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ADB:Stapfer, Philipp Albert

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Artikel „Stapfer, Philipp Albert“ von Alfred Stern in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 451–456, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stapfer,_Philipp_Albert&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 23:57 Uhr UTC)
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Stapfer: Philipp Albert St., schweiz. Staatsmann und Gelehrter, geboren am 23. September 1766 in Bern, † am 27. März 1840 in Paris. Sein Vater, Daniel St. aus Brugg im Aargau, war Pfarrer am Berner Münster, seine Mutter, Burnand mit ihrem Familiennamen, war aus Moudon im Waadtland gebürtig. Germanisches und romanisches Wesen verbanden sich im elterlichen Hause, und diese Verbindung äußerte ihre Wirkung auf die geistige Entwicklung des Knaben. Für den theologischen Beruf bestimmt und begeistert, eignete er sich in der Litterarschule und in der Akademie seiner Vaterstadt umfassende Kenntnisse, namentlich in den alten Sprachen und in der Philosophie an und gab schon 1786 seine Erstlingsarbeit „De philosophia Socratis“ heraus. Ein Jahr darauf folgte eine akademische Festrede „De vitae immortalis spe firmata per resurrectionem Christi“. Im Herbst 1789 begab er sich zur Fortsetzung seiner Studien nach Göttingen, wo er u. a. Eichhorn, Michaelis, Heyne, Spittler, Schlözer, Lichtenberg, hörte. Im Bestreben nach universeller Bildung war er in Gefahr seinen Kräften zu viel zuzumuthen, und ein bald nachher ausbrechendes Augenleiden hatte ohne Zweifel in übermäßigem nächtlichem Studieren seinen Grund. Die Bekanntschaft mit J. G. Zimmermann in Hannover bot viel Anregung. Eine Reise nach London und Paris (1791/92) führte ihm eine Menge bedeutender Anschauungen zu. Er war gereift, als er in die Heimath zurückkehrte, wo ihm, zuerst in Stellvertretung seines Oheims, die Professur der theoretischen Theologie an der Akademie, danach auch die der Philologie und Philosophie am politischen Institute, einer Bildungsanstalt für die patriotische Jugend, übertragen wurde. Nach dem Abgange von J. S. Ith (s. A. D. B. XIV, 643) (1796) wurde er sogar Director dieser Anstalt. Die pädagogische Thätigkeit, die er in diesen Jahren entfaltete, hinderte ihn nicht an der Abfassung einiger Schriften, die seinen Namen in weiteren Kreisen bekannt machten. Eine Inauguralrede „Die fruchtbarste Entwicklungsmethode der Anlagen des Menschen, zufolge eines kritisch-philosophischen Entwurfs der Culturgeschichte unseres Geschlechts“ (1792), war eine glänzende Vertheidigung des Studiums der classischen Werke der Griechen und Römer. Eine Abhandlung „De natura, conditione et incrementis Reipublicae eticae“ (1797) bezeugte den großen Einfluß, den Kant auf St. ausgeübt hatte, ohne daß er dadurch dauernd vom Boden des positiven Christenthums losgerissen worden wäre. Der „Versuch eines Beweises der göttlichen Sendung und Würde Jesu aus seinem Charakter“ (1797), war die Erweiterung einer im Berner Münster gehaltenen Predigt.

