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ADB:Räß, Andreas

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Artikel „Räß, Andreas“ von Johann Friedrich in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 326–331, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:R%C3%A4%C3%9F,_Andreas&oldid=- (Version vom 8. Oktober 2024, 02:32 Uhr UTC)
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Räß: Andreas R., Bischof von Straßburg, wurde am 6. April 1794 zu Siegolsheim im Elsaß geboren, als gerade Robespierre das Regiment in Frankreich führte und die Kirchen verwaist waren. Ein Geistlicher, der sich im Hause der Eltern verborgen hielt, taufte den Neugebornen. Die Erziehung der sechs Kinder fiel den Eltern, dann, nach dem bald eintretenden Tode des Vaters, der Mutter ganz allein zu; denn in jeder Gemeinde und Familie wiederholte sich im kleinen der Kampf, welcher infolge der Revolution ausgebrochen war, und so war es auch in Räß’s Vaterhause. Hier und da erschien heimlich ein nichtgeschworener Priester, der im Verborgenen die Sacramente spendete, was sicher auf die empfänglichen Kinderherzen nachhaltiger einwirken mußte, als sogar ein geregelter Religionsunterricht. Nachdem R. in Schlettstadt und Nancy, wo er auch die französische Sprache beherrschen lernte. Humaniora studirt hatte, kam er nach Mainz, um Philosophie und Theologie zu hören. Dieser Aufenthalt wurde vollends entscheidend für seine Richtung. 1802 war der Elsässer Colmar von Napoleon I. zum Bischof von Mainz ernannt worden, der selbst das Loos der Nichtgeschworenen erfahren hatte und auf dessen Kopf einst 1000 Reichsthaler gesetzt waren. Er berief einen anderen elsässer Nichtgeschworenen, den eben aus dem Gefängnisse zu Vincennes entlassenen, aber aus Straßburg verbannten Liebermann (s. A. D. B. XVIII, 578) an die Spitze seines Seminars, an welchem auch noch einige andere Landsleute derselben als Lehrer wirkten. Es ist nur zu begreiflich, daß diese Männer, ohnehin zum Napoleonischen Kaiserreiche gehörend, ihre Aufmerksamkeit dem Gange der Dinge in Frankreich zuwandten, und da Colmar wie Liebermann Schüler der Jesuiten waren, so ist es ebenso verständlich, daß beide sofort auch der durch Bonald, de Maistre, Lamennais u. s. w. in Frankreich vertretenen und bald weit verbreiteten Ansicht beitraten, alles Unheil, das durch die Revolution über Frankreich und namentlich über die Kirche hereingebrochen, sei nur die Folge des Sturzes des Jesuitenordens und das Werk der Freimaurer, Illuminaten u. s. w., eine Heilung der Zustände könne daher auch nur durch die Wiedereinführung jenes Ordens und durch kräftiges Entgegenwirken gegen die Freimaurer erzielt werden. In diesen Kreis von Männern und Ideen trat der junge R., und da er nach kurzer, durch den Rückzug der Franzosen nach der Schlacht bei Leipzig bewirkter Unterbrechung zurückkehrte und am Knabenseminar lehrte, seit 1816 nach Empfang der Priesterweihe aber am Clericalseminar Lehrer und Director des Knabenseminars wurde, so ist dies ein Beweis, daß er ein empfänglicher Schüler war. Inzwischen war aber Mainz wieder zu Deutschland geschlagen worden. Die Neuordnung der deutschen Verhältnisse wurde in Angriff genommen, und da auch die in Trümmern gesunkene deutsche Kirche wiederhergestellt werden sollte, so sah man auch in Mainz mit Spannung auf die Vorgänge in Deutschland. Da gab es aber zwei Hauptströmungen in der