ADB:Stolberg-Stolberg, Luise Gräfin zu

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Artikel „Stolberg-Stolberg, Luise, Gräfin zu“ von Emil Pfitzner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 370–372, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stolberg-Stolberg,_Luise_Gr%C3%A4fin_zu&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 22:46 Uhr UTC)
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Stolberg-Stolberg: Luise, Gräfin zu St.-St., geboren 1799 in Stolberg am Harz als Tochter des damaligen Erbgrafen Friedrich Heinrich aus seiner Ehe mit Marianne Gräfin v. d. Mark, † am 15. Aug. 1875. Ihre Jugendzeit war eine unruhige und vielbewegte, deren vielgestaltigen Eindrücke auf die Entwicklung der Frau nicht ohne Einfluß geblieben sind. Nur die ersten Kinderjahre durfte sie in den stillen Waldbergen der Heimath verleben. Nachdem sich die Eltern geschieden, nahm die zweite Gemahlin ihres Vaters die sechsjährige mit nach Dänemark, wo sie auf dem Besitzthum ihrer Stiefmutter, einer gebornen Gräfin Knuth, verwittweten Bernstorff, auf Fünen einige stille glückliche Kinderjahre verlebte. Später folgte sie dem Rufe der eigenen Mutter, welche sich nach dem inzwischen erfolgten Tode ihres ersten Gemahls mit einem Chevalier de Thierry in Paris vermählt hatte, in die französische Hauptstadt, um hier in einem vornehmen Klosterpensionat ihre Lehrjahre zuzubringen. Im J. 1814, mitten in der Unruhe nach dem Einzug der verbündeten Fürsten, starb in Paris ihre Mutter. König Friedrich Wilhelm III. stand an ihrem Sterbebette und versprach der Sterbenden sich ihrer verwaisten Tochter anzunehmen. Auf des Königs Anordnung wurde die 15jährige zur Vollendung ihrer Erziehung nach Berlin gebracht. Mit dem königlichen Hause trat sie hier in regen Verkehr; offenbar schon in dieser Zeit ist der Freundschaftsbund mit dem geistvollen Kronprinzen, nachmaligen König Friedrich Wilhelm IV. geschlossen worden, dessen Pflege in begeisterter Verehrung der Inhalt ihres Lebens bis ans Ende geblieben ist.

Als nach dem frühen Tode ihres Vaters dessen jüngerer Bruder Graf Joseph, der Vater des jetzt regierenden Fürsten Alfred, Haupt des Hauses geworden war, vermählte sie sich im J. 1819. 20 Jahre alt, mit diesem ihrem Oheim. Sie ist dem an Jahren viel älteren Gemahl eine treue, mit fast kindlicher Verehrung zu ihm aufschauende Gattin und praktisch tüchtige Hausfrau, eine sorgsame Pflegerin und Erzieherin ihrer fünf Kinder gewesen. Nach dem Tode ihres Gemahls im J. 1839 führte sie während der Minderjährigkeit des Erben die Vormundschaft und Verwaltung mit klugem Sinn und fester Hand. Die späteren Lebensjahre hat sie bis zu ihrem Tode auf ihrem Wittwentheil in Stolberg zugebracht.

Von ihrer litterarischen Thätigkeit ist an die Oeffentlichkeit nicht viel gedrungen; es sind nur folgende fünf Sammlungen: „Königslieder“ 1841, „Psychorama eines Scheintodten“ 1847, „Königslieder“, 2. Reihe, 1858, „Die grüne Stube“ 1865 und „Zum Gedächtniß König Friedrich Wilhelm’s IV. von Preußen. [371] Aeltere und neuere Königslieder“. Außerdem sind noch verschiedene Aufsätze im Manuscript vorhanden: „Erinnerungen aus der Jugendzeit“, Kritiken über bedeutsame Erscheinungen der damaligen Zeit: „Chateaubriand, Schiller und Goethe“, geschriebene Aufsätze über „Paris und die Franzosen“ u. a. Der eigenthümliche Titel der zweitgenannten Schrift will sagen, daß uns hier Lebens- und Zeitbilder aus der Seele einer Persönlichkeit vorübergeführt werden, die sich fern von der großen Welt der Zeiterscheinungen, in dem weltverlorenen Winkel der Harzberge gleichsam begraben hat: Bilder aus der engeren Heimath, Charakteristiken bedeutender Zeitgenossen, Bettina, Rahel, George Sand, Humboldt, Rückert, Ronge, Herwegh, Heine. Eigenthümlich ist ihr Verhältniß zu den beiden größten der zeitgenössischen Dichter, Schiller und Goethe, wobei eine große persönliche Vorliebe für Schiller zu Tage tritt. Die Vorliebe der Dichterin für morgenländische Poesie, um derenwillen sie noch im Alter sehr eingehende Sprachstudien gemacht hatte, brachte sie mit Rückert in Verbindung. In dem umfangreichen Briefwechsel der Gräfin mit den bekanntesten Persönlichkeiten der Zeit, findet sich auch ein Brief Rückert’s vom 10. Juli 1858, in welchem sich der Dichter mit sehr warmer Anerkennung über das Psychorama ausspricht. Die gedachten Correspondenzen umfassen 38 von der Gräfin mit eigener Hand sorgsam geordnete Volumina. Von bekannteren Namen aus der Litteratur finden wir darunter: Bettina, Bodenstedt, die Gräfin Ida Hahn-Hahn, Mendelssohn-Bartholdy. Ein umfangreicher Briefwechsel ist mit dem noch lebenden Prinzen Georg von Preußen geführt, worin die von ihm für die Bühne verfaßten Dramen vor ihrer Vollendung dem Urtheil der Gräfin unterbreitet worden sind. Natürlich fehlen in dem Psychorama auch die „Zeitbilder“ nicht. Die politischen Ereignisse des Jahres 1848 werden aufs schärfste verurtheilt. Voll beißender Ironie sind die an Herwegh, Ronge u. a. gerichteten geharnischten Sonette. Der fünfte Theil dieser Dichtungen, den Rückert als die Krone ihrer Dichtungen bezeichnet, läßt auch einen tiefen Blick in das innerste Leben der Dichterin thun. Auf religiösem Gebiet war die Gräfin ein Kind ihrer Zeit, in welcher ein Schleiermacher das religiöse Denken der hohen Geistesaristokratie Berlins beherrschte. Ihr Christenthum hatte offenbar mehr ein ästhetisches Interesse, als es aus tiefinnerem Glaubensleben herausgeboren war. Daher auch ihre Vorliebe für die Poesie des alten Testamentes. Dabei fehlt es aber nicht an ergreifenden Zeugnissen einer suchenden Seele.