Mitten aus dieser ruhigen Laufbahn des Lehrers und Schriftstellers wurde St. durch die Ereignisse des Jahres 1798 herausgerissen. Mit dem Falle Berns entschied sich der Sturz der alten Eidgenossenschaft. So lebhaft St. den Sieg der revolutionären Grundsätze in seinem Vaterlande wünschte, so heftig stießen ihn die Gewaltsamkeiten der Franzosen ab. Bern hatte am schwersten unter ihnen zu leiden. Um einige Erleichterungen beim französischen Directorium zu [452] erwirken, sandte die provisorische Berner Regierung Lüthard und St. nach Paris. Der verhältnißmäßig sehr günstige Vertrag vom 27. April 1798 war nicht sowohl ihr Werk, als eine Frucht der Anstrengungen und der Gewandtheit G. A. Jenner’s. Aber der Aufenthalt in Paris war für St. in jeder Weise lehrreich. Er that tiefe Blicke in die Ideen der leitenden Persönlichkeiten Frankreichs, namentlich soweit sie sich auf die zukünftige Gestalt der Schweiz bezogen. Damals lernte er auch eine durch die schönsten Herzens- und Geisteseigenschaften ausgezeichnete Dame, Marie Vincent kennen, die er bald darauf als Gattin heimführte. Die Ehe, der zwei Knaben entsprossen, war eine sehr glückliche. St. weilte noch in Paris, als er vom helvetischen Directorium zum Minister der Künste und Wissenschaften ernannt wurde. Damit begann für ihn eine Zeit angestrengtester Arbeit. Abgesehen von den Beziehungen des Staates zur Kirche, war das gesammte Bildungswesen seinem Ministerium unterstellt. Denn dies umfaßte außer Cultus und Schulwesen, noch die Presse, bürgerliche Feste, Aufsicht über Museen, Bibliotheken, öffentliche Bauten. Alles mußte erst organisirt werden, unter den größten Schwierigkeiten, bei mangelnden Mitteln, während das Land von fremden Truppen besetzt, und Schauplatz blutiger Kämpfe war. Das bedeutendste Hinderniß dauernder Erfolge war aber das Widerstreben des schweizerischen Volksgenius gegen den Unitarismus, dem St., wie Laharpe, Rengger und so viele andere ihm innig verbundene Männer, huldigte. Sein Idealismus hob ihn jedoch über die Schranken seiner Zeit hinweg, und manche Saat, die er ausstreute, reifte später. Wie er selbst beim Antritt seines Amtes seine Aufgabe faßte, geht am deutlichsten aus einem am 15. August 1812 an Paul Usteri geschriebenen Briefe hervor, in dem er einen Rückblick auf seine Verwaltung wirft. „Wegen des Stufenganges der wissenschaftlichen Bildung wollte ich es nach der Smith’schen Theorie der Division de Travail dahin anlegen, daß nach und nach alle unsere in der Schweiz damals bestehenden hohen Schulen zu gründlichen Vorbereitungsanstalten umgeschaffen, und dann eine einzige Nationaluniversität creirt würde … In diese Centralanstalt wäre Niemand aufgenommen worden, als wer von einer der vorbereitenden Akademien mit allen Präliminarkenntnissen hinreichend ausreichend ausgerüstet, nach überstandenen Prüfungen discutirt worden wäre … Das Ganze sollte ein Institut krönen, das die ausgezeichnetsten Gelehrten und Schriftsteller begriffen und zugleich die Oberaufsicht über die ganze Unterrichtshierarchie geführt hätte … Alle die zerstreut existirenden theologischen, juristischen, therapeutisch-klinischen Katheder wären durch die besser organisirten und reicher ausgestatteten Lehrstellen in der Centralanstalt ersetzt, und die nach und nach an den bisherigen Akademien durch Tod oder anderweitige Versorgung eingehenden Facultätsstühle entweder zur Vervollständigung des reinen Theils des Unterrichts (der propädeutischen Bildung), in Lehrstellen für Philologie, Mathematik, Naturwissenschaft, speculative Philosophie, geschichtliches Studium jeder Art verwandelt, oder in die Nationaluniversität versetzt und zu ihrer Fundirung mit verwendet worden. Die Behörden des Unterrichtswesens hätte ich mit den übrigen Staatsgewalten … dadurch in nothwendige Verknüpfung und wohlthätige Wechselwirkung zu setzen gesucht, daß die Exhibition von akademischen oder Universitätszeugnissen, wegen vollendeter Studien in einem Fache oder wenigstens wegen erhaltener propädeutischcr Cultur, zur Wahlfähigkeit für Stellen in allen andern Zweigen der Staatseinrichtung unablässig und verfassungsgemäß wäre gefordert worden. Der heillosen Verwahrlosung der Bildung der untern Volksclassen sollte, wie billig, mit Urgenz gesteuert werden; und dazu ward der Anfang durch die Erziehungsräthe und Inspectoren … wirklich mit mehr Glück gemacht, als in den unruhvollen