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ADB:Zehmen, Achaz von

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Artikel „Zehmen, Achaz von“ von Richard Fischer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 770–773, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zehmen,_Achaz_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 14:22 Uhr UTC)
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Zehmen: Achaz von Z., Woywode von Marienburg. Von dem alten deutschen Adelsgeschlechte der Zehmen, dessen Stammsitz in der Nähe von Leipzig lag, siedelte im 15. Jahrhundert ein Sproß in das preußische Ordensland über. Des Achaz Vater, Nicolaus, kämpfte noch im 13jährigen Bürgerkriege auf des Ordens Seite, blieb aber nach dem Thorner Frieden (1466) in Westpreußen sitzen und nahm die polnische Oberhoheit an. Achaz’ Mutter Dorothea gehörte dem in Westpreußen hochangesehenen Geschlechte der Baysens an.

Ueber die Jugend Achaz v. Zehmen’s, der ums Jahr 1485 geboren war, ist nur wenig bekannt. Vermählt war er mit Helene v. Merklichenrade aus dem Hause Powarschen, die ihm drei Söhne und sechs Töchter gebar. Von Hause aus nicht unbemittelt, erwarb er durch sparsame und geschickte Haushaltung ein beträchtliches Vermögen, so daß er bald zu den begütertsten Männern Polnisch-Preußens gehörte. Die Einkünfte der drei Starosteien Stuhm, [771] Mewe und Christburg waren ihm zur lebenslänglichen Nutznießung überwiesen und zahlreiche Güter und Höfe im Stuhmer und Christburger Gebiet brachte er durch Kauf oder Pfandschaft in seinen Besitz. Ja auch im herzoglichen Preußen erwarb er durch zeitweise Verpfändung der Aemter Liebemühl, Pr. Mark und Pr. Holland sowie mehrerer Dörfer ein ansehnliches Wirthschaftsgebiet. Oft mußte er dem stets geldbedürftigen Herzog Albrecht, bisweilen auch dem Polenkönige und anderen Großen in ihren Verlegenheiten mit seinem beträchtlichen Vermögen und Credit beispringen. Als Unterkämmerer von Marienburg trat er 1517/18 in die preußische Beamtenlaufbahn ein, vertauschte 1519 dieses Amt mit dem gleichen in der Pommerellischen Woywodschaft, wurde 1531 Castellan von Danzig und stieg 1546 nach dem Tode seines Oheims Georg von Baysen zur Würde eines Marienburgischen Woywoden empor, die er fast 20 Jahre lang bis an sein Lebensende bekleidete.

Während er so als polnischer Beamter verpflichtet war, die mit dem Wohle des Landes vereinbaren Interessen des Königs von Polen nach bestem Wissen und Können zu fördern, hat er daneben als Deutscher die Wahrung des deutschen Charakters Preußens als seine höchste Aufgabe betrachtet. Diese beiden einander vielfach widerstreitenden Gesichtspunkte in Einklang zu bringen, war gewiß nicht immer leicht, aber sein praktischer Verstand, seine bedeutende Menschenkenntniß und persönliche Liebenswürdigkeit verschafften ihm ein so großes Ansehen, daß es ihm gelang, schärfere Conflicte zu vermeiden. Erst als seine Lebenskraft zu erlahmen begann und die Angriffe Polens gegen das Deutschthum der Preußen sich verschärften, mußte er weichen. Zehmen’s unbestreitbares Verdienst aber ist es, dem Deutschthum in Preußen kräftige Stützen zugeführt, das deutsche Bewußtsein seiner Landsleute gestärkt und die Widerstandskraft seines Landes so gestählt zu haben, daß es der polnischen Regierung auch in der folgenden schweren Zeit der Unterdrückung nicht mehr gelang, den deutschen Charakter Preußens zu tilgen.

Die stärkste Garantie für das Deutschthum Westpreußens bildete die durch den Thorner Frieden gewährte Sonderverfassung dieser Provinz. Sie hatte ihre eigene Justiz- und Finanzverwaltung und ein eigenes, vom polnischen Reichstage unabhängiges oberstes Centralorgan in dem Landtage. Den Absichten der polnischen Krone, diese Sonderverfassung wieder zu beseitigen, die Preußen zur Beschickung der Reichstage zu veranlassen und so eine Union Preußens mit den übrigen Gliedern des Reiches herbeizuführen, hat Z., wenn auch mit voller Loyalität gegen die Krone den zähesten Widerstand entgegengesetzt. Wiederholt ward er von den Ständen an den polnischen Hof geschickt, um hier durch sein persönliches Ansehen die preußenfeindlichen Absichten der Regierung zu hintertreiben. Freilich erschwerten die preußischen Stände selbst durch ihre Selbstsucht und ihre Uneinigkeit häufig ein erfolgreiches Auftreten. Z. setzte darum alles daran, die Eintracht der Stände zu erhalten und Klagen und Streitigkeiten im Lande selbst zu schlichten; aber als es der polnischen Regierung gelang, durch die Frage der sog. Execution der Tafelgüter, d. h. der Wiedereinziehung des verschleuderten Domanialbesitzes, einen tiefen Keil in die Interessengemeinschaft der preußischen Stände zu treiben, da entbrannte alsbald der erbittertste Parteikampf, und mit der Einigkeit in Preußen war es für immer vorbei.

