ADB:Zäuneman, Sidonie Hedwig

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Artikel „Zäunemann, Sidonia Hedwig“ von Woldemar Lippert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 723–725, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Z%C3%A4uneman,_Sidonie_Hedwig&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 19:30 Uhr UTC)
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Zäunemann: Sidonia Hedwig Z., thüringische gekrönte Dichterin. Als Tochter des Advocaten und Notars Paul Nicolaus Z. wurde die Zäunemannin am 15. Januar 1714 zu Erfurt geboren und zeichnete sich in der Jugend trotz mütterlichen Widerstrebens durch großen Lerntrieb aus. Früh schon begann sie zu dichten, allerdings im ausgetretenen Gleise der Gelegenheitsgedichte zu Hochzeiten, Kindtaufen, Beerdigungen u. s. w. In ihrer Gedichtsammlung sind die ältesten datirten aus dem Jahre 1731, doch sagt sie selbst, daß sie nicht alles aufgenommen habe; Gedichte aus dem Jahre 1728 hat sie später selbst verbrannt. Viele dieser Erzeugnisse entsprangen nicht eigenem inneren Antriebe, sondern sind auf fremde Bestellung gefertigt, denn die Zeitsitte erforderte es, jedes Ereigniß des Familienlebens mit Reimen zu begleiten. Eigenthümlich berühren dabei im Munde einer jungfräulichen Dichterin die ziemlich unverhüllten Anspielungen auf die Vorgänge und Folgen der Brautnacht, doch entsprachen dieselben lediglich dem allgemeinen, vielfach weit derberen Geschmacke der Zeit, dem sich die sonst mit zarter Empfindung begabte Verfasserin anpaßte. Erscheint die Zäunemannin also hierbei durch Stoffwahl und Behandlung durchaus als Kind jener Tage, ragt die Hauptmasse dieser Gedichte über die damalige Poesie für den Hausgebrauch nicht hinaus, so zeigt Sidonia doch in einigen Schöpfungen, daß sie selbständiger Gedanken und Gefühle fähig war. Jene Stoffe füllten ihren Sinn nicht aus, auch die Ereignisse des öffentlichen Lebens ihrer Heimath, die großen Weltbegebenheiten zogen ihr Interesse auf sich. Festtage benachbarter Fürsten (besonders des Weimarer Hofes), der Antritt eines neuen kurmainzischen Statthalters in Erfurt 1732, der große Brand ihrer Vaterstadt 1736, der Tod ihres Landesherrn, des [724] Kurfürsten Franz Ludwig zu Mainz, und der Antritt seines Nachfolgers, Philipp Karl, die Stiftung der Universität Göttingen 1737, besonders aber auch militärische Vorgänge regten sie zum Dichten an. Außer mehreren früheren Soldatenliedern entflossen ihr Verse über den Ausmarsch der Erfurter Garnison 1733, die Einnahme von Kehl 1733, ein dem Prinzen Eugen gewidmetes Lied auf die kaiserlichen Husaren 1735, worin sie selbst die üblichen Familienstoffe zurückweist („Soll Trauring, Wiege, Leichenstein – Nur bloß der Lieder würdig sein?“). Zu Eugen’s Geburtstag 1735 richtete sie an ihn ein längeres Glückwunschgedicht, das bei manchem Schwulst doch Stellen von kräftiger, schwungvoller Begeisterung bietet und uns zugleich zeigt, daß der große Feldherr ihr ein anerkennendes Schreiben hatte zukommen lassen; auch in dem Trauergedicht auf seinen Tod 1736 betont sie neben dem Verluste, den Kaiser und Reich, Verwaltung, Kriegswesen, Wissenschaft und Kunst erlitten, ihren eigenen Schmerz („Eugen, der meiner Niedrigkeit – So viele Gnad’ und Huld erwiesen, – Eugen, der meinen Fleiß gepriesen etc.