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ADB:Scheiner, Christoph

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Artikel „Scheiner, Christoph“ von Siegmund Günther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 718–720, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Scheiner,_Christoph&oldid=- (Version vom 5. Oktober 2024, 12:25 Uhr UTC)
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Scheiner: Christoph S., Mathematiker und Astronom, geboren 1575 zu Wald bei Mindelheim in (bairisch-) Schwaben, † am 18. Juli 1650 zu Neiße in Schlesien. S. trat früh zu Ingolstadt in den Jesuitenorden und machte daselbst den üblichen Cursus durch. Bald nach Zurücklegung desselben beriefen ihn seine Oberen nach Freiburg i. B., und von hier aus ward er 1610 in gleicher Eigenschaft, als Professor der Mathematik und der hebräischen Sprache, nach Ingolstadt zurück versetzt. Während seines dortigen Aufenthaltes entstanden seine bedeutendsten litterarischen Arbeiten, mögen dieselben zum Theil auch erst viel später gedruckt worden sein; auch hatte er in dieser Zeit mehrere besondere Aufträge auszuführen, wie er denn 1614 und 1616 vorübergehend am Hofe des dortigen Statthalters, des Erzherzogs Maximilian (des Deutschmeisters), lebte; von 1616 an brachte S. einige Zeit auf Reisen zu, die ihn u. a. auch zu akademischen Gastvorstellungen in Rom führten, und übernahm im Jahre darauf das Rectorat des Jesuitencollegiums’s zu Neiße, wo er bis an sein Lebensende verblieb, mit seinen übrigen Pflichten diejenigen eines Beichtvaters des Erzherzogs Karl verbindend. Auch in Rom finden wir ihn später noch mehrere Male.