Zeiten, wo diese Behörden organisirt wurden, zu hoffen stand … Der Impuls, den diese Männer gaben, währt in manchem [453] Kanton noch fort, und die Schulinspectorencreation hat alle andern Revolutionsschöpfungen überlebt. Wie ich als Ministre des Cultes die Religionslehrer beider Kirchenparteien zu einem moralischen Wettstreit auffordern und ihre kirchliche Thätigkeit zu immer ausschließlicherer und reinerer Verwendung für sittliche Besserung und Volksveredlung hinlenken wollte, spricht sich in meinem Schreiben an die Geistlichkeit von 1798, einigen Hauptideen nach, schon so deutlich aus, als es Umstände und Klugheit gestatteten. Dieses Programm und die Anrede an den Erziehungsrath in Luzern, halte ich für das Erträglichste was ich geschrieben. Rengger giebt der Botschaft über die Organisation des öffentlichen Unterrichts den Vorzug, allein in derselben ward der Horizont, schon durch viele Nebenrücksichten beengt, sehr umnebelt.“

Nicht alles, was St. als Minister in Angriff nahm, ist in diesen Worten berührt. Vieles, wie seine Bestrebungen für die Stiftung von Lehrerseminarien, seine Unterstützung Pestalozzi’s, seine Begründung eines helvetischen Volksblattes und eines „Bureaus für Nationalcultur“, seine Verdienste um Erhaltung der Bibliotheken …, Bewahrung eines Nationalarchives u. a. m., darf daneben nicht vergessen werden. Die Botschaften, Instructionen, Gutachten und andere von ihm selbst mit ausgesuchter Sorgfalt verfaßte oder doch von ihm genehmigte Actenstücke bezeugen seinen unermüdlichen Eifer und seinen weiten Blick. Aus Urkunden dieser Art erkennt man auch am besten seine persönliche Ansicht über die auftauchenden Fragen der Kirchenpolitik. In der Theorie betrachtete er die Kirchen nur als Privatgesellschaften. Dies konnte aber der Cultusminister der helvetischen Republik in der Praxis nicht folgerichtig durchführen, weil er damit überflüssig geworden wäre. Auch war er nicht stark genug, in jedem einzelnen Fall den Widerstand des Directoriums gegen seine Entscheidungen zu brechen. Auf der anderen Seite beschuldigte man ihn nicht selten der Absicht, die Philosophie an die Stelle der christlichen Offenbarungsreligion setzen zu wollen. Aus allen diesen Verhältnissen erwuchsen ihm mannichfaltige Aergernisse. Um sich von den Beschwerden seines Amtes zu erholen, erbat er im Juli 1800 einen mehrwöchentlichen Urlaub, den er in Paris bei seinen Verwandten verbrachte. Zugleich wurde ihm aber eine politische Mission anvertraut, womit sich sein Uebergang in die diplomatische Laufbahn bewerkstelligte. Denn bald danach wurde er zum interimistischen Geschäftsträger, hierauf zum bevollmächtigten Minister der helvetischen Republik bei der französischen ernannt. St. brachte für den neuen wichtigen Posten, auf den er gestellt wurde, manche sehr nützliche Gaben mit: weltmännische Bildung, Anmuth der Unterhaltung, scharfen Verstand, volle Beherrschung der französischen Sprache, die er beinahe mit noch größerer Feinheit handhabte als die deutsche. Dagegen läßt sich bezweifeln, ob er in gleicher Weise über Kaltblütigkeit und Menschenkenntniß gebot. Zwar durchschaute er Napoleon’s despotische Natur vollkommen und lernte im Verkehr mit Sieyès, Talleyrand, Fouché und anderen Persönlichkeiten von Ansehen vieles, was ferner Stehenden verborgen blieb. Auch war es kein schlechter Rath, wenn er, kaum in Paris heimisch geworden, an Usteri schrieb: „Eilet, eilet euch eine Verfassung zu geben und diese Verfassung ins Werk zu setzen. Thut, als wenn ihr euch der Vorschrift des ersten Consuls gemäß als in einem provisorischen Zustand betrachtet: allein handelt, handelt, um Gottes Willen, und kündiget, nach vollendetem Bau, die Sache als geschehen an. So könnet ihr allein eure Unabhängigkeit retten, das Werk einer Zerstückelung oder schimpfliche Unterwerfung erschweren und die so nöthige Achtung einflößen, die wir nun gänzlich eingebüßt haben.“ Aber er ließ sich zu dem Irrthum verleiten, daß die französische Regierung den Unitarismus in der Schweiz unter allen Umständen stützen würde, und war mitunter im schriftlichen wie im mündlichen Verkehr mit den [454] Machthabern an der Seine zu unvorsichtig. Freilich war es ein schweres Werk, wie er sich einmal ausdrückt, „den Tiger bei guter Laune zu erhalten“, die Würde des durch Parteikämpfe zerrissenen Vaterlandes zu wahren und die Pläne der Gegner zu durchkreuzen.

