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ADB:Pirkheimer, Willibald

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Artikel „Pirkheimer, Willibald“ von Ludwig Geiger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 810–817, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pirkheimer,_Willibald&oldid=- (Version vom 10. Dezember 2024, 12:51 Uhr UTC)
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Pirckheimer *): Bilibald P., berühmter deutscher Humanist, einer der Wenigen, die ihren deutschen Namen weder gräcisirten noch latinisirten, geboren in Eichstädt am 5. December 1470, † in Nürnberg am 22. December 1530. Sein Vater Johann P. war ein angesehener Beamter, Rath Nürnbergs, Eichstädts, des bairischen und österreichischen Hofes, zugleich ein gebildeter Mann, der seinen Kindern und besonders seinem einzigen Sohne den Segen dieser Bildung, mehr [811] aber noch die Vortheile der angesehenen Stellung überliefern wollte. Nicht in Dringenberg’s Schule in Schlettstadt, die übereifrige Schilderer jenes Zeitalters zur Pflanzstätte aller Humanisten zu machen versuchten, sondern in Eichstädt, vermuthlich bei Georg Tegen und möglicherweise bei oder mit dem freilich erst 1490 nach Eichstädt versetzten Kanonikus Adelmann von Adelmannsfelden (s. A. D. B. I, 79) erlernte P. die Humaniora. Freilich nicht mit voller Billigung des Vaters. Denn dieser wollte den Sohn mehr zum Hofdienste, als zu dem der Musen erziehen, sah es daher gern, daß der Knabe sich nicht mit einseitig humanistischen Studien beschäftigte, sondern viel, gern und mit großem Erfolge Musik trieb und an ritterlichen Uebungen Freude fand. Als der Sohn dann 1490 die damals übliche große Bildungsreise nach Italien antrat, sollte er, nach dem Wunsche des Vaters, den Aufenthalt in jenem Lande mehr zur praktischen Vorbereitung für einen bestimmten Beruf, als zur allgemeinen geistigen Ausbildung benutzen. Er studirte hauptsächlich in Padua und Pavia Jurisprudenz bei Jason de Mayno und wurde ein gelehrter Jurist und ein praktischer Geschäftsmann. Zugleich aber verschaffte er sich eine gründliche Kenntniß des Griechischen bei Marcus Musurus in Padua und legte überhaupt in Italien, dem Lande der Viel-, ja der Allseitigkeit, den Grund zu der umfassenden wissenschaftlichen Bildung, die selbst die an die Beherrschung weiter Gebiete gewöhnten Zeitgenossen in Verwunderung setzte. Er brachte nicht bloß einige Monate, wie die meisten seiner Landsleute, sondern sieben Jahre in Italien zu, und suchte nicht, wie die meisten aus falscher kameradschaftlicher Gesinnung thaten, den Umgang seiner Volksgenossen, sondern vermied denselben, gewiß nicht, weil er deren Neigung zu Spiel und Trunk verabscheute, sondern weil er in Italien den Umgang mit Italienern möglichst nutzbar für seine Fähigkeit, italienisch zu sprechen, machen wollte. Seine Verbindung mit Italienern verführte ihn jedoch niemals zur Verleugnung seines Deutschthums, sondern erwirkte eher eine Festigung desselben. Denn den Charakter der Deutschen stellte er weit höher als den der Italiener und gerade im Auslande lernte er besser als in der Heimath verborgene Eigenschaften seiner Lands- und Volksgenossen erkennen.

