichter selbst auf.

Diese lachende Miene steht dem Dichter in der That am besten an: er selbst bekennt, daß seine Natur nun einmal durchaus zum Lachen neige. Freilich ist an seine Scherze der Maßstab des 16. Jahrhunderts anzulegen und auch dann noch ein gutes Stück zuzugeben. Mit Recht sagt Lessing (Lachmann-Maltzahn 11b, S. 120): „Wer die Sitten der damaligen Zeit kennen will, wer die deutsche Sprache in allem ihrem Umfange studiren will, dem rathe ich die Murnerischen Gedichte fleißig zu lesen. Was die Sprache Nachdrückliches, Derbes, Anzügliches, Grobes und Plumpes hat, kann er nirgends besser zu Hause finden, als in ihnen.“

Auch sein Vers ist bei manchen Freiheiten, z. B. Dreireim anstatt Reimpaar, Zeilen ohne Auftact, doch im Ganzen sehr richtig und fließend. Man vergleiche nur den von reformatorischer Seite besorgten Neudruck seiner „Vier Ketzer“ mit den von den Herausgebern beigefügten Versen.

G. E. Waldau, Nachrichten von Th. Murner’s Leben und Schriften, Nürnberg 1775. – A. Jung, Beiträge zur Gesch. der Reformation, 2. Abth., Straßb. u. Leipz. 1830, S. 238 ff. – J. M. Lappenberg, Dr. Th. Murner’s Ulenspiegel, Leipz. 1854, S. 384 ff. – Lorenz u. Scherer, Gesch. des Elsasses, Berlin,² 1871, S. 167 ff. – K. Goedeke, Die Narrenbeschwörung von Th. Murner, Leipz. 1879, Einl. – Ch. Schmidt, Hist. litt. de l’Alsace, Paris 1879, 2, 211 ff. – Goedeke, Grundriß, 2. Aufl., Bd. II (1885), S. 214 ff.