Address of Professor Eugene Kühnemann (In Memory of Carl Schurz)

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Textdaten
Autor: Eugen Kühnemann
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Titel: In Memory of Carl Schurz
Untertitel: Address of Professor Eugene Kühnemann
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Entstehungsdatum: 1906
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Verlag: New York Committee of the Carl Schurz Memorial
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Erscheinungsort: New York, New York
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Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen von Carl Schurz
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ADDRESS OF
PROFESSOR EUGENE KÜHNEMANN

Mein erstes Wort an dieser Stelle muß ein Wort des Dankes sein, eines Dankes, der, wie ich glaube, von allen deutschen Stammesgenossen gefühlt wird. Diese Feier veranstalten Amerikaner einem ihrer größten Bürger. Carl Schurz hat seinen Stolz darein gesetzt, nichts anderes als ein treuer und wahrer amerikanischer Bürger zu sein. Aber aus dem deutschen Vaterlande stammte doch die Kraft, die er im Dienste Amerikas entfaltet hat. Darum liegt so viel feine Würdigung darin, daß zu seiner Ehre an dieser Stelle ein Deutscher in seiner deutschen Muttersprache zu Ihnen reden darf. Das deutsche Lied zum Preis der Muttersprache ist zuvor erklungen, auch dies in feinstem Verständnis seiner Seele, die in der Musik lebte und die deutsche Sprache als die Sprache des Liedes geliebt hat. Zugleich kommt darin die ganze Geschichte des Mannes zum Ausdruck, der zwei Welten angehörte und ein Meister zweier Sprachen war. Dies war seine Größe und sein Schicksal, sein Glück und vielleicht ein wenig auch sein Schmerz, sein Heldenlied und vielleicht seine Tragödie. Was er Amerika bedeutete, geziemt nicht dem Fremden zu verkünden; der Deutsche aber darf sprechen über den deutschen Mann in Carl Schurz.

Er ist geboren am deutschen Strome des Rheins. Unvergessene Heimathserinnerungen klingen in einer seiner schönsten deutschen Reden wieder: „mit wehmüthiger Lust denken wir an die grünen Wasser des heimathlichen Rheins; in denen sich die altersgrauen, sagenumwobenen Burgen spiegeln; wo die edle Traube glüht; wo der Mensch froh ist, auch ohne zu wissen warum; wo das deutsche Lied doppelt poetisch klingt; wo vom Niederwald das Bild der sieghaften Germania so trotzig über die Grenze blickt; an das schöne liebe Land, von dem jeder Fuß breit uns theuer ist.“ Er war ein Kind des Volkes und hat das gestalten- und farbenreiche Bild des deutschen Volkes jener Zeit in die kindliche Seele begierig aufgenommen. Noch lebten die Heldenüberlieferungen des Befreiungskrieges. Und an den Gesprächen kluger Männer am Herdfeuer entwickelte sich der erste phantasievolle Antheil an der großen Welt. Aus dem Munde des Vaters hörte er zum ersten Male von Washington als dem edelsten Helden der Geschichte. Er ging durch die deutsche Schulerziehung mit ihrer Gründlichkeit und ihrer vielseitigen Anregung selbstständiger Bestrebungen. Er wurde als einer der Feurigsten ergriffen von den goldenen Hoffnungen des Völkerfrühlings und lebte „dem großen Erweckungsjahre“, wie er es genannt hat, freudig entgegen. So wurde die ganze Seele des fleißigen jungen Studenten erfüllt von dem Gedanken an sein Volk und seine Freiheit. Es war, als wollte der Glaube Friedrich Schillers hinüber wirken ins politische Leben. Aber Schurz erwies auch den Ernst, die Aufopferung, den Muth. Es war kein Glaube der Worte, sondern der Thaten. Er hat die Waffen ergriffen und in der revolutionären Armee gekämpft für die Volksfreiheit, wie er sie verstand. Wie ein Heldenlied lesen sich jene Kapitel seines Lebens mit der wunderbaren Flucht aus der Festung Rastatt. In Jahren der Ernüchterung mußte er das entsagende Leben des Flüchtlings führen. Aber die Opfertreue für den Freund galt ihm mehr als das eigene Leben. Durch die Befreiung Kinkels aus dem Zuchthaus erwarb er europäischen Ruhm, den Ruhm, den die menschlich guten, aufopfernden Thaten geben, und mußte doch schwer genug sich weiter mühen um seine Existenz. Wie ist dies Jünglingsleben reich an dem schönsten Reichthum der Jugend: der Hingabe des ganzen Lebens an eine begeisternde Idee. Die Noth des Vaterlandes hat ihm sein Jugendleben zu einem hinreißenden Gedichte gemacht.