Manches gelang ihm, wie die Erhaltung des Kantons Aargau in der sogenannten „Verfassung von Malmaison“ und die Erwirkung der Abberufung Reinhard’s, eines Freundes der Föderalisten, vom französischen Gesandtschaftsposten in der Schweiz. Aber der Lauf der Ereignisse mußte ihm seine Ohnmacht immer deutlicher zum Bewußtsein bringen. Namentlich blieben seine Versuche, das Wallis für die Schweiz zu retten, vergeblich. Er selbst gerieth sogar in eine so schiefe Stellung, daß er dem Vorwurf der Zweideutigkeit nicht hat entgehen können. Der Gesandte und der Privatmann St. kamen mit einander in Widerspruch. Der Staatsstreich vom 28. October 1801 war ihm nicht unerwartet und nicht unerwünscht. Als aber die Neuwahlen vorwiegend föderalistisch ausfielen, seine Hoffnung auf eine Fusion der Parteien scheiterte und seine unitarisch gesinnten Freunde ihrem Unwillen Luft machten, verurtheilte er das Geschehene aufs schärfste. Während sein Vorgesetzter, das Haupt der neuen Regierung, Landammann Reding (s. A. D. B. XXVII, 523–529) im Begriff war, in Paris zu erscheinen, rieth St. den Freunden, die Abwesenheit des Mannes zu benutzen, um eine „neue Revolution“ zu unternehmen. Damals kam es noch nicht dazu, und St. mußte sich mit der Aufnahme von sechs Unitariern in die heimische Centralbehörde begnügen. Bald darauf jedoch, am 17. April 1802, wurde, unter seinem Antrieb, durch einen neuen Staatsstreich Reding verdrängt und den Unitariern die Macht zurückgegeben. Allein der von Napoleon im Juli befohlene Abzug der französischen Truppen aus der Schweiz bewirkte alsbald die Auflehnung eines großen Theiles der Bevölkerung gegen die ihr aufgedrungene unitarische Verfassung. In St. kämpften die Gefühle der Genugthuung über die Befreiung seines Vaterlandes von den fremden Soldaten mit denen der Furcht wegen der eingetretenen Folgen. Beim siegreichen Fortschreiten des Aufstandes ward er beauftragt, die Hülfe Napoleon’s anzurufen. Er erbat eine formelle Erklärung der Anerkennung der bedrängten helvetischen Regierung, Absendung eines außerordentlichen Gesandten und einiger, in französischem Dienste stehender schweizer Soldtruppen. Napoleon aber hielt im Herbst 1802 die Stunde für gekommen, selbst mit Waffengewalt einzuschreiten und sich der Schweiz als „Vermittler“ anzubieten. Wie Stapfer’s Herz dadurch verwundet wurde, ergiebt sich aus seinem Ausspruch: „O unglückliches Vaterland, unsere Zwistigkeiten bedrohen uns mit dem Verlust nicht nur jeglicher Wohlfahrt, sondern auch der Achtung, die man bisher dem Schweizernamen zollte. O wir können nicht einmal mit Franz I. ausrufen: „Tout est perdu fors l’honneur“. Er bestrebte sich, um so viel wie möglich zu retten, die tüchtigsten Gesinnungsgenossen für die Consulta zu gewinnen, die sich in Paris zu versammeln hatte. Er selbst gehörte ihr als Gesandter wie als Vertreter von Thurgau und Aargau an, entwarf eine Denkschrift, in der er die Nothwendigkeit einer kräftigen Centralregierung für die Schweiz nachzuweisen suchte, und war Mitglied des Zehnerausschusses, der mit Napoleon und seinen Commissaren zu berathen hatte. Obwohl die von diesem aufgelegte Mediationsverfassung die Hoffnungen der Unitarier vernichtete, erkannte St. sie später doch als