“). Ein frommes, gläubiges Gemüth verrathen ihre „Geistlichen Gedichte“, zum Theil in der Weise der Kirchenlieder, poetische Ausführungen von Worten der heiligen Schrift; dabei zeigt ihr Christenglaube mehrfach ein erfreuliches Freibleiben von der engherzigen Auffassung der orthodoxen Theologie ihrer Zeit. Sie selbst legte besonderes Gewicht auf zwei Gedichte, deren Art bisher auf dem deutschen Parnaß nicht gepflegt worden sei, auf das „Waldgedicht“ zu Ehren einer Jagd des Herzogs Ernst August von Weimar im Ilmenauer Forst 1737, und ihr langes, dem König August III. von Polen und Kurfürsten von Sachsen zugeeignetes Gedicht über „Das Ilmenauische Bergwerk“, worin sie ihre zweimalige Einfahrt in Bergmannskleidern zu Ilmenau am 23. und 30. Januar 1737 zwar etwas weitschweifig und mit vielen moralischen Reflexionen, aber das Bergwerk selbst anschaulich in seinem technischen Betrieb und in seinen Eindrücken auf das menschliche Gemüth schildert. Dieses Unternehmen ward ihr aber verschiedentlich, besonders von Geistlichen, als unpassend vorgehalten; doch im Gefühle ihres Rechtes weist sie die Zeloten mit ernstem Nachdruck zurück: in dem Unternehmen selbst wie im Tragen der Manneskleider liege nichts unschickliches. Auch sonst trug sie bei ihren Ausflügen, die sie zu Roß zu unternehmen pflegte, männliche Kleidung; furchtlos ritt sie bei Regen und Sturm, bei Gewitter und im nächtlichen Dunkel durch die Thäler und dichten Wälder, gerade dabei enthüllte sich ihr die Großartigkeit der Natur und Gottes Macht in der Schöpfung, wie sie schön in ihren „Andächtigen Feld- und Pfingstgedanken“ zum Ausdruck bringt. Bei aller Zartheit weiblichen Seelenlebens (nur für Mannesliebe scheint ihr allein der Ehre nachstrebendes Herz unempfänglich gewesen zu sein) prägt sich in ihrem Wesen ein kräftiges Selbstbewußtsein aus; sie erscheint fast als Vorläuferin der modernen Frauenbewegung, denn mit Entrüstung verwirft sie den Anspruch der Männer auf den Alleinbesitz gelehrter Bildung und verwahrt die Frauen gegen die Beschränkung auf das lediglich hauswirthschaftliche Gebiet, so in dem Berggedicht „Es sei (sagen ihre Gegner) von Gott der Weiberorden | Zum Haushalt nur erschaffen worden; | Man nimmt des Salomons sein Spruchbuch zum Behuf. | Der König hat ganz Recht; allein, wer will’s uns wehren, | Wenn wir darneben auch uns von dem Pöbel kehren? | Wer straft uns, wenn auch unser Geist | Ein Herz voll Muth und Feuer weist? | Wozu hat uns die höchste Kraft | Verstand und Muth ins Herz gegeben, | Als daß wir auch nach Wissenschaft | Und edlen Werken sollen streben?“ und ähnlich in ihrem Madrigal auf die gelehrten Frauenzimmer: „Ihr Männer, bildet euch nicht ein, | Als ob Vernunft, Verstand und aufgeklärter Sinn | Sollt’ euer Eigenthum und Erbrecht sein. | Nein! wahrlich, der das Firmament gesetzt, | Der hat das Frauenvolk nichts minder hochgeschätzt: | Und ihnen auch Verstand und Witz verlieh’n. | Es [725] soll, wie ihr, des hohen Geistes Gaben | Auch im Besitze haben. | Drum muß ihr Lorbeerzweig, so wie der eure, blüh’n!