Das deutsche Volk hieß damals noch das Volk der Dichter und Denker. Schurz aber erscheint uns als ein echter Dichterjüngling, der in seinem Leben, in seinen Thaten dichtet. Und über die rauhen Stöße der Wirklichkeit hinweg trägt ihn die Gunst der Muse, die seine Seele erlesen hat. Seiner Heldenthat dankte er die Liebe des Weibes, das ihm sein Leben schenkte. In die neue Heimath seiner Wahl, nach Amerika brachte er die deutsche Gläubigkeit. Ihm war es das goldene Land der bürgerlichen Freiheit. Seine deutsche Bildung ermöglichte ihm das schnelle Eingehen in die fremde Welt der englischen Sprache. Die bewegliche germanische Schöpferkraft ließ ihn ein neues Leben finden in den Gedanken großer öffentlicher Wirksamkeit für das amerikanische Volk. Neidlos erkennen wir Deutsche, wie erst das neue Vaterland ihm die großen Möglichkeiten bot für die volle Entfaltung seiner ungewöhnlichen Kräfte. Er wurde einer der ersten unter den Führern seines Volkes.

Seine ganze politische Wirksamkeit in Amerika war getragen von seinem deutschen Idealismus. Amerika sollte sein, so wie er es glaubte und liebte, das Land der Rechtschaffenheit und Gesetzlichkeit, die bürgerliche Republik der allgemeinen und wahren Freiheit, wie Lincoln es in seinem Lieblingsworte ausgedrückt: „die Regierung des Volkes, durch das Volk, für das Volk.“ Mochte man ihn einen Träumer schelten, er rief zurück: „Ideale sind gleich den Sternen. Du wirst sie nicht mit der Hand berühren, aber gleich dem Seefahrer auf den Wüsten der Wasser wählst du sie als Führer, folgst ihnen und erreichst deine Bestimmung.“ Dieser Idealismus erzeugte seinen Muth, der, wie er sagte, das erste Erforderniß für die Führerschaft in einer großen Sache ist. Er erhielt ihm die Unabhängigkeit, die das Recht allein zum Leitstern nahm und höher achtete als die Forderungen der Partei. Denn nach ihm war es stets der unabhängige Geist, der Alles überwindende Sinn für Pflicht, der den Weg brach für jeden großen Fortschritt der amerikanischen Geschichte. „Wehe der Republik, wenn sie vergebens Umschau hielte nach Männern, die die Wahrheit suchen ohne Vorurtheile, die Wahrheit sagen ohne Furcht, wie sie sie verstehen, mag die Welt sie hören wollen oder nicht.“ So war sein ganzes öffentliches Leben ein einziger Dienst der sittlichen Idee, in der er Amerika’s Größe und Zukunft sah, ein Dienst, der nicht erlahmte, auch wenn es durch Schmerzen, Einsamkeit und Entäuschung ging. So von seinem Eintreten für Lincoln, seiner Arbeit für die Sklavenbefreiung, seinen Mühen um den Wiederaufbau des Südens an bis zu dem Kampf gegen die Mängel der Verwaltung und gegen Bestrebungen in die Ferne, von denen er schlimme Wirkungen für die bürgerliche Republik befürchtete. Uns Deutsche rührt inmitten aller dieser Dinge die Sorge um die Wälder, aus der die innige Naturliebe des deutschen Mannes wie die Voraussicht des weisen Volkswirths spricht. Er war sich selber treu und das hieß bei ihm, er war seinen Idealen treu. So wandten sich die Reden des großen Redners in zwei Sprachen, wie Schiller es von dem Volkserzieher verlangte, an das Beste der menschlichen Natur. Die Menschen bestimmen hieß für ihn: die Menschen heben. Und auch von ihm gilt, was er von seinem Freunde Sumner gesagt hat: „Hinter allem, was er sagte und that, stand die prächtige ännlichkeit, die man unfehlbar hindurch empfand.“