1497 kehrte P. aus Italien zurück und nahm seinen ständigen Aufenthalt in Nürnberg, wohin auch sein Vater, nachdem er sich von Geschäften entfernt, sich zurückgezogen hatte. Bald nach seiner Rückkehr verheirathete er sich mit Crescenzia Rieter, die, nachdem sie ihm fünf Töchter geboren hatte, im J. 1504 starb. Des Vaters Wunsche folgend, der wenige Jahre nach der Heimkehr des Sohnes 1501 aus dem Leben schied, begab er sich nicht in die Dienste des Kaisers, sondern in die der neuerwählten Heimath. Für diese, die Stadt Nürnberg, war er dann ein Vierteljahrhundert als Rath, in inneren Angelegenheiten thätig, bei Gesandtschaften z. B. 1511 und 1512 auf den Reichstagen zu Trier und Köln, als Feldherr 1499 im Schweizerkriege als Befehlshaber des nürnbergischen, dem Kaiser Maximilian gegen die Eidgenossenschaft zu Hülfe gesendeten Contingents. Alle diese Geschäfte besorgte er zum Vortheile der Stadt und erwarb sich bei dem letzterwähnten Feldzuge das Vertrauen des Kaisers in dem Maße, daß er damals den Titel eines kaiserlichen Raths erhielt und später oft durch Ansprachen und Anfragen des Kaisers geehrt wurde. Die Verbindung wurde besonders lebhaft und fest dadurch, daß der Kaiser in wissenschaftlichen Dingen Pirckheimer’s Rath einholte und in seiner ganzen Geistesrichtung ihm verwandt war. Trotz oder vielleicht wegen seiner bedeutenden und der Stadt nutzbringenden Leistungen fand er Feinde und Neider, trat einmal 1501 aus dem Rathe aus und konnte erst durch viele Bitten 1504 zum Wiedereintritt veranlaßt werden, [812] mußte sich 1511 gegen manche wider ihn erhobene, wie es ihm schien ungegründete Vorwürfe vertheidigen –, gedachte auch damals sein städtisches Amt niederzulegen und entsagte endlich 1522 seiner Würde, theils um den stark wiederkehrenden Angriffen sich zu entziehen, theils um seiner Gesundheit und den Wissenschaften zu leben. Aus dieser letzten Zeit ist, wie erst ganz neuerdings erforscht wurde, nur eine Gesandtschaftsreise in die schweizerische Eidgenossenschaft 1519 zu erwähnen, die weniger wichtig ist wegen ihrer eigentlichen Veranlassung, der Klage wider den Markgrafen Casimir von Brandenburg wegen Errichtung eines neuen Zolls, als weil sie dem Schriftsteller Veranlassung gab, die Schlachtfelder von Granson und Murten zu besuchen, die er später geschildert hat.

Die letzten Jahre von Pirckheimer’s Leben sind nur der Wissenschaft gewidmet. An Ehren fehlte es nicht. Karl V. folgte dem Beispiele seines kaiserlichen Großvaters und ernannte P. 1526 zum kaiserlichen Rath. Aber diese Ehren und das Wachsthum seines schriftstellerischen Ruhms konnten seine Vereinsamung nicht hindern: seine Freunde starben, mehrere seiner Schwestern und Töchter gingen vor ihm dahin; er wurde immer einsamer und immer verbitterter vornehmlich über die sittlichen und religiösen Zustände der Zeit.