Als ein starker Damm gegen das Andrängen des Polonismus erwies sich das Fortschreiten der Reformation in Preußen. Die polnische Regierung hatte derselben anfangs nicht die gehörige Beachtung geschenkt. Zwar wurden die ersten tumultuarischen Bewegungen in Danzig, Elbing und Thorn mit blutiger Strenge unterdrückt und die öffentliche Ausübung der neuen Lehre überall verboten, allein der stillen Ausbreitung der Reformation wurde seitens der preußischen [772] Bischöfe um so weniger ein Hinderniß in den Weg gelegt, als der schon bei Lebzeiten seines Vaters (1530) zum Könige gewählte Sigismund II. August als geheimer Anhänger der neuen Lehre galt und auch in der ersten Zeit seiner Regierung aus seiner Hinneigung zu derselben kein Hehl machte. Das änderte sich erst seit der Erhebung des thatkräftigen Polen Stanislaus Hosius zum preußischen Bischof (1549). Alsbald begann in Preußen eine eifrige katholische Reaction, doch hatte die neue Lehre hier bereits so feste Wurzeln geschlagen, daß ihre völlige Ausrottung nicht mehr gelang. In diesem Kampfe war Z. eine führende Rolle beschieden. Ohne sich äußerlich von der alten Kirche loszusagen, hatte er sich schon frühe der Reformation zugewandt. Bereits 1536 schickte er einen seiner Söhne zum Studium nach Wittenberg und suchte ihm in Melanchthon’s Hause Aufnahme zu verschaffen. Zum offenen Bekennen der neuen Lehre wurde er aber erst durch Hosius’ provocatorisches Auftreten bewogen. Seitdem war er ein eifriger und gefährlicher Gegner des Bischofs und bald das anerkannte Haupt der Evangelischen in Preußen, von Hosius und seinem Anhang spottweise als „Papa“ oder „Antipapa“ bezeichnet. Trotz des heftigsten Gegenstrebens der altkirchlichen Partei gelang es Zehmen’s Einfluß bei Hofe und seiner rührigen Thätigkeit, für Danzig, Elbing und Thorn ein Religionsprivileg zu erwirken, das ihnen die Ausübung der neuen Lehre gestattete. Diese hatte dadurch ein für allemal in Preußen Fuß gefaßt.

Von großer Wichtigkeit für die Entwicklung Westpreußens war das Verhältniß dieser Provinz zum benachbarten herzoglichen Preußen. Je fühlbarer die Polonisirungsbestrebungen wurden, desto mehr wuchs bei den Einsichtigen beider Hälften des ehemaligen Ordenslandes das Bewußtsein ihrer Interessengemeinschaft. Wie Herzog Albrecht auf die Pflege und Befestigung freundschaftlicher Beziehungen zum Nachbarlande bedacht war, so gab es unter den westpreußischen Notabeln Niemand, der mit mehr Eifer eine freundschaftliche Ausgestaltung des gegenseitigen Verhältnisses betrieben hätte als Z. Bis an ihr Lebensende hat beide Männer das Band einer intimen persönlichen Freundschaft verknüpft. Ihre erste persönliche Bekanntschaft datirte aus dem Jahre 1523, wo Z. als polnischer Gesandter den damaligen Hochmeister in Nürnberg aufsuchte, um seine Abdankungspläne zu hintertreiben und ihm die Vorschläge der polnischen Regierung zu unterbreiten. Sie wurden später zur Grundlage des Krakauer Friedensvertrages vom 8. April 1525, und Z. befand sich auch unter den Würdenträgern, die den Ständen des neuen Herzogthums am 26. Mai 1525 zu Königsberg im Namen des Königs von Polen den Friedenseid abnahmen. In späteren Jahren aber, als die Tendenz der polnischen Regierung immer deutlicher auf allmähliche Beseitigung der privilegirten Stellung des Herzogthums hinauslief, fand der Herzog in Z. den treusten Helfer und Berather zur Abwehr dieser Bestrebungen. Unter seiner Mitwirkung erließ z. B. der Herzog 1542 die sog. Regimentsnotel, eins der wichtigsten preußischen Grundprivilegien, wodurch bei Besetzung der obersten Aemter im Herzogthum den deutschen Eingeborenen ein Vorrecht vor den Fremden gewährt wurde. – Lebhaften Antheil nahm Z. auch an der Entwicklung der kirchlichen Verhältnisse im Herzogthum, und mit tiefer Besorgniß erfüllte ihn der in den 50er Jahren wüthende Osiandrische Streit, der die Erhaltung der evangelischen Lehre im Osten ernstlich in Frage stellte. Dringend rieth Z. dem ganz für Osiander eingenommenen Herzog zur Duldung, er wies auf den Verfall der Universität Königsberg und die dem Katholicismus daraus erwachsende Stärkung hin und erreichte es thatsächlich, daß der Herzog auf einer Synode zu Riesenburg (Februar 1556) eine Beilegung der Zwistigkeiten bewirkte.