Zwischen Lincoln und Bismarck steht für uns dieser große Deutsch-Amerikaner als zwischen den größten Volks- and Staatsführern neuerer Zeiten und in der größten geschichtlichen Krisis beider Völker. Für Lincoln und mit ihm hat er gearbeitet, in Bismarck hat er die freilich wundersame und unerwartete Erfüllung seiner Jünglingsträume erlebt. Aber sein altes bürgerlich liberales Herz schlug doch für Lincoln mehr, „den Mann, der nicht nur vom niedrigsten Ursprung war, sondern auch der einfachste und anspruchloseste der Bürger blieb und erhöht ward zu einer Machtstellung ohne Gleichen in der amerikanischen Geschichte, der, der sanfteste der Sterblichen, keine Kreatur leiden sehen konnte ohne Qualen der eigenen Brust, und der sich plötzlich berufen fand, den blutigsten Krieg zu führen, der die Regierungsgewalt lenkte, als erbarmungslose Stärke das Gesetz des Tages war, und der dann Volksgeist und Volksherz gewann und leitete durch die zarten Sympathien seiner Natur, der vorsichtig-konservativ von Temperament und Gewohnheit die plötzlichste und alles fortschwemmende sociale Revolution unserer Zeit zu leiten bekam, der die einfache Sprache und ländliche Weise in der höchsten Stellung jener Epoche beibehielt und den Spott der guten Gesellschaft erregte, und der dann die Seele der Menschheit erzittern machte mit Aeußerungen von wundervoller Schönheit und Größe, der, in seinem Herzen der beste Freund des besiegten Südens, ermordet wurde, weil ein wahnsinniger Fanatiker ihn für seinen grausamsten Feind nahm, der in seiner Macht über alles Maaß verspottet und verhöhnt wurde von gegnerischer Leidenschaft und aufgeregtem Parteigeist und um dessen Grab Freund und Feind sich sammelten, ihn zu preisen, was sie seitdem niemals aufgehört haben zu thun, als einen der größten Amerikaner und den besten der Menschen.“ In Bismarck's Thaten hat Schurz vielleicht mehr mit der Phantasie des Dichters das berauschende Heldengedicht gesehen. „Das war ein Schauspiel, wie der einst so verspottete deutsche Michel plötzlich aus dem Schlafe erwachte; wie er die gewaltigen Glieder reckte; wie er seinen Schild schüttelte, daß er klang wie alle Donner des Firmaments; wie das Stampfen seines Fußes den Boden Europas erzittern machte; wie er mit mächtigem Schwertschlag den übermüthigen Feind vor sich in den Staub warf; wie er mit Posaunenstinnne ausrief: „das ganze Deutschland soll es sein“; und wie die Menschheit staunend aufblickte an der riesigen Heldengestalt.“ Ob in dem Verhältniß zu Bismarck vielleicht die Trennung liegt zwischen der jungen Generation Deutschlands und ihm, und ob es eine Trennung genau der gleichen Art ist, die ihn von den jüngeren Bestrebungen Amerikas schied, wollen wir nur ehrfürchtig fragen. Uns scheint das ganze Lebensgefühl des Deutschen verändert, seit wir im Reiche leben als einer Großmacht und gleichberechtigt neben die herrschenden Nationen der Erde getreten sind. Vielleicht erneuert sich dadurch auch das Verhältniß der Bürger deutschen Stammes zu ihrem amerikanischen Wahlvaterlande. Doch bleibt Carl Schurz der große Ausdruck der Lebensgemeinschaft zwischen Amerika und Deutschland, er, der ein Klassiker in den Sprachen beider Länder war. Wie keiner war er zum Hüter und Vorsprecher aller Zeugnisse dieser Lebensgemeinschaft berufen. Das germanische Museum in Cambridge zählt ihn mit stolzestem Recht als den ersten seiner Präsidenten und gedenkt mit Freude seiner Begrüßungsworte bei der Einweihung. In seinem großen Sinne rief er die Deutschen Amerikas auf, dies Werk zu hegen und zu entwickeln. Unvermindert blieb die deutsche Innigkeit seines Gefühls. Als deutscher Dichter hat er sein Leben beschlossen. Denn die Erinnerungen seiner Jugend, die englisch zu schreiben ihm unmöglich war, gehören zu den schönsten Prosadichtungen in deutscher Sprache.

An dem Grabe von Carl Schurz reichen die beiden Völker in der gleichen Trauer sich die Hand, oder sie legen beide die Hände an denselben Kranz. Nicht ohne Wehmuth sieht dir Mutterheimath uraltes Germanenschicksal in ihm wiederholt — daß in einem ihrer besten Söhne ein Stück ihrer Geschichte in einer fremden Welt sich abgespielt hat. Denn der Geschichte beider Völker gehört er an. Sie dankt ihm, daß er wie wenige die Pflicht des Deutschen in der Fremde erfüllte, das Beste deutschen Wesens eingehen zu lassen in die neue Menschheit, die, scheint es, auf dieser Erde aus den alten Nationen sich bilden soll. In der gemeinsamen Arbeit für diese Idee sind die beiden Völker ohne Gegensatz und Streit verbunden. Dank dem großen Todten für seine Treue! Mancher Deutsch-Amerikaner wird in seinem Namen das Gelübde erneuern, wie er das Beste in deutscher Treue hinzugeben, wenn auch wenige mit ihm wetteifern können an Reichthum der geistigen Gaben. Ist uns doch, als wären die deutschen Stammesgenossen der Zukunft mehr noch schuldig, als sie der Vergangenheit geleistet haben, da das erneute Vaterland allem deutschen Wesen ein neues Kraftgefühl gab, und es dem Heutigen um so viel mehr zur Pflicht wird, überall auf der Erde sich einzusetzen mit seiner verjüngten, ganzen deutschen Seele. Möge das große Vorbild von Karl Schurz mit solchem Stachel wirken. Dann wird an ihm wahr werden, was er von Sumner gesagt hat: „Obwohl sein Körper in der Erde liegt, lebt er fort in den gesicherten Rechten aller, in der Bruderschaft des geeinten Volkes, in der geeinten Republik, und wird leben für immer.“ Und wie er nichts geliebt hat gleich seinem neuen Vaterlande, begleitet ihn dann bis ins Grab, was er als das höchste Glück gepriesen: „Es giebt kein schöneres und vollständigeres Glück in der Welt, als das Bewußtsein, zu dem Glücke Derer, die man lieb hat, beigetragen zu haben, ohne einen anderen Lohn zu verlangen als dies Bewußtsein.“


CARL SCHURZ