P. gehört zu den am meisten geehrten und am meisten gelobten Männern seiner Zeit. Der Grund davon liegt allerdings zunächst in seiner trefflichen ruhmeswürdigen Persönlichkeit. Sodann aber auch in dem Umstande, daß er im Gegensatze zu den meist besitzlosen, auf den täglichen Erwerb oder auf die Unterstützung Wohlgesinnter angewiesenen Humanisten ein vermögender, in sehr behaglichen Verhältnissen lebender und zum Behagen Anderer gern beitragender Mann war. Er nahm in der Humanistenzeit eine ähnliche Stellung ein, wie Vater Gleim im 18. Jahrhundert, von Vielen als Wohlthäter geehrt, den Jüngeren ein wahrer Vater und Freund, nur mit dem Unterschiede, daß Vater Gleim als Entgelt für seine Geld- und Rathspenden eifrige Ruhmeserhebungen verlangte, P. aber mit dem Bewußtsein zufrieden war, Gutes zu thun. Unter den bedeutenden Männern Deutschlands in jener Zeit ist kaum ein Einziger, der nicht mit ihm in Beziehung stand und unter den ihm Vertrauten nur Wenige, die ihm nicht verpflichtet waren. Wie mit den Menschen, so ist P. mit den Dingen vertraut. In P. ist, wie Strauß treffend bemerkt, der allseitige Wissens- und Bildungsgang der Zeit verkörpert. In einem häufig abgedruckten Briefe an B. Adelmann v. Adelmannsfelden, den ich gleichfalls nach Strauß’ Wiedergabe anführe, beschreibt P. sein Leben auf dem Gute seines Schwagers während der Pestzeit folgendermaßen: „Hier entfernt von städtischen und Staatsgeschäften lebt er ganz den Studien und der Natur, liest Vormittags im Plato, sieht nach Tisch von hoher Burg herunter, da ihn das Podagra am Gehen hindert, dem Treiben der Landleute auf den Feldern, der Fischer und Jäger im Thal und auf den umliegenden Hügeln zu; empfängt und bewirthet Besuche aus der Nachbarschaft oder auch die eignen Meier und Bauern mit Weib und Kind; der Abend gehört wieder dem Studium, besonders geschichtlicher Werke, und solcher, welche von den Sitten der Menschen und der Herrlichkeit der Natur handeln; dabei wacht er tief in die Nacht und ist der Himmel hell, so beobachtet er noch mit Instrumenten den Lauf und die Stellung der Wandelsterne, in denen er die Ereignisse der Zukunft, die Schicksale der Fürsten und Nationen zu lesen glaubt.“

Unter den persönlichen Beziehungen Pirckheimer’s die innigste und bedeutendste ist die zu dem berühmten Maler Albrecht Dürer. Von diesem rühren die bekannten Bilder her, durch welche Pirckheimer’s Züge der Nachwelt überliefert sind und P. lohnte dem Künstler übel dadurch, daß er das Märchen von [813] den schlimmen und zänkischen Eigenschaften der Frau verbreitete (Brief an Tscherte 1527). Die Gemeinsamkeit beider zeigt sich nicht bloß in einem innigen, ununterbrochenen, wahrhaft brüderlichen, durch keinen Unfrieden gestörten Verkehr, in gegenseitigen Hilfeleistungen, wobei doch der Nürnberger Patricier zumeist als der Spendende, der Maler als der Empfangende erscheint (Zeugniß dafür geben namentlich die Reisebriefe Dürer’s aus Italien), sondern vor allem darin, daß ein vielseitiges, angeregtes geistiges Verhältniß zwischen ihnen existirte, dergestalt, daß Dürer die Schriftchen Pirckheimer’s mit Zeichnungen und Holzschnitten versah, bei seinen mathematischen und astronomischen Studien und Veröffentlichungen ihm rathend und helfend zur Hand ging, daß er sich durch dieselben Stoffe wie sein litterarischer Freund zu Schöpfungen anregen ließ, z. B. durch den Schweizerkrieg. Nicht selten war Dürer künstlerisch in Pirckheimer’s Auftrag thätig; bei einzelnen Arbeiten Dürer’s, z. B. Kaiser Maximilian’s Triumphzug, spielte P. den gelehrten Beirath. Es war ein Freundschaftsbund, der die Verbundenen über die Plackereien und Kleinigkeiten des bürgerlichen Lebens hinaushob. „Sie arbeiteten zusammen“ – nach Thausing’s Worten – „an der Erforschung des Menschen; des Menschen in seiner äußeren Erscheinung, wie in seinen geistigen Anlagen.“ Dürer’s Tod (1528) beklagte P. in einer rührenden Trauerode.