Die wissenschaftliche Thätigkeit unseres S. war eine sehr vielseitige. Schon 1603 erfand er das Zeicheninstrument, welches den Namen „Pantograph“ oder „Storchschnabel“ führt und noch jetzt vielfach dazu verwendet wird, Zeichnungen in einem ganz anderen Maßstabe, als in dem sie ursprünglich angefertigt waren, bei voller Formentreue zu reproduciren; s. seine „Pantographice seu ars delineandi res quaslibet“ (Rom 1631). Er beschäftigte sich eifrig mit Sonnenuhrkunde („Exegesis fundamentorum gnomonicorum“, Ingolstadt 1615) und mit Optik („Oculus, hoc est fundamentum opticum“, Innsbruck 1619), und in diesem Werke legte er Ansichten von bleibendem Werthe nieder. Ohne von der nahezu gleichzeitigen Entdeckung des wahren Berechnungsgesetzes Kenntniß zu haben, wußte er doch die Berechnungsindices für die wichtigsten, das menschliche Auge zusammensetzenden Medien richtig anzugeben, er erkannte in der Netzhaut den eigentlichen Sitz des Sehens und lehrte zum Beweise hierfür gewisse Grundversuche an Thier- und Menschenaugen anzustellen, er bildete sich bereits zutreffende Vorstellungen von dem, was wir heute „Akkommodation des Auges“ nennen, und beschrieb das seither in der Experimentalphysik mit diesem Namen belegte Scheiner’sche Experiment: schneidet man in ein Kartenblatt kleine Löcher, hält das Kartenblatt nahe vors Gesicht und blickt so nach einer Lichtquelle, so sieht man vor derselben ebensoviele Bilder entstehen, als Löcher vorhanden sind. Die meteorologische Optik bereicherte S. durch seine Beschreibung einer sehr merkwürdigen Nebensonnenerscheinung, die er am 20. März 1629 zu Rom wahrnahm und die seitdem als „römisches Phänomen“ in den Lehrbüchern figurirt; diese Bezeichnung hatte nämlich Descartes aufgebracht, der, da S. selbst hierüber nichts publicirte, den ersten Bericht in seinen „Meteora“ der Gelehrtenwelt vorlegte. Am meisten genannt wird jedoch Scheiner’s Name in der Geschichte der Astronomie. Schon vor 1611 hatte sich S., angeregt durch die damals umlaufenden Gerüchte von vergrößernden Instrumenten, ein astronomisches Fernrohr [719] construirt, und mit demselben den Himmel zu mustern begonnen; dabei stand ihm als treuer Gehülfe zur Seite sein Schüler, der Jesuitenzögling Johann Baptist Cysatus aus Luzern, der auch auf den glücklichen Gedanken verfiel, die bisher nur durch einen ziemlich dichten Nebel hindurch von S. beobachtete Sonne dadurch der Beobachtung zu beliebiger Zeit unterworfen zu machen, daß er vor dem Oculare des Fernrohres noch ein Blendglas anbrachte. Die erste, bestimmt nachzuweisende Beobachtung eines Sonnenfleckes ist, das steht jetzt urkundlich fest, im December 1610 dem ostfriesischen Astronomen Johann Fabricius gelungen, allein S. kann trotzdem als gleichberechtigter Mitentdecker gelten, da er die fraglichen Gebilde schon im März 1611 auffand und nunmehr systematisch beobachtete. Im Orden Jesu bestand die Einrichtung, daß wissenschaftliche Errungenschaften eines Genossen zunächst die Censur der Oberen zu passiren hatten; als jedoch S. seine Entdeckung dem Provinzial Busäus mittheilte, fand er bei diesem, einem in der Wolle gefärbten Aristoteliker, ungünstige Aufnahme und durfte zunächst nicht wagen, öffentlich hervorzutreten. Gleichwohl konnte er es sich nicht versagen, dem als Freund der Wissenschaften bekannten Stadtpfleger Marx Welser einen genauen Bericht abzustatten, worauf dieser die drei betreffenden Briefe 1612 in Augsburg drucken und als Briefsteller „Apelles latens post tabulam“ unterzeichnen ließ. Galilei erhielt ein Exemplar des Schriftchens zugesandt und reclamirte dann sofort in einem Schreiben an Welser seine Priorität, da seine Beobachtungen der Sonnenflecke noch auf ein früheres Datum zurückgingen, wie diejenigen des Apelles. Damit war nun der letztere wieder nicht einverstanden und ließ, indem er das bisherige Pseudonym durch ein neues, „Ulysses sub Ajacis clypeo“ ersetzte, eine das eigene Recht wahrende Schrift erscheinen: „De maculis solaribus et stellis circa Iovem errantibus accuratior disquisitio ad M. Welserum perscripta, interjectis observationum delinationibus“ (Augsburg 1612). Damit nahm der unselige Prioritätsstreit zwischen S. und Galilei seinen Anfang, der nicht einmal einen erkennbaren Zweck hatte und, wenn man den Einfluß des ersteren in der mächtigsten geistlichen Körperschaft jener Zeit erwägt, als eine der Ursachen für die schweren Schicksalsschläge erachtet werden muß, die den großen Naturforscher nicht lange darnach betrafen. Jedenfalls ließ sich S. durch diesen Streit bestimmen, besonderen Fleiß auf das anhaltende Studium der Sonnenoberfläche zu verwenden und die Früchte seines Fleißes in einem voluminösen, dem Herzog von Orsini gewidmeten Werke niederzulegen („Rosa Ursina, sive Sol ex admirando facularum suarum phaenomenon varius, nec non circa centrum suum et axem fixum ab ortu in occasum conversione quasi menstrua, super polos proprios mobilis“, Bracciano 1630). Hierin ist u. a. das „Helioskop“ beschrieben, mittelst dessen das Sonnenbild sich auf einer weißen Wand entwerfen und bequem beobachten ließ, und Scheiner’s Methode, die Rotationselemente des Centralgestirnes zu bestimmen, gewährt auch unter dem mathematischen Gesichtspunkte Interesse. Die Sonnenflecke hielt S. für kleine um den Körper der Sonne kreisende Planeten. Seine gehässige Gesinnung gegen den italienischen Nebenbuhler verleitete S. zu einer Schrift, welche, posthum erschienen, zu seinem Ruhme gerade nicht beigetragen hat: „Prodromus de sole mobili et stabili terra contra Galilaeum de Galileis“ (Neiße 1651). Dagegen ist noch lobend zweier die Lehre von der astronomischen Refraction behandelnder Arbeiten („Sol ellipticus“, Augsburg 1615; „Refractiones coelestes seu solis elliptici phaenomenon illustratum“, Ingolstadt 1617) zu gedenken, weil darin theoretisch richtig ausgeführt ist, es müsse, da die Strahlenbrechung vom Horizont gegen den Scheitelpunkt hin abnehme, strenge genommen jeder eine kreisförmige Scheibe ausweisende Himmelskörper derart deformirt werden, daß der Kreis in eine Ellipse übergehe.

[720] Mederer, Annalen der Universität Ingolstadt, 2. Bd., ebenda 1782, S. 201 ff. – v. Prantl, Geschichte der Ludwigs-Maximiliansuniversität in Ingolstadt, Landshut. München. München 1872, 1. Bd. S. 444; 2. Bd. S. 500. – Wolf, Geschichte der Astronomie. München 1877, S. 255, 319, 361, 393, 394, 587, 650. – Wolf, Biographien zur Kulturgeschichte der Schweiz. 1. Zyklus, Zürich 1858, S. 107. – Poggendorff, Geschichte der Physik. Leipzig 1879, S. 197, 199, 200, 201, 203, 641. – Favaro, Di alcuni relazione tra Galileo Galilei e Federico Cesi illustrate con documenti minediti, Bull. di bibliografia e di storia delle scienza mat. et fis., vol. XVII, 219 ff.