Napoleon’s „bestes Werk“ an. Von Napoleon zum Präsidenten der Liquidationscommission ernannt, begab sich St. im April 1803 nach dem damaligen Vorort Freiburg, wo diese Commission ihre Verhandlungen führte, reichte aber bald seine Entlassung ein. Seine diplomatische Laufbahn war mit der Einführung der Mediationsverfassung zu Ende. Er selbst urtheilte 1811 freimüthig über sie: „Meine Pariser Verhältnisse und Erfahrungen [455] hätten der von mir vertheidigten Sache und ihren edlen Freunden weit nützlicher sein können, wenn ich damals nicht, theils aus Mangel an wirklich praktischen Staatskenntnissen, theils aus zu festem Vertrauen auf die Heilsamkeit oder unfehlbare Veredlungskraft gewisser Verfassungsformen, auf einmal gefaßte systematische Ideen zu viel Gewicht, zu geringes Interesse hingegen auf den Einfluß des Personals und die Macht der Angewöhnungen gelegt hätte.“

Mit dem Jahre 1803 beginnt der zweite, weniger geräuschvolle, aber nicht minder anziehende Abschnitt von Stapfer’s Leben. Aus dem stürmischen Meere der Politik rettete er sich wieder zur Beschäftigung mit den geistigen Fragen. Zwar blieb sein lebhaftes Interesse den politischen Angelegenheiten bewahrt, und hie und da fand er selbst Anlaß von ferne in sie einzugreifen. So betheiligte er sich an der St. Galler Bisthums- und Thurgauer Collatursache, und gedachte durch Veröffentlichung seiner Noten von 1802, der Annexion des Wallis durch Frankreich entgegenzuarbeiten. Er verwandte sich 1814 zu Gunsten der Unabhängigkeit der Schweiz und des Bestandes von Aargau, was ihm 1815 die Wahl in den dortigen Großen Rath eintrug. Auch später noch, wie 1823, als ihn ein Aufenthalt in London mit mehreren der dortigen Minister in Berührung brachte, und 1837 bei Gelegenheit des Conseilhandels, machte er seinen persönlichen Einfluß in patriotischem Sinne geltend. Von solchen Zwischenfällen abgesehen, blieb er aber lediglich ein Beobachter der politischen Vorgänge, durch jeden freiheitlichen Fortschritt und durch jeden Gewinn der Cultur hocherfreut. Seine Zeit gehörte in erster Linie schriftstellerischen Arbeiten, wobei ihn nicht am wenigsten der Wunsch leitete, die Franzosen mit den Erzeugnissen des deutschen Geistes bekannt zu machen. Zwar stieß seine Absicht, eine Bibliothèque oder Revue germanique zu gründen, unter Napoleon auf unüberwindliche Hindernisse. Die Archives littéraires, die er mit Degerando und Vanderbourg herausgab, sowie die mit Villers gegründeten Mélanges de littérature étrangère konnten sich nur kurze Zeit behaupten. Sehr schätzenswerth, wenn auch mitunter verstümmelt, waren seine Beiträge in der Biographie universelle, unter denen die ausführlichen Artikel Socrates und Kant hervorragen. Manches deutsche Werk, wie von Heeren, Sartorius, Wessenberg, dankte seiner Fürsorge, daß es sich in anständigem französischen Gewande blicken lassen durfte. Alexander v. Humboldt, mit dem er innig befreundet war, wurde in seinen ethnographischen und linguistischen Arbeiten von ihm unterstützt. Selbständig erschien er mit seinen Schriften „Voyage pittoresque de l’Oberland Bernois“ und „Histoire et description de la ville de Berne“ 1835, die sich durch feine Beobachtungen und anmuthige Schilderungen auszeichnen.