Schon aus der Erzählung von Pirckheimer’s Lebensereignissen und der kurzen Darstellung seiner persönlichen Beziehungen ergab sich, daß er einer der begabtesten und einflußreichsten Wortführer des deutschen Humanismus war. Diese seine Thätigkeit wird aus seinen zahlreichen kleinen Schriften und Briefen erkannt. Bei der Besprechung derselben muß man mit dem Ausdruck des tiefsten Bedauerns anheben, daß die einzige vorhandene Sammlung der Pirckheimer’schen Schriften völlig ungenügend, daß sein handschriftlicher Nachlaß zerstreut und soweit zugänglich, bisher noch gar nicht benutzt worden ist. Eine vollständige Aufzählung der Schriften kann hier nicht gegeben werden, sondern nur eine Hervorhebung manches Wichtigen. Zunächst ist eine große Anzahl Briefe und Widmungsschreiben zu erwähnen, sämmtlich lateinisch, alle in einer kräftigen, nicht uneleganten Sprache, obwol Eleganz nicht der Hauptvorzug Pirckheimer’scher Schreibart ist. Sodann einzelne, aber unbedeutende lateinische Gedichte, durch deren Anfertigung P. mehr seine Zugehörigkeit zum Humanistenstande bethätigen, als etwa einem dichterischen Drange genügen wollte; ferner Uebersetzungen aus dem Griechischen, dessen ganz besonderer Kenner P. war, wobei Lucian bevorzugt wurde, dessen Stoffe und dessen Behandlungsart P. vornehmlich anzogen. Dazu kommen noch antiquarische Abhandlungen, z. B. über die Münzen der Alten, wobei doch der praktische Gesichtspunkt, der Vergleich mit den damals geltenden Nürnberger Münzen nicht außer Acht gelassen wird, theologische Untersuchungen, die besser in anderm Zusammenhange vorgebracht werden, politische Erörterungen, theilweise im Auftrage des Kaisers Maximilian, theilweise des Raths der Stadt Nürnberg, Erörterungen, die außer der sachlichen Behandlung des gerade vorliegenden Falles doch eine bedenkliche Aehnlichkeit mit den langathmigen, kunstvollen Darlegungen der in Italien zur Renaissancezeit üblichen Oratoren haben, welche neben den officiellen, mit amtlichem Ernst die Geschäfte besorgenden Gesandten von Stadt zu Stadt oder von Staat zu Staat geschickt worden. Endlich verdienen kleine satirische Schriften Erwähnung, von denen an dieser Stelle „Laus podagrae“ zu nennen ist, ein ironisches Lob der Gicht, von welcher der arme Mann arg geplagt wurde, vielleicht als Strafe für seine Jugendsünden, wie wenigstens einzelne seiner frommen Biographen versichern.

Trotzdem P. in Briefen und Schriften sich fast ausschließlich der lateinischen [814] Sprache bediente, gehört er keineswegs zu den Verächtern der deutschen Sprache, versucht vielmehr in einem häufig angeführten Briefe (an Joh. v. Schwarzenberg) die Berechtigung der deutschen Sprache zu erweisen und die Möglichkeit darzuthun, Lateinisches vollkommen in Deutsches zu übersetzen, vorausgesetzt, daß man genaue Kenntniß und den Geist beider Sprachen besitze. Die Selbständigkeit des Standpunktes, die sich in der Vertheidigung solcher Anschauungen zeigt, tritt auch in dem von Drews ohne Quellenangabe angeführten Worte Pirckheimer’s hervor: „Ich habe kein Discipul oder Anhänger, bin auch hinwiederum niemands Discipul, sondern wer Recht hat, dem folg’ ich und hänge ich an.“ Charakteristisch für die Selbständigkeit und die Betonung des Deutschen ist auch der patriotische Zug. P. ist kein unbedingter Lobredner der Deutschen, tadelte vielmehr in hohem Alter die Raublust der Deutschen, wie er in seiner Jugend, während seines Aufenthaltes in Italien, verschiedene andere üble Eigenschaften seiner Landsleute scheltend hervorgehoben hatte. Aber er ist dabei ein energischer Vertheidiger ihrer Vorzüge und ihrer löblichen Thaten und Gesinnungen, keiner von den Kosmopoliten, die Anderer Nationen Großthaten preisen und ihre eigene darob vergessen; nicht der Mangel an tapferen Thaten, so meint er, sondern der Mangel an Geschichtschreibern sei schuld, daß die Deutschen bei auswärtigen Nationen so wenig gelten. Um diesem Mangel abzuhelfen, greift P. dann selbst zur Feder.