Als ein wirkungsvolles Mittel zur Abwehr der polnischen Ansprüche betrachtete der Herzog die Erhaltung seiner dynastischen Beziehungen. Auch hierin [773] leistete ihm Z. vielfache und werthvolle Dienste. In Deutschland, zumal an den brandenburgischen Fürstenhöfen, war Z. ein häufiger, gerne gesehener Gast und Ueberbringer mancher verschwiegenen Mission Herzog Albrecht’s. Auch am Kaiserhofe und beim Deutschen Reichstage finden wir ihn verschiedentlich, freilich erfolglos thätig in Sachen der über den Herzog verhängten Reichsacht. – Große Hoffnungen hatte der Herzog einst an die Wahl seines Bruders Wilhelm zum Coadjutor des Erzbischofs von Riga (1530) und seine spätere Erhebung zur erzbischöflichen Würde selbst (1539) geknüpft, handelte es sich doch um die Begründung einer hohenzollernschen Secundogenitur. Auch diesen Plänen, die leider an der Unfähigkeit Wilhelm’s scheiterten, hat Z. die eifrigste Förderung zu theil werden lassen, zumal er von ihrem Gelingen eine bedeutende Stärkung des Deutschthums im Osten Europas erhoffte.

Nichts trug mehr dazu bei, den dem jungen Herzogthum feindlichen Strömungen Vorschub zu leisten, als die Unsicherheit der Nachfolge in demselben, denn Albrecht’s erste Ehe mit Dorothea von Dänemark blieb bekanntlich ohne männliche Erben. Da beschloß der fast 60jährige Herzog, der die Hoffnung auf einen Thronerben nicht aufgeben mochte, sich abermals zu vermählen, und es war Z., der 1549 für den Herzog auf Brautschau auszog. Unter den fürstlichen Damen, über die er Bericht einholen sollte, befand sich auch die damals am Cüstriner Hof sich aufhaltende Anna Maria von Braunschweig, Stieftochter des Grafen Poppo von Henneberg. Sie wurde ein Jahr später Albrecht’s Gattin. Zehmen’s Bericht scheint für des Herzogs Wahl bestimmend gewesen zu sein. Als dann wider alles Erwarten dem Herzoge am 29. April 1553 der ersehnte Erbe geboren wurde, da leitete Polen sogleich eine lebhafte Agitation ein, den Herzog zu einer Thronordnung zu bestimmen, durch welche die Vormundschaft dem Polenkönige unter Ausschluß der brandenburgischen Agnaten übertragen würde, um auf diese Weise die spätere Einziehung des Herzogthums vorzubereiten. Des Herzogs Antwort aber war das Testament vom Januar 1555, das unter Wahrung der obervormundschaftlichen Rechte des Königs die Ansprüche der Agnaten sicher stellte und so die Basis schuf, um auch nach des Herzogs Tode den Bestand des Herzogthums zu sichern. An der Lösung dieser Frage hat Z. als Berather des Herzogs bedeutenden Antheil gehabt. Ihm gebührt daher der Ruhm, Erhebliches zur Sicherung der Zukunft Preußens geleistet zu haben.

Zehmen’s letzte Lebenstage wurden durch die immer stärkere Spannung zwischen Evangelischen und Katholischen und die dadurch hervorgerufene Uneinigkeit der Stände schwer verbittert. Durch die Execution der Tafelgüter, die auf den Reichstagen zu Petrikau 1562 und Warschau 1563/64 durchgeführt wurde, verlor er persönlich das ihm erblich verliehene Amt Christburg, und bei Hofe fiel er infolge seines übereifrigen Auftretens gegen diese Gewaltthat in Ungnade. Aber trotzdem kam er den Pflichten seines Amtes gewissenhaft nach, bis der 80jährige Greis auf einem Landtage zu Lessen (Februar 1565) vom Schlage gerührt wurde. Einige Wochen später begab er sich, wahrscheinlich um ärztlichen Rath einzuholen, nach Königsberg und ist hier am 24. Mai 1565 gestorben. Seine Leiche wurde in Stuhm beigesetzt.

Quellen: Ungedruckte Urkunden d. Archive zu Königsberg, Danzig, Stuhm, Elbing und Marienburg. – Acta Tomiciana.Hipler und Zakrzewski, Stan. Hosii epistulae. – Litteratur: R. v. Flanß, Die von Zehmen und Freiherren von Güldenstern (Ztschr. d. Gesch.-Ver. z. Marienwerder, Heft 10). – R. Fischer, Ach. v. Zehmen, Woyw. v. Marienburg (Ztschr. d. Westpr. Gesch.-Ver., Heft 36). – Lengnich, Gesch. d. Preuß. Lande Kgl. polnischen Antheils.