Indessen der Kern und Stern des Dichterlebens der Gräfin war das innige Verhältniß zu König Friedrich Wilhelm IV. Ueber den Dichtungen dieses Kreises liegt der zarte Hauch einer Jugendfreundschaft, einer Jugendschwärmerei, aus der eine treue Freundschaft auf der einen Seite, zarte Verehrung auf der andern Seite geworden ist, wie sie nur aus einer geistigen Wahlverwandtschaft gleichgestimmter Seelen erwachsen kann. „Wie oft,“ schrieb sie an eine Freundin, „richte ich meine Blicke nach dem Bilde meines hochseligen Königs, der wie ein Paradiesvogel durch sein schmerzensreiches Leben gewandelt ist. Sein sonnenhafter hehrer Geist, sein reicher Verstand, sein sprudelnder Humor, sein liebreiches Herz – sie mußten alle, welche sich ihm nahten, entzücken und begeistern. Er war wie ein Baum des Lebens, von dem die Dichter sagen, daß jede Frucht davon einen andern Geschmack besaß.“ Die drei Gedichtsammlungen der Königslieder sind dem König selbst und nach dessen Tode der Königin Elisabeth gewidmet. Es ist wol die Verfasserin selbst, die in der Vorrede zur letzten Sammlung schreibt: „Als ein Widerschein von Ihm ausstrahlenden Lichtes, als ein Echo der Laute seines Herzens, bieten die hier gesammelten Dichtungen treue und wahre Züge dar für das künftige Abbild des Königs in der Geschichte. Sie bezeugen wahrhaft, daß nichts edles ihm fremd, daß das Höchste sein Ziel [372] war, und daß Er vor allem mit Seinem Hause Gott dem Herrn dienen wollte als ein freier und frommer König eines freien und frommen Volkes.“

Bei ihrem nahen Verhältniß zum König hat sie es einmal in unheilvoller Zeit wagen dürfen, ihren Einfluß in der Politik geltend zu machen. Als im J. 1849 verlautete, daß der von der Demokratie in der zweiten Kammer durchgesetzte Antrag, die Cadettenhäuser in Civil-Erziehungsanstalten zu verwandeln, die Zustimmung des Königs finden könnte, ließ sie sich bestimmen, in einem beweglichen Schreiben den König vor einer solchen Maßregel zu warnen. Des Königs Antwort ist charakteristisch für die Zeit, sie lautete: „Gnädigste Gräfin, Eben leg’ ich Ihren prächtigen Cadettenbrief aus der Hand. Er freut und ängstigt mich zugleich. Warum das Erste, ist überflüssig zu sagen. Das Zweite aber, weil vielleicht mir unbekannt, solcher Streich meditirt wird. Denn seit der bien heureusen Constitution erfährt der König ganz zuletzt was vor ist, o sehr oft zu spät. So z. B. die infame Aufhebung der brandenburg. Ritter Academie!! Ich werde nun aber ein offenes Auge und Ohr auf die Sache haben. Von Aufheben der Cadettenhäuser ist keine Rede und ich dulde sie nicht, darauf verlassen Sie sich.“ – – Gar köstliche Bilder, sowol aus ihrer Jugendzeit als aus dem Leben ihres trauten Heims, hat sie in der für ihre Kinder bestimmten „grünen Stube“ gezeichnet. Varnhagen schreibt in seinem Tagebuch: „Um die Gräfin ganz kennen zu lernen und sie nach Gebühr zu verehren, muß man sie auf ihrem Schloß Stolberg, als Vormünderin, als Verwalterin des Ganzen, als Mutter ihrer Kinder, – welche wahrlich keinen kleinen Theil ihres Lebens bilden –, denen sie bei aller Strenge und Fürsorge die Anmuth und die Munterkeit einer Gespielin darbringt, als herrschaftliche Dame mit ihren Beamten, Dienern, Bürgern und Bauern sehen! Sie sorgt für Alle nach besten Kräften, hält Maaß und Schranken, vermittelt, erheitert; sie übt das schönste menschliche Geschäft, das weiblichste, des Wohlthuens durch ihre Gegenwart, durch Wort und Sinn, wo die Hand nicht ausreicht.“ Gegen den Frühling 1875 bemerkte man eine Abnahme ihrer Kräfte. Sie litt viel, aber klagte nicht. Am 15. August ist sie stille geschieden.