Denn außer den schon erwähnten kleineren humanistischen Arbeiten sind zur Würdigung von Pirckheimer’s geistiger Bedeutung besonders zwei Dinge ins Auge zu fassen: seine Thätigkeit als Geschichtschreiber und seine Stellung zum Reuchlinschen Streite und zur Reformation. Was die erstere betrifft, so erkannte er die Bedeutung der Geschichte an durch Uebersetzung alter Schriften (Lucians Dialog über die Art Geschichte zu schreiben) und durch Betonung des patriotischen Standpunkts, der von den Humanisten gerade durch geschichtliche Studien gewonnen wurde (Tacitus’ Würdigung der Deutschen, Herausgabe älterer geschichtlicher Werke, die zum Ruhme der Deutschen dienen konnten, eine kurze Beschreibung Deutschlands, ein Versuch über die älteste Geschichte Triers). An solche kleinere Arbeiten reiht sich dann aber bei P. eine größere historische Darstellung, die Beschreibung des Schweizerkrieges (1499 fgl.) an welchem er persönlich theilgenommen hatte. Die Arbeit ist wahrscheinlich in den letzten Lebensjahren des Geschichtschreibers entstanden; an der Veröffentlichung derselben wurde er durch den Tod gehindert. Das Werk ist durchaus keine vollständige Geschichte; bei den großen Ereignissen des Krieges ist der Autor nicht zugegen gewesen; er berichtet über sie nur nach Hörensagen oder schweigt ganz von ihnen; die Feststellung der Einzelnheiten macht ihm keine Sorge, wichtig sind ihm nur die persönlichen Erlebnisse. In der Hervorhebung der letzteren liegt die wesentliche, ja im Grunde die einzige Bedeutung, auf welche dies historische Werk noch heute Anspruch machen darf; daß der Autor die Zeitgeschichte zu behandeln übernimmt, daß er nicht, einseitig wie die meisten anderen Geschichtschreiber jener Tage, die entfernte Vergangenheit oder höchstens das Mittelalter darstellt, sichert ihm einen ehrenvollen Platz unter den Historikern. Für das, was er nicht mit angesehen, benutzt er Quellen, unter denen Petermann Etterlin der bevorzugteste ist, für einzelne Notizen sind einige Schriftsteller des 15. Jahrhunderts herangezogen; er wendet bei der Benutzung der Quellen Kritik an; er ist bestrebt alte Fabeln zu verwerfen; die schwedische Abstammung der Schweizer z. B. findet er unwahrscheinlich, weil die Schweden, der größern Fruchtbarkeit ihrer Aecker halber, keinen Grund gehabt hätten ihr Heimathland zu verlassen; für die Art der Behandlung sind ihm die Alten maßgebend, die ihn auch zur Wahl der lateinischen [815] Sprache bestimmen. Er liebt keine Abschweifungen, politischen Erwägungen, selbst naheliegender Art gibt er sich nicht hin. Dagegen drängt er seine persönlichen Anschauungen hervor, bekundet offen Zu- und Abneigung, hält mit Zähigkeit an gewissen fixen Ideen fest z. B. dem Dogma von der Disciplin der Eidgenossen und einer stark ausgesprochenen Abneigung gegen den Adel. Auch in dieser größern Arbeit betont er seinen patriotischen Standpunkt. Im ersten Buche seines Werkes behandelt P. die Zeit von den Anfängen der Eidgenossenschaft bis zu den Burgunderkriegen, im zweiten den Schwabenkrieg. Man hat dieser Schilderung bisher zu viel Ehre angethan, sie gelegentlich als „unentbehrlich“ bezeichnet und häufig als Quelle benutzt; der neueste Bearbeiter des Geschichtswerkes weist nach, daß in den Schlachtschilderungen und den Erzählungen der politischen Ereignisse immer nur einzelne Züge werthvoll sind, die Gesammtdarstellung aber der Nacherzählung nicht zu Grunde gelegt werden darf, daß nur die Schilderung des Selbsterlebten z. B. des Engadinerzugs als höchst werthvolles Material große Berücksichtigung verdient und daß die Berichte über die Stimmung beider Parteien und die Züge zur Würdigung des Charakters Maximilians I. dem Buche besonderen Werth verleihen.