“ und noch an zahlreichen anderen Stellen schlägt sie ähnliche Töne an. Die von ihr besungene Universität Göttingen zeigte sich alsbald dankbar: am 3. Januar 1738 ernannte sie die Zäunemannin zur „kaiserlichen gekrönten Poetin“, eine Ehre, die 1733 als erster deutscher Dame der Christiane Marianne von Ziegler durch die Universität Wittenberg zu Theil geworden war; Diplom und Lorbeerkranz überbrachte der Glücklichen der Reichsgraf Heinrich XI. Reuß am 11. Januar, und sie dankte durch eine Ode. Die litterarischen Kreise Deutschlands nahmen lebhaft Theil an dem seltenen Ereignisse; man feierte es überschwänglich, selbst Denkmünzen wurden, nach der Sitte der Zeit, darauf geschlagen; sie selbst aber blieb, so sehr sie auch von freudigem Stolze gehoben ward, doch bescheiden und ihre, der Kaiserin Anna von Rußland gewidmete Gedichtsammlung, die 1738 zu Erfurt erschien, betitelte sie „Poetische Rosen in Knospen“, um dadurch, wie sie im Vorwort sagt, „anzuzeigen, daß ich selbe noch vor keine reife Früchte, sondern vor Rosen, die ihre völlige Blüthe noch nicht erreichet haben, erkenne“. Außer dieser bunten Sammlung von verschiedenster Art und verschiedenstem Werth sind noch einige Einzelgedichte von ihr erschienen, von denen nur das auf Friedrich’s des Großen Thronbesteigung hier erwähnt sei. Es war Sidoniens Verhängniß, daß sie in einer wie litterarisch, so auch politisch öden Zeit dichtete und nicht einmal die ersten Erfolge des Preußenkönigs erlebte. Welche patriotische Begeisterung würde sein frisches, energisches Auftreten (ahnungsvoll singt sie von ihm: „Dich, großer König, dessen Wesen | Auch Königlich und Fürstlich ist, | Was wir bereits von Dir gelesen, | Das zeugt schon gnugsam, wer Du bist!“) in ihrem lebhaften Gemüthe erweckt haben, das sich sogar für den alternden Helden Eugen begeistert hatte, obwohl dessen letzter Feldzug ja, ohne seine Schuld, ihm keine neuen Lorbeeren gebracht hatte. In Friedrich hätte sie ihr Helden- und Fürstenideal in ganz anderer Weise noch verwirklicht gesehen als in den Personen, die ihre Zeit ihr zur Verherrlichung darbot, und mit dem würdigeren Stoffe würde auch ihre Poesie höheren Schwung genommen haben, denn eigene Schöpfungsgabe und unabhängigen Gedankenflug inmitten ihrer an wahrem Gefühlsausdruck armen Zeit verrathen, wie erwähnt, mehrere ihrer Werke. Doch schon am 11. December, (nach Einert am 10.) 1740 fand sie ein frühes Ende; das unerschrockene Mädchen hatte einen Ritt zu ihren Ilmenauer Verwandten unternommen, und beim Ueberschreiten der Gera bei dem Dorfe Angelroda unweit Plaue brach die vom Hochwasser erschütterte Brücke unter ihr zusammen. Tags darauf wurde ihre Leiche gefunden und am 16. December zu Plaue bestattet.

Zedler, Universallexikon, Bd. 60 (Leipzig, Halle 1749), Sp. 1126 flg. – Finauer, Allgemeines historisches Verzeichnis gelehrter Frauenzimmer, Bd. 1 (München 1761), S. 221 flg. – S. Cassel, Erfurt und die Zäunemannin, im Weimarischen Jahrbuch f. Deutsche Sprache, Litt. u. Kunst, Bd. 3 (1855), S. 426 flg. – Goedeke, Grundriß z. Gesch. d. Deutsch. Dichtung (2. Aufl. 1887), Bd. 3, S. 329 flg. – Einert, Aus den Papieren eines Rathauses (Arnstadt 1892), S. 183 flg.