deutschen Kirche: die Dalberg-Wessenberg’sche und die curialistische oder jesuitische, von denen jene sofort als freimaurerisch bezeichnet wurde, da man deren Hauptvertreter, sogar nach Liebermann’s Biographie – grundlos, als Freimaurer in Deutschland und Rom verschrieen hatte und nicht davor zurückschrak, Wessenberg, den Schüler Sailer’s, der freilich auch 1794 als „Illuminat und Verführer der Jugend“ abgesetzt worden, in Rom und Wien zu denunciren, er habe in einem Buche, das gar nicht existirte, die Gottheit Christi geleugnet etc. Für die Umgebung unseres R., welche daran glaubte, daß Dalberg und Wessenberg Freimaurer [327] seien, konnte es da kein Schwanken geben, sie mußte sich auf Seite der curialistischen Partei stellen und den Bestrebungen der aus ihrer Nachbarschaft stammenden Oratoren, des Freiherrn v. Wambold aus Worms und des Dompräbendaten Helferich aus Speier, sowie ihres Freundes, des Convertiten Rath Schlosser, Erfolg wünschen. Darum sehen wir auch, obwohl die Mainzer nicht unter den Eichstädter „Conföderirten“, welche sich zur Durchsetzung der curialistischen Politik verbunden hatten, genannt werden, doch die Fäden des Bundes bis nach Mainz laufen. Bischof Colmar ließ die Schrift eines „Conföderirten“, des Weihbischofs Zirkel von Würzburg, „Die deutsche kath. Kirche, Germanien 1817“, auf seine Kosten drucken und ermunterte den Jesuiten Doller in seinem Kampfe gegen Wessenberg; Liebermann aber war ein warmer Freund des „Conföderirten“ Stapf in Bamberg. Die umfangreiche und maßlose Verleumdung Wessenberg’s durch die „Conföderirten“, sowie die Abneigung der Regierungen gegen seine Pläne hatten diese beseitigt, und das war auch ein Triumph der in Mainz herrschenden Richtung; die Wiedereinführung des Jesuitenordens durch Pius VII., der Abschluß des baierischen Concordats hoben ebenfalls das Vertrauen auf die Zukunft. Man glaubte dem Ziele nahe zu sein, und empfand um so schmerzlicher alle Vorgänge, welche den Siegeslauf aufhielten, wie die Reformationsfeier 1817, gegen welche auch Liebermann und einige seiner Schüler auftraten, die baierische Verfassung mit dem Religionsedict, welche als ein Werk der Illuminaten galt, das Auftreten der Regierungen der oberrheinischen Kirchenprovinz. R., der sich damals einen Augenblick mit dem Gedanken an den Eintritt in den Jesuitenorden trug, trat zwar in diesen Bewegungen noch nicht öffentlich hervor, aber was er in seiner Umgebung hörte und sah, das mußte seine Richtung befestigen, zumal als Graf de Maistre in Frankreich mit seinen Schriften „Vom Papste“ und „Ueber die gallicanische Kirche“ auftrat, welche sofort einer der „Conföderirten“, Fr. Schlegel, in seiner „Concordia“ und in den „Jahrbüchern der Literatur“ als ein Ereigniß dem deutschen Volke anpries, und als Liebermann den Grafen als einen gewichtigen theologischen Autor behandelte. Einer seiner Schüler, Klee, ebenfalls Lehrer am Mainzer Knabenseminar, übersetzte sogar alsbald die zweite Schrift de Maistre’s, während er, allerdings charakteristisch, die Uebersetzung der ersten Anderen überließ. – R. war übrigens inzwischen in Verbindung mit Weis, einem Schüler Liebermann’s (später Bischof von Speier), auch litterarisch hervorgetreten; sie cultivirten jedoch ein anderes Gebiet in einer zahllosen Reihe von Bänden: Carron, Die tugendhaften Schüler, von den Uebersetzern erweitert, 2 Bde. 1820; Carron, Die Glaubensbekenner der gallikan. Kirche