Pirckheimer’s Stellung zum Reuchlinschen Streit wird nicht nur bestimmt durch seine persönliche Hochachtung für den berühmten Gelehrten Reuchlin, sondern durch sein Verhältniß zu den geistigen Bestrebungen der Periode. Als Liebhaber der Wissenschaft, als Anhänger freier geistiger Regung muß er für den Vorkämpfer dieser geistigen Freiheit und gegen die Bedrücker derselben Partei ergreifen. Alsbald nach Erscheinen des „Augenspiegels“ wandte er sich mit einer begeisterten Zustimmungserklärung an Reuchlin und wenn er auch mit der durch Letzteren bewirkten Veröffentlichung des Briefes keineswegs zufrieden war, so bewahrte er ihm seine Theilnahme auch ferner, war in Deutschland und in Rom für ihn thätig, feuerte Andere an, ihm Antheil und Zustimmung zu schenken, und zeigte öffentlich seine Stellung an in einer Schutzschrift für Reuchlin, einem an Lorenz Behaim gerichteten apologetischen Briefe, welchen er der Uebersetzung des Lucianischen Dialogs „Der Fischer“ voranstellte. Diese Schutzschrift feiert Reuchlin mit seinen begabten Anhängern und Vertheidigern und schilt seine Gegner in einem Tone, der P. nicht ansteht, da er in der Schrift selbst vor Schmähungen und Beschimpfungen warnt. Den Sieg Reuchlin’s als den Sieg der Wahrheit und Freiheit hält er für völlig gesichert und er freut sich, zur Schaar derer zu gehören, welche dem Meister treu anhängen und willig folgen. Er wurde wegen dieser Schrift von den Gegnern Reuchlin’s arg geschmäht, hielt aber bis zuletzt bei Reuchlin aus, selbst als die Machinationen der Gegner erfolgreich schienen und erfolgreich wurden, verharrte bei ihm nicht bloß etwa als der in der großen bequem gelegenen Handelsstadt lebende Commissionär, sondern als der Freund und Geistesverwandte, der in dem Schicksale des Tübinger Gelehrten sein eigenes vorausbestimmt, mit demselben sein eigenes verbunden sah.

Denn der Stellung Reuchlin’s ähnlich ist diejenige Pirckheimer’s zur Reformation. Ein Hauptunterschied zwischen beiden besteht allerdings, nämlich bei Reuchlin der stark ausgeprägte religiöse Zug, während P. keine tief religiöse Natur ist; die Uebereinstimmung jedoch ist vorhanden und liegt darin, daß bei Beiden das Humanistische überwiegt. Auch P. hatte, wie die meisten Humanisten, mit der scholastischen Methode vollkommen gebrochen, trotzdem er einzelne christliche Schriftsteller, wie Gregor v. Nazianz u. A. herausgab und übersetzte. In seiner eben erwähnten Apologie für Reuchlin läugnet er entschieden, daß das Disputiren und Vorbringen von Spitzfindigkeiten zur wahren Theologie gehöre, er verlangt eine Reform der Theologie auf Grund des Studiums der [816] Bibel; sein der Apologie folgendes Verzeichniß von Theologen ist im Wesentlichen ein Verzeichniß von Humanisten. Da er den Inbegriff eines nach seinem Herzen denkenden Theologen, einen Fortsetzer und Vollender des Reuchlin’schen Werkes, einen Kämpfer für Bildung gegen Unbildung in Luther sah, so schloß er sich ihm zuerst freundlich an, empfing von ihm einen Dankbrief und nahm ihn sowie Melanchthon gastfrei in Nürnberg auf. Weniger aus Freundschaft für Luther als für Reuchlin sei er, so meinte er, in die gegen Luther gerichtete, von