Ein anderes Gebiet von Stapfer’s Thätigkeit, das gleichfalls für den Schriftsteller nicht unfruchtbar blieb, war das religiöse. Dem positiven Christenthum, das sich zeitweise bei ihm verwischt hatte, wieder vollständig zurückgewonnen, war er ein eifriger Theilnehmer der Société de la morale chrétienne und wurde dadurch zuerst mit A. Vinet in Verbindung gesetzt. Als angesehener Führer der französischen Protestanten, die er mit den Forschungen ihrer deutschen Glaubensbrüder bekannt zu machen suchte, schrieb er eine Reihe von Abhandlungen, die zuerst in den Archives du christianisme, im Semeur und an anderen Orten erschienen, sodann mit sonstigen seiner Arbeiten von Vinet in den „Mélanges philosophiques, littéraires, historiques et religieux par P. A. Stapfer“ (Paris 1844, 2 Bde.) wieder herausgegeben worden sind. Eben hier finden sich viele seiner Reden, die er als Präsident religiöser Vereine, wie von Missions- und Bibelgesellschaft, gehalten hat. Er wies Angriffe, die Lamennais und Bonald gegen die Bibelgesellschaft richteten, zurück. Die Verbindung mit J. Monod, A. de Staël, S. Vincent, Maine de Biran, Guizot, 1807–1810 dem Hauslehrer [456] seiner Söhne, kam ihm bei allen diesen Bestrebungen zu Statten. Endlich erwarb er sich ein großes Verdienst als Stifter der schweizerischen Hülfsgesellschaft in Paris. Es fehlte nicht an Versuchen, ihn wieder in sein Vaterland zu verpflanzen. So wurde er 1813 zum Leiter der Kantonsschule in Aarau, 1816 an die Akademie von Lausanne berufen. Aber die Rücksicht auf den Wunsch seiner Gattin, die sich nicht von Paris trennen wollte, und die Angewöhnung an den Reiz des dortigen Lebens hielten ihn zurück. Auch 1824 konnte er sich nicht entschließen, einem Rufe als Professor der Dogmatik an der protestantischen Akademie in Montauban zu folgen. Ein Virtuose geistvoller Unterhaltung, fand er hohen Genuß im Verkehr mit den Größen der Wissenschaft und Kunst, die in der französischen Hauptstadt zusammenströmten. Im Sommer bewohnte er den Landsitz Belair, später das Schloß Talcy, unweit der Stadt Mer, das 1834 in sein Eigenthum überging. Mit der Schweiz blieb er durch mehrere Reisen und durch einen lebhaften Briefwechsel in beständiger Verbindung. Vor allen waren es C. F. Laharpe, Usteri und Rengger, mit denen er im regsten Gedankenaustausch stand. Sein Tod (27. März 1840) wurde von allen, die seinen Werth kannten, als ein schwerer Verlust empfunden.

Rudolf Luginbühl, Ph. Alb. Stapfer. Ein Lebens- und Culturbild Basel. 1887. Von demselben Gelehrten rühren die folgenden Ausgaben wichtiger Correspondenzen Stapfer’s mit Freunden und Bekannten: Aus Philipp Albert Stapfer’s Briefwechsel (vor allem bemerkenswerth der Briefwechsel mit Laharpe und Usteri), in den Quellen zur Schweizer Geschichte, herausg. von der allgem. geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz. Bd. XI, XII. 1891. – Briefe von J. G. Zimmermann, E. v. Fellenberg, S. Schnell, K. Schnell und G. L. Meyer v. Knonau an P. A. Stapfer (im Archiv des historischen Vereins des Kantons Bern. Bd. XIII. 1890). – Vgl. außerdem: Der Kanton Aargau in den Jahren 1814 u. 1815 nach Briefen aus dem Nachlasse P. A. Stapfer’s. Im Auftrage der historischen Gesellschaft des Kantons Aargau herausgegeben von Rudolf Luginbühl. Aarau 1891. – Alexandre de Humbold et Philipp Albert Stapfer par Rudolphe Luginbühl. (Aus der Denkschrift der histor. und antiquarischen Gesellschaft zu Basel zur Erinnerung an den Bund der Eidgenossen vom 1. August 1291.) Basel 1891. – Stapfer’s Briefwechsel mit Rengger im Leben und Briefwechsel von Albrecht Rengger herausg. von F. Wydler. Bd. II. Zürich 1847. Stapfer’s Gesandtschaftsberichte herausg. von Jahn: Bonaparte, Talleyrand et Stapfer. Zürich 1869. – Für die Zeit der Helvetik siehe, abgesehen von den bekannten allgemein geschichtlichen Werken: Amtliche Sammlung der Acten aus der Zeit der helvetischen Republik, herausg. auf Anordnung der Bundesbehörden, bearbeitet von J. Strickler. Bern 1886 ff. – Hilty, Oeffentliche Vorlesungen über die Helvetik. Bern 1878. – Leben der beiden Zürcherischen Bürgermeister David v. Wyß, geschildert von Fr. v. Wyß. Zürich 1884. 1886. – Ueber Religionsfreiheit in der helvetischen Republik. Rectoratsrede von E. Herzog. Bern 1884.