am Ende des 18. Jahrhunderts, 4 Bde. 1821; Grillet, Entwürfe zu einem vollständigen Catechismus, 4 Bde.; Denkwürdigkeiten über den Tod des Herzogs von Berry; Ueber die Missionen von Louisiana; Prüfung der Prüfung oder Bemerkungen über die Krug’sche Prüfung des v. Haller’schen Sendschreibens, 1822; Beweggründe der Bekehrung einiger Protestanten (kenne ich nicht); Ueber den Druck schlechter Bücher; Ueber die christliche Erziehung, 1823; Die Feste des Herrn, 2 Bde. 1823–26; Das Leben der Heiligen von Butler, 24 Bde.; Was die Geschichte dazu sagt. Nachtrag zur Reformationsfeier, 1824; Entwürfe zu einem vollst. katechet. Unterricht, 2. Aufl. 1828; Leibnitzens System der Theologie mit deutscher Uebersetzung, 1827; Nachlese aus Dr. Martin Luthers Schriften; Die alte Abendmahlslehre, 1829; Denkwürdigkeiten aus der französischen Kirchengeschichte des 17. Jahrhunderts, nach Picot, 2 Bde. 1828; Bibliothek der katholischen Beredsamkeit, 12 Bde. 1830–39; Predigten von Boulogne, 4 Bde. 1831–36; Katholische Lehre und protestantische Ansicht. Gegen Dr. Fikentscher: Die protestantische Kirche gegen Weihbischof Michael Wittmann in Regensburg vertheidigt, 1832; Gesammelte Kanzelreden Mosers, [328] 1834–36; Neue Bibliothek der katholischen Beredsamkeit, 6 Bde. 1836–38; Kanzelreden von P. de la Roche, 1837; Predigtentwürfe, 1836–38; Der Primat des Papstes von Rothensee, 4 Bde. 1839; Seelsorgerliche Belehrung über gemischte Ehen (kenne ich nicht). Die Titel dieser 86 Bände der ersten Epoche zeigen schon, daß R. und Weis weniger productive Köpfe und Forscher, als vielmehr Uebersetzer und Herausgeber fremder Arbeiten waren; allein diese Bücher waren, wie ich selbst weiß, doch sehr verbreitet und übten auch einen großen Einfluß aus. – Wichtiger wurde „Der Katholik“, welche Zeitschrift R. 1821 gründete und ebenfalls mit Weis herausgab, und die noch heute zu Mainz erscheint. Sie sollte im Gegensatz zu der Tübinger „Theologischen Quartalschrift“ mehr in die Zeitfragen und ins Leben eingreifen und wol auch ihr gegenüber mehr den curialistischen Standpunkt vertreten. Zwar wachte die hessische Censur über sie, aber der protestantische Censor war nachsichtig und ließ alles durchgehen, auch eine Reihe von Artikeln des Exabtes von St. Peter bei Freiburg i. Br. Ignaz Speckle über die Verschleuderung der säcularisirten Klostergüter auf dem Schwarzwald. Die badische Regierung reclamirte bei der hessischen, und R. durfte den „Katholik“ nicht mehr zeichnen, während dieser mit Ende des Jahres überhaupt in Hessen nicht mehr erscheinen durfte. Er kam nun in Wiesbaden, von einem unterfränkischen Pfarrer gezeichnet, heraus, bis ein neuer Aufsatz „Ueber die Sünden, welche das baierische Staatsrecht an den Rechten der Kirche begangen“, erschien und auch die baierische Regierung reizte. Die Zeitschrift, der auch die preußische Regierung nicht hold war, siedelte nunmehr (1825) nach Straßburg über, wo Liebermann, seit 1824 Generalvicar dort, als Redacteur zeichnete, eigentlich aber Görres die Redaction führte. Daß dieser für sie schrieb, diente ihr zu neuem Aufschwunge, und als er an den neuen König Ludwig I. von Baiern im Namen seines Vaters Maximilian I. eine Ansprache in ihr veröffentlicht hatte, durfte sie seit 1827 wieder in Speier erscheinen, bis sie 1844 nach Mainz zurückkehrte. Der Einfluß des „Katholik“ auf die Entwicklung der katholischen Kirche in Deutschland läßt sich