Eck nach Deutschland überbrachte Bannbulle gesetzt worden. Diese Mitverdammung mußte er aber wol zumeist der unter dem Pseudonym Joh. Franc. Cottalambergius erschienenen, aber von ihm, wie allgemein bekannt, herrührenden Schrift Eccius dedolatus („Der gehobelte Eck“) zuschreiben, einer echt humanistischen, hauptsächlich auf die geistigen Kämpfe der unmittelbar vorhergehenden Jahre eingehenden Satire, in der P. in sehr launiger Weise, die für Alle, außer den Betroffenen, höchst ergötzlich war, eine Schilderung von der entsetzlichen Cur macht, durch welche Eck von allen seinen Leibes- und Geistesfehlern gereinigt werden sollte. Die vom 29. Sept. 1520 datirte Bulle, welche dem Verdammten 60 Tage Frist zur Widerrufung gab, wurde dem Nürnberger Rath am 15. Oct. übersandt. P. mit seinem in gleicher Weise betroffenen Freunde Lazarus Spengler versuchte zuerst die Sache rein juristisch aufzufassen, meinte mit einem Protest beim Bischof von Bamberg auszukommen, erkannte aber bald, daß der auf seinen Vollmachten beharrende unversöhnliche Feind sich weder damit noch mit dem allgemeinen Protest, der Angeschuldigte habe Luther’s Lehre nicht vertheidigt, zufrieden gab, sondern von dem verlangten Widerruf nicht abging. P. mußte diesen Widerruf leisten. Die Leistung desselben hat man häufig als ein Zeichen von Feigheit erklärt, jedoch entschieden mit Unrecht; sie ist theils ein Zeugniß für Pirckheimer’s unendliches Ruhe- und Friedensbedürfniß, theils dafür, daß bei ihm das reformatorische Interesse durchaus hinter dem humanistischen steht und die Gefährdung des erstern sein Wesen und seine Bestrebungen nicht sonderlich tangirt. Auch in einer zweiten Verdammungsbulle vom 3. Januar 1521, die Aleander nach Deutschland überbrachte, war P. genannt; er erließ gegen sie einen Protest; die Sache scheint für ihn keine weiteren Folgen gehabt zu haben, da der Ueberbringer der Bulle kein persönliches Interesse daran hatte, ihn zu schädigen. Seine humanistische Gesinnung, die besonders auch das friedliche Zusammenwirken Gleichstrebender verlangte, bethätigte P. z. B. in dem Versuche, die Fehde zwischen Luther und Erasmus zu unterdrücken, vornehmlich auch in dem an Papst Hadrian VI. abgegebenen Gutachten, in welchem er, mitten in dem erregten Parteitreiben seiner Zeit eine Stellung über den Parteien einzunehmen sich bemühte. Aber immer mehr wurde er, wie Erasmus, und hauptsächlich auch unter der Einwirkung des Erasmus und Cochläus, zu einer Parteinahme gegen die Reformation gedrängt, theils weil er von einzelnen Lehren derselben sich nicht überzeugen konnte, theils weil er dieselbe für bildungsfeindlich oder wenigstens den ruhigen Verlauf geistiger Entwicklung störend hielt. Trat er daher auch 1524 in augenblicklicher Aufwallung in einer kleinen Schrift („De persecutoribus evangelicae veritatis“) gegen die Verfolger der evangelischen Wahrheit auf und verfocht er in dem ziemlich vom Zaun gebrochenen Abendmahlsstreit mit dem ihm früher befreundeten Joh. Oekolampad zuerst noch die Ansicht Luther’s von der leiblichen Gegenwart Christi im Abendmahl, so neigte er sich in der gegen denselben gerichteten Replik und in einem den Streit beschließenden offenen Briefe immer mehr den katholischen Lehren zu. Ueberhaupt wurde er in den letzten Jahren zur Vertheidigung katholischer Einrichtungen, besonders des Klosterwesens gedrängt. An Melanchthon schrieb er einen Brief [817] voll Klagen über die Drangsale der Nonnen, der auch einen freilich nur augenblicklichen Erfolg hatte; an den Rath der Stadt Nürnberg richtete er eine Schutzschrift für das Nonnenkloster von St. Anna, in welcher er die Vorwürfe zu entkräften sucht, daß die Nonnen das Wort Gottes verachteten und mehr auf äußere Werke als auf den Glauben bauen, daß sie dem Papste, seinen Satzungen und menschlichen Ueberlieferungen zu viel anhangen und daß sie ihren Klosterstand nicht aufgeben und nicht heirathen wollen. In seinen Ansichten gegen Luther wurde er immer gehässiger, in seinen Aussprüchen, die er zumeist in vertraulichen Briefen brauchte, immer heftiger: gedachte er doch ein Spottgedicht gegen Luther zu schreiben und wurde dazu von Cochläus ermuntert. Von den Protestanten wurde P., obwol er nie ganz zu ihnen gehört hatte, Verräther genannt und als solcher verfolgt; von vielen Katholiken wurde er, schon seiner humanistischen Vergangenheit halber, nicht für voll angesehen; er theilte das traurige Schicksal selbständiger Geister, von Wenigen verstanden, vereinsamt zu leben und immer verdüsterter auf die Entwicklung der Zeiten zu blicken, die dem eigenen Ideale nicht entsprach.

Bil. Pirchheimeri opera ed. Goldast 1610, unvollständige und unkritische Ausgabe. Das Bellum suitense ist seit dieser Ausgabe mehrfach einzeln und in Sammelwerken gedruckt. Der Eccius dedolatus in Böcking, Opera Hutteni vol. IV. In den übrigen Bänden dieser Huttenausgabe und in anderen Briefsammlungen der Humanisten viele einzelne Briefe. Handschriftliche Briefe von und an ihn in der Nürnberger Stadtbibliothek. Briefe, gedruckt, außer bei Goldast in Heumann’s Documenta literaria, Altorf 1758. – Biographien, außer den zahlreichen werthlosen Zusammenstellungen in den Gelehrtenlexicis: von Joh. Imhof, Pirckheimer’s Urenkel, zuerst erschienen 1608, übersetzt von Rittershausen in der Goldast’schen Ausg. – E. Münch, Bil. Pirckheimer’s Schweizerkrieg, nebst Biographie und critischem Schriftenverzeichniß, Basel 1826. – Karl Hagen, Deutschl. rel. und lit. Verh. im Reformationszeitalter mit bes. Rücksicht auf W. Pirckheimer, 3 Bde., Erlangen 1841, der letztere Zusatz übrigens nicht vollkommen gerechtfertigt. Die zahlreiche Dürer-Litteratur kann hier nicht angeführt werden; der künftige Biograph Pirckheimer’s hat aber Rücksicht auf sie zu nehmen. Neuerdings: Rudolph Hagen, W. P. in seinem Verhältniß zum Humanismus und zur Reformation (Mitth. des Vereins für Gesch. der Stadt Nürnberg, 1882, 4. Heft, S. 61 bis 212), Fr. Roth, Schriften des Vereins für Ref.-Gesch. H. 21. Auch die betreffenden Abschnitte in den Büchern von Bursian, Wegele, und in meinem Werk: Renaiss. u. Hum. Besonders O. Markwart, Wilibald P. als Geschichtsschreiber. Zürich 1886. – P. Drews, W. Pirckheimer’s Stellung zur Reformation. Ein Beitrag zur Beurtheilung des Verhältnisses zwischen Humanismus und Reformation. Leipzig 1887.

[810] *) Zu S. 179.