nicht leugnen. Wenn aber Räß’s Biograph meint: „Was heute in Deutschland Ultramontanismus, Jesuitismus gescholten wird, die reine, strenge katholische Richtung in Lehre, Ascese und politischer Haltung, das keimte und wuchs aus dem „Katholik“ hervor; das gipfelt heute in der Lehre der Unfehlbarkeit des Papstes“: so ist dies doch sehr übertrieben. Dazu wirkten zahlreiche andere Factoren zusammen, und wenn es auf die moderne Dogmengläubigkeit, namentlich auf die Unfehlbarkeit des Papstes ankommt, so wies gerade die Schule Liebermann’s dieselbe zurück. Dem Lehrer galt die Meinung von der unbefleckten Empfängniß Mariä geradezu für undefinirbar und die Forderung einer Definition derselben als ein Beweis „geringer Erfahrung in theologischen Dingen“; die Unfehlbarkeitsfrage aber behandelte er als eine freie Meinung, weshalb man auch seine Dogmatik in Rom nicht als Schulbuch einführen wollte. Ebenso verfuhren seine Schüler, wie Klee in seiner Dogmatik und Krautheimer in seinem Katechismus; R. und Weis aber in ihrer Ausgabe von Rothensee’s Primat des Papstes erklärten de Maistre’s Unfehlbarkeit nur für „Irrefragabilität“, welche auch den Verordnungen der Fürsten zukomme, warfen den Protestanten, welche von einem „unfehlbaren Papst“ sprachen, „absichtliche Entstellung und Verleumdung“, „Absurdität“ vor. Die Unfehlbarkeit des Papstes war ihnen „lediglich eine Schulfrage und gehörte nicht zum katholischen Lehrbegriff“. Ihnen „ist nicht der Papst Richter, sondern die Kirche, deren Oberhaupt und Organ der Papst ist; einen inspirirten Papst kennen sie schon gar nicht“. Und wenn sich ein Protestant auf die Scholastik berief, so antworten sie: „Wir unseres Orts können einen Recensenten, der seine Kenntniß des katholischen Lehrsystems aus der Scholastik schöpft, nicht für einen unterrichteten [329] Theologen halten. Die Scholastiker mögen immerhin die Unfehlbarkeit des Papstes vertheidigen; zum Lehrbegriff als Dogma gehört sie nicht; nie und nirgends (!) hat unsere Kirche sie ausgesprochen. Zwischen Unentbehrlichkeit und Unfehlbarkeit ist ein großer und wesentlicher Unterschied.“ Schließlich erklärten sie aber als katholisch: „Die katholische Kirche erkennt in der Person des Kirchenoberhauptes den sichtbaren Lenker und Aufseher der ganzen Glaubensanstalt, verbunden und vereinigt mit den übrigen Bischöfen. Ohne diese Verbindung gedacht, kann er für sich allein nichts vorschreiben (als etwa provisorisch), was in der Kirche gethan werden müsse, so wenig er, wie die Protestanten immer schreien, nur befehlen kann, daß von uns dieses oder jenes bloß nach seiner Willkür dargelegt als Glaubenslehre angenommen werde.“ Diese programmartigen Sätze muß man im Auge behalten, wenn man R. richtig beurtheilen will. – Räß’s Stellung hatte sich inzwischen verändert. Schon 1821 war er neben 13 Anderen von Rom den Regierungen der oberrheinischen Kirchenprovinz als Bischof vorgeschlagen worden. 1825 wurde er Liebermann’s Nachfolger als Professor der Dogmatik und Director des Priesterseminars. Die Pfarrei zu Mannheim, auf welche die Prinzessin Stephanie und einige Adlige ihn berufen wissen wollten, schlug R. selbst aus, und auf den wiederholten römischen Vorschlag desselben zum Bischof von Mainz (1828) ging die hessische Regierung nicht ein. So folgte er 1830 einem Rufe ins Elsaß und stand zunächst der theologischen Anstalt zu Molsheim vor, bis er zum Superior des großen Seminars (bis 1836) und zugleich zum Domcapitular in Straßburg ernannt wurde. Durch die „Annalen der Verbreitung des Glaubens“, deren Uebersetzung er veranlaßte und überwachte, begeisterte er nicht bloß im Elsaß, sondern auch in Deutschland und Oesterreich für die Heidenmission und regte zu deren thatkräftiger Unterstützung an. Die Aufregung, welche der Abbé Lamennais sowohl in Frankreich, als in Belgien und Deutschland hervorgerufen hatte, ging mit dessen Abfall von der römisch-katholischen Kirche ohne Schaden an Elsaß vorüber; aber da entstand in Straßburg selbst die Bautain’sche Schule (darunter der spätere Cardinal und Erzbischof Bonnechose von Rouen und P. Gratry), welcher Bischof Lepappe de Trevern sein Knabenseminar übergab und die bald gegen die bisherige Erziehungsmethode des Clerus auftrat. Dieselbe richtete sich aber namentlich gegen R. und Liebermann, seinen Lehrer. Alsbald trat R. im Ami de la religion dagegen auf; aber erst als Bautain den Traditionalismus auf dem gegen Lamennais gerichteten Schreiben Gregor’s XVI. aufbauen wollte und den Gebrauch der Vernunft in der Theologie verwarf, erhob sich auch der Bischof gegen ihn, verwarf 1835 in sechs Sätzen dessen Lehre und berief eine Commission, in der auch Liebermann und R. saßen, um dessen Lehre zu untersuchen. Dieselbe erstattete zwar 1838 ihren „Rapport an den Bischof“, aber gleichwohl zog sich der Streit hin, bis sich Bautain am 8. September 1840 in Rom unterwarf und bald darauf auch R. seine Unterwerfung einhändigte, da dieser, den gerade die nach der Rheingrenze lüsterne Regierung um ein Gutachten über die Gesinnungen der Bewohner derselben aufgefordert hatte, inzwischen zum Coadjutor des Bischofs mit Nachfolgerecht ernannt und am 5. August 1840 zum Bischof von Rhodiopolis i. p. i. präconisirt worden war. Am 14. Februar 1841 consecrirt, folgte er schon 1842 als Bischof nach zur Freude des elsässischen Volkes, das endlich wieder einen Bischof hatte, „den die Leute auch verstehen konnten“. Allein gerade er sollte jetzt dazu beitragen, das Deutschthum im Elsaß zu brechen, indem die Regierung darauf bestand, die deutsche durch die französische Sprache zu ersetzen, und R. 1844 aufforderte, er möge, nachdem alle Lehrfächer französisch gegeben würden, auch den Religionsunterricht französisch ertheilen lassen. Allein dieses Ansinnen ging ihm doch zu weit; „es sei, schrieb er darauf, [330] nicht möglich, den Kindern in französischer Sprache einen so wichtigen Unterricht zu ertheilen“; „es widerstrebe seinem Gewissen, die ersten Begriffe der Religion und Moral den Kindern in einer andern als in ihrer Muttersprache beibringen zu wollen“. Auf diesem Standpunkt blieb er auch später der Napoleonischen Regierung gegenüber stehen und widersetzte sich 1867 derselben aufs schärfste, als sie die deutsche Sprache aus Kirche und Schule verdrängen wollte; ja, er nahm damals auch die Widmung des Buches des Straßburger Ehrendomherrn Cazeaux „Versuch über das Beibehalten der deutschen Sprache im Elsaß“, 1867, an, worin derselbe die üblen Wirkungen der Ausrottung der deutschen Sprache auf Religion und Sitte zeigt und die im Elsaß eingerissene Sittenverderbniß auf dieselbe zurückführt. Indessen ließ R. in seinen Knabenseminaren den Unterricht französisch ertheilen. – Als Bischof war übrigens R. pflichteifrig. wie irgend ein französischer Bischof, und da er bei der Regierung, der gegenüber er stets mit großer Klugheit und Vorsicht verfuhr, in Ansehen stand, so gelang ihm auch Alles leicht. Die zahlreichen klösterlichen Niederlassungen vermehrten oder erweiterten sich, und allmählich errichtete er mit Hülfe der Regierung 65 neue Pfarreien, 118 Vicariate, 17 Almosenierstellen und erhöhte die Zahl seiner Professoren von 29 auf 54, denn das geistliche Schulwesen überließ die französische Regierung ganz den Bischöfen, für das übrigens R. selbst reichlich aus seinem Vermögen spendete. – Rom gegenüber gehörte R. zu jenen Bischöfen, welche einen Wunsch des Papstes schon als Befehl betrachten, und machte er daher alle Wendungen und Schritte Pius IX. bereitwilligst mit. 1854 wußte er nichts mehr davon, daß sein Lehrer Liebermann die unbefleckte Empfängniß für undefinirbar erklärt hatte; gleich den übrigen französischen Bischöfen vertheidigte er die Encyclica und den Syllabus von 1864; 1867 war er bei der Centenarfeier und unterzeichnete die Bischofsadresse, welche die absolute Nothwendigkeit des Kirchenstaats für die Kirche aussprach und beinahe schon den Papst für unfehlbar erklärte; auf dem vaticanischen Concil that er sich als einer der extremsten Curialisten hervor. Als er am 8. Januar 1870 über das Schema de fide sprach, wollte er es für unzulässig erklären, daß man über die Sätze desselben, welche nur päpstlichen Constitutionen entnommen, noch debattire, und eiferte in heftigster Weise gegen die deutschen Professoren. Dann war er ein Haupturheber der Infallibilitätsadresse der Majorität, in welcher er ohne Bedenken der Meinung von der Infallibilität eine „dogmatische Qualität“ zuerkannte und behauptete, sie sei schon von mehreren allgemeinen Concilien ausgesprochen worden, obwohl er einst das Gegentheil in Rothensee’s Primat erklärt hatte. Am 17. Februar 1870 verdammte er öffentlich in einem amtlichen Erlasse die Briefe des P. Gratry, nicht ohne einzelne Aeußerungen desselben zu mißdeuten oder zu übertreiben. Für die Unregelmäßigkeiten des Concils hatte er kein Auge, für die Klagen und Reclamationen der Minorität kein Ohr. Am 21. Mai trat er in der Generaldebatte über die Infallibilität zugunsten dieser und namentlich gegen zwei französische Bischöfe auf und „wies nach, wie begründet dieselbe sei, wie opportun deren dogmatische Erklärung, ja – in gegebener Lage – wie nothwendig“. Darauf eilte er nach Straßburg zurück, nachdem er dem Papst noch versichert: „Bei ihm sei die Unfehlbarkeit des Papstes längst entschieden, er sei ein Infallibilist aus alter Zeit (!) …, er habe sein Pulver verschossen,“ worauf Pius IX. erwiderte: „Gut verschossen.“ Die niedere Geistlichkeit im Elsaß – denn darauf kam es damals wesentlich an – war mit seiner Haltung zufrieden und empfing ihn bei seiner Rückkehr glänzend. Doch auch er sollte den revolutionären Geist des französischen Clerus, der ebenso den elsässischen erfüllte und die französischen Minoritätsbischöfe während des Concils so schwer kränkte, noch erfahren. – Elsaß und Lothringen kamen infolge des Krieges von 1870/71 [331] an Deutschland zurück. Der uralte Bischof von Metz, ein Franzose, fand sich darein, daß die deutsche Regierung sich an das französische Concordat und die organischen Artikel halten wollte und traf mit dieser einen modus vivendi, der die Fortdauer seines Priesterseminars in Montigny ermöglichte; anders der Deutsche R. Er unterwarf sich zwar der deutschen Regierung, wollte aber dafür volle Freiheit seiner Seminare, confessionelle Trennung der Schulen, kurz la liberté comme en Belgique. Der Civilcommissär Kühlwetter ging darauf ein, und R. fühlte sich bei dem Wechsel der Dinge ganz wohl. Als er aber dem Oberpräsidenten Möller zumuthete: „ob man denn nicht besser gemeinschaftlich regieren könne, statt sich zu zanken“, fragte dieser ihn: „ob denn der Bischof seinen Clerus auch in der Hand habe?“ R. ordnete nun 1871 eine Ergebenheitserklärung des elsässischen Clerus an. Allein schon 1872 nahm er an der Opposition des preußischen Episcopats in Fulda theil, und 1873 faßte sein Clerus eine Adresse gegen die Maigesetze ab. R. selbst ließ es bis zur Schließung seiner bischöflichen Schulen kommen. Das lag im Geiste seines französisch denkenden Clerus. Man wählte R. sogar 1874 im Kreis Schlettstadt zum Reichstagsabgeordneten; allein der berliner Boden wurde ihm gefährlich. Als er nach der Protesterklärung des Abgeordneten Teutsch im Reichstage erklärte, die Katholiken des Reichslandes anerkennen den Frankfurter Frieden, war seine Rolle ausgespielt. Sein Clerus, insbesondere der jüngere, wollte davon nichts wissen und trat in offener Feindschaft auch gegen ihn auf: in seiner nächsten Umgebung und in seinem Priesterseminar berieth man sogar eine Entrüstungsadresse. Er mußte sich seinem Clerus fügen oder untergehen. R. wählte des erstere, und als 1878 in den elsässischen Pfarrhöfen ein „Actionsprogramm“ gegen das „protestantische Deutschland“ verbreitet wurde, erfuhr die Regierung zu ihrer Ueberraschung, daß es von R. gebilligt war. Damit endete auch seine öffentliche Thätigkeit; man hörte nichts mehr von ihm, dem ein Coadjutor beigegeben war. Daß er noch zu den Lebenden zähle, erfuhr man nur noch dadurch, daß er von Zeit zu Zeit eine Fortsetzung oder Ergänzung seines Werkes „Die Convertiten seit der Reformation“, 13 Bde. 1866–1880, erscheinen ließ, – ein Werk, in welchem er „sämmtliche Zurückbekehrungen in die alte römisch-katholische und apostolische Kirche als neue und zufällige oder providentielle Stützpunkte der katholischen Wahrheit in einen großen geschichtlichen Rahmen einsammeln“ wollte. Diese Auffassung befremdet nicht an einem römisch-katholischen Bischof; doch hatte R. selbst für die Verschiedenheit der Motive der Convertirenden ein Auge (1. Bd. S. XV N. 1); es wäre aber vielleicht noch besser gewesen, wenn er sich angesichts derselben auch an 1. Cor. 3, 10 ff. hätte erinnern wollen. – Als R. am 17. November 1887 starb, zeigte sich erst öffentlich und unverhüllt, wie sehr ihn sein Clerus haßte. Kein Bischof, auch kein elsässer Geistlicher, sondern der Domdechant Heinrich aus Mainz hielt die Leichenrede, und damit man den Vorgang ja nicht mißverstehe, schrieb das Bulletin ecclés. seines Coadjutors und Nachfolgers: für einen Elsässer wäre es schwer gewesen, die Leichenrede zu halten; der anwesende Bischof Freppel von Angers, ein Elsässer, hätte sie unmöglich halten können, habe auch gar nicht daran gedacht; denn man müsse einen Schleier über die Schattenseiten im Leben des Bischofs breiten, welche die Geschichte niemals werde beseitigen können. Die Schattenseiten waren seine Erklärung im deutschen Reichstag 1874.

Bernhard, Andreas Räß, Bischof von Straßburg, 1873, in Deutschlands Episcopat in Lebensbildern I, 183–224. – Guerber, Bruno Franz Leop. Liebermann, 1880. – Friedrich, Geschichte des Vatican